Freiheit und Glückseligkeit

In diesem Rechte besteht die natürliche Freiheit des Menschen, die einen großen Teil seiner Glückseligkeit ausmacht. Die Unabhängigkeit gehört also zu seinen eigentümlichen Gütern, deren er sich als Mittel zu seiner Glückseligkeit zu bedienen befugt ist, und wer ihn in dem Gebrauch derselben stört, der beleidigt ihn und begeht eine äußerliche Ungerechtigkeit. Der Mensch im Stande der Natur ist Herr über das Seinige, über den freien Gebrauch seiner Kräfte und Fähigkeiten, über den freien Gebrauch alles dessen, so er durch dieselben hervorgebracht (das ist der Früchte seines Fleißes), oder mit den Früchten seines Fleißes auf eine unzertrennliche Weise verbunden hat, und es hängt von ihm ab, wie viel, wenn und zum Besten wessen von seinen Nebenmenschen er einiges von diesen Gütern, das ihm entbehrlich ist, ablassen will. Alle seine Nebenmenschen haben bloß auf seinen Überfluss ein unvollkommenes Recht, ein Recht zu bitten, und er, der unumschränkte Herr, trägt die Gewissenspflicht, einen Teil seiner Güter dem Wohlwollen zu widmen; ja bisweilen ist er verbunden, seinen Eigengebrauch sogar dem Wohlwollen aufzuopfern; insoweit die Ausübung des Wohlwollens glücklicher macht als Eigennutz. Nur muss diese Aufopferung eigenen Willens und aus freiem Triebe geschehen. Alles dieses scheint keinen Zweifel mehr zu leiden. Allein ich tue einen Schritt weiter.

Sobald dieser Unabhängige einmal ein Urteil gefällt hat, so muss es gültig sein. Habe ich im Stande der Natur den Fall entschieden, wem, wenn und wie viel ich von dem meinigen überlassen will; habe ich diesen meinen freien Entschluss hinlänglich zu erkennen gegeben, und mein Nächster, dem zum Besten der Ausspruch geschehen, hat das Gut in Empfang genommen, so muss die Handlung Kraft und Wirkung haben, wenn mein Entscheidungsrecht etwas bedeuten soll. Wenn mein Ausspruch unkräftig ist, und die Sachen so lässt, wie sie gewesen sind, wenn er nicht in Ansehung des Rechts diejenige Veränderung hervorbringt, die ich beschlossen, so enthält mein vermeintes Recht, den Ausspruch zu tun, einen offenbaren Widerspruch. Meine Entscheidung muss also wirken, muss den Zustand des Rechts verändern. Das Gut, wovon die Rede ist, muss aufhören das Meine zu sein und nunmehr wirklich meines Nächsten geworden sein. Das vorhin unvollkommen gewesene Recht meines Nächsten muss durch diese Handlung ein vollkommenes Recht geworden, sowie mein vollkommen gewesenes Recht in ein unvollkommenes übergegangen sein, sonst wäre meine Entscheidung null. Nach vollzogener Handlung also kann ich das abgetretene Gut, ohne Ungerechtigkeit, mir nicht mehr anmaßen; und wenn ich es tue, so beleidige ich, so handle ich wider das vollkommene Recht meines Nächsten.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum