Ludwigslust, den 12. Mai 1811
An Karl
Der heutige Tag verdiente wohl in einem schönen Gedicht eben so zu glänzen als „der zwölfte Mai, wo ich, Fanny, zuerst Dich sah“. Ich habe ihn diesen Morgen auch mit einer, obwohl nicht neuen, doch mir immer lieben Erscheinung begonnen, da mich schon um 8 Uhr unsre, liebe Prinzess zum Spazierfahren mitnahm. Wir fuhren beide allein in einer ganz leichten, offnen Chaise, und Prinz Adolf kutschierte. Wohl eine Stunde fuhren wir in dem schönen großen Gehölze, was zu dem Park gehört. Die Gerüche waren unvergleichlich, und jegliche frohe und jugendliche Empfindung mit dem süßen Gedanken an die teuren Entfernten stellte sich uns mit lebendigen und lieblichen Farben dar. Wir träumten uns in jene Gegend, wo die geliebten Freunde uns begegnen müßten, hörten aber nur die jetzt schon unterbrochne Stimme der Nachtigall und des Kukuks. Statt an den Ufern der Saale fuhren wir am Kanal, wo sich jedoch ein Storch aufhielt, dessen Erscheinung der Prinzess Freude machte. Prinzess ist ordentlich ein wenig ergrimmt darüber, dass sie, der Ostsee so nahe, woher sie sich das größte Vergnügen versprach, doch gar nicht dahin kommen kann, und diesen schönen Sommer so ungenutzt muss vorbeigehen lassen. Es ist sogar unwahrscheinlich, wenigstens ungewiss, ob sie nach Doberan gehen wird. Zu einigem Trost kann es ihr gereichen, dass es das ganze Land lebhaft erkennt, wie sie sich graziös in die schlechten Umstände fügt, die jetzund obwalten. Noch heute erzählte mir ein artiger und vernünftiger Herr, der von Rostock und Schwerin kam, wie sehr unsre Prinzess von allen Menschen geehrt und geliebt würde, und wie man das Gute, was hier und da noch geschehen kann, ihrem Einfluss zurechnete. Das, was Du mir über den schlechten Zustand der mecklenburgischen studierenden Jugend mitteilst, hat sie sehr aufgebracht. Du kannst versichert sein, dass Du von uns nicht kompromittiert werden wirst. Aber ich habe Deinen Brief, da er sich just noch in der Prinzessin Händen befand, als der Erbprinz hereintrat, auch diesen lesen lassen, da er es so sehr wünschte. Es kann immer nicht schaden, und seiner Diskretion bin ich gewiss. Er sagte mir, dass er die Vernachlässigung des Schulwesens recht gut kennte, dass es ein lang eingewurzeltes Übel wäre, welches er abzuändern suchen würde, sollte es einmal in seiner Macht stehen. Wirklich ist es ein Jammer, dass die Menschen hier im allgemeinen nichts als ihr Handwerk interessiert, das sie von der Gesellschaft nur abzieht, und zu jeder vernünftigen Unterhaltung unfähig macht, und ich wünschte, dass die jungen Leute noch könnten aufmerksam gemacht- und durch irgend ein Mittel angespornt werden. Es wäre aber auch zu wünschen, dass irgend ein Professor sich etwas Autorität verschaffen könnte.
