Achte Fortsetzung

Lange blickte Seni dem Abgehenden nach, und sein bisher so ernst und ruhig aussehendes Gesicht nahm plötzlich den Ausdruck des bittersten Hohnes an. „Blöder Thor, der Du zu herrschen wähnst, und doch nicht ahnst, dass Du nur ein Werkzeug in den Händen unserer Kirche bist. Mit plumpen Gaukeleien vermag ich leicht Deinen Sinn zu betören und Deinen Blick, so klar und sicher er auch immer den Pulverdampf der Schlacht zu durchdringen und die verwickeltsten Kampflinien zu ordnen vermag, so zu blenden, dass er selbst das Nächste nicht erkannt. Du sollst und wirst Herzog von Mecklenburg werden, denn unsere Kirche hält Dich jetzt mit vollem Recht noch für ihr schärfstes Schwert, um die Ketzerei im Norden Deutschlands zu vertilgen, aber wehe Dir, wenn Du unseren Interessen nicht mehr dienstbar sein solltest, oder gar, wenn Du Dich erkühntest, feindselig gegen uns aufzutreten. So hoch wir Dich erheben, so tief können wir Dich auch wieder stürzen. Jetzt nur schnell meinen geheimen Bericht an den Pater Lamormain in Wien, dass der Herzog in den nächsten Tagen dahin kommt, damit er noch die nötigen Vorbereitungen treffe, ihm einen günstigen Empfang in der Hofburg in Wien zu sichern, und dann den Brief an unseren hochwürdigsten Ordensgeneral in Rom. Ich hoffe, er wird mit mir zufrieden sein. Sehr schwer ist zwar der Auftrag, der mir geworden, aber zugleich auch ehrenvoll und wichtig, und sein glücklicher Erfolg von der höchsten Bedeutung für unseren Orden des heiligen Loyala, und die Erhöhung von dessen Glanz muss das unausgesetzte Streben sein, welches unsere Brust erfüllen darf”, sprach er leise vor sich hin.

Im Vorgemach traf der Astrologe Seni, der, ohne dass der Herzog dies nur ahnte, einer der tätigsten und hervorragendsten Mitglieder des Ordens der Jesuiten war, den seiner harrenden Kammerdiener.


„Ich bin mit Eurem Berichte zufrieden gewesen; hier ist der Lohn dafür”, sprach er in wohlwollendem Tone, dem demütig sich vor ihm neigenden Italiener eine volle Geldbörse in die Hand drückend. „Fahret nur so fort, wie bisher, mir zu dienen, lasst Euch nichts in des Herzogs Nähe entgehen, was von Bedeutung ist, suchet seine, geheimsten Zwiegespräche zu belauschen, und meldet mir dann so schnell und sicher, als nur möglich, Alles, was Ihr in Erfahrung gebracht habt, und reicher Lohn soll Euch dafür stets werden. Auch dass Euer Sohn Luigi in Rom die dringend gewünschte Haushofmeisterstelle bei dem Kardinal Albano erhält, will ich schon besorgen. Bedenkt aber stets, dass wir zwar reich belohnen, aber auch eben so streng strafen können."

Mit diesen Worten verließ er das Zelt des Herzogs, um seinem Gemache, welches in einem Nebenzelte unfern davon aufgeschlagen war, zuzueilen.

Schlau lächelnd und dabei wohlgefällig die schwere Geldbörse in der magern Hand wiegend, sah der alte italienische Kammerdiener dem Astrologen nach. „Per Dio, ist doch nichts als Täuschung und Betrug in dieser Welt. Der Schuft da betrügt den Herzog, dieser wieder den Kaiser, und ich allein sehe dies Alles, schweige aber wohlweislich still und lache mir ins Fäustchen über alle diese Toren, die jeder für sich einem andern Ziele nachjagen und keine Ruh' und Rast sich gönnen, ehe sie solches erreicht haben. Und wenn dies nun geschehen ist, was haben sie dann davon? Niente. Hier mein Herzog hat Geld und Gut vollauf und könnte so herrlich und bequem auf Erden leben, und alle Freuden, die es nur gibt, sich verschaffen. Statt dessen zieht er von Krieg zu Krieg, holt sich Wunden und Gebrechen, gönnt sich weder Tag noch Nacht Ruh' und Rast, und martert sich den Kopf mit den schwersten Gedanken. Und warum dies Alles? Nur weil der Ehrgeiz ihn plagt und er sich nicht zufrieden fühlt mit dem, was er ist oder hat, sondern sich so gern eine Herzogskrone, und dann, hat er diese wirklich erhascht, gar eine Königskrone gewinnen möchte. Armer Tor, als ob ihm alle diese Kronen wohl etwas helfen können, wenn der Tod einst unerwartet an seine Tür pocht und ihn mitten auf dem Wege seines Ehrgeizes zu sich ruft. Und was hilft es ihm dann, wenn auch sein Name für ewige Zeiten als der eines großen Kriegsführers und Eroberers genannt wird? Ist ja doch nur Alles leere Einbildung und eitler Wahn. Und hier dieser Bologneser Seni, den ich noch in Padua als armen Bettelstudenten gekannt habe, ist er nicht ein größerer Betrogener als Betrüger? Alle Nächte verbringt er in seiner Studierstube oder oben auf der kalten Sternwarte, wo es nichts als Rheumatismus und Zahnweh zu holen gibt, opfert die Kraft seiner Glieder und den Glanz seiner Augen, und sinnt und sinnt immer auf neue Schliche, um den Herzog damit zu umgarnen und ihn so fester und fester in seine Gewalt zu bekommen. Und dabei ist er selbst unfreier als ein Kettensträfling auf der Galeere, und lebt schlechter als ein Landstreicher in der Bettler-Herberge. Und warum dies Alles? Weil er sich mit Leib und Seele dem Orden der Jünger des Lovola hingegeben, und nun glaubt, hierdurch ein Gott wohlgefälliges Werk zu tun. O, dieser arme Tor, was wollen diese Jesuiten mit allen ihren Ränken und Schlichen und all' dem Zwiespalt und Unfrieden, den sie als böse Saat unter den Menschen ausstreuen? Auch ihre Bestrebungen werden vergehen, und von Allem, was sie jetzt unter tausendfachen Anstrengungen und Entbehrungen geschaffen, wird nur Weniges von festem Bestand sein. Und nun gar der Vornehmste von uns Allen, des Kaisers Ferdinandus Majestät, der da allein in stolzer Würde in seiner finsteren Hofburg in Wien thront, ist er nicht der größte Tor in diesem ganzen Ringkreise? Dem Namen nach herrscht er freilich über Millionen, und unter seiner Fahne treiben wilde Kriegsschaaren die Bevölkerung weiter Gegenden gewaltsam in die Messe, zerstören blühende Dörfer und morden ganze Familien, bloß weil diese den Pfaffen das Beichtgeld nicht zahlen wollen. Und doch, per Bacco, dieser große, so viel gerühmte und mehr noch gehasste Kaiser Ferdinandus ist in Wahrheit nur ein gar armseliger Wicht und eine schwache Marionettenpuppe, die weder eigene Kraft noch Macht besitzt und ganz so tanzen muss, wie andere starke Hände sie an geheimen Drähten tanzen lassen. Wenn ich heute eine falsche Nachricht dem Seni melde, so berichtet sie dieser sogleich dem Pater Lamormain in Wien, und nun lässt die ganze Jesuitenclique, welche sich in der Hofburg eingenistet und dort völlig die Gewalt on sich gerissen hat, den dummen Kaiser tun, was sie für gut findet. Während er sich einbildet zu herrschen, wird er selbst beherrscht. Da bin ich, der Luigi Battista, obgleich nur ein geringer Leibdiener des Herzogs, doch wahrhaftig klüger als alle diese Herren. Ich mache mir keine Illusionen, höre nicht mit fremden Ohren und sehe nicht mit fremden Augen, sonderst verlasse mich auf meine eigenen. Alles, was ich tue, muss mir mit schwerem Golde möglichst hoch bezahlt werden. Ist doch eine schöne Sache um dieses Geld, und sein Besitz ist das einzig Greifbare und Feste, was es auf dieser Erde gibt. Was habe ich mit dem Gelde, welches mir hier dieser Seni für meine Nachrichten bereits bezahlt hat, nicht Alles schon gekauft! Meine Söhne sind wohlhabende Männer, und meiner lieben kleinen, süßen Tochter Julietta, diesem Trost meiner alten Augen, konnte ich eine so reiche Mitgift geben, dass selbst dem besten Advokaten in Padua ihre Hand sehr erwünscht war. So sorge ich doch für das Wohl meiner Familie, und. selbst späte Enkel werden das Andenken ihres alten Großvaters preisen, der als armer Savoyardenbube mit nackten Füßen in Padua einwanderte, und doch der Gründer eines ansehnlichen Geschlechts ward. Per Dio mio, es lebe die Dummheit der Menschen, die mir dies ermöglichte”, so philosophierte Battista, der alte weißhaarige Leibdiener des Herzogs von Friedland, noch lange vor sich hin, während er sein kleines Lager in einem niederen Anbau des herzoglichen Zeltes aufsuchte.

Schon am nächsten Tage aber vernahm das auf der Insel Schütt gelagerte Friedländische Heer zu seinem Erstaunen die wichtige Kunde, dass der Herzog selbst unter, starker Bedeckung nach Wien aufgebrochen sei, um mit des Kaisers Majestät persönlich zu verhandeln. Ein schweres Ungewitter halte sich dort über seinen Hauptmann zusammengezogen, und gar gewichtige Anklagen waren von seinen zahlreichen Feinden aller Art gegen ihn erhoben worden. Er sollte bei seiner letzten Anwesenheit in Schlesien nicht strenge Mannszucht in seinem Heere gehalten und es selbst geduldet haben, dass die Herrschaften der beiden mächtigen Fürsten Lichtenstein und Dietrichsstein von den Truppen arg verwüstet wurden. Das waren denn freilich sehr schwere Vergehen, denn diese beiden Fürsten hatten eine große Bedeutung am kaiserlichen Hofe, und galten mit als die Spitzen der mächtigen österreichischen Aristokratie. Doch die jesuitische Partei in der Hofburg beherrschte den Kaiser Ferdinand damals vollständig, und der Pater Lamormain, sein Beichtvater, hatte eine größere Bedeutung als selbst der Staatsminister. Diese jesuitische Partei wollte damals aber den Herzog von Friedland um jeden Preis halten, da sie ihn als das fähigste Werkzeug zur Ausführung ihrer weitaussehenden Pläne erkannte. Mit seiner Hilfe sollte ganz Norddeutschland erobert, und dessen Bevölkerung dann gewaltsam wieder zur katholischen Kirche zurückgeführt werden. Wie in dem unglücklichen Böhmen wollte man an der Ost- und Nordsee hausen, und wenn auch Hunderttausende der dortigen Bewohner in Not und Elend rettungslos zu Grunde gingen, so kümmerte dies die Jesuiten sehr wenig, sobald nur der zurückgebliebene Rest dann zum Katholizismus bekehrt wurde. Dazu aber hielt man den Herzog von Friedland für den geeignetsten Mann. Er war kühn in seinen Entwürfen, großartig in seinen Plänen und rücksichtslos in deren Ausführung. Aus Nichts fast hatte er ein über vierzigtausend Mann starkes Heer zusammengebracht, welches besser ausgerüstet, zweckmäßiger organisiert und strenger diszipliniert war, als nur ein solches jemals unter der kaiserlichen Fahne gefochten hatte. Sein Name allein schon hatte hingereicht, in ganz Europa Tausende von müßigen Kriegsknechten zu bewegen, unter seine Fahne zusammenzuströmen, und viele bewährte Feldoberste waren mit Freuden unter seine Befehle getreten. Überall, wo er erschien, war der Sieg gesichert gewesen, und das in ganz Norddeutschland schon fast vollständig erloschene Ansehen des Kaisers Ferdinand war durch ihn aufs Neue wieder zu einer Macht gekommen, die man noch vor wenigen Jahren für ganz unmöglich gehalten hatte. Dabei war der Herzog von Friedland, wie dies fast alle vom Protestantismus zum Katholizismus übergetretene Konvertiten sind, wenigstens äußerlich ein sehr eifriger Katholik. Er versäumte täglich keine Messe, bewies allen Priestern die größte Ehrerbietung, hatte auf seinen weit ausgedehnten Herrschaften in Böhmen und Mähren alle seine Untertanen mit der rücksichtslosesten Strenge gewaltsam wieder zur Rückkehr zum Katholizismus gezwungen, stiftete neue Klöster und Kirchen, oder bedachte die schon verhandelten mit reichen Geschenken, und bewies namentlich auch den damals schon so einflussreichen Jesuiten bei jeder Gelegenheit die größte Verehrung. Ob dies freilich Alles Wahrheit oder nicht bloße Verstellung war, und er nur den Jesuiten schmeichelte, weil er ihrer jetzt eben so sehr bedurfte, wie sie seiner — dies zu enträtseln vermochte damals noch Niemand.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1