Zweite Fortsetzung

Auf der Insel Schütt, wohin ein großer Fährkahn den Obersten nun bald brachte, herrschte die buntartigste Zusammensetzung und die wildeste Lustigkeit eines Wallenstein'schen Feldlagers. Da der Abend schon allmählich immer dunkler geworden war, stammten überall hohe Wachtfeuer empor, deren grellroter Schein die phantastischen Gestalten der Soldaten, die um erstere herum ihr Wesen trieben, hell beleuchtete. Alle Völker Europas schienen hier vertreten zu sein, und die verschiedensten Zungen, die unser Weltteil nur kennt, schwirrten bunt durch einander, obschon sonst die einzelnen Stämme es liebten, sich ziemlich abgesondert von einander zu halten. Hier diese abenteuerlichen Gestalten mit roten, langen Mänteln, ebenso farbigen, oft schon arg zerrissenen Pluderhosen, kurzen Sandalenschuhen, einer hohen, schwarzen Lammfellmütze auf den eben so farbigen, struppigen Haaren, welche am äußersten Ende des Lagers ihr Wesen trieben, waren Panduren von der kroatisch-türkischen Grenze. Sie standen nicht mit Unrecht in dem Rufe, die schonungslosesten Plünderer und grausamsten Plagegeister der Landbevölkerung in dem ganzen kaiserlichen Heere zu sein, und das wollte in einem Friedländischen Heereslager wahrlich schon viel bedeuten. Jetzt hatten diese unheimlichen Gesellen mit den langen Gestalten und den braunen, scharfen Gesichtern, in denen die mächtigen, mit Schusterpech steinhart gedrehten spitzen Schnurrbärte weit hervorstanden, ein großes Schwein auf einem Bratspieß über das Feuer gesteckt. Mit der Gier, mit welcher eine Meute Jagdhunde auf ihren Fratz harrt, warteten diese Kroaten nun auf den Augenblick, dass der Braten halb gar sein würde, um dann sogleich mit ihren langen Dolchmessern, die sie stets im Gürtel trugen, darüber herzufallen. Nicht weit von diesen Panduren lagerte ein Trupp leichter ungarischer Reiter. Obgleich Grenznachbarn, ja mitunter sogar bunt durch einander wohnend, pflegen Kroaten und magyarische Ungarn sich stets recht gehörig gegenseitig zu hassen, und nur im äußersten Notfalle mit einander in Verkehr zu treten. So war es schon vor zweihundert Jahren, so ist es auch jetzt noch der Fall, und im Wallenstein'schen Heereslager konnte man nur zu viel Beweise dieses glühenden Rassenhasses finden. Mit äußerstem Stolz blickten diese magyarischen Reiter auf die Panduren, und wenn sie auch jetzt unter gleicher Fahne fochten, so hätten sie ihrer Neigung nach doch jeden Abend sehr gern eine tüchtige Rauferei miteinander angefangen. Doch die Mannszucht im eigentlichen Feldlager selbst war äußerst streng, und wer in dessen innerem Raume die blanke Waffe oder das Schießrohr gegen den Andern zuckte, verfiel ohne Weiteres dem General-Gewaltigen, dieser gefürchteten Person, vor dessen Anblick schon der roheste Soldat zum Zittern gebracht wurde. Im Übrigen ging es an dem Wachtfeuer der Magyaren sehr lustig zu. Schlanke Mädels mit vollem Busen, strammen Waden, schwarzen Haaren und heißverlangenden Blicken, hatten sich bei ihren Landsleuten eingefunden, und auch eine Zigeunerbande mit ihrer, das echt magyarische Blut wild aufregenden Musik fehlte nicht. Wie hell ertönten die Weisen des Czardas und lockten jeden mit fast unwiderstehlicher Kraft zum Tanze. Die breiten Sporen mit den klirrenden Rädern, an den hohen Absätzen der Czischmen, schlugen vor Lust zusammen, dass der Metallklang fast die Saitentöne der Violine, so kräftig auch solche waren, übertäubte. Die Zungen schnalzten, die Dirnen kreischten bei manchen vielleicht etwas zu ungestümen Umarmungen ihrer Tänzer; überall pulste das ungebundenste, fröhlichste Soldatenleben. Unfern des Wachtfeuers der Magyaren lagerten Irländer von einem Dragonerregiment. Auch hier ging es sehr lustig zu, doch fehlte Musik und Tanz, und ein Fass mit Sliwowitzer oder scharfer ungarischer Pflaumenbranntwein musste deren Stelle vertreten. In langen Zügen schlürften die ewig durstigen Kehlen der Irländer diesen Feuertrank, der seine Wirkung, auch bei ihnen nicht verfehlte. Ihre runden, vollen Gesichter mit den blauen Augen und den meist rötlichen Haaren glühten ersichtlich immer mehr, und gar oft machte sich die angeborene Rauflust der Söhne der grünen Insel Erin in einer herzhaften Prügelei mit derben Fäusten, die mitunter wohl auch zu tüchtigen Knütteln griffen, Luft. Ziemlich ungehindert ließen die Feldwebel und Rottenmeister die betrunkenen Dragoner mit den Fäusten und Knütteln auf einander losprügeln, denn auf einige Püffe und blaue Flecke kam es weiter nicht an, und so ein irländischer Schädel ist hart und kann schon einen gehörigen Knuff vertragen. Wollte aber ein oder der andere Reiter im Zorn gar den blanken Pallasch ziehen, so bedurfte es nur des Wortes: „Weißt Du, dass der General-Gewaltige jedem ohne Weiteres die Faust abschlagen lässt, der in des Lagers Bann die blanke Waffe zieht?" und wie ein geprügelter Hund zuckte der wildeste Bursche zusammen.

Wie ganz anders trieben es die lombardischen Kürassiere, die sich mit ihren neapolitanischen Hengsten unsern daneben gelagert hatten! Es waren dies unbedingt die schönsten, wenn auch vielleicht nicht immer zuverlässigsten und ausdauerndsten Truppen des Friedländischen Heeres. Edlere Männerköpfe von oft wirklich antiken Formen mit zierlich gepflegten Schnurr- und Knebelbärten, elegantere und dabei doch auch wieder kräftige Gestalten, wie viele dieser lombardischen Kürassiere zeigten, konnte man nicht leicht in so großer Zahl vereinigt finden. Auch ihre Kleidung und Rüstung war geschmackvoller, als die der meisten anderen Truppen. Die roten Pluderhosen waren mitunter mit Goldstreifen verziert; die hohen, bis zur Mitte der Schenkel hinaufreichenden gelbbraunen Lederstiefeln mit buntem Saffian an den Krempen ausgeschlagen, das gelbe Wams mit Goldstickerei geziert, und die Brustharnische, Stahlhauben und Pallasche zeigten häufig die kunstvolle Ziselierarbeit, durch welche die Mailänder Waffenschmiede sich einen so weit verbreiteten Ruf erworben hatten. Die Offiziere, größtenteils Söhne des reichen lombardischen Adels, trugen oft in Spitzenkragen, Samtpuffen, Goldketten und kunstvoller Massenarbeit oder prächtigen Straußenfedern auf ihren Hüten, den Wert von mehreren Tausend Goldgulden am Leibe. Bei diesen Lombarden ward eifrig gespielt, und zwar vergnügte sich die Mannschaft unter gewaltigem Geschrei und Gelärm mit dem landesüblichen „Montespiel”, wobei die gespreizten Finger so dicht vor den Nasen umherfuhren, als wollten sie sich in die Haare einkrallen, während die Offiziere unweit davon die Würfel auf einer Trommel rollen ließen. Es gab viel Zank und Gefluche hier. Die Leidenschaften erhitzten sich, die Gesichter wurden drohend, allein zu rohen Tätlichkeiten kam es niemals, und ein Faustschlag wäre bei diesen Italienern unerhört gewesen. Wenn aber der Zank am heftigsten, die Leidenschaft am aufgeregtesten, das Geschwirre der Flüche und Versicherungen durcheinander am lautesten war und man jeden Augenblick hätte fürchten müssen, dass der Jähzorn die Leute trotz der Furcht vor dem General-Gewaltigen zum Ergreifen der langen Stoßrappiere verführen werde, brauchte der Eine oder Andere nur einen lauten Witz zu machen oder den Refrain eines lustigen Volksliedes anzustimmen, und sogleich war der Zorn verraucht, ein herzliches Gelächter erscholl, mehrere Stimmen wiederholten den Gesang, und das Ganze löste sich in Lust und Fröhlichkeit auf. Ungleich ruhiger ging es bei einem andern Trupp von Kürassieren zu, die rechts von den Lombarden lagerten. Es waren Wallonen aus den Niederlanden, breitschultrige, feste Gestalten, für welche die schweren brabanter oder flandrischen Rosse, welche sie ritten, schon passten. Ihre Kleidung und Ausrüstung war gediegen und solid und eben so wie ihre Waffen von erster Arbeit; sie verschmähten aber den Aufputz von bunten Farben, Sammet und Stickerei oder künstlichen Verzierungen, wie solche die Italiener liebten, und zeigten sich ernst und einfach. Viele schon lange gediente und bewährte Schlachtenreiter befanden sich unter diesen wallonischen Kürassieren und sie bildeten mit die zuverlässigste, aber wegen ihres sichtbar zur Schau getragenen Stolzes, im übrigen Heere gerade nicht sonderlich beliebte Truppe des Heeres, über welches der Herzog von Friedland gebieten konnte. Sie hatten auch noch besondere Privilegien, und waren deshalb dem stolzen Feldhauptmann selbst nicht angenehm, obgleich er sie wieder wegen ihrer erprobten Tüchtigkeit achtete und auch ihr ernstes, abgeschlossenes Wesen ihm wohl zusagte. Ein böhmisches Arkebusierregiment, welches unsern davon lagerte, bildete dagegen so zu sagen des Herzogs persönliche Leibwache und begleitete ihn auf allen Zügen. Es waren dies meist echte Czechen, derbe, gedrungene Gestalten, mit plumpen, fast viereckigen Gesichtern, in denen kleine dunkle Augen, die oft einen verschmitzten Ausdruck hatten, funkelten. Hübsch waren diese czechischen Arkebusiere nicht, aber fest und zuverlässig, und wenn sie auch den Kaiser Ferdinand, der sie daheim mit Hunden hatte in die Messe hetzen lassen und im Namen der katholischen Religion jegliche Schandtat an ihrem Vaterlande Böhmen verübte, bitter hassten, so waren sie dem Friedländer persönlich doch sehr ergeben. Viele von ihnen waren zwangsweise zwar wieder zum Katholizismus bekehrt, in ihrem Innern aber der Lehre von Huss treu geblieben, und sobald sie bei ihren Kriegszügen ihre Rache an einem katholischen Pfaffen auslassen, oder ein fettes Bistum recht brandschatzen konnten, taten sie dies mit doppeltem Behagen, obgleich sie auch sonst die Beute bei den Protestanten gleichfalls nicht verschmähten. In weiten Kreisen um ihre Wachtfeuer sitzend, sangen diese Czechen jetzt mit zwar wohlgeübtem, aber dabei einförmigem Chor die düsteren Weisen ihrer alten Volkslieder. Oft Stunden lang konnten sie, ohne zu ermüden, ein und dasselbe Lied in die dunkle Nacht hinaussingen. Da ging es bei den Tiroler Scharfschützen unweit von ihnen doch ungleich lustiger zu. In grauem Lodenwams und kurzen Hosen von schwarzem Bockleder, die derben, muskelvollen Waden vom groben grünen Wollstrumpf umspannt, den breitränderigen spitzen Filzhut mit dem Gemsbart und der Spielhahnseder etwas schief auf das lockige Haupt gedrückt, den breiten Ledergurt mit kunstvoll eingestickten Namen, der zugleich das Zündkraut und Blei barg, um den Leib geschnallt, saßen diese kräftigen Söhne der Berge und juchten und jodelten ihre lustigen Almenlieder, dass es weit durch das ganze Lager scholl. Auch bei einem deutschen Musketierregiment, was auf die Tiroler folgte, ging es lustig und laut zu. Doch übertäubte dabei wilder Zank und einfältiges Schimpfen Gesang und Gelächter. Allerlei Volk aus dem ganzen weiten römischen Reich, wie es nun gerade die Werbetrommel in des Friedländers Heereslager zusammengetrommelt hatte, war in diesem Musketierregiment des Grafen Torquato vertreten. Hier der lustige Bursche, dem die gelbe Pluderhose so hoch aufbauschte, war ein Wiener Früchtel aus der Lerchenfelder Vorstadt, der daheim nicht gut tun wollte und endlich zum Kalbsfell schwören musste. Da neben ihm der Soldat, der den vollen Bierkrug gar nicht vom Munde absetzen konnte, obgleich der gleichfalls durstige Wiener ihn schon wiederholt ungeduldig an den Arm gestoßen hatte, von plumpem, kräftigem Körperbau und rotem Bulldoggengesicht, war ein Alt-Bayer aus Ingolstadt, während die ersten Laute aus dem Munde eines andern Musketiers ihn zweifellos als echten und rechten Schwaben aus Reutlingen verrieten. Eben so verschieden wie die Gaue, aus denen sie stammten, waren auch die früheren Gewerbe, die diese Soldaten hier getrieben hatten, bevor sie zu des Friedländers Fahne schworen und der feste Kitt des Korpsgeistes sie unauflöslich zu einem Ganzen miteinander verband. Hier der Soldat, der seinen Kameraden eine parodierende Predigt hielt und mitunter zum Spaß und um den Ruf seiner Gelehrsamkeit noch mehr zu erhöhen, allerlei unsinnige lateinische Brocken dazwischen mischte, war ein aus einem rheinischen Kloster entlaufener Mönch, der sein Brevier mit der Muskete vertauscht, und statt der langen Kutte das kurze Soldatenwams angezogen hatte. Die Tonsur auf seinem Haupte war noch nicht ganz wieder behaart, und doch schien er in unflätigen Zoten und gemeinem Scherz schon einer der Frechsten in der ganzen frechen Schaar geworden zu sein. Da neben ihm der stämmige Kerl hatte so unvertilgbare blaugefärbte Fäuste, dass er entschieden früher lange Jahre hinter der mit Waid gefüllten Küpe des Blaufärbers gestanden haben musste. Noch andere Strolche, welche jetzt das Wams des Musketiers trugen, waren von fahrenden Dirnen hinter einer Hecke geboren, ohne Vaterland, Heimat, ja oft sogar ohne nur einen ehrlichen Namen. Was kümmerte es die Obersten, wenn sie den Werbetisch aufschlugen, wer der Bursche war, der das Handgeld nahm, und was er für eine frühere Vergangenheit hinter sich hatte, wenn er nur trotzigen, wilden Mut und kräftige Glieder zum tüchtigen Drauflosschlagen zeigte. So lange er dem Regiments angehörte, war er Soldat und nur Soldat, das Zelt bildete seine Heimat, der Raum, den die Fahne beschattete, sein Vaterland, für dessen Verteidigung er sein Blut freudig verspritzen musste. Mochte er noch so roh und wild sein, sobald er nur im Dienst die Ordre parierte und des Lagers Ordnung sich fügte, kümmerte sich Niemand nur im allermindesten darum. Dass dies aber geschah, dafür wusste der Feldhaupt-Mann schon zu sorgen, denn sein Wille war eisern und der General-Gewaltige mit Galgen und Staubbesen oder Henkersbeil gar schnell zur blutigen Strafe bereit. „Hängt die Bestie an den Galgen”, war eine Rede, die in einem Friedländischen Heereslager nicht allein gar häufig gehört, sondern auch fast eben so oft schnell besorgt wurde. Für Vergehen, welche in unserer Zeit kaum mit einigen Tagen Arrest ihre Strafe erhalten, war der Galgen dem Schuldigen damals gewiss. Freilich wurden andere Rohheiten, besonders gegen den Bürger und Bauersmann, welche unsere Gegenwart kaum noch für möglich halten würde, damals nur wenig beachtet, und auch die äußere Form der Subordination war lange nicht so streng, als sie sich ein Jahrhundert später zur Zeit Friedrich des Großen zeigte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Herzog Wallenstein in Mecklenburg. Band 1