Ludwigslust, den 26. April 1811

An Karl

— Seit einigen Tagen bestellt uns Prinzess des Abends um eine Stunde früher zu sich, damit wir ihr bei ihrer Arbeit etwas vorlesen möchten. Die Lektüre war aus Goethes „Farbenlehre“, wo wir die uns verständlichen Stellen ganz vortrefflich gefunden und uns daran außerordentlich ergötzt haben. Das sind uns liebe, angenehme Stunden. Auch die Arbeit der Prinzess geht wie ein wahres Kunstwerk aus ihren Gedanken und Händen hervor, und wird außerordentlich schön. Es ist eine neue Art, mit bunten Chenillen auf Atlas zu sticken, so dass die bunten Blumen, wie von Gips abgedruckt, lebendig mit ihren Blättern da zu liegen scheinen. Frau von Plessen, welche besonders geschickt in allen schönen Arbeiten ist, versichert, dass Prinzess eine wahre Künstlerin sei. In Paris, woher diese Arbeit kommt, macht man nur Rosen und ein paar andre Blumen, aber Prinzess macht sie alle in größter Vollkommenheit. Ich habe der Prinzess gesagt, dass ich Dir von ihrer schönen Arbeit etwas erzählen würde, und es freute sie. Es wird ein Ofenschirm, den sie dem Erbprinzen zu seinem Geburtstag geben will, und ihre Gedanken dabei sind auch so artig. Weil man jetzt Worte mit Steinen oder Blumen bezeichnet, so stickt sie eine Guirlande von Epheu außen herum; dazwischen kommt eine Hyazinthe, eine Lilie und eine Narzisse, und so bildet sich der Name Helene *). Sind das nicht zarte und hübsche Gedanken? Frau von Plessen, die Hofdame bei der verstorbnen Großfürstin war, weinte vor Rührung, da sie die schöne Arbeit sah. Das große Bouquet in der Mitte besteht aus lauter Blumen, deren Charakter Bezug auf den der verstorbnen Großfürstin hat, und ist in der Tat ein wahres Kunstwerk. Wenn wir ihr dann die interessanten Sachen vorlesen, so spinnt sich gleichsam immer etwas hinüber, und es gehen neue, artige Sachen aus den Gedanken und den geschickten Händen hervor. Es ist eine Freude, die große Menge von Nuancen in den Farben der Chenillen zu sehen, die sich Prinzess hat von Paris kommen lassen, aber noch eine größere, die Blumen mit aller Kraft, Lebhaftigkeit und Grazie wie abgegossen aufgetragen zu sehen. Ich habe ihr versichert, dass die Arbeit allein sie unsterblich machen würde. Eine reiche russische Dame in Berlin hat für ein kleines Bouquet dieser Art 40 Dukaten bezahlt. Prinzess freut sich, dass sie sich im Fall der Not ihr Brod verdienen könne. Sie zeichnet auch jetzt wieder gar hübsch und mit großem Eifer. Dabei ist sie in ihrer Familie immer höchst liebenswürdig, und die kleine Prinzess in der unbeschreiblich warmen und delikaten Liebe für diese Mutter steht ihr gar gut; es ist ein Bild von jugendlicher, zarter Freundschaft. Zu der Familie ist seit etlichen Monaten ein Schwager, der jüngste von den Brüdern, Prinz Adolf, hinzugekommen. Es ist ein schwächlicher Mensch, der das Unglück hatte, während einer Reise in Italien verrückt zu werden. Er wurde in England kuriert und dann nach Wismar verwiesen. Durch Vermittlung der Prinzess ist ihm nun sein Wunsch gewährt, hier zu bleiben, worüber er sehr glücklich ist, und die Prinzess als seinen Schutzengel verehrt. Auch nimmt sie ihn in Schutz; denn die andern achten ihn nicht. Er ist gar nicht uninteressant, und eigentlich, wie das oft der Fall ist, der gescheiteste von den Brüdern. Körperlich mag er wohl in der Erziehung vernachlässigt worden sein. Gott weiß, wie das ist. Prinzess liest zuweilen mit ihm Englisch aus Shakespeare, den er sehr liebt und wunderbar merkwürdige Stellen davon auswendig kann.


*) Die verstorbne Großfürstin Helene war die erste Gemahlin des Erbprinzen gewesen.

**) Beiliegt folgendes von demselben Tage datierte Billet der Prinzessin an Knebel: „Nur ein Augenblick bleibt mir wieder übrig, Sie schriftlich meines Andenkens zu versichern. Mit einem Wörtchen werden Sie, lieber Herr von Knebel, vorlieb nehmen müssen. Es drängt mich Ihnen zu sagen, und Sie zu bitten, im Fall die gute Emilie Gore noch hierher kommen kann, sie zu begleiten. Das Wiedersehen zwischen Freunden ist ein großes Glück, verscherzen Sie es nicht! Wenn Ihre Schwester Ihnen nicht zugeredet hat, hat sie unrecht. Auf kurze Zeit wird Ihnen Ludwigslust überhaupt einen angenehmen Eindruck machen. Nochmals kommen Sie, folgen Sie meinem Ruf, und glauben Sie nur gewiss, dass ich recht habe. Ich lese jetzt den zweiten Teil der „Farbenlehre“, der mir viele Freude macht. Leben Sie wohl! Ich grüße bestens alle Hausgenossen.“