Morgen ist des Erbprinzen Geburtstag, und gestern erst hat Prinzess ihre schöne Stickerei zu Ende gebracht. Da sie die letzten Tage noch etwas anhaltend sitzen musste, so hatte ich das Vergnügen, ihr dabei das Leben von Hackert (von Goethe) vorzulesen, was uns beide ausnehmend interessierte und sehr angenehm unterhalten hat. Die kunstreiche und doch so einfache Darstellung sowohl als das Leben des Künstlers selbst machte der Prinzess bei eigner Kunstarbeit gar große Freude, und gaben ihr gleichsam ein Recht, sich ganz in die angenehme Gesellschaft zu versetzen. —
Der heutige Tag verdiente wohl in einem schönen Gedicht eben so zu glänzen als „der zwölfte Mai, wo ich, Fanny, zuerst Dich sah“. Ich habe ihn diesen Morgen auch mit einer, obwohl nicht neuen, doch mir immer lieben Erscheinung begonnen, da mich schon um 8 Uhr unsre, liebe Prinzess zum Spazierfahren mitnahm. Wir fuhren beide allein in einer ganz leichten, offnen Chaise, und Prinz Adolf kutschierte. Wohl eine Stunde fuhren wir in dem schönen großen Gehölze, was zu dem Park gehört. Die Gerüche waren unvergleichlich, und jegliche frohe und jugendliche Empfindung mit dem süßen Gedanken an die teuren Entfernten stellte sich uns mit lebendigen und lieblichen Farben dar. Wir träumten uns in jene Gegend, wo die geliebten Freunde uns begegnen müßten, hörten aber nur die jetzt schon unterbrochne Stimme der Nachtigall und des Kukuks. Statt an den Ufern der Saale fuhren wir am Kanal, wo sich jedoch ein Storch aufhielt, dessen Erscheinung der Prinzess Freude machte. Prinzess ist ordentlich ein wenig ergrimmt darüber, dass sie, der Ostsee so nahe, woher sie sich das größte Vergnügen versprach, doch gar nicht dahin kommen kann, und diesen schönen Sommer so ungenutzt muss vorbeigehen lassen. Es ist sogar unwahrscheinlich, wenigstens ungewiss, ob sie nach Doberan gehen wird. Zu einigem Trost kann es ihr gereichen, dass es das ganze Land lebhaft erkennt, wie sie sich graziös in die schlechten Umstände fügt, die jetzund obwalten. Noch heute erzählte mir ein artiger und vernünftiger Herr, der von Rostock und Schwerin kam, wie sehr unsre Prinzess von allen Menschen geehrt und geliebt würde, und wie man das Gute, was hier und da noch geschehen kann, ihrem Einfluss zurechnete. Das, was Du mir über den schlechten Zustand der mecklenburgischen studierenden Jugend mitteilst, hat sie sehr aufgebracht. Du kannst versichert sein, dass Du von uns nicht kompromittiert werden wirst. Aber ich habe Deinen Brief, da er sich just noch in der Prinzessin Händen befand, als der Erbprinz hereintrat, auch diesen lesen lassen, da er es so sehr wünschte. Es kann immer nicht schaden, und seiner Diskretion bin ich gewiss. Er sagte mir, dass er die Vernachlässigung des Schulwesens recht gut kennte, dass es ein lang eingewurzeltes Übel wäre, welches er abzuändern suchen würde, sollte es einmal in seiner Macht stehen. Wirklich ist es ein Jammer, dass die Menschen hier im allgemeinen nichts als ihr Handwerk interessiert, das sie von der Gesellschaft nur abzieht, und zu jeder vernünftigen Unterhaltung unfähig macht, und ich wünschte, dass die jungen Leute noch könnten aufmerksam gemacht- und durch irgend ein Mittel angespornt werden. Es wäre aber auch zu wünschen, dass irgend ein Professor sich etwas Autorität verschaffen könnte.
Morgen ist des Erbprinzen Geburtstag, und gestern erst hat Prinzess ihre schöne Stickerei zu Ende gebracht. Da sie die letzten Tage noch etwas anhaltend sitzen musste, so hatte ich das Vergnügen, ihr dabei das Leben von Hackert (von Goethe) vorzulesen, was uns beide ausnehmend interessierte und sehr angenehm unterhalten hat. Die kunstreiche und doch so einfache Darstellung sowohl als das Leben des Künstlers selbst machte der Prinzess bei eigner Kunstarbeit gar große Freude, und gaben ihr gleichsam ein Recht, sich ganz in die angenehme Gesellschaft zu versetzen. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Karl Ludwig von Knebels Briefwechsel mit seiner Schwester Henriette