Die aufgezwungene Verfassung der Franzosen.

Doch das Alles reichte lange nicht hin, den Hamburgern die neue Ordnung der Dinge lieb zu machen. Die neue Verfassung war ein Kleid, das den Franzosen anstehen mochte, aber nun einmal den Hamburgern nicht paßte, weil es für ihre Verhältnisse nicht gemacht und ihnen aufgezwungen war. „Es war nicht nur der Ruhm ihres Handels, die Tätigkeit ihrer Industrie gewesen, worauf sie mit Stolz hingesehen hatten“, wie der Syndicus Doormann dem Kaiser selbst bei der Huldigung gesagt, „sondern auch der Ruf der Rechtlichkeit, die Einfachheit ihrer Sitten, der Glanz ihrer öffentlichen Etablissements, jene glückliche Mischung von Aristokratie ohne Stolz und von Demokratie ohne Aufregung, jene überall bemerkbare und nirgends bemerkte Polizei, jene wachsame und väterliche Administration, jene uneigennützigen Arbeiter für den Staat und jene Anstalten für die Armen, um derentwegen Könige zu uns schickten, um ihr Geheimniß und ihr Muster zu fordern.“ Das Alles war nun verloren gegangen. Handel und Schiffahrt war zu Grunde gerichtet, von den 428 Zuckersiedereien die früher blüthen, konnten nur einige wenige sich erhalten; die Kattundruckereien hatten ohne Ausnahme zu arbeiten aufgehört; die Tabackspinnereien wurden sämmtlich durch die Regie verdrängt, die ausschließlich den Verkauf der Tabackblätter und die Fabrikation, sowie den Verkauf der fabricirten, im Großen und Kleinen hatte. Die einst so stolze, reiche Stadt bot das Bild des allmäligen Hinsterbens, selbst in den ersten Häusern gewahrte man den innern Wurm, der sie verzehrte, bei allem äußern Glanz, den sie vielleicht noch erhalten wollten. Französische Sprache und Sitte verdrängte die alte Ehrlichkeit und Biederkeit. Die Kirchen wurden immer leerer; die Fürbitte für den Kaiser Napoleon war an die Stelle der für den Rath dieser Stadt getreten; dazu kam schon am 22. Februar 1811 der Befehl, für die glückliche Entbindung der Kaiserin Marie Louise zu beten, ein Befehl, der auch im Gotteshause an das Joch, das man zu tragen hatte, erinnerte, und nicht geeignet war, die Liebe zu den Feinden zu nähren; eine Fürbitte, die den Hamburgern besonders ärgerlich war, weil sie doch die baldige Befreiung von der französischen Herrschaft ersehnten, und die Viele aus dem Gotteshause trieb. Die milden Anstalten, das Waisenhaus, der Krankenhof, sahen sich ihrer Zuschüsse beraubt; die Zinsen der Kammerbriefe wurden nicht bezahlt; die Hauspöste gingen verloren, wovon sollten sie bestehen? Und die Armuth nahm zu, die Noth ward immer größer. Auf das Wohlwollen der Regierung war nicht zu bauen. Strenge Gerechtigkeit trat an die Stelle der väterlichen Milde. Die rasche, pünktlichen Gehorsam fordernde, militärische Weise des Befehlens war den Hamburgern ebenso ungewohnt, wie beschwerlich. Wir haben schon oben eine Probe gesehen bei der Forderung der Seesoldaten von Seiten des Kaisers. Wie das Oberhaupt, verlangten auch die höheren Diener rücksichtslos, sofortige Vollziehung ihrer Befehle. Das Kirchen–Collegium zu St. Nicolai z. B. hatte in der Jahres–Rechnung, die sie im Februar 1812 dem Municipalrath eingereicht, ein Deficit von 6.500 Thaler. Ende März erhielt dasselbe ein Schreiben des Maire, daß der Cultusminister Rechenschaft verlange, woher die Schulden sich so gehäuft; am 6. April ließ der Präfect ein Mahnschreiben ergeben, keinen Bau anzufangen und detaitlirte Vorschläge zu mehreren Ersparungen zu machen. Die Beede erklärte am 20. April das Deficit aus den geringeren Einnahmen der Becken etc. Der Cultusminister forderte aber am 30. Mai schon die Rechnung von dem ersten Trimester des Jahres, und am 6. Juni trieb der Maire de Chapeaurouge, die Eingabe fördersamst zu machen, und im September fragte Abendroth unter der Hand an, ob nicht alle getrennten Kassen zusammen die Ausgabe zu Michaelis bestreiten können, es sei dies das einzige Mittel, um die Kirche unabhängig im Besitz ihrer Güter zu erhalten. Glücklicher Weise erhielt die Kirche gerade ein Legat, durch welches das Deficit gedeckt werden konnte. Aber diese Eile und dies Treiben war den Vorstehern höchst ärgerlich. Die Hamburger mußten es ja erfahren, daß bei dem französischen Regiment alle deutsche Gemüthlichkeit, jede freie Bewegung der eigenen Persönlichkeit aufhört, daß bei dem Glanz und Ruhm des Staatswesens die Traulichkeit und Behaglichkeit des häuslichen Gebens zu Grunde geht. Aber daß ihre Stadt gerade in jener Zeit der fremden Herrschaft untergeordnet wurde, in der ganz Frankreich unter der Last des Krieges seufzte, machte ihnen das Joch noch unerträglicher. Der Ruhm des Kaisers kostete dem Volke Geld, Geld. Das Budget fürs Jahr 1803 war 589 Thaler über eine halbe Million gewesen, für das Jahr 1811 war der Anschlag 954 Millionen; der Kaiser meinte aber unter außerordentlichen Umständen könnten seine Völker, um die Ehre seiner Krone zu behaupten, 1.100 Millionen aufbringen, ohne daß man neue Anleihen nöthig habe; für die drei hanseatischen Departements war auf 20 Millionen Fr. gerechnet. Es ward aber auch Alles besteuert. Zu den directen Steuern, der Grundsteuer, der Personal–, der Mobiliar–, der Thüren– und Fenster–Steuer und der für die Patente, bei denen noch gewisse Zulags–Centimen für die Nonvalenten etc. gefordert wurden, kamen die indirecten, fürs Einregistriren der Acten, Stempel, Kanzleigebühren; dazu die Abgaben der Droits réunis, die der Regie ertheilt waren, für den Verkauf von Wein, Bier, Branntwein, Taback, von den öffentlichen Fuhrwerken, Spielkarten, Gold- und Silberarbeiten und dergleichen. Die Abgaben waren kaum zu erschwingen. Der frühere Senator Bartels, der, vom ersten Einrücken der Franzosen an, viele Verhandlungen mit ihnen wegen finanzieller Gegenstände geführt hatte, und das Lamentiren bei den Behörden nicht lassen konnte, wurde mit der Bemerkung abgefertigt: „Was wollen Sie? Im alten Frankreich muß man sich dasselbe gefallen lassen.“ Doch war freilich der Unterschied groß. Die Franzosen hatten den Hamburgern nicht nur ihre Einnahme–Quellen verstopft, sondern auch ihre öffentlichen Kassen genommen, ohne für die Bezahlung der Zinsen zu sorgen. Selbst den Rathsweinkeller nahmen sie schon den 31. December 1810 in Beschlag, verwalteten ihn für kaiserliche Rechnung, nahmen die für den Keller belegten Capitalien in die Communen–Kasse und verkauften zuletzt, am 16. October 1811, die Weine in öffentlicher Auction für mehr als 400.000 Thaler. Die Geschäftslosigkeit war so groß, daß Capitalien todt dalagen, und der Director Endel, als er mehrerer Millionen bedurfte, um den Taback für die Regie zu kaufen, für einen geringen Zins bedeutende Summen erhielt.

Doch das Geld war nicht das Kostbarste, was Napoleon für seinen Ruhm von den Hamburgern, wie von seinen andern Untertanen forderte. Für den Krieg brauchte er Soldaten, und um diese zu erhalten, wurden auch in den neuen Departementen die Conscription eingeführt. Jetzt ist man es bei uns gewohnt, daß die jungen Leute loosen müssen, um zum Soldatenstande bestimmt zu werden oder nicht; damals war diese Einrichtung etwas Neues, und um so erschrecklicher für die Hamburger, da es galt, in den Krieg ziehen oder nicht. Es war natürlich, daß Jeder sich der Gefahr, für die Franzosen gegen die Deutschen kämpfen zu müssen, zu entziehen suchte, sah man es doch an den fremden Soldaten, die hier die französische Uniform repräsentiren mußten, wie unglücklich sie waren; aber gerade die Betrügereien und die Widersetzlichkeiten, welche die Conscriptionen veranlaßten, zwangen die Behörden zu desto strengeren Maßregeln und riefen dann neue Klagen und Beschwerden über Härte und Grausamkeit hervor.


Zu solchen Klagen gaben natürlich am meisten Veranlassung die Douanen–Tribunale und der Prevotal–Gerichtshof. Sie waren erst im October 1810 errichtet, besonders um Napoleons fixe Idee, den englischen Handel zu ruiniren, durchführen zu helfen. Bis zum allgemeinen Frieden sollten sie nur dauern, denn sie sollten mit Ausschluß aller andern Gerichte über alle Sachen, die irgend einen Unterschleif der Zollabgaben zum Gegenstande haben, über alle Unternehmungen derjenigen, die Schleichhandel trieben oder beförderten, alle Verbrechen und Vergehen der Angestellten bei den Douanen erkennen. An der Spitze des Gerichts stand der Grand Prévôt; die General–Procureurs waren von Amtswegen verbunden, die Uebertreter der Gesetze zu verfolgen. Die des Verbrechens der Contrebande, der Einführung verbotener Colonial–Waren Ueberführten, wurden zu 4, 5, ja 10jähriger Zwangsarbeit mit Ausstellung am Pranger und Brandmark bestraft, ja, zwei, die sich zur Wehr gesetzt, wurden zum Tode verurteilt. Erinnern wir uns, wie stark der Schmuggelhandel schon vor der Einverleibung der Stadt ins französische Reich war; wie lockend er jetzt ward durch den außerordentlichen Gewinn, den er abwarf, wie durch die Leichtigkeit, mit der die Douaniers zu bestechen waren, so ist die Empörung leicht zu erklären, welche der Prevotal–Gerichtshof vor Allen hervorrief.

Aber der Druck ward immer stärker, die Hoffnung der Rettung immer schwächer. Viele fanden sich in ihr Schicksal; Abendroth schrieb später: „Wir waren viel weiter gekommen, als an andern Orten.“ In Andern wollte der deutsche Sinn nicht ersterben. Unter denen, die in den traurigen Tagen noch Hoffnungsmuth und Glaubensfreudigkeit sich erhalten konnten, glänzt Friedrich Perthes, ein Mann, der in den schwersten Tagen mit immer neuer Frische sein Geschäft, als Buchhändler, zu heben und für Deutschlands Erhebung zu benutzen gesucht hat, der aber zugleich durch den Briefwechsel, den er mit den bedeutendsten Männern des deutschen Volks unterhielt, die deutsche Gesinnung in Andern wie im eignen Herzen, lebendig zu erhalten trachtete. Der preußische Statsrath Nicolovius schrieb in dieser Zeit an Perthes: „Ihr Muth stärkt mich und macht Sie mir immer von neuem werth.“ Der Dichter Fouqué, der deutsche Ritter Friederich de la Motte Fouqué:,,Ihr Brief hat mich mit Wasser und mit Feuer getauft.“ Perthes hatte aber auch in der Noth seinen Gott und