Jüdische Skizzen

Autor: Perles, Baruch Ascher Felix (1874-1933) Rabbiner, Gelehrter, Zionist in Königsberg, Erscheinungsjahr: 1920
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Religion, Geschichte, Kultur, Judenhass, judenfeindliche Bewegungen, jüdisches Leben, Aufklärung,
          Vorwort zur ersten Auflage

Der leidenschaftliche Streit um das Judentum, der seit einem Menschenalter in der Literatur wie im öffentlichen Leben tobt, hat die Aufmerksamkeit der weitesten Kreise auf die Religion, Geschichte und Kultur dieses aus der grauen Vorzeit in die Gegenwart hineinragenden einzigartigen Volkes gelenkt. Man wollte sich in allen Lagern sowohl über die Ideen, für die das Judentum sich einsetzte, wie über die schöpferischen Leistungen, die es aufzuweisen hatte, ein selbständiges Urteil bilden. Doch nur wenige waren mit den Kenntnissen ausgerüstet, um bis zu den Quellen vorzudringen, und so entstand aus dem Bedürfnis heraus eine unübersehbare Literatur, die sich mit dem Judentum nach den verschiedensten Richtungen hin beschäftigte. Der größte Teil dieser Schriften bietet indes einen keineswegs erfreulichen Anblick. Ganz abgesehen davon, dass auf der einen Seite hasserfüllte, meist jeder Sachkenntnis ermangelnde Polemik, auf der anderen Seite kritiklose, von übertriebener Schätzung des eigenen Wesens diktierte Apologetik sich breit machte, sind auch die von jeder Tendenz sich frei haltenden Werke nur zum geringen Teil geeignet, dem gebildeten Publikum die Eigenart des Judentums zu erschließen. Denn entweder treten sie mit vollem wissenschaftlichem Rüstzeug auf, so dass sie auf den Nichtfachmann eher abschreckend wirken, oder sie sind populärwissenschaftlich im schlimmen Sinne des Wortes, das heißt populär auf Kosten der Wissenschaftlichkeit.

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Inhaltsverzeichnis
  1. Jüdische Charakterköpfe
    1. Moses Maimonides
    2. Zacharias Frankel
    3. Abraham Geiger
    4. Max Grünbaum
  2. Die Wissenschaft vom Judentum
    1. Eine Enzyklopädie des Judentums
    2. Jüdische Wissenschaft
    3. Die Wissenschaft vom Judentum an den deutschen Universitäten
    4. Die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums
  3. Zu Bibel, Talmud und Midrasch
    1. Zur ästhetischen Würdigung der Bibel
    2. Die Textbibel von Kautzsch
    3. Der erste modern-wissenschaftliche hebräische Bibelkommentar
    4. Abraham Geiger als Bibelforscher
    5. Entstehung und Bedeutung des Talmuds
    6. Zur Würdigung der Sittenlehre des Talmuds
      1. Der Begriff des Kiddusch haschem
      2. Die Wahrheitsliebe in der rabbinischen Literatur
    7. Bachers Agadawerk
      1. Die Agada der palästinensischen Amoräer
      2. Die Agada der Tannaiten. 2. Aufl
    8. Wünsches Übersetzung der kleinen Midraschim.
      1. Band I
      2. Band III
      3. Band IV
  4. Religionsgeschichtliches
    1. Was bedeutet ... Deuteronomium 6,4?
    2. Das wahre Bild des pharisäischen Judentums
    3. Das Gebet im Judentum
    4. Soziale Gerechtigkeit im alten Israel
    5. Judentum und Griechentum in ihren gegenseitigen Beziehungen
    6. Was lehrt uns Harnack?
    7. Die jüdische Schriftgelehrsamkeit zur Zeit Jesu
    8. Jüdische Apologetik im neutestamentlichen Zeitalter
    9. Schürers Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Christi
      1. 3. Aufl. Zweiter und dritter Band
      2. 3. und 4. Aufl. Erster Band
      3. 4. Aufl. Zweiter Band
      4. 4. Aufl. Dritter Band
  5. Zur Literaturgeschichte und Volkskunde
    1. Leopold Löws Gesammelte Schriften
    2. Die Poesie der Juden im Mittelalter
    3. Der älteste jüdisch-spanische Dichter
    4. Die Legenden der Juden
    5. Die Legende des Baal Sehern
    6. Jüdische Sprichwörter
    7. Die Geschichtsliteratur der Juden
    8. Eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Juden
    9. Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung
    10. Das Stammbuch der Frankfurter Juden
Das letzte Jahrzehnt hat in dieser Beziehung entschieden eine Besserung gebracht, indem eine Reihe von Büchern erschienen sind, die auf solider wissenschaftlicher Basis gemeinverständlich über das Judentum belehren . Der Verfasser glaubt jedoch, durch die in der vorliegenden Sammlung enthaltenen Artikel vielfach gerade dasjenige zu bieten, worüber man sich bisher am schwersten orientieren konnte. Das Buch setzt sich aus Vorträgen (darunter zwei bisher noch unveröffentlichten) sowie aus Artikeln und Besprechungen zusammen, die zum Teil an entlegener Stelle in den verschiedensten Zeitschriften und Zeitungen erschienen sind. Es bietet eine durchgehends aus den ersten Quellen geschöpfte und dennoch jedem Gebildeten verständliche Darstellung von den wichtigsten Seiten des Judentums. In einer Reihe von breiten Querschnitten ist hier ein Bild von den Haupterscheinungsformen des Judentums gegeben. Die Entwicklung des Judentums durch die Jahrtausende, seine führenden Geister wie seine leitenden Ideen, seine wissenschaftliche, seine poetische und seine volkstümliche Ausprägung sind in gleicher Weise berücksichtigt, sodass die eigenartige Gedankenwelt des Judentums von allen Seiten beleuchtet erscheint.

Während der größte Teil der Aufsätze im Ton der Darstellung gehalten ist und lediglich belehrende Zwecke verfolgt,, sind einige davon und namentlich der ganze zweite Abschnitt einer noch schwebenden Frage gewidmet, nämlich dem viel umstrittenen Problem einer „Wissenschaft vom Judentum“. Über Begriff und Umfang dieser Wissenschaft wie über die Mittel zu ihrer Pflege sind hier Ausführungen geboten, die zu einer lebhaften Diskussion in verschiedenen Tagesblättern und Fachzeitschriften geführt haben. Sonst sind keinerlei aktuelle Fragen behandelt und namentlich auch die gegenwärtigen Kämpfe und Parteibildungen innerhalb des Judentums unberührt geblieben.

Damit die Anmerkungen nicht beim Lesen stören, sind sie nicht unter dem Texte, sondern am Ende jedes Artikels gegeben, und alles rein gelehrte Beiwerk ist möglichst fortgelassen worden. Die Form der Darstellung ist — hoffentlich nicht zu ihrem Nachteil — durch eine ausgedehnte unterrichtliche Tätigkeit des Verfassers beeinflusst, und so sei das Buch all denen, die sich oder andere über das Judentum belehren wollen, in der Hoffnung gewidmet, dass es falsche Anschauungen zerstreuen und richtige Erkenntnis verbreiten helfe.

            Königsberg i. Pr., Februar 1912. Der Verfasser.

          Vorwort zur zweiten Auflage

In den acht Jahren seit dem Erscheinen der ersten Auflage hat sich das Interesse für das Judentum in ungewöhnlichem Maße gesteigert. Die Tatsache, dass der Krieg im Osten sich gerade auf dem Boden der größten Judensiedelungen abspielte, lenkte die Aufmerksamkeit auf die dort zusammengedrängten jüdischen Massen, deren entsetzliches Elend der Welt bis dahin ebenso unbekannt geblieben war wie ihre eigenartige und tiefe, wenn auch äußerlich oft wenig anziehende Kultur. Der Ausgang des Krieges wiederum brachte die Erfüllung des alten Zionstraumes, indem die von Millionen leidender Juden inbrünstig ersehnte Gründung eines jüdischen Gemeinwesens im Heiligen Lande zur Wirklichkeit geworden ist. Auf der andern Seite hat der durch den Krieg bis zur Siedehitze gestiegene Nationalismus in vielen Ländern judenfeindliche Bewegungen entfesselt, die zu einer Gefahr für das öffentliche Leben geworden sind. So steht das Judentum, wenn auch weit mehr passiv als aktiv, im Mittelpunkte des großen Geschehens unserer Zeit, und all diejenigen, die nicht von Leidenschaften oder vorgefassten Meinungen beherrscht sind, sondern zu dem jüdischen Problem selbständig Stellung nehmen, wollen, suchen sich über das Judentum zu informieren. Der Verfasser hofft, ihnen im vorliegenden Buch ein geeignetes Mittel zur Belehrung und Aufklärung zu bieten. Die gewöhnlich zur Kontroverse Anlass gebenden Fragen des Tages sind hier allerdings nicht besprochen, wohl aber das geschichtliche Judentum, ohne dessen Kenntnis das heutige Judentum ein „wandelndes Geheimnis“ ist.

Die zweite Auflage enthält an vielen Stellen Ergänzungen und Berichtigungen. Ganz fortgelassen sind die Aufsätze III Nr. 4, IV Nr. 2 und 10, V Nr. 9 der ersten Auflage, an deren Stelle hier drei andere Aufsätze treten, sowie das Namen- und Sachregister.

So möge das Buch auch in seiner neuen Gestalt dazu beitragen, ein besseres Verständnis des Judentums bei Freund und Gegner zu verbreiten und so dem sozialen Frieden zu dienen.

            Königsberg i. Pr., Februar 1920.