Der Begriff des Kiddusch haschem

In keinem Begriff der jüdischen Ethik kommt ihr „heroischer Charakter“ deutlicher zum Ausdruck als im ... der „Heiligung des göttlichen Namen s.*) Trotzdem dieser Begriff schon oft ausführlich behandelt wurde,**) sei ihm hier noch eine kurze Darstellung gewidmet.

Aus der Auffassung Qottes als des Heiligen, d. h. des Urbildes sittlicher Vollkommenheit, ergab sich folgerichtig das Gebot :***)


„Heilig sollt ihr sein. Denn heilig bin ich, Jahwe, euer Gott.“ Schon die älteste jüdische Tradition (Sifra Kedoschim 86c) hebt hervor, dass an den mit diesem Satze eingeleiteten Abschnitt die meisten Hauptlehren der Thora sich knüpfen, und erklärt, indem sie den Satz seine abstrakten Fassung entkleidet:****) „Versuche es, so wie Gott zu sein. So wie er sittenstreng ist, sei auch du es. So wie er gnädig und barmherzig ist, sei auch du es.“ Im engen Zusammenhang mit diesem Gedanken entstand nun die zwar schon im AT mehrfach belegte, aber in ihrer Reinheit erst im nachbiblischen Schrifttum vorliegende Anschauung, dass man durch ein sittliches Leben, ja durch jede sittliche Handlungsweise den Namen Gottes heilige, d. h. ihm Ehre mache und damit zu seiner Anerkennung unter den Menschen beitrage. So veranlasste Schimon ben Schetach (Anfang des letzten Jahrh. v. Chr.) durch einen Beweis ungewöhnlicher Ehrlichkeit einen Heiden zu dem Ausruf: „Gepriesen sei Jahwe, der Gott des Schimon ben Schetach“, woran der Midrasch die Bemerkung knüpft: „Aus der Wahrhaftigkeit eines Menschen erkennst du die Wahrhaftigkeit Gottes.“5) Als höchste Heiligung des göttlichen Namens galt die Aufopferung des Lebens für die Religion, der Märtyrertod. An einer bedeutsamen, aber wenig bekannten Stelle ist die Pflicht des ... der Heiligung des göttlichen Namens, in die Form gebracht, dass Israel der Zeuge Gottes sein müsse,6) was eine genaue Analogie zu der Bedeutungsentwicklung von ...; und später arabisch šahîd bietet. Es ist R. Schimon ben Jochai, der Zeitgenosse der hadrianischen Religionsverfolgung, der das Prophetenwort (Jes. 43, 12): „Ihr seid meine Zeugen, spricht Jahwe, und ich bin Gott“ in tiefsinniger Weise erklärt: „Wenn ihr meine Zeugen seid, so bin ich Gott. Wenn ihr aber nicht meine Zeugen seid, so bin ich sozusagen nicht mehr Gott.“ Schon den alten Rabbinen entging es nicht, dass diese Auffassung und der ganze Begriff des Kiddusch haschem, objektiv genommen, leicht als eine Herabziehung und Entwürdigung Gottes betrachtet werden könne, da die Heiligkeit Gottes ganz unabhängig von unseren Handlungen bestehe. Sie lassen daher, um eine solche Auffassung zu verhüten, auf die Lehre, dass Gott die Selbstheiligung des Menschen als seine eigene Heiligung ansehe, die ausdrückliche Erklärung folgen, dass Gott in seiner Heiligkeit verbleibe, gleichviel ob man ihn heilige oder nicht.7) Sie erkannten also ganz klar, dass das in Gott ruhende sittliche Prinzip zwar nicht objektiv, aber subjektiv für jeden einzelnen nur dann eine Realität wird, wenn es sich als wirksame Macht in seinem Leben bewährt, wenn es ihn selbst zu einem sittlichen Menschen schafft und dadurch weiter in andern ein sittliches Leben entzündet. Das allein ist der Sinn dieses im Judentum bis auf den heutigen Tag sehr ernst genommenen Begriffs ... und seines Korrelats, des...: Jede edle Handlung ist ein Sieg des Gottesgedankens und somit eine Heiligung Gottes vor allen Menschen, während jede schlechte Handlungsweise eine Niederlage des Gottesgedankens, eine Entweihung Gottes vor allen Menschen bedeutet. Modern gesprochen, die vollendetste Predigt kann auf die Verächter der Religion nicht so überzeugend wirken wie die stumme, aber zwingende Predigt, die in einem vorbildlichen, gotterfüllten Leben liegt, das allein „den Widerstand der stumpfen Welt besiegt“. Ein Amora ging darum so weit, zu erklären:8) „Besser, dass ein Buchstabe aus der Thora getilgt werde, damit nur dadurch der Name Gottes öffentlich geheiligt werde.“ Umgekehrt gilt der ..., die Entweihung des göttlichen Namens durch eine unsittliche Handlungsweise, als die schwerste Sünde,9) und ist darum z. B. die Beraubung eines Nichtjuden ein noch schwereres Verbrechen als die Beraubung eines Juden. 10) Denn man trägt dadurch zu einer falschen Vorstellung von den sittlichen Forderungen bei, die die Religion an ihre Bekenner stellt, und verletzt so die Würde Gottes.11) Wie berechtigt diese Anschauung ist, zeigt die Erfahrung, dass jedes Vergehen und Verbrechen eines einzelnen Juden nicht nur ihm selbst, sondern seiner ganzen Gemeinschaft zur Last gelegt und als Frucht der jüdischen Religion hingestellt“ wird. So ist es heute, und so war es schon im Altertum; und während sonst jeder gute und edle Mensch immer nur daran zu denken braucht, dass der „Menschheit Würde in seine Hand gegeben ist“, musste jeder ernste Bekenner der jüdischen Lehre sich vor Augen halten, dass auch der Gottheit Würde in seine Hand gegeben ist. Dieser Gedanke beherrscht die ganze jüdische Sittenlehre und war jederzeit die wirksamste treibende Kraft im sittlichen Leben, der gegenüber die gelegentlichen eudämonistischen Begründungen der Sittlichkeit, die Verheißungen von Lohn im Diesseits oder Jenseits völlig zurücktraten. Auch das heute vielen Nicht Juden, beispielsweise Eduard von Hartmann, zwecklos scheinende Martyrium, das die Juden noch in der Gegenwart zu tragen haben, wird von ihnen, allem Spott und Hohn zum Trotz, unter dem Gesichtspunkte des ... betrachtet. Der einzelne Jude wie die ganze Gemeinschaft müssen vielfach auf Ansehen und Anerkennung verzichten, damit ihr Gott angesehen und anerkannt werde. Das mag ja den Anhängern von Hartmann lächerlich erscheinen, was aber nichts an dem heroischen Charakter einer solchen Ethik ändert.

*) Während Bousset in der 1. Auflage diesen Begriff ganz unerwähnt ließ, widmet er ihm in der 2. Aufl. S. 478 (in kleinem Druck) eine völlig unzulängliche Darstellung mit einigen neutestamentlichen Parallelen.

**) Ich erwähne nur Maimonides Hilchot jesode hattora 5, 1 ff. L. Löw Ges. Sehr. I 223 ff. L. Lazarus Zur Charakteristik der talm. Ethik 40 — 48. Hamburger Realenzyklopädie II 369 ff. M. Lazarus Ethik des Judentums I 196 ff. Schreiner Die jüngsten Urteile 169 ff. K h 1 e r in Jew. Encycl. V 250. VII 484 ff. Steinherz in der (ungarischen) Jubelschrift zum 90. Geburtstag von Moses Bloch 227 ff. Vgl. jetzt auch Hugo Bergmann in dem Sammelbuch „Vom Judentum“ (Leipzig 1913) S. 32 ff.

***) Lev. 19, 2 und viele Parallelstellen.

****) Die Parallelstellen s. bei Bacher Ag. der Tann. II 367 mit Anm. 2 und 3 (wo indes Sifrâ für Sifrê zu lesen), ferner Sifre 85a § 49. Aristeas § 188—194. 205—212. 254. 257. 259. 281. Philo liegt (pCkav i}oomiag (M II 404. Cohn V § 168) ...

5) Debarim R. 3, 3 vgl. jer Baba Mezia 8c.

6) Pesikta d. R. Kahana 102b (vgl. schon Sifre 144a, siehe dort die ganze Stelle) ... Simon tradiert hier also nur eine ältere Erklärung.

7) Sifra Kedoschim 86c (zur Erklärung von ... am Schluss des Verses Lev. 19,2)

8) bJebamot 79a.

9) Mechilta (ed. Fr.) 69a und Parallelen (s. Bacher Ag. Tan. I 387 Anm. 2) z. B. bJoma 86a, wo gleich darauf die schöne Deutung von Deut. 6,5: „Bewirke durch deine Handlungsweise, dass der Name Gottes geliebt werde“, was dann durch Beispiele näher erklärt wird. Ähnlich schon Sifrê 73a z. St.

10) Tos. Baba Kamma 10, 15 (ed. Zuckermandel 368). Vgl. auch Vajikra R. 22,6: „Wir finden, dass Gott es einmal weniger streng nimmt mit dem Götzendienst, aber nicht mit der Entweihung des Gottesnamens.“

11) Vgl. Mechilta 37b oben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jüdische Skizzen