Die Methode der jüdischen Realpolitik

Muss man sich nun auch mit aller Klarheit und Entschiedenheit vor Augen halten, dass das Ziel der jüdischen Kolonisationsarbeit im Orient ein politisches ist, so gehört es keineswegs zu den Forderungen des nüchternen Sinnes, dass auch die Mittel zur Erreichung dieses Zieles ausschließlich politischer Natur seien oder dass die letzte Frucht unserer nationalen Bestrebungen, die politische Autonomie, noch vor der tatsächlichen Gründung des Gemeinwesens errungen werde.

Darin liegt die historische Bedeutung der jüdischen Nationalbewegung, dass sie den Sinn für Realpolitik großen Stiles in immer weitere Kreise trägt, dass der Illusionismus unter ihrem Einflüsse immer mehr Bestrebungen Platz machen muss, die mit der erprobten Politik anderer Völker übereinstimmen. In dem Augenblicke, als die jüdische Volksorganisation in Basel sich konstituierte, bestimmte sie auch die Grundlinien der jüdischen Realpolitik: das Basler Programm fasst neben der politischen Tätigkeit, den vorbereitenden Schritten zur Erlangung der Regierungszustimmungen, auch die zweckdienliche Förderung der Besiedelung Palästinas durch Ackerbauer, Handwerker und Gewerbetreibende, demnach das allmähliche, planvolle wirtschaftliche Vordringen ins Auge. Und mit allem Nachdruck betonen es die Resolutionen des letzten Basler Kongresses, dass als reale Unterlage der politisch-diplomatischen Bemühungen die systematische Ausgestaltung unserer Positionen in Palästina erfolgen solle. Die Mittel, deren sich die jüdische Volksorganisation bedient, sind: allseitige Erforschungsarbeit, ökonomisch-kulturelle Hebung und Organisation der Juden in Palästina, Erstrebung der notwendigen Reformen in Bezug auf Verwaltung und Recht, Heranziehung neuer intellektueller Kräfte.


Die tatsächliche Gründung von jüdischen Ansiedlungen aus öffentlichen Mitteln aber ist in dem Programm der jüdischen Volksorganisation überhaupt nicht enthalten. Dieses System, das die Philantropie heute als zu kostspielig verurteilt und unbegreiflicherweise der Nationalbewegung zuschreibt, wurde faktisch nur von ihr selbst geübt. Die nationale Realpolitik hat es seit jeher nicht nur als unpraktisch, sondern als demoralisierend bekämpft und sie verpönt es heute energischer als je. Was sie anstrebt, ist bloß die Schaffung von Bedingungen für das Gedeihen einer spontanen Volkskolonisation, die Sicherung der Religionsausübung und der Kindererziehung, die Erleichterung des individuellen Pionierkampfes durch rationellen Kredit, durch Informationen, durch Intervention bei den Behörden. Alles Übrige überlässt sie der Initiative wirtschaftlich selbstständiger und selbstverantwortlicher Kolonisten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jüdische Realpolitik