Sechste Fortsetzung

Mit ersichtlichem Interesse hatte der Herzog von Friedland diesen eben so lebendig wie klar gesprochenen Vortrag angehört.

„Ich bin mit dem Erfolge Eurer Sendung zufrieden, Graf Strozzi. Geht jetzt in Euer Zelt, und stärkt Euch gehörig nach den Strapazen dieses langen Rittes. In einigen Tagen mögt ihr Euch bereit halten, eine neue Sendung, aber diesmal wahrscheinlich nach einer andern Himmelsrichtung, zu unternehmen”, sprach er, mit der Hand zum Abschiede winkend, zu dem Offizier. Mit stummem militärischen Gruß gegen den Feldherrn verließ der Oberst das Zelt. Sinnend sah der Herzog dem Fortgehenden eine Weile nach, und murmelte dann halblaut vor sich hin: „Ein echter Italiener, ein wahrer Repräsentant seines Volkes. Er ist gewandt, unermüdlich, zu jeder Strapaze bereit, und von klarem Verstande, richtiger Auffassung und gewandtem Vortrage, dabei aber auch treulos, rachsüchtig und nur vom schroffsten Egoismus geleitet! Ich muss seine Kräfte benutzen, wozu sie gut sind, und seinen militärischen Ehrgeiz anspornen, darf ihn aber niemals zu hoch steigen lassen, denn dann könnte es gefährlich werden. — Aber ist mit dem Octavio Piccolomini nicht das Gleiche der Fall? Darf ich ihm mein volles Vertrauen wohl schenken? Wiederholt nicht täglich eine innere unbestimmte Ahnung in meiner Brust, dass dieser Mann dereinst mein Verderben sein werde? Und vertraue ich ihm trotzdem nicht unbedingt, — war er bisher nicht der kühnste Gehilfe meiner Pläne, der unbeugsamste Vollstrecker meines Willens, und mein zuverlässigster alter ego, wo ich selbst nicht sein konnte? Aber unsere beiden Sterngebilde stehen günstig zu einander, und der Lauf des Sterns, unter dessen Einfluss das Geschick des Octavio Piccolomini steht, muss nach dem ewigen Gesetz der Natur stets getreu dem meinen folgen, ohne ihn zu durchkreuzen, noch zu verlassen."


In tiefes Nachdenken versunken schritt der mächtige Herzog einige Male schweigend im Gemache umher. Vor einem durch einen dichten Teppich verhangenen Fenster in der Leinwand des Zeltes blieb er endlich stehen, und den Vorhang zurückschiebend, schaute er lange mit prüfendem Blick auf den dunkeln, nächtlichen Himmel, von dem die Sterne jetzt mit Hellem Glanze herabfunkelten. „Die Nacht ist zu Beobachtungen günstig, und die verbürgte Kunde von dem Tode des Grasen Mansfeld, dieses unermüdlichen Widersachers meiner Pläne, ist ein so wichtiges Ereignis, dass ich deshalb schon eine astrologische Berechnung anstellen kann. Ich will den Seni sogleich rufen lassen." Eine silberne Klingel rief alsbald den alten Kammerdiener Battista hinein.

„Will mein erlauchter Gebieter nun das Nachtlager aufsuchen? Die Posten draußen auf der Außenwache verkündeten bereits die elfte Stunde?" fragte der Kammerdiener.

„Nein, mein Alter, ich will den Seni rufen lassen, mit seiner Hilfe diese Nacht das Firmament studieren und eine einflussreiche Frage an der Gestirne Macht stellen”, sprach der Herzog in dem, sonst bei ihm ganz ungewöhnlichen milden, ja selbst freundlichen Tone, den er gegen den alten, treuen Diener stets annahm. „Gehe hinaus, Alter, und beeile den Boten zum Seni, dass er sogleich erscheine, inzwischen aber entledige mich der Gnadenkette und gib mir statt des engen Wamses die warme Schaube, denn die Nacht wird kühl, und oben auf der Warte weht ein scharfer Zug."

Zwar schüttelte der alte Kammerdiener wie missbilligend sein weißes Haupt, tat aber dabei schweigend und mit schneller Gewandtheit das, was ihm besohlen war.

So sehr der Herzog von Friedland es liebte, sich mit Glanz und Pracht zu umgeben, und einen großen Teil seiner unermesslichen Einkünfte dazu verwandte, einen glänzenden Hofstaat und Haushalt um sich zu haben, so einfach war er selbst für seine Person stets gekleidet. Er trug fast nur schwarze oder doch ganz dunkle Stoffe, und weder Gold noch Silber oder bunte Samtpuffen oder mit vielfarbigem Atlas gefütterte Schlitze, wie die Mode jener Zeit solche bei vornehmen Kriegsleuten sonst forderte, verzierten seine Kleider. So war die weite, mit seinem Pelz gefütterte Schaube, welche der alte Diener ihm jetzt reichte, nur einfach von schwarzem Samt verfertigt, und von gleichem Stoff war auch das Beinkleid, während gleichfalls seine Stiesel von dunklem, und nicht, wie damals so häufig der Fall war, von gelbem Leder waren.

Der Graf Wallenstein, Herzog von Friedland, war im Jahre 1583 geboren und stand 1626, wo unsere Geschichte jetzt beginnt, also in dem kräftigen Mannesalter von dreiundvierzig Jahren. Sein Körper war etwas über mittelgroß, und zwar sehr kräftig und sehnig, sonst aber hager und scharfe Umrisse zeigend. Die Haltung war gerade, ja fast steif, sein Schritt kräftig, aber nicht anmutvoll, wie denn überhaupt jede Grazie allen seinen Bewegungen gänzlich abging, und diese viel Eckiges und Steifes zeigten. Auf einem etwas langen Halse, der durch einen breiten Spitzenkragen, wie ihn auch der Herzog von Friedland trug, sehr hervortrat, saß der Kopf, dessen kühne Schädelbildung mit der hoch hervortretenden Stirn schon den geistig ungewöhnlich begabten Mann zeigte. Ganz der Mode jener Zeit, die bei den Männern vielfach langgelocktes, bis an den Nacken herniederhängendes Haar gestattete, entgegengesetzt, trug der Herzog sein dunkles Haupthaar hinten und vorn kurz verschnitten. Zwei Ausschnitte an den Schläfen ließen die Höhe der Stirn noch schärfer hervortreten, als dies bei einer andern Haartracht der Fall gewesen sein würde. Das unten etwas spitz zulaufende Gesicht war hager und von bleicher Farbe. Zahlreiche Falten auf der Stirn und um den Mund verrieten schon äußerlich die schweren Sorgen und unausgesetzten geistigen Anstrengungen. Der Blick der düsteren Augen hatte etwas Starres und Unheimliches, und konnte, wenn der Zorn daraus leuchtete, einen so furchtbaren Ausdruck annehmen, dass selbst der wildeste Kriegsknecht ihn nicht zu ertragen vermochte. Überhaupt lag in dem ganzen Gesicht ein finsterer, eisig stolzer Ausdruck, und wenn auch eine seltene geistige Begabung und die unbeugsamste Willensstärke daraus hervorleuchteten, so war doch sonst wenig Anziehendes darin. Ungemein gefürchtet ward der Herzog von sehr vielen, geliebt aber nur von sehr wenigen, ganz vereinzelten Personen. Ein kurzer, starker Knebelbart, der unten spitz zulief, vermehrte noch den kühnen, aber zugleich auch finstern Ausdruck seiner Erscheinung.

Der Herzog war kaum in sein kleines Arbeitsgemach, welches neben dem geräumigen Empfangssaal, in dem die Bankette abgehalten wurden, lag, eingetreten und blätterte dort zwischen den Papieren, Plänen und Zeichnungen, die einen großen Arbeitstisch bedeckten, umher, da rauschte schon der Vorhang auf, und mit fast geräuschlosem Schritt trat sein Astrologe und vertrauter Ratgeber Seni ein. Es war ein langer, magerer Mann, den der weite, bis auf die Füße niederwallende schwarze Talar und ein hohes, schwarzes Samtbarett auf dem schon eisgrauen Haar noch größer erscheinen ließen, als er ohnehin schon war. Ein langer weißer Bart wallte ihm bis auf die Brust nieder, das scharf geschnittene hagere Gesicht war bleich und verkündete den Stubengelehrten, die tiefliegenden kleinen Augen hatten ein angegriffenes Aussehen und gerötete Ränder, als würden sie durch die vielen mühsamen nächtlichen Arbeiten beim Schein der Studierlampe zu sehr angestrengt. In der Hand trug der Gelehrte einige mit Ziffern und astronomischen Zeichnungen beschriebene Pergamenttafeln, während er unter dem Arm ein langes Fernrohr hielt. Schweigend und ohne durch ein Zeichen seine Anwesenheit zu verraten, blieb der Astrologe hinter dem über seine Papiere gebückten Herzog stehen. Bei einem zufälligen Aufschauen nach einer kleinen Weile bemerkte ihn dieser erst.

„Wie, Ihr seid schon hier. Das ist ja schnell. Ich glaubte, mein Bote hätte Euch erst vom Nachtlager aufrufen müssen, Meister Seni”, sprach der Herzog, ersichtlich über diese Eile erfreut, in italienischer Sprache, der er sich im Verkehr mit seinem Astrologen stets bediente.

„Ich wusste, dass mein hoher Herr mich noch in dieser Stunde rufen würde, um während der Nacht das Himmelszelt mit ihm zu beobachten; daher hielt ich mich bereit, solchem Befehle sogleich Folge leisten zu können”, sprach mit leiser Stimme der Astrologe, indem er zum Gruß würdevoll seinen Kopf neigte.

„Und wie konntet Ihr dies im Voraus wissen, da ich selbst mich erst vor wenigen Augenblicken dazu entschlossen, Euch rufen zu lassen?" frug erstaunt der Herzog.

„Sollten wir Männer der hehren Wissenschaft, welche die ganze Kraft ihres Lebens dazu verwenden, aus der Gestirne Lauf der Menschen künftiges Schicksal zu enthüllen, nicht auch mitunter kleine, minder wichtige Ereignisse vorher erfahren können?" sprach der Astrologe, den Frager fest ansehend.

„Und wenn Ihr schon vorher wusstet, dass ich Euch zu dieser Stunde hierher bescheiden lassen würde, so kann Euch auch der besondere Grund davon nicht unbekannt geblieben sein?"

„Ein wichtiger Todesfall ist meinem hohen Gebieter so eben sicher bestätigt worden, und er wünscht jetzt durch der Gestirne Mund und der Astrologie untrügliche Berechnung zu erfahren, ob dem kühnen Plan, den sein gewaltiges Gehirn ersinnen ließ, der Schutz des Himmels gewährt wird”, sprach der Astrologe wieder in gleich leisem Tone.

„Und wie konntet Ihr auch dies schon erkundet haben?"

„Es war am dreizehnten vorigen Monats, da stand ich in einer klaren Sternennacht wie die heutige in einsamer Mitternachtsstunde auf meiner Warte, um mit des Fernrohrs Kraft das glänzende Gestirn des Mars, unter dessen Zeichen Ihr geboren und dem als Sinnbild Eures Seins Ihr für dies Erdenleben unterworfen seid, zu beobachten und seinen Lauf in meinen Büchern zu verzeichnen. Ein anderer zwar kleiner, aber strahlender Stern, der schon wiederholt die Wandelbahn des Mars gekreuzt, dann stets aber, gleich als fürchte er dessen Macht, sich wieder daraus entfernt hatte, fesselte durch sein Helles Flimmern in jener Nacht meine besondere Aufmerksamkeit. Ich beobachtete ihn nun sorgfältiger, bis er dann plötzlich verschwand und ich ihn trotz alles Spähens mit dem Fernrohr nicht wieder aufzufinden vermochte. Bei gelehrten Freunden zog ich jetzt nähere Kundschaft über diesen Stern, und wer unter seinem Zeichen geboren sei, ein, und erfuhr von ihnen, dass der Graf Ernst von Mansfeld unter seiner Macht gestanden habe. So wusste ich denn dessen Tod, und aus der Zahlen geheimnisvollen Verschlingungen war es mir nicht schwer, zu berechnen, dass Ihr genau nach dreimal sieben Tagen und dreimal dreien Stunden die sichere Bestätigung dieses für Eure weiteren Pläne so sehr erfreulichen Todesfalls erfahren würdet."

Mit dem Ausdruck der höchsten Spannung hatte der Herzog dieser Erklärung des Astrologen gelauscht. „Und glaubt Ihr, dass die heutige Nacht uns zu ferneren Forschungen in der Wissenschaft günstig sein wird?" frug er weiter, und der sonst so gleichgültige Ton seiner Stimme hatte dabei etwas Unruhiges.

„Die Konstellation, die ich bereits gemacht, steht günstig; das Sterngebilde des Mars ist frei, und kein erhebliches Hindernis wird seinen Lauf unterbrechen."

„Nun, so lasst uns denn zur Arbeit eilen, und entspricht deren Ergebnis meinen Wünschen, so seid versichert, dass ich mit dem Lohne nicht kargen werde”, sprach der Herzog, ein warmes, ihm tief Gesicht und Nacken verhüllendes Samtbarett aufsetzend.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1