Fünfte Fortsetzung

Nicht ohne verschiedene Hindernisse noch überwinden zu müssen, hatte der Oberst Graf Strozzi sein todmüdes, abgehetztes Ross durch das Gewühl des Lagers bis zu der Postenkette um des Herzogs Zelt getrieben. Seine kroatische Bedeckung, ließ er sogleich, als er im Bann des Lagers ankam, zurück, wo die Kerle bei den anderen kroatischen Heereshaufen für die Nacht ein erwünschtes Unterkommen fanden. Als hätte das edle Tier die letzten Kräfte nur dazu verwandt, seinen Reiter bis an sein Ziel zu tragen, stürzte es auf den Tod sogleich zusammen, als der Graf an der Postenkette um das Zelt, bis wohin er nach strengem Gebot nur reiten durfte, ankam und die Zügel einem herbeigerufenen Knecht übergab. Zwar kannte der Oberst die letzte Losung nicht, aber seine rote Feldbinde über dem Harnisch bezeichnete ihn als einen Offizier aus der persönlichen Umgebung des Herzogs, und so ließen die Posten ihn ohne weitere Prüfung in den Kreis eintreten.

Vor dem Zelte, wo in einiger Entfernung Pechfackeln zur Beleuchtung brannten, standen, so unbeweglich, als seien sie Steingebilde, zwei Hellebardiere, mit ihren gekreuzten Hellebarden den Eingang sperrend. Als sie die rote Feldbinde des Obersten erblickten, zogen sie die Waffen für einen Augenblick zurück, um ihm den freien Eingang zu gewähren, fällten sie aber alsdann sogleich wieder. Der Oberst, der hier genau bekannt zu sein schien, trat nun zuerst in ein kleines Vorgemach, dessen Leinwandwände mit rotem Fries ausgeschlagen waren, während dicke Bärenfelle den Boden bedeckten. An einem Tische, auf dem eine Ampel brannte, saß auf niederem Feldstuhle des Herzogs von Friedland vertrauter Leib- und Kammerdiener, ein alter, schon weißhaariger Italiener, den er von Padua, wo er im Jahre 1608 Astrologie studierte, mitgebracht hatte, und der seitdem kaum eine Stunde von seiner Seite gewichen war. Zwar schien die Gestalt des kleinen, dürren Männleins schon alt und gebrechlich zu sein, allein das blitzende Feuer seiner dunkeln, tief unter eisgrauen Brauen liegenden Augen war so gewaltig, dass man unzweifelhaft daraus erkennen konnte, wie wenig gebrochen seine geistige Kraft sein könne. Gekleidet war der Alte zwar möglichst einfach und ganz in dunkle Farben, doch war die weite Schaube, welche er der Abendkühle wegen übergezogen hatte, vom feinsten niederländischen Tuche, und ihr Futter bestand aus kostbarem Seeotterfell. Der alte Kammerdiener Battista schien den eintretenden Grafen genauer zu kennen, denn er erhob sich sogleich mit freudiger Bewegung, als er ihn sah, und leicht das schwarze Samtkäpplein auf dem kahlen Haupte lüftend, empfing er ihn mit den italienisch gesprochenen Worten: „Ah, Signore Conte, die heilige Jungfrau segne Euer Kommen. Ihr seid schon ungeduldig von des Herzogs Durchlaucht erwartet, und bereits zweimal fragte er im Laufe des heutigen Tages nach Eurer Ankunft."


„Ihr seht, wie ich geritten bin, Freund Battista, um möglichst schnell zu kommen”, antwortete der Graf Strozzi, freundlich dem so sehr einflussreichen Kammerdiener die Hand reichend, indem er dabei lächelnd auf seine über und über bespritzte Kleidung wies. „Könnt Ihr mich sogleich bei des Herzogs Durchlaucht melden; die Botschaft, welche ich ihm bringe, ist erfreulich, denn ich kann bestätigen, dass der Graf Mansfeld wirklich gestorben ist."

„Solche Kunde wird meinem hohen Gebieter besser munden als der edelste Falernerwein zum Nachtisch, und ich will mich beeilen, Eure Ankunft zu melden. Es war vorhin ein großes Bankett hier bei uns, und jetzt weilen nur noch die Grafen Octavio Piccolomini und Madras im Gemach zum vertrauten Gespräch”, sprach freundlich der Kammerdiener und verschwand hinter dem doppelten Teppich, der als Türvorhang diente. Bald kehrte er wieder mit den Worten: „Der Herr Oberst möchten sogleich eintreten.“ zurück.

Das ganze Gemach, in welches der Oberst Graf Strozzi jetzt eintrat, war vollständig mit kostbaren türkischen Teppichen an den Wänden ausgeschlagen, und eben solche Gewebe bedeckten den Fußboden. Auf einer ziemlich langen Tafel standen mehrere hohe vielarmige Silberleuchter mit brennenden Wachskerzen, so dass eine große Helle den ganzen Raum erfüllte. Mehrere Füllkannen und Becher, alle von den kunstverständigsten Meistern jener Zeit, in Silber und Gold getrieben, standen ebenfalls noch auf dem Tische, dazu eine sehr schöne Fruchtschale von gleichem Metall, mit den besten Südfrüchten gefüllt. Auch einige andere Geräte, die auf kleinen Handtischen an den Wänden umherstanden, waren durchweg kunstvoll aus edlen Metallen gearbeitet.

Der Herzog von Friedland, der so eben seine beiden letzten Gäste, die im ganzen Heere wohlbekannten Obersten Graf Octavio Piccolomini und Graf Madras zu einer andern Tür, die zum Ausgang diente, hinausgelassen hatte, denn er liebte es nicht, bei Unterredungen mit den Offizieren seines Gefolges Ohrenzeugen zu haben, trat dem Grafen in die Mitte des Gemaches entgegen.

„Habe mich als so eben zurückgekommen bei Eurer Durchlaucht zu melden”, sprach der junge Oberst in kurzem Tone, indem er sich fest und gerade vor den Herzog hinstellte.

Mit einem so langen, prüfenden Blick aus seinem scharfen Auge, als wolle er damit durch den Kürass bis in das Innere der Brust des vor ihm Stehenden dringen, musterte der Herzog schweigend den Oberst, und es währte eine längere Pause, bis er endlich mit der eisigen, klanglosen Stimme, die ihm eigen war, sprach: „Ihr seid spät gekommen, ich habe Euch schon am heutigen Morgen erwartet, Oberst. Ihr wisst, ich liebe bei meinen Sendboten die größte Eile."

„Ich bin Tag und Nacht von Spalatro hierher geritten. Drei Rosse sind mir unter dem Leibe gestürzt, das letzte, mein Leibross, mit dem ich von Pesth hierher ritt, liegt tot im Lager. Es war mir größere Eile ganz unmöglich, Eure Durchlaucht”, entgegnete in dem bestimmten Tone, den der Herzog von Friedland auf seine Fragen liebte, der Oberst.

„Ich glaube es und bin mit Euch zufrieden. Lasst Euch morgen von meinem Schatzmeister tausend Goldgulden für die gefallenen Pferde zahlen! — Hat Jemand Euch ein Hindernis in den Weg gelegt?"

Ein Zug der Tücke zuckte bei dieser Frage schnell über das Gesicht des italienischen Offiziers. „Nein, Eure Durchlaucht, ich traf überall die Willfährigkeit, die mir als dem von Euch Abgesandten gebührte. Nur eine Stunde von hier hielt eine Compagnie der Pappenheim'schen Kürassiere unter dem Rittmeister Levraux mich etwas auf."

Dem scharfen Auge des Herzogs von Friedland war dieser Zug des Hohnes, so schnell er auch wieder verschwand, nicht entgangen. „War das Hindernis zufällig und hat der Rittmeister Levraux nicht Alles getan, um es zu entfernen, als er Euch erkannte und den Zweck Eures Rittes erfuhr?" fragte er schnell, dabei seinen Blick fest auf das Gesicht des vor ihm stehenden Offiziers richtend.

„Ich kann nicht leugnen, dass Letzteres der Fall war”, entgegnete dieser, durch die Art, wie der Herzog diese Frage an ihn gerichtet hatte, in Verwirrung gebracht.

„So trifft den Rittmeister Levraux keine Verschuldung, und Ihr hättet es sparen können, des Vorfalls gegen mich zu erwähnen. Ich liebe grundlose Verdächtigungen gegen meine Offiziere nicht; — fahret weiter in Eurer Meldung fort”, war die barsche Erwiderung des Herzogs von Friedland.

Eine glühende Röte der Beschämung, vielleicht auch des inneren Zorns, überlief bei diesem Vorwurf des strengen Feldherrn das Gesicht des jungen Offiziers, und fast unwillkürlich presste er die scharfen Zähne seiner Unterlippe, dass ein Blutstropfen herausquoll.

„Beeilet Eure Meldung, ich weiß die Hauptnachricht noch immer nicht”, trieb der Herzog, als der Oberst im Schweigen verharrte.
Diese Worte gaben dem so hart Getadelten seine volle Besinnung wieder zurück, und er fuhr nun weiter fort:

„Der Zweck, weshalb Eure Durchlaucht mich nach Spalatro sandten, und warum ich so schnell hierher zurückeilte, ist klar. Ich kann die sichere Bestätigung von dem Tode des Grafen Ernst von Mansfeld bringen, und was bisher uns als unverbürgtes Gerücht sich erwies, ist jetzt volle Wahrheit. Der Graf Ernst von Mansfeld, dieser rastlose Feind unserer hohen Kirche und Seiner Kaiserlich Römischen Majestät, ist zu Oravitza, unweit Spalatro, vor einigen Wochen wirklich mit Tode abgegangen. Sowohl der Wirt des Hauses, in dem der Graf starb, als auch ein Arzt aus Spalatro, der in der letzten Krankheit herbeigerufen ward, haben mir Beide ihre desfallsigen Aussagen eidlich verbürgt. Eben so liegt in Spalatro ein ehemaliger Hauptmann der Mansfeld'schen Schaaren an einem Beinbruch presshaft darnieder, der bei dem Tode selbst gegenwärtig war und mir die einzelnen Umstände dabei glaubwürdig erzählte."

Das stets unbewegliche Gesicht des Herzogs von Friedland zeigte auch jetzt durch keinen Zug, wie ungemein ihn diese Kunde von dem Tode seines rastlosen Gegners erfreute. Dass dies aber der Fall sein musste, bewiesen die Worte, die er zu dem Oberst sprach.

„Die Nachricht ist so gut, dass sie die zweiten tausend Goldgulden wert ist, welche Euch mein Schatzmeister morgen dafür auszahlen soll. Ich bin mit dem Eifer, den Ihr bei der Erforschung dieses wichtigen Todesfalles bewiesen habt, zufrieden. — Wie sind die näheren Umstände, unter denen der Graf Ernst von Mannsfeld starb? Erzählt mir Alles, was Ihr darüber wisst, genauer."

„Nach der Zerstreuung seines Heeres durch die siegreichen Truppen Eurer Durchlaucht hatte der Graf Ernst die Absicht, durch Dalmatien nach Venedig sich zu flüchten, dort ein Schiff zu besteigen, damit nach England zu segeln und den Jakob von England aufs Neue um Geld und Kriegsvolk zu bitten, damit er abermals auf deutschem Boden gegen des Kaisers Ferdinand Majestät einen rebellischen Krieg, führen könne. Das ungarische Fieber befiel ihn aber mit solcher Gewalt, dass die Kraft seines Körpers dadurch aufgerieben wurde, und er seinen Weiterritt nicht fortsetzen konnte. In dem Dorfe Oravitza, unweit Spalatro, musste er in einer elenden Schenke liegen bleiben, und fast vier Tage raste des Fiebers Glut in seinem riesigen Körper umher, ohne dessen Kraft zerstören zu können. Am Abend des fünften Tages fühlte der Graf Ernst von Mansfeld selbst, dass er die Abendsonne nicht mehr untergehen sehen würde. Und als er diese Überzeugung gewann, und auch alsbald der aus Spalatro herbeigerufene Arzt seinen nahen Tod bestätigt hatte, da sprach er: „Ein deutscher Krieger, wie ich, darf nicht auf dem Krankenlager, sondern nur im vollen Harnisch sterben. Hat mich der Tod, den ich im Getümmel der Feldschlacht auf meinem Streitrosse so häufig aufsuchte, dort stets verschont, so will ich jetzt, wo er sich ungebeten einstellt, ihn wenigstens stehend erwarten. Man wappne mich mit Wehr und Waffen, als ginge es zum Streite. Ist es doch der letzte schwerste Kampf des Erdenlebens, den ich in kurzer Frist auszukämpfen habe."
So musste denn sein Leibdiener dem Todkranken seine volle Kriegskleidung anlegen, ihm den Brustharnisch umschnallen, das mächtige Schlachtschwert um die Hüfte gürten, und den Stahlhelm mit dem wehenden Federbusch auf das fieberglühende Haupt setzen. Vollständig zum Kampfe gerüstet, ließ sich der Graf Ernst von Mansfeld nun an den Armen zweier treuer Offiziere, denn um allein gehen zu können, war er schon viel zu schwach, aus seinem Zimmer auf einen freien Platz vor dem Dorfwirtshause geleiten, und stellte sich dort so auf, dass sein Auge gerade auf die untergehende Sonne gerichtet war. Mit dem Rücken an den Stamm eines morschen Kastanienbaumes gelehnt, auf beiden Seiten von seinen beiden Offizieren, den Hauptleuten von Westernhagen und von Witzleben, gehalten, erwartete er nun stehend den Tod. Die Sonne sah er noch untergehen, als aber das Abendglühen zu erbleichen begann, da brach auch seine Lebenskraft zusammen. Er stieß zuletzt noch einen tiefen Seufzer aus, schlug im Todeskampf mit der Hand so heftig an sein Schlachtschwert, dass dies laut klirrte, und schloss dann für immer die Augen. Der Körper des Toten ward von seinen getreuen Anhängern auf dem Dorfkirchhofe mit allen kriegerischen Ehrenbezeigungen begraben, und ich selbst habe das Grab dort gesehen. Das letzte Gefolge des Grafen Ernst von Mansfeld hat sich zerstreut, und viele Offiziere sind durch Ungarn wieder nach Oberschlesien, wo die Kriegsvölker des Königs von Dänemark und des Herzogs von Sachsen-Weimar jetzt lagern, zurückgegangen, während von den reisigen Knechten ein großer Teil Dienst bei der Republik Venedig genommen haben soll”, schloss der Oberst seinen Bericht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1