Siebente Fortsetzung

Von dem alten Kammerdiener gefolgt, verließ der Herzog nun mit dem Astrologen durch die hintere Tür das Zelt, und stieg alsbald auf die daneben errichtete hohe Warte. Zwei Arkebusiere seines Leibregiments, die von dem Kammerdiener schon vorher herbeigeholt waren, besetzten sogleich geräuschlos die Eingangstür.

Zwar waren die astronomischen Instrumente, welche der Herzog von Friedland besaß, in Vergleich zu den vortrefflichen Gerätschaften, die in unserer jetzigen Zeit jede nur einigermaßen eingerichtete Sternwarte enthält, nur höchst geringfügig, entsprachen aber ihrem damaligen Zwecke vollkommen. Es waren einige große Fernröhre, Teleskope, ein Himmelsglobus und noch einige andere mit Berechnungen und Figuren angefüllte große Bücher.


Die Wissenschaft unserer Zeit hat bekanntlich die Astrologie oder die Kunst, aus der Stellung der Gestirne das zukünftige Schicksal der Menschen zu erfahren, schon längst gänzlich verdammt, vor einigen Jahrhunderten stand sie aber noch allgemein in großem Ansehen. Nicht allein der Herzog von Friedland und viele andere bedeutende Kriegs- und Staatsmänner glaubten unbedingt an die Ergebnisse der astrologischen Berechnungen, sondern auch die bedeutenden namhaftesten Astronomen, z. B. ein Keppler, gaben sich sehr häufig damit ab.
So verbrachten denn auch der Herzog von Friedland und sein Astrologe Seni in dieser Nacht mehrere Stunden auf der Warte mit den eifrigsten Beobachtungen, Aufzeichnungen und Berechnungen. Besonders der Herzog ging kaum von dem großen Fernglase fort, und die vielen Mitteilungen und Fragen, welche er mit ersichtlichem Interesse an seinen Begleiter richtete, bewiesen hinlänglich, mit welchem Eifer er diese Forschungen unternahm.

„Und nun, mein hoher Herr, lasst uns die Arbeit schließen. Schon verkündet der blasse Dämmerungsschein, der dort im Osten sich allmählich klärt, dass der Gestirne Glanz bald verbleichen wird, und unsere ferneren Beobachtungen keinen Wert mehr haben. Gönnt mir später nur wenige Augenblicke Muße, das Endergebnis aus dieser langen Zahlenreihe, welche ich hier auf der Pergamenttafel verzeichnete, auszuziehen, und ich hoffe, Ihr werdet mit dem, was mein Mund Euch mit Sicherheit verkünden kann, vollkommen zufrieden sein”, sprach endlich der Astrologe zu dem am Fernglase stehenden Herzog.

Und wirklich war die Augustnacht bereits dem Ende nahe, und der anbrechende Tagesschein ließ die Gestirne schon immer mehr verbleichen, ohne dass der Herzog in seinem glühenden Eifer dies bemerkt hatte.

Wie sie gekommen, so verließen auch die beiden Männer die Warte wieder und traten in das Zelt zurück. Vom sorgsamen Kammerdiener bereitet, brodelte auf einer Kohlenpfanne dort eine Kanne mit Schokolade, einem zu jener Zeit so eben erst aus Spanien nach Deutschland herübergebrachten, hochgeschätzten Getränk. Der aromatische Wohlgeruch der Schokolade und ihr Geschmack behagte ersichtlich beiden Männern, und nach der durchwachten Nacht war ihnen diese Erquickung doppelt angenehm.

Der Astrologe setzte sich nun an den Schreibtisch, das Endergebnis der Berechnungen zusammenzuziehen, und mit ersichtlicher Spannung harrte der sonst so kalte und stolze Herzog von Friedland auf dessen Mitteilung. Er sollte nicht allzu lange darauf zu warten haben.

Mit feierlichem Ernste stand Seni von seinem Sitze auf, und tiefer als selbst vorhin bei seinem ersten Eintritt in das Zelt war die Verbeugung, welche er gegen den Herzog machte, bevor er zu sprechen anfing: „Gestattet, mein hoher Herr, dass ich Euch mitteilen darf, was der Gestirne Lauf in dieser Nacht mir über Euer zukünftiges Schicksal verkündete. So günstig, wie ich selbst es kaum vorher zu hoffen wagte, hat Eure Konstellation sich jetzt gestaltet. Siegreich beherrschte der Mars Euer Sterngebild, den ganzen Horizont und alle anderen Gestirne, welche sich seinem Lause entgegenstellen wollten; sie mussten bald vor seiner Kraft zurückweichen. Nach Norden zieht Euch das Geschick, dort werdet Ihr Sieg und Ruhm erwerben, und selbst das Meer, welches brandend seine Wellen an der deutschen Nordküste Gestade bricht, wird Eure Macht erkennen müssen. Ein Herzogtum, ja, seid Ihr kühn, selbst eine Königskrone steht dort Euch in Aussicht. Ein uraltes Fürstenhaus, welches seine Abstammung selbst von einem mächtigen heidnischen Königsstamme in unzweifelhafter Linie herzuleiten vermag, wird Euch zwar selbst hindernd in den Weg treten, allein von Eurer unwiderstehlichen Macht besiegt, muss es bald vertrieben werden. Ihr werdet in seine stolze Herrscherburg einziehen, und der Hermelinmantel wird Eure Schultern schmücken. — So ist das Hauptergebnis, welches, bevor zweimal die Erde ihre Bahn um der Sonne Glanz durchkreiset hat, in Eurem Leben eintreten wird. Was dann weiter die Zukunft Euch bringen wird, ist jetzt noch jedem menschlichen Auge vorenthalten, denn nur auf gewisse Fristen hin vermag unser Blick die Sternenwelt zu beherrschen; die fernere Zukunft ist jedem menschlichen Auge mit dichtem Schleier umhüllt."

Feuriger blitzte bei dieser Verkündigung des Astrologen das sonst so kalte Auge des Herzogs, und wie unwillkürlich richtete sich seine Gestalt noch stolzer auf.

„Und welches Herzogtum wird mir beschieden, wie heißt das Land, dessen Krone ich tragen werde, ist Euch auch dessen Name bekannt?" frug er hastig.

„Durch die schwierigsten Berechnungen und mühsamsten Vergleichungen, wie solche nur ein Kundiger der Wissenschaft, der seine ganze Kraft des Lebens zu ihrer Erforschung angewandt hat, aufzustellen vermag, ist es mir gelungen, auch diesen Namen Euch mitteilen zu können. Das Land, auf welches Euer Stern Euch hinweist, heißt „Mecklenburg." — Albrecht, Herzog von Gottes Gnaden zu Mecklenburg, ich begrüße Euch”, sprach der Astrologe in feierlichem Tone, sich bei den letzten Worten abermals tief verneigend.

„Mecklenburg — wie wunderbar, dass Ihr dieses Wort aussprachet! Ich will's nicht leugnen, dass mir mitunter schon in meines Herzens tiefster Kammer der Wunsch nach diesem Herzogtum aufstieß. Die beiden Herzöge, Johann Albrecht und Adolf Friedrich, die gegenwärtig dort regieren, sind arge Ketzer und unverbesserliche Feinde gegen des Kaisers Ferdinandus hohe Majestät. Sie hielten es stets mit dem dänischen Könige, und unter den aufrührerischen Fürsten des niedersächsischen Kreises sind sie mit die gefährlichsten. Schon lange hätten sie den Thron verwirkt, wenn des Kaisers Gnade bisher nicht allzu nachsichtig gewesen wäre, und die Übermütigen in ihrer Verblendung dadurch noch immer mehr bestärkte. Fürwahr, es wäre Zeit, gerade an ihnen einmal ein besonders strenges Strafgericht zu halten, und so den anderen übelgesinnten Fürsten im deutschen Norden zu zeigen, wohin es führt, wenn sie in unberufenem Trotz sich gegen des Kaisers Macht aufzulehnen wagen. Ist es ohnehin m ganz Norddeutschland damit ungleich schwächer als im Süden des heiligen römischen Reiches bestellt, und auch die beiden mächtigen norddeutschen Kurfürsten, der von Brandenburg und Sachsen, besitzen nicht die Gesinnung, welche man ihnen wünschen möchte. Scheint es überhaupt doch, als betrete man ein ganz anderes Land, sobald man den Main überschritten hat; so völlig verändert in Sitte, Sprache und Lebensweise ist das Volk nordwärts von dessen Ufern von dem südwärts, "sprach halb vor sich hin, halb zu dem Astrologen gewandt, der Herzog. „Ein desto höheres Ziel für Eure Arbeitskraft, ein desto ergiebigeres Feld für Euer Streben werdet Ihr, mein hoher Herr, dann finden, wenn erst die alte Fürstenkrone Mecklenburgs Euer edles Haupt schmückt. Die Ketzerei hat mit argem Sinn dort fast alle Gemüter umstrickt, und die verfluchte Lehre Luthers herrscht mit geringen Ausnahmen fast überall an den deutschen Ufern der Ost- wie Nordsee. Es gilt daher, dies verderbliche Unkraut mit voller Kraft auszurotten und diese Länder dem allein seligmachenden katholischen Glauben in kürzester Frist wieder zu gewinnen. Haben wir doch in Böhmen jetzt das erfreuliche Schauspiel, dass ein ganzes Volk, welches schon tief in den Banden der Ketzerei lag, nunmehr mit starker Faust ihnen wieder entrissen und zum Rücktritt in den Schoß unserer allein seligmachenden katholischen Kirche gezwungen wird. Wenn dies auch in der Gegenwart nicht ohne harte Strenge abgeht, was schadet es, sobald nur die Zukunft reiche Früchte trägt, und selbst wenn die ganze jetzige Bevölkerung Böhmens bei diesen Bekehrungen, welche des Kaisers Majestät ihr in seiner hohen Weisheit anzubefehlen geruhte, zu Grunde gehen sollte, so ist dies doch besser, als wenn sie stets in ihrem Unglauben verharrte und darüber im ewigen Leben jenseits statt Seligkeit nur Verdammung finden müsste. Schon das nächste Geschlecht in Böhmen wird in streng katholischer Lehre einst erzogen sein, und künftige Generationen in diesem Lande werden es kaum wissen, dass ihre Ahnen einst dem Ketzertum anhingen. Solch' Wirken steht in Mecklenburg und in anderen Gauen des deutschen Nordens Euch auch bevor, erlauchter Herr, und heller Ruhm wird für alle ferneren Zeiten Euren Namen dann umstrahlen”, endete der Astrologe seine Rede, bei der er zuletzt mit ersichtlicher Wärme, die von seinem sonstigen so sehr ruhigen Wesen stark abstach, sprach.

Nicht ohne Interesse hatte der Herzog von Friedland zugehört, doch war es, als ob mitunter ein leiser Zug des Spottes dabei über sein Gesicht zuckte. „Ihr werdet förmlich warm, und der Eifer für die katholische Kirche, den ich bisher an Euch noch gar nicht kannte, steht Euch gut. — Nun, vorerst gilt es nur, das Herzogtum Mecklenburg mir zu erringen; was später dann das wichtigste Streben meiner Arbeitskraft dort sein muss, ist jetzt schwer zu bestimmen, und erst die Zukunft kann darüber entscheiden. — Doch der Morgen ist, wie ich sehe, bereits vollständig angebrochen, und hellrot glänzend strahlt uns schon der Osten. Bald wird die schwere Last der Tagesarbeit mich wieder rufen, und ein paar Stunden Ruhe sind dem Körper vorher dringend notwendig.

„Will ich das stolze Ziel, was Ihr mir in dieser Nacht zeigtet, in der Tat erringen, dann darf ich die Arbeit nicht scheuen, denn gar viele und schwere Hindernisse sind vorher noch zu überwinden. Vorerst muss ich in diesen Tagen selbst nach Wien aufbrechen, denn meine zahlreichen Feinde aller Art waren daselbst nur zu geschäftig und haben in das Ohr meines kaiserlichen Herrn so schwere Verleumdungen gegen mich gebracht, dass einige davon nicht ganz ohne Spuren dort zurückgeblieben sind. Es gilt vorerst, mich dieser Anklagen zu entledigen und die alte Gunst des Kaisers Ferdinandus aufs Neue zu befestigen. Ist dies, wie ich hoffe, mir gelungen, dann breche ich wieder mit dem Heere auf nach Schlesien, und hab' ich dies Land erst gänzlich von den Feinden geräumt, so geht's nach Mecklenburg. — Und nun habt Dank für die Arbeit dieser Nacht und für das schöne Ziel, was Ihr mir durch der Sterne Buch jetzt zeigtet. Mein Schatzmeister wird Befehl erhalten, dass er jede Summe, die Ihr von ihm wünschet, Euch auszahlen soll, obgleich Ihr, wie ich weiß, nicht allzu großen Wert auf Gold und Reichtümer legt."

Mit diesem Worte grüßte der Herzog von Friedland noch wohlwollend den Astrologen und ging dann in sein kleines Schlafgemach.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1