Franzosen als Spaßvögel

Franzosen als Spaßvögel

Einer von ihnen, der uns zu barbieren pflegte, dessen Name mir leider entfallen ist, tat sich vor Allen durch seine Lustigkeit hervor, und war unerschöpflich in industriösen Mitteln, die Edelleute auf eine anmutige Weise in Kontribution zu setzen. Eines Tages, hörten wir, die Edelleute der Umgegend würden den andern Tag in die Stadt kommen, um eine amtliche Zusammenkunft zu halten. Hierauf baute der Franzose einen Plan viel Geld zu sammeln. Will ik mak ein groß Spaß, sagte er uns, will ik bekomm viel Geld. Edelleut’ ist sie dumm’ Teuf, will sie viel lack, und geb Geld. — Wir waren alle begierig, was der Spaßvogel wohl anstellen würde. Des andern Morgens, als bereits viele Edelleute mit ihren Familien angekommen waren, erschien der Franzose in einem der wunderlichsten Aufzüge. Er hatte eine ungeheure Perücke von Werch aufgesetzt, sich einen sehr langen Zopf von Stroh angehängt, spielte dabei den Blinden und ließ sich von einem andern Franzosen an einem langen Stock, dessen Enden sie beide in der Hand hielten, durch die Straßen führen. Dabei sang er französische Lieder, tappte mit den Füßen wie ein Blinder, doch nach dem Takte der Melodie, was eine äußerst komische Wirkung hervorbrachte. Ein großer Trupp Gefangener zog hinter Ihm drein. — Vor jedem Hause, wo ein Edelmann wohnte, hielt er an, sang und begehrte Almosen. Gott weiß, welch’ drolliges Zeug der Franzose mag gesungen haben, denn die Edelleute, die mit Frauen und Töchtern vor die Türe traten, wollten bersten vor Lachen. Selbst wir Deutsche die nichts von seinen Possen verstanden, wurden durch seinen unwiderstehlichen Humor hingerissen. Der schlaue Franzose hatte sich nicht verrechnet. Die Silberstücke flogen ihm zahlreich zu. Nicht ein einziges Kupferstück war darunter. Als er die Runde gemacht hatte, zog er sich zurück, warf seine Perücke ab, und führte uns zum Juden Simon, wo er nicht eher ruhte, bis er mit uns alles Geld bis auf den letzten Heller in Schnapps durchgebracht hatte. Denn so haushälterisch die Franzosen in der Familie sind, so uneigennützig mitteilend sind sie in der Kriegsgenossenschaft, und es gibt keine besseren Kameraden als sie.

So floß unser Leben leidlich hin, zuweilen sogar durch Vorfälle gewürzt, die uns noch lange Stoff zur Unterhaltung boten. Einst war bei einem Juden eine Art von Tanzmusik aus einer Violine mit drei Saiten bestehend, wobei der Appetit, den wir bei unserer auf Brot und Wasser beschränkten Kost immer fühlten, dem Juden einen empfindlichen Schabernack spielte. Während die Bauern mit ihren Mädchen in der Stube ihren schwerfälligen Bärentanz aufführten, kamen einige Gefangene, worunter auch ich, und sahen zu. Draußen auf dem Vorplatz saßen auf einer Latte unter dem Dachstuhl ein Hahn mit seinen Hennen. Auf diese Hühner richteten die Gefangenen, meistens Franzosen, ihr Augenmerk. Einige schrieen und jauchzten in der Stube, dem Juden die Ohren voll, während die andern die Hennen und den Hahn herunterholten, und sich in den Wald hinaus machten, wo der Raub gerupft wurde. Ich wußte von nichts. Plötzlich stürzte die Jüdin herein, und schrie: die Hühner! die Hühner sind fort! Nun stelle man sich das Jammern des geizigen Juden vor. Ich dachte, der jüngste Tag sei da! Wenn Haus, und Hof abgebrannt wäre, hätten sie sich nicht ärger gebärden können. Alle Flüche, die im alten Testament stehen, wurden über die Franzosen ausgestoßen. Aber die Hühner waren weg und zum Glück wurde nichts entdeckt. So oft wir in der Folge den Juden sahen, zogen wir ihn mit den Hühnern und Franzosen auf, und erfreuten uns allemal an dem drolligen Ausdruck seines Ärgers. Der immernagende Hunger, den wir litten, möge solche Vergehunzen entschuldigen.


Noch ein anderer Streich wurde den Juden gespielt, wobei wieder, wie fast überall, die, Franzosen die Rädelsführer waren. Wir hatten bemerkt, daß bei jedem Juden ein Zettelchen mit einem hebräischen Spruch in einem Einschnitt im Türpfosten stak, und mit einer Glasscherbe bedeckt war. So oft ein Jude eintrat, küsste er seine Fingerspitzen und berührte dann den Spruch. Daraus schlossen wir, daß das Zettelchen einen großen Wert für die Juden haben müsse, und einige Franzosen haben ein solches Zettelchen heraus, und stellten es den Juden nur unter der Bedingung, daß sie Schnapps hergäben, wieder zurück. Dies Manöver wurde mehrmals wiederholt, und die Juden lösten ihr Heiligtum jedesmal mit Schnapps wieder aus. Endlich aber wurden sie es überdrüssig, und machten dem Spaß dadurch ein Ende, daß sie die Zettelchen alle selbst herausnahmen, und verbargen.

An einem Sonntag, nach meinem ärmlichen Mittagsmahl, hatte ich mich auf meiner Bank zur Ruhe hingestreckt. Ein großer Stein, und darüber ein leerer Tornister, den ich einem Toten abgenommen hatte, war mein Kopfkissen, und ich war recht sanft eingeschlafen, als ich plötzlich einen entsetzlichen Schlag über den Rücken fühlte. Ich fuhr schlaftrunken empor, und sah nun, daß die ganze Stube voll Bauern vom Landsturm war, die wir Fremde: Kreuzbauern zu nennen pflegten, weil sie auf ihren Mützen über dem A. I. (Alexander der Erste) noch ein messingenes Kreuz trugen. Ein solcher Kreuzbauer stand vor mir, mit einem Kantschu bewaffnet, wahrscheinlich derselbe, der mir den Schlag versetzt hatte. Er fluchte und schimpfte auf mich ein, und, sagte häufig: Franzuß kaputt (Ein Wort, das die Russen von uns aufgeschnappt hatten). Seinem Beispiel folgten die andern Kreuzbauern, der eine auf Napoleon schimpfend, der andere mir mit Aufhängen drohend usw. Der mit dem Kantschu Bewaffnete machte alle Augenblick Miene, neuerdings auf mich loszuschlagen. Ich war auf das Ärgste gefaßt als endlich der Bauer, mein Hauswirt, sich ins Mittel legte. Nun versammelten sich die rohen Kerle um diesen, und während sie sich mit ihm herumzankten, schlich ich zur Türe hinaus, und ging zu dem Juden Simon. Hier kamen noch mehr Gefangene zusammen, und erzahlten, daß es ihnen ebenso ergangen war, wie mir. Es waren nämlich 500 Kreuzbauern eingerückt, und in dieselben Häuser einquartiert worden, wo wir lagen. Um uns nicht neuen Misshandlungen auszusetzen, blieben wir bei Simon über Nacht. Tags darauf setzten glücklicherweise diese wilden Horden ihren Marsch fort, und nun begab ich mich wieder in mein Quartier. Aber nicht lange genoss ich das Glück dazubleiben. Ich wurde plötzlich ausquartiert, und zu einem Juden gelegt, wo ich sehr übel daran war. Ich erhielt von ihm nicht das Mindeste, und als ich hörte, daß viele Gefangene von allen Waffen und Nationen, sich truppweise vereinigt und in die unbewohnten Häuser verteilt hatten, wo sie gemeinschaftliche Menage machten, so verließ ich des Juden Haus freiwillig und schloß mich ebenfalls an einen solchen Trupp an.

Ich hatte hier freilich außer der schmalen Magazinskost auch nichts, aber ich war doch unter Kameraden, und in Gesellschaft erträgt man sein Elend leichter. Wir stopften die Löcher die die Fenster vorstellten, mit Stroh zu, und machten tüchtige Feuer, da es Holz genug gab. Auch war es bereits schönes gelindes Wetter. Zudem lehrte uns die Not verschiedene Hilfsmittel. Vom Hunger getrieben, gingen wir in die Wälder, fingen Schweine, die da herumliefen, schlugen sie tot, zerschnitten sie, und nahmen immer so viel mit nach Hause, als wir in unsere Menage brauchten. Das Übrige versteckten wir im Gebüsch. Die abgenagten Knochen, die früher oder später unsere Verräter werden konnten, verscharrten wir in die Erde. Diese Vorsicht war heilsam. Denn nicht lange, so vermissten die Bauern ihre Schweine, und machten Lärm. Es wurde eine allgemeine Haussuchung angestellt, aber nichts gefunden, so daß wir mit dem Schrecken davon kamen. Aber ich fürchtete früher oder später doch einen übeln Ausgang und zog mich aus diesem Jagdverein auf zahme Schweine, gänzlich zurück. Zwei Württemberger, Böck und Bauer mit Namen, folgten meinem Beispiel, und wir drei vereinigten uns, wählten ein kleines Haus, das wir allein bezogen, richteten es ein so gut wir konnten und lebten gemeinschaftlich von unserer Magazinskost und von der Milde der Bauern, die uns von Zeit zu Zeit Kartoffeln schenkten.

