Vierte Fortsetzung

Der jetzt so plötzlich in das Offizierszelt eintretende General-Gewaltige war in seiner äußeren Erscheinung schon ein Mann, der leicht diesen großen Respekt einflößen konnte. Er war ein Spanier, der von frühester Jugend an dem Waffenhandwerk obgelegen, und bevor er in des Herzogs von Friedland Dienste trat, schon manchen blutigen Strauß in Indien mit durchgefochten hatte. Sein Körper war lang und hager, und das von der tropischen Sonne tief gebräunte Gesicht mit dem eisgrauen Knebel- und Schnurrbart hatte eiserne Züge und einen gar strengen Ausdruck. Dass auf diesem starren Antlitz jemals ein Sonnenschein der Freude und des Glückes gelächelt, dieser Mund einst eine Braut oder Mutter geküsst, oder die Lippen sich zu einem herzlichen Gelächter oder warmen Freundeswort geöffnet haben könnten, vermochte man sich gar nicht vorzustellen.

Auch seine Kleidung zeigte etwas sehr Düsteres. Er trug die Kriegstracht der Spanier, aber Alles daran war schwarz, und selbst der leichte Brustharnisch von gleicher Farbe. Die blutrote Friedländische Feldbinde über der Brust und die rote Feder auf dem schwarzen, spanischen Hute stachen grell von dieser düstern Farbe ab.


Nicht ohne einen gewissen stolzen Triumph feierte der General-Gewaltige den großen Schrecken, den seine plötzliche Erscheinung in der Mitte dieser sonst so hochmütigen und bewährten Offiziere hervorbrachte, und ein kaum bemerkbarer Zug des Hohnes zuckte dabei um seine Lippen.

„Ei — sieh da, Ihr Herren, da treffe ich ja eine sehr zahlreiche Gesellschaft, und, wie es scheint, in gar fröhlicher Laune. Kam bei einem Umritt durch das Lager gerade bei diesem Zelte vorbei und vernahm einen so lustigen Lärm darin, dass ich es mir nicht versagen konnte einzutreten, um einen Becher Würzwein noch zum Abendtrunk zu nehmen. Besonders Eure Stimme, edler Graf Isolani, klang am vernehmlichsten durch all' das Gewirre, und Ihr wisst ja, wie sehr ich mich stets freue, wenn ich einen so tapferen Kriegsmann in unseres Herzogs Heere, wie Ihr seid, recht vergnügt finde. Und auch, wie's der Brauch im Feldlager ist, ein Spielchen gemacht, und der Herr Graf Valtista Nivara haben nach alter Weise die Bank dabei aufgelegt. Freilich die Hand, die stets gewöhnt ist, die Feder statt des Degens zu führen, kann auch am besten die Karten mischen”, klang seine langsam gesprochene Begrüßung, aus welcher man den spöttischen Hohn gar leicht heraushören könnte.

Mit einer tiefen Unterwürfigkeit hatte inzwischen der italienische Wirt dem gefürchteten Manne den besten Becher, den er besaß, mit warmem, aromatisch duftendem Würzwein, bis an den Rand gefüllt, dargereicht.

„Ich bring’s Euch, meine Herren, und trinke auf gute Kameradschaft aller Offiziere im Friedländischen Heere des Kaisers Ferdinandus”, sprach er, den Becher gegen die versammelte Gesellschaft mit leichter Verbeugung erhebend und dann auf einen Zug leerend.

„Nun ruft die Pflicht meines Amtes mich wieder zum Umritt durch das Lager, und nur ungern verlasse ich Eure werte Gesellschaft. Bitte aber jeden, dem das Blut vielleicht zu heiß auffahren sollte, sich auch im Scherze wohl zu zügeln und des Lagers strengen Gesetzes stets zu gedenken. Einmal darf ich warnen, das zweite Mal muss ich strafen; des Herzogs von Friedland Durchlaucht liebt zwar nicht, strenge Strafurteile gegen tapfere, bewährte Offiziere zu fällen, allein noch weniger, dass sein Gesetz gebrochen wird. Ich grüße Euch, Ihr Herren, und wünsche Allen einen vergnügten Abend." Mit diesen Worten lüftete der General-Gewaltige zum Gruß gegen die Gesellschaft seinen Hut, warf dem tief sich verneigenden Wirt ein Geldstück als Bezahlung für den Trunk zu, und verließ dann ernst und würdevoll, wie er gekommen war, wieder das Zelt.

Eilig hatte schon während seiner Anwesenheit der Graf Battista Rivara Karten und Geld zusammengepackt und schlüpfte dann unbemerkt hinaus. Die rohe Lust, aber auch der wilde Zank des Abends waren jetzt gestört, und wenn selbst manche der Anwesenden sich auch wieder im kleineren Kreise zum Becher niedersetzten, so fühlten doch andere sich verstimmt oder auch zu sehr vom General-Gewaltigen gewarnt, und verließen bald das Zelt. Zu den Letzteren gehörte auch der Kroaten-Oberst Graf Isolani. Fluchend über den gestörten Abend hing er den Reiterdegen in das Gehänge, und sprach noch im Fortgehen zu seinem Gefährten, dem Irländer Hebron: „Meiner Seel', nun glaub' ich doch auch, dass wahr ist, was die Soldaten schon längst schwatzen, der Kerl, der Spanier, könne mehr als alle anderen Menschen. Wenn man ihn am wenigsten erwartet, ist er plötzlich da, als ob er aus der Erde gewachsen sei, und mehr als eine Lust hat mir sein Leichenbittergesicht schon verdorben. Wenn ihn doch der Teufel erst beim Kragen gepackt und in der Hölle sicher verwahrt hätte, ich fürchte mich vor dem Menschen mehr als vor einem Dutzend Mansfeldischer Reiter." Als aber jetzt der Wirt mit demütiger Verbeugung den Grafen um die Berichtigung der Zeche bat, da loderte ob solcher Frechheit sein Zorn von Neuem wieder empor.

„Schreib' es zu dem Übrigen, welscher Spitzbube. Hast gesehen, dass ich ratzekahl ausgeplündert wurde, und wagst noch, mich um Geld für Deinen Krätzer zu bitten”, schrie er, dem Wirt dabei mit dem Stulphandschuh um die Ohren hauend.

„Maledetta bestia! warte, ich kriege Dich doch noch, aber vorläufig sollst Du zahlen”, zischte der Italiener mit verbissener Wut, und beeilte sich dann, dem fortgehenden Grafen den doppelten Betrag seiner Zeche in das ohnehin schon sehr gefüllte Kerbholz zu schneiden.

Draußen vor dem Zelte bestieg der General-Gewaltige aber wieder sein schwarzes Ross und setzte seinen Umritt durch das ganze Lager fort. Zwei reisige Knechte mit Pechfackeln in den Händen gingen ihm vorauf, ein Dutzend andere, lauter starke, vielbewährte Kriegsmänner, die seine persönliche Bedeckung und die Vollstrecker seiner Befehle bildeten, folgten ihm unter der Anführung eines Rottenmeisters. Auch einige arme Sünder wurden mit auf den Rücken gebundenen Händen hinterdrein geführt. Es waren Soldaten, die dabei ertappt waren, als sie in des Lagers Bann die blanke Waffe gegen einander gezogen hatten; auch ein Italiener, der mit falschen Würfeln gespielt, und ein Hausierjude, der falsch gemünztes Geld verausgabt hatte. Die Gesichter dieser Schuldigen zeigten den kläglichsten Ausdruck der Furcht, und ihr Gang war mitunter schon so schlotterig, dass sie von ihren Wächtern mehr vorwärts gezogen werden mussten, als dass sie selbst gehen konnten. Besonders der Jude war schon mehr tot als lebendig, und schien bereits seine ganze Kraft in kläglichem Jammern und nutzlosem Bitten und Beschwören seiner Unschuld erschöpft zu haben. Freilich hatten Alle auch die härtesten Strafen zu befürchten, und bevor das Morgenrot den nächsten Tag verkündete, hingen Einige schon als starre Leichen am Galgen, so hart und schnell wusste der General-Gewaltige zu strafen, sobald er sich nach genauer Untersuchung von der Schuld überzeugt hatte. Mit unheimlichem Grauen sahen daher auch alle Soldaten diese gefürchtete Person bei sich vorüberreiten. Jeder Gesang verstummte, und das lauteste Gelächter hörte plötzlich auf, so lange er in der Nähe eines Wachtfeuers weilte, und wie erleichtert atmeten Alle frei auf, wenn seine düstere Gestalt im Schein der Flamme nicht mehr sichtbar wurde und der Hufschlag seines Rosses verhallte. Wiederholt jedoch musste der General-Gewaltige absteigen, um entstandene Streithändel zu schlichten oder ertappte Verbrecher gefangen nehmen zu lassen, denn nur zu roh waren die Sitten des Kriegsvolks, und zu vieles wüste Gesindel, welches selbst der härtesten Strafen spottete, trieb sich in einem Friedländischen Heereslager umher.

Herrschte aber im übrigen Lager Lärm und Jubel bis an den späten Abend, und mischten sich die Klänge der Tanzmusik, das Kreischen und Gelächter der Dirnen oder der volle Chor singender Soldaten, die mit mehr Kraft als Wohllaut ihrer Stimmen ein lustiges Trink- oder Schelmenliedlein brüllten, zu einem unharmonischen Ganzen, so war in einem kleinen Teile dagegen eine fast lautlose Stille. Durch einen weiten, freien Raum von den Hütten und Zelten des übrigen Heeres abgesondert, stand hier ein einsames Zelt von ungewöhnlicher Höhe und Ausdehnung. Ein ziemlich hoher Turm, zwar nur von Pfahlwerk, aber mit breiter Plattform und sicherer Treppe, war neben dem Zelte aufgerichtet, und von seiner Höhe musste man eine sehr freie Aussicht nicht allein über das Lager, sondern auch über dem Horizont haben. Einige kleinere Zelte und Schuppen von Holz, wie es schien, für eine etwaige Begleitung und dann auch zur Stallung für die Reitpferde bestimmt, lagen in einiger Entfernung hinter dem Hauptzelte, während auf einem hohen Maste vor dessen Eingang eine mächtige Fahne in den Friedländischen Wappenfarben wehte. In dem freien Raume, der zwischen diesem Zelte und dem übrigen Lager sich befand, war eine ziemlich dichte Postenkette von Soldaten des Friedländischen Leibregiments, größtenteils lauter geborene Böhmen, aufgestellt. Niemand durfte diese Postenkette passieren, der nicht die richtige Losung abgab oder durch einen Offizier mit der roten Feldbinde über der Brust geleitet wurde, und wehe dem Schuldigen, der, ohne genügenden Grund seines Hierseins anzugeben, daselbst ertappt wurde; er war ohne Gnade der härtesten Strafe des General-Gewaltigen verfallen. Der Führer des Heeres, „Albrecht, von Gottes Gnaden Herzog zu Friedland, Römisch Kaiserlicher Majestät Kriegsrat, Kämmerer, Obrister zu Prag und General-Obrister-Velthauptmann”, wie der gewaltige Mann jener eisernen Zeit in seinen hinterlassenen Briefen stets eigenhändig sich unterschrieb, hatte in diesem großen Zelte sein Hauptquartier aufgeschlagen. Die lautloseste Stille musste stets in seiner Umgebung herrschen, selbst das mindeste Geräusch war ihm verhasst, und dem Schuldigen traf harte Strafe, so war sein strenges Gebot, welches unweigerlich befolgt wurde. In dem Raume dieses Zeltes entwarf der Feldherr seine weit reichenden Pläne; von hier nahmen alle jene gewaltigen Ereignisse, welche länger als ein Dezennium nicht allein Deutschland, sondern auch dem größten Teil des übrigen Europas eine andere Gestaltung gaben, ihren Ursprung. Selbst der roheste Soldat, der nur für den Tagessold und die zu erhoffende Beute focht, gänzlich unbekümmert darum, welchem Zwecke sonst sein Schwert diente, fühlte sich von einem geheimnisvollen Schauer durchrieselt, wenn der Dienst ihn in die Nähe dieses Zeltes, seines Feldherrn, führte. Mit allerlei geheimnisvollen Gestalten bevölkerte die rege Einbildungskraft der Krieger, denen die Person des Friedländers überhaupt stets etwas Geheimnisvolles, ja für sie sogar Unheimliches blieb, so gern sie auch sonst den Dienst unter seiner bisher unausgesetzt siegreichen Fahne suchten, diesen Raum. Manche Posten wollten wissen, dass sich in einzelnen Nächten, wenn die Gestirne gerade einen besonderen Stand hatten, mit dem Schlage der mitternächtigen Stunde ein großer schwarzer Vogel mit feurigen Augen, der einem riesigen Uhu gliche, auf die Spitze der Fahnenstange vor der Mitte des Zeltes setze, dort dreimal ein heiseres Wehegeschrei ausstoße und dazu mit den Flügeln weit um sich schlage, und dann, sobald es ein Uhr sei, plötzlich wieder verschwinde, ohne dass man wisse, wo er geblieben sei. Andere gingen sogar noch weiter und verschworen mit den furchtbarsten Eiden, dass eine lange schwarze Gestalt in der Mitternachtsstunde plötzlich vor dem Zelte des Feldherrn erscheine, als sei sie der Erde entstiegen, mit unwiderstehlicher Kraft die gekreuzten Hellebarden der Doppelposten vor der Tür zurückschlage und so in das Innere schreite, um nach einer Stunde auf gleiche Weise sich wieder zu entfernen. Während dieser ganzen Zeit hätten die schildernden Soldaten dann wie versteinert dagestanden, ohne Füße, Arme, ja selbst die Zunge nur im mindesten bewegen zu können. Auch einen feuerspeienden schwarzen Hund wollten Manche in dunkeln Adventsnächten des Feldherrn Zelt umkreisen gesehen haben. So viel war sicher, selbst der abgehärtetste Kriegsknecht bezog nicht ohne gewaltiges Schaudern diese Zeltwache, und mehr als einen wilden Gesellen gab es, der ungleich lieber in der Feldschlacht gegen eine flammenspeiende Batterie anstürmte, als in der Nacht zwei Stunden vor des Friedländers Zelt schilderte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1