Ludwigslust, Montag den 1. Oktober 1810

An Karl

Das war ein Sonntag, ein lieber, lieber Festtag, gestern, wo die geliebten Blätter ankamen! Auch endlich! denn mich verlangte oft schmerzlich nach Deinen Nachrichten. Du hast mich reichlich belohnt, mein Bester, und ich weiß Dir meine Freude und meinen Dank kaum auszudrücken. Ich war nicht lange vom großen Diner im Schweizerhaus, wozu der Herzog die Sonntage einladen lässt, zurück, so schickte mir unsre gute Prinzess das liebe, ersehnte Päckchen. Boschen war zu Haus geblieben, und ich fand mich nun so reich und beglückt, dass ich es für den Abend am Hof absagte und auch lieber bei meinen Schätzen blieb. Doch ließ mich Prinzess noch zu sich rufen; denn ob sie sich gleich selbst Deines Briefchens freute, so will sie sich doch den gewohnten Anteil an meinen Gütern, die mir von Dir kommen, nicht nehmen lassen. Wir wurden aber zu bald gestört und sie wird deshalb noch zu mir kommen; denn einen Teil von ihrem Dasein mag sie doch gerne bei mir deponieren. —


Die Menschen sind hier alle äußerst gut und gefällig gegen mich, weit mehr als ich erwarten konnte. Sie stehen aber auch auf einem höhern Punkt von Wohlhabenheit, daher die Prinzess wohl recht hat, dass man nicht sowohl gut als freundlich gegen sie sein kann. So möchte ich Dir nur gleich den Schlossvogt vom Erbprinzen vorstellen, der die Aufsicht über unsre Wohnung hat. Ein hübscher, etwas vornehmer Mann, der, gewiss ohne alle Rücksicht auf irgend eine Belohnung, jedem unsrer kleinsten Bedürfnisse mit dem Ausdruck von Vergnügen abhilft. — Die Leute arbeiten sich hier mehr aus dem Kern heraus und suchen ihr Glück nicht ganz so von andern, wie bei uns. Gut ist es noch, dass der Boden hier und da sandig ist, sonst möchten sie selbst etwas zu schwer werden; denn das Höhere und Geistige ahnden sie durchaus gar nicht. Dies, dünkt mich, könnte ihnen allein durch Geschmack an Künsten beigebracht werden. Diesen findet man hier und da, er ist aber gar nicht einheimisch. Der Herzog hält zwar viel auf Musik, doch finde ich darin etwas Wildes und Lärmendes. Schöne Gemälde vermisse ich durchaus, und Prinzess findet nur wenig gute Landschaften, die sie kopiert. Solltest Du oder Goethe einmal was Hübsches für sie einkaufen können, so würde es ihr die größte Freude machen. Sie hat mir bittre Vorwürfe gemacht, dass ich ihr die hübsche Madonna von Lukas Kranach, die Du in Weimar auf der Bibliothek gesehen hast, nicht mitgebracht habe *). —

*) Vgl. Knebels Brief an Goethe vom 18. Oktober.

Die hohe Liebe und Achtung, welche unsre Prinzess hier allgemein und, wie man mir versichert, vorzüglich auch in Schwerin antrifft, gibt ihr eine Art von Zufriedenheit und Lieblichkeit, die einem gefühlvollen Herzen, das sich geliebt steht, natürlich ist. Nur das einzige betrübt mich, dass der Erbprinz alle Tage dicker wird und sie täglich magerer. Es ist erstaunlich, wie sie, seit dem sie hier ist, mager geworden ist, doch klagt sie nicht über ihre Gesundheit. Unter meinen hiesigen Bekannten gefallen mir meine Nachbarn, der Minister von Plessen*) und seine Frau ganz vorzüglich. Sie leben auf einem ziemlich großen Fuß, haben Equipage und Köche, aber sie sind von den wahren vornehmen Weltleuten, die das Gescheite interessiert und denen man überall gerne begegnen mag. Auch erzeigen sie mir hundert Gefälligkeiten. Er hat viel gereist, war auch einige Jahre Gesandter in Regensburg. Sie ist eine Livländerin, geborne Kampenhausen, und eine sehr feine und artige Frau. Es gibt auch Herrens hier, die Bibliotheken und das Neueste haben, was herauskommt. Ich habe aber bis jetzt noch keinen Gebrauch davon gemacht, und habe erst noch mit Boschen die éloge de Frédéric II. von Guibert gelesen, um den widrigen Eindruck von den abscheulichen Denkmälern der leiblichen Schwester des Königs, die ich bis jetzt noch nicht verdaut habe, etwas zu verlöschen. Man möchte wirklich seine Freunde warnen, dies schändliche Buch nicht zu lesen; denn ich kann es noch gar nicht vergessen, und ich glaube, dass es mir Berlin zuwider gemacht hat, da ich es, trotz der prächtigen Plätze und herrlichen Paläste, immer als den Foyer aller Abscheulichkeiten ansehen musste. —

*) Sehr anerkennend äußert sich über ihn Frau von Schiller an Knebel Nr. 78.