Ein Vorfall, den ich hier erlebte, möge beweisen, daß der Mensch auch im Elend seine Leidenschaften nie ganz benähmt und seinen Nationalcharakter nicht verleugnet. Ich besaß noch von meiner Frau eine Schere, die mir in einem Ort, wo nichts dergleichen zu haben war, treffliche Dienste leistete. Eines Tages trat ein französischer Tambour mit dem Ausdruck verbissener Wut zu mir in die Stube, und verlangte meine Schere. Ich glaubte, er brauche sie zur Ausbesserung seiner Kleider, und gab sie ihm. Aber er riß sie vor meinen Augen auseinander, und ohne sich an meine lebhafte Einrede zu kehren, band er die, Teile an die Enden zweier Söcke, die er mitgebracht, und stützte hinaus. Meine Württemberger, ich, und noch mehrere Gefangene folgten ihm, da wir nun begriffen, daß es ein Duell geben sollte. Draußen trafen die Gegner zusammen und begaben sich von uns begleitet vor den Ort hinaus, ins Freie. Hier legten sich andere Franzosen ins Mittel, und brachten es endlich durch Zureden dahin, daß der Kampf unterblieb. Es wahrte aber lange, ehe die beiden Gegner sich zur friedlichen Ausgleichung bequemten. Besonders war der Tambour in so heftiger Gemütserregung, daß er kaum zu besänftigen war. Nach Austrag des Handels hatte niemand dabei verloren als ich, denn ich war um meine Schere gekommen, die mir hier niemand herstellen, konnte.

So lebten wir einige Zeit ziemlich leidlich. Aber auch dieses armselige Glück war mir nicht lange gegönnt. In einer Nacht befielen mich plötzlich schmerzliche Krämpfe im Unterleib, und Zuckungen an allen Gliedern. Dazu kam ein heftiges fast ununterbrochenes Erbrechen, so daß ich überzeugt war, meine letzte Stunde müsse bald schlagen. Dieser schreckliche Zustand dauerte 24 Stunden lang. Meine beiden Kameraden taten alles Mögliche, mir Erleichterung zu verschaffen. Der eine, Böck, hielt mir die ganze Nacht durch den Kopf, der andere, Bauer, rannte nach Ärzten. Es waren deren drei hier, Mitgefangene von uns, zwei Franzosen und ein Pole, die bei dem Juden Simon wohnten. Diesen beschrieb Bauer meinen Zustand. Sie gaben ihm ein gelbes Pulver, und ließen mir sagen, ich sollte laues Wasser trinken, um noch mehr zu erbrechen. Meine Krankheit erklärten sie für die Brechruhr. Nach 24 Stunden ließ das Erbrechen nach, aber ich war so geschwächt, daß meine beiden Leidensgefährten mich wie ein kleines Kind heben und legen mußten. Sie gingen nochmal zu den Ärzten, die ein Mädchen aus Litauen als Köchin bei sich hatten, und erbaten sich etwas Suppe für mich, die mir sehr wohl bekam. Meine starke Natur half sich auch diesmal. Auch verdanke ich viel den Nahrungsmitteln, die mir die beiden Ärzte von Zeit zu Zeit durch ihre Köchin zuschickten. Ich selbst konnte wiewohl ich noch ein Goldstück besaß, wenig für mich sorgen, da nichts zu haben war, als Brot und Butter und höchstens etwas Kalbfleisch, das die Juden verkauften. Auch fehlte uns das Geschirr, um alles gehörig zuzubereiten. Die Ärzte hingegen erhielten Lebensmittel und alle Fleischarten von den Edelleuten. Als ich mich wieder auf den Beinen halten konnte, führten mich meine beiden menschenfreundlichen Lebensgefährten in die frische Luft — aber, o Himmel, wie erschrak ich, als es mir vor den Augen war, wie wenn mir ein dichter Schleier übergeworfen worden wäre. Ich hatte die Sehkraft verloren. Man denke sich meine Verzweiflung! Meine Kameraden führten mich zu den Ärzten, die mir den Trost gaben, mein Übel würde sich mit der Zeit von selbst heben, ich sollte nur viel spazieren gehen. Nach ungefähr vierzehn Tagen traf mich ein neues Übel. Ich verlor auch das Gehör, und bekam von den Ärzten denselben Trost und denselben Rat. Nach einigen Wochen erhielt ich auch wirklich zu meinem größten Entzücken das Augenlicht allmählich wieder, aber das Gehör wollte sich noch nicht einstellen, und ich mußte noch lange Geduld haben, ehe ich mich dessen wieder erfreuen konnte. Mit der wiederkehrenden Lebenskraft meldete sich ein stärkerer Appetit und ich war gezwungen, mein letztes Goldstück wechseln zu lassen, um den Hunger zu stillen. Als aber auch dieses Geld zu Ende war, und ich blos von dem leben mußte, was ich im Magazin faßte, da erreichte mein Elend wieder einen hohen Grad. Zu dem peinigenden Hunger gesellte, sich auch noch der üble Zustand meiner Kleider, die mir schon in Lumpen vom Leib zu fallen anfingen. Wie wäre es auch anders möglich gewesen?