Die Pflichten und Rechte des Ehestandes

Aus diesem Grundsatze fließen alle Pflichten und Rechte des Ehestandes ganz natürlich, und es ist nicht nötig, wie die Rechtslehrer zu tun pflegen, ein doppeltes Prinzipiura anzunehmen, um alle Pflichten der Ehe und des Hausstandes aus demselben herzuleiten. Die Pflicht zur Erziehung folgt aus der Verabredung, Kinder zu erzeugen, und die Schuldigkeit in einen gemeinschaftlichen Hausstand zu treten, aus der gemeinschaftlichen Pflicht zur Erziehung. Die Ehe ist also im Grunde nichts anderes, als eine Verabredung zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, gemeinschaftlich Kinder zur Welt zu bringen; und hierauf beruht das ganze System ihrer gegenseitigen Pflichten und Rechte *). Dass aber die Menschen durch Verabredung den Stand der Natur verlassen, und in den Stand der Gesellschaft treten, wird in der Folge gezeigt werden. Mithin ist auch die Erziehungspflicht der Eltern, ob sie schon in gewisser Betrachtung eine Zwangspflicht zu nennen ist, keine Ausnahme von dem angeführten Naturgesetz, dass der Mensch im Stande der Natur unabhängig sei, und ihm allein das Recht zukomme, die Kollisionsfälle zwischen Selbstgebrauch und Wohlwollen zu entscheiden.

[i]*) Wenn Subjekte von verschiedenen Religionen in ein Ehebündnis treten, so wird beim Kontrakte verabredet, nach welchen Grundsätzen der Hausstand geführt und die Kinder erzogen werden sollen. Wie aber, wenn Mann oder Weib nach vollzogener Heirat Grundsätze ändern und zu einer anderen Religion übergehen? Gibt dieses der anderen Partei ein Recht, auf die Scheidung zu dringen? In einer kleinen Schrift*), die zu Wien geschrieben sein will, und deren ich in dem zweiten Abschnitte mit mehrerem zu erwähnen Gelegenheit haben werde, wird gesagt, dass der Fall jetzt daselbst vorliege. Ein Jude, der zur christlichen Religion übergegangen, soll ausdrücklich begehren, seine bei der jüdischen Religion gebliebene Ehefrau zu behalten, und der Prozeß soll anhängig gemacht sein. Genannter Verfasser entscheidet nach dem System der Freiheit. „Man vermutet mit Recht,“ spricht er, „dass die Verschiedenheit der Religion für keine gültige Ursache zur Ehescheidung erkannt werden werde. Nach den Grundsätzen des weisen Josephs dürfte wohl Unterschied in kirchlichen Meinungen nicht gesellschaftlichen Banden entgegenstehen dürfen.“


*) Das Forschen nach Licht und Recht. Berlin, bei Friedrich Maurer. 1782.[I]

Sehr übereilt, wie mich dünkt. Ich hoffe, ein ebenso gerechter als weiser Imperator wird auch die Gegengründe anhören, und nicht zugeben, dass das System der Freiheit zur Bedrückung und Gewalttätigkeit missbraucht werde. — Ist die Ehe bloß ein bürgerlicher Kontrakt, wie doch zwischen Jude und Jüdin, selbst nach katholischen Grundsätzen, die Ehe nichts anderes sein kann, so müssen die Worte und Bedingungen des Kontrakts nach dem Sinne der Kontrahenten ausgelegt und erklärt werden, nicht nach dem Sinne des Gesetzgebers oder Richters. Wenn nach den Grundsätzen der Kontrahenten mit Zuverlässigkeit behauptet werden kann, dass sie gewisse Worte so und nicht anders verstanden, und wenn sie gefragt worden wären, so und nichts anders erklärt haben würden, so muss diese moralisch gewisse Erklärung, als eine stillschweigende, vorausgesetzte Bedingung des Kontrakts angenommen, vor Gericht ebenso gültig sein, als wenn sie ausdrücklich verabredet worden wäre. Nun ist offenbar, dass das Ehepaar bei Schließung des Kontrakts, da sie beiderseits, wenigstens äußerlich, noch der jüdischen Religion zugetan gewesen, keinen anderen Sinn gehabt, als den gemeinschaftlichen Hausstand nach jüdischen Lebensregeln zu führen und die Kinder nach jüdischen Grundsätzen zu erziehen. Wenigstens hat die Partei, der es um die Religion ein Ernst war, nichts anderes voraussetzen können, und wäre damals eine Veränderung von dieser Art besorglich gewesen und die Bedingung zur Sprache gekommen, sie würde sich sicherlich nicht anders erklärt haben. Sie wusste und erwartete nichts anderes, als einen Hausstand nach väterlichen Lebensregeln anzutreten und Kinder zu erzeugen, die sie nach väterlichen Grundsätzen würde erziehen können. Wenn dieser Person der Unterschied wichtig ist, wenn es notorisch ist, dass ihr der Unterschied der Religion bei Schließung des Kontrakts hat wichtig sein müssen, so muss der Kontrakt nach ihren Begriffen und Gesinnungen erklärt werden. Gesetzt der ganze Staat habe hierin andere Gesinnungen, so hat dieses keinen Einfluss auf die Deutung des Vertrages. Der Mann verändert Grundsätze und nimmt eine andere Religion an. Soll die Frau gezwungen werden in einen Hausstand zu treten, dem ihr Gewissen zuwider ist, und ihre Kinder nach Grundsätzen zu erziehen, die nicht die ihrigen sind; mit einem Worte, Bedingungen des Ehekontrakts anzunehmen und sich aufdrängen zu lassen, zu welchen sie sich niemals verstanden hat so geschieht ihr offenbar Unrecht; so lässt man sich offenbar durch Vorspieglung der Gewissensfreiheit zum widersinnigsten Gewissenszwange verleiten. Die Bedingungen des Kontrakts können nun nicht mehr erfüllt werden. Der Mann, der Grundsätze verändert hat, ist, wo nicht in dolo, doch wenigstens in culpa, dass solche nicht mehr in Erfüllung gebracht werden können. Muss die Frau Gewissenszwang leiden, weil der Mann Gewissensfreiheit haben will? Wo hat sie sich hierzu verstanden oder verstehen können? Ist nicht auch von ihrer Seite das Gewissen ungebunden, und muss die Partei, welche die Veränderung verursacht hat, nicht auch für die Folgen dieser Veränderung stehen, den Gegenteil schadlos halten und, soviel es sich tun lässt, wieder in den vorigen Stand setzen? Mich dünkt, nichts sei einfacher, und die Sache rede für sich selber. Niemand kann gezwungen werden Bedingungen eines Kontrakts anzunehmen, zu welchen er sich, seinen Grundsätzen nach, nicht hat verstehen können.

An Erziehung der gemeinschaftlichen Kinder haben beide Teile gleiches Recht. Hätten wir unparteiische Erziehungsanstalten, so müßten in solchen streitigen Fällen die Kinder so lange unparteiisch erzogen werden, bis sie zur Vernunft kommen und selbst wählen. Solange aber dafür noch nicht gesorgt worden, solange noch unsere Erziehungsanstalten mit der positiven Religion in Verbindung stehen, hat derjenige Teil ein offenbares Vorrecht, der bei den vorigen Grundsätzen geblieben ist, und solche nicht verändert hat. Auch dieses folgt ganz natürlich aus obigen Grundsätzen, und es ist gewaltsame Anmaßung und Religionsdruck, wenn irgendwo das Gegenteil geschieht. Ein ebenso gerechter als weiser Joseph wird sicherlich diesen gewaltsamen Mißbrauch der Kirchenmacht in seinen Staaten nicht zulassen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum