Dritte Fortsetzung

Unweit der verschiedenen Bivouaksfeuer der einzelnen Truppenteile war eine längere Reihe hoher Zelte, zur Wohnung für die Obersten und Generäle bestimmt, aufgeschlagen. Vor jedem einzelnen Zelte schulterte ein Soldat aus dem Regiment, welches dem betreffenden Obersten gehörte, und auch die zusammengerollte Regimentsfahne war unter einem leichten Schutzdach hier aufgestellt. Ein großes Zelt, fast in der Mitte der übrigen gelegen, schien für die gemeinsamen Bankette und Trinkgelage bestimmt zu sein. Vor seinem Eingange standen zwar keine Schildwachen, aber in zwei Eisenkörben auf mannshohen Pfählen brannten hellflammende Feuer aus Kienholz, deren weitleuchtender Schein ein willkommener Richtstern für die durstige Kehle manch hohen Kriegsmannes war, der ungern sein Nachtlager aufsuchte, ohne noch zuvor einen gehörigen Nachttrunk von rotem Ofener oder anderem Wein zu sich genommen zu haben. Auch in diesem gemeinsamen Zelte der höheren Offiziere, dessen Wirt ein alter verschmitzter Italiener war, der mit dem Friedländischen Heereslager bereits mehrere Jahre der Kreuz und Quere nach umherzog, erscholl ein wüstes Gelärm. An der einen Seite der langen Tafel aus Eichenholz, die wohl aus einem benachbarten Schloss, ohne Wissen und Willen ihres eigentlichen Besitzers, entlehnt sein mochte, saßen auf allerlei Stühlen und Sitzgeräten, wie der Zufall solche hierher gebracht, mehrere der Obersten der verschiedenen Friedländischen Regimenter. Da waren die schlauen Italiener Torquato Conti und Montecuculi, der wüste Irländer Hebron, der stolze Maradas, der seine Grandezza selbst im Lagerzelte nicht ablegte, und welche Namen alle diese Herren aus Nord und Süd, Ost und West Europas noch weiter führen mochten. Ist doch des Kaisers von Österreich Heer zu allen Zeiten, bis auf unsere jetzige Gegenwart herab, ein willkommener Tummelplatz für ehrgeizige Kriegsleute aus ganz Europa gewesen, hat doch die Habsburgische Politik, welcher die Unterdrückung des Protestantismus in Deutschland, und die Unterjochung Norddeutschlands unter ihre selbstsüchtigen Zwecke, stets als höchstes Ziel vorschwebte, hierfür immer alle möglichen fremden Kriegsführer und Völker zu benutzen gesucht.

Die meisten der in diesem Zelte jetzt beim Abendtrunke versammelten Obersten waren stattliche Kriegsleute, denen man das wildbewegte Soldatenleben, welches sie nun schon so lange geführt hatten, auch äußerlich gar wohl anmerkte. Zwar konnte man die verschiedenen Nationalitäten gar leicht bei ihnen erkennen, und namentlich die behenden Italiener und würdevollen Spanier unterschieden sich merklich von den Wallonen, Irländern, Deutschen und Ungarn; allein eine eigentümliche Charakteristik war Allen doch ziemlich gemeinsam. Auf ihren schnauz- und knebelbärtigen Gesichtern lag die Gewohnheit des Befehlens, ein Zug des rohen Übermuts fehlte bei nur Wenigen, und die Mehrzahl zeigte ein so hochfahrendes Benehmen, dass Jeder, der nicht unumgänglich in ihre Nähe kommen musste, gewiss wohl daran tat, wenn er solche zu vermeiden suchte. Freilich die schlanken, vollbusigen, italienischen und ungarischen Schenkmädchen, welche der schlaue Italiener zur Bedienung seiner Gäste hielt, schienen an ein derartiges Benehmen gegen sie schon so gewöhnt zu sein, dass sie sogar Gefallen daran fanden. Mit buhlerischen Blicken sahen diese Dirnen die Kriegsmänner an, wanden sich nur zögernd und nur so zum Schein aus deren Umarmungen; ließen gar manche handgreifliche Liebkosung sich gern gefallen, und beantworteten die zotigen Scherze oft mit wieherndem Gelächter. Fiel dadurch doch manches blanke Silber-, ja selbst Goldstück in ihre stets geöffneten Hände, abgesehen davon, dass die Herren, um ihre Liebesglut für den Augenblick wenigstens etwas abzukühlen, zu immer stärkerem Trinken, als dies ohnehin schon geschah, gereizt wurden.


In einem Friedländischen Heereslager hatte nicht allein der Kriegsgott Mars seinen eisernen Sitz aufgeschlagen, sondern auch dem Bacchus und der Venus ward gar eifrig daselbst gehuldigt, und zahlreiche Jünger beiderlei Geschlechts dieser Götter trieben sich daselbst in übergroßer Menge umher. Hier in dem Zelte hatte außerdem die unbeständige Göttin Fortuna ihren Sitz noch aufgeschlagen. An der einen Seite des Gemaches stand ein langer Spieltisch, der von einer zahlreichen Gruppe Kriegsmänner umringt war. Ein langer dürrer Venetianer, Graf Battista Rivara, der als Quartiermeister im Heere diente, hielt hier seine Bank. Ein hoher Haufen aufgestapelter Goldgulden und Reichsthaler, untermischt mit holländischen Dukaten und venetianischen Zechinen, lag vor ihm, und konnte schon seinen Zweck, die Habsucht der Spieler anzustacheln, gut erfüllen. Das bekannte, alte deutsche Lager- und Kriegsspiel „Landsknecht" ward gespielt, und der schlaue Italiener schien nicht allein mit Geschick, sondern auch mit vielem Glück die Karten zu schlagen, denn gar oft krallte sich gierig seine lange, schmale Hand, der man es ansah, dass sie mehr daran gewöhnt sei, die Feder statt des Degens zu führen, über den Tisch, um den großen Verlust des einen oder andern Spielers an sich zu ziehen, während sie nur selten und zögernd einem etwaigen Gewinner seinen Gewinn hinschob. Zwar blieb das gelbe Gesicht des Italieners, aus dem die raubvogelartige Nase weit über den schwarzen Knebelbart hinwegragte, äußerlich ganz ruhig dabei, ob er die Goldsumme einstrich oder auszahlte. Ein aufmerksamer Beobachter hätte jedoch das Leuchten der Habgier aus seinen Augen beim Gewinn und den verbissenen Grimm des Geizes um den schmalen Mund beim Verlust gar leicht erkannt. Es wurde sehr hoch und leidenschaftlich gespielt, und gegen hundert Goldgulden, ja noch mehr, standen oft auf einer einzigen Karte. Die rohe Leidenschaft gar vieler Anwesenden überschritt in jener rauen Zeit nur zu oft die Grenzen der anständigen Sitte, welche man in unserer Gegenwart bei jedem Offizier eines deutschen Heeres nicht allein erwartet, sondern auch findet. Heftige Flüche von allen möglichen Mundarten folgten oft dem Verluste. Ja mancher Verlierende schlug in seinem Zorn so heftig auf den Tisch, dass der Wein aus den großen Bechern weit umherspritzte. Besonders ein kleiner, dicker Offizier mit rundem Spitzbauch, in dem vollen-roten Gesicht eine von Weinpurpur gefärbte Nase, und ein Paar kleine graugrüne Äugelein mit sehr verschmitzten Blicken, dabei möglichst bunt in den schimmerndsten Farben gekleidet, schien ein eben so leidenschaftlicher wie unglücklicher Spieler zu sein. Zwar fluchte er stets laut auf, verschwor hoch und teuer, es sei Schimpf und Schande, dem Welschen das schöne, mühsam erworbene Geld in den gierigen Rachen zu werfen, und stürzte nach jedem Verlust einen mächtigen Becher roten Ungarweins durch die ewig durstige Kehle, griff aber von Neuem stets wieder in die unergründlich tiefen Taschen seiner weiten hellblauen, mit gelben Samtpuffen verzierten Pluderhosen, um eine Handvoll Zechinen nach der andern hervorzuziehen und bald auch wieder zu verlieren. Es war dies Graf Isolani, der Oberst der Kroaten, bekannt als der verwegenste und listigste, dabei aber auch plünderungssüchtigste und roheste Anführer leichter Streifschaaren im ganzen Friedländischen Heere. Allen möglichen Lastern war er zügellos ergeben, und die reiche Beute, welche er der armen Bevölkerung jener heimgesuchten Landschaften, die das Unglück hatten, dass er mit seinen Banden in ihnen Haufen durfte, oft mit Anwendung der härtesten Zwangsmaßregeln abgepresst hatte, vergeudete er im Trunk, Spiel und bei gefälligen Dirnen oft in wenigen Tagen wieder.

Auch am heutigen Abend war sein Beutel bald wieder geleert, aber seine Spielsucht noch immer nicht befriedigt. Mit einem wilden kroatischen Fluch durchstöberte er alle Taschen von Wams und Hosen, aber so sehr er auch darin umhergriff, so wollte sich doch kein einziges Goldstück mehr finden. Schon schickte er sich an, vom Tisch zurückzutreten, aber der Spielteufel hielt ihn noch zu fest umklammert. Zornig riss er die schwere Goldkette, welche, zweimal um seinen Hals geschlungen, bis tief auf die Brust hinunterhing, herab, und sie dem Bankhalter hinschiebend, brüllte er: „Wollt Ihr mir dreihundert Goldgulden darauf leihen? sie ist unter Brüdern mindestens fünfhundert Gulden wert."

Zwar zuckte es gierig in den Fingern des Venetianers, die Kette an sich zu reißen und so das in pekuniärer Hinsicht so überaus vorteilhafte Geschäft zu machen, aber er bedachte sich noch zur rechten Zeit, dass es seinem Rufe als Edelmann sehr schaden würde, wenn er auf Pfänder Geld liehe.

„Bin kein Pfandleiher und Geldjude, und bedauere daher, Eurem Verlangen nicht willfahren zu können, mein Herr Graf”, sprach er mit angenommener Vornehmheit, die Kette dabei wieder zurückschiebend.

„Ha verflucht, will der Welsche heute zur Veränderung sogar den vornehmen Mann spielen!" tobte der zornwütige, vom Trunke schon aufgeregte Kroaten-Oberst. „Nun, so lasst mich um bare dreihundert Goldgulden gegen Eure Bank halten. Auf Kavaliersparole zahle ich sie Euch morgen wieder."

„Bedauere, auch Euch dies abschlagen zu müssen. Es ist bei meiner Bank feste Regel, dass nur gegen Baar gespielt werden darf, und möchte ich gerade bei Euch am wenigsten eine Ausnahme davon machen”, antwortete der Bankhalter nicht ohne sehr bemerklichen Hohn in seiner Stimme. Mit einem wilden Fluch hieb der immer zorniger werdende Isolani jetzt auf den Tisch, dass die Goldstücke umherflogen, und ein arges Schimpfwort gegen den Venetianer kam dabei über seine Lippen. Einige anwesende italienische Offiziere nahmen die Partie ihres Landsmannes, andere, welche über ihren ebenfalls schon erlittenen Verlust wütend waren, stellten sich auf Seite des Kroaten. Spitze Reden flogen hin und her, harte Worte und grobe Flüche, wie nur jene rohe Zeit sie kannte, wurden hörbar. Die Trinker verließen ihre Becher, und alle drängten sich in zwei verschiedene, sich feindselig gegenüberstehende Parteien zusammen. Die niemals ganz unterdrückte Feindseligkeit der einzelnen Nationalitäten fing bei diesem Streite auch wieder an scharf hervorzutreten. Die Spanier und Italiener standen meist auf der einen, die Deutschen, Irländer und Wallonen auf der andern Seite. Immer lärmender wurde das Toben der meist vom Weine stark erhitzten Offiziere, immer heftiger erschollen ihre Beschuldigungen, und die Äußerungen, Blut müsse fließen, und nur im Zweikampfe könne diese Schmach getilgt werden, ließen sich schon gar häufig vernehmen. Ja Einige, die besonders wild aufgeregt waren, und hierzu gehörte namentlich auch der Graf Isolani, der Urheber des ganzen Streites, wollten schon die Klingen ihrer langen Stoßpallasche ziehen, um sogleich mit den blanken Schwertern gegen einander loszufahren, und konnten nur mit Mühe von den Vernünftigeren davon zurückgehalten werden. Doch der kluge italienische Wirt, der bei diesem argen Tumult in seinem Trinkzelte nur Schaden, aber nicht den mindesten Vorteil für seine Kasse voraussah, hatte bereits im Geheimen nach dem wirksamsten Mittel zu dessen Beendigung gesandt.

Schon war der Streit am höchsten entbrannt und sofortiges Blutvergießen schien unvermeidlich, da rauschten die beiden Vorhänge, welche die Zelttür bildeten, auseinander, und in langsamem Schritt trat eine Gestalt herein, deren Erscheinung sogleich einen unheimlichen Eindruck auf Alle ausübte. Die schon zum Kampfe erhobenen Hände sanken kraftlos zurück, die gezogenen Klingen fuhren blitzschnell wieder in ihre Scheiden, und der wildeste Fluch verstummte in der Mitte des Wortes. Es war der General-Gewaltige, diese im ganzen Friedländischen Heereslager von Offizieren wie Soldaten gleich gefürchtete Person. Zu diesem so schwierigen Posten wählte der Herzog stets einen langgedienten, höheren Stabsoffizier, gewöhnlich einen Oberst von anerkanntem militärischen Rufe und bewährter Tapferkeit. Wie sein Amt es ihm gebot, musste er unerbittlich streng, ja selbst hart sein, und keine menschliche Schwäche durfte ihn daran verhindern, seine blutigen Urteile auszusprechen und alsbald vollziehen zu lassen. An seine Person knüpften sich gewöhnlich die unheimlichsten Gerüchte, und eine gewisse abergläubische Scheu, welche Alle vor ihm hegten, trug zur Vermehrung seines ohnehin schon so großen Ansehens noch mehr bei. Es gab selten einen General-Gewaltigen, von dem die Soldaten nicht behaupteten, er sei gegen Blei und Stahl gefeit, und wer ihn töten wolle, müsse sich dazu einer silbernen Kugel oder einer hölzernen Keule bedienen. Auch andere geheime Zaubermittel, als die Kunst, sich unsichtbar zu machen, oder auf tausend Schritte weit ein leises Gespräch zu belauschen und die Gesichtszüge jedes Einzelnen genau zu erkennen, oder auch den schlau ausgeführtesten Diebstahl sogleich zu entdecken und den Dieb zu erforschen, dichtete die Soldateska ihm an. Natürlich, dass er für alle diese Zaubermittel dem Teufel eine Seele verschrieben hatte, und wenn er hier auf Erden auch herrlich und in Freuden leben konnte, dereinst lange Jahre im Höllenfeuer braten musste. So suchten sich die Soldaten gegen diesen Mann, den sie gleich hassten wie fürchteten, wenigstens in leeren Worten zu rächen, wenn sie es auch durch Taten nicht vermochten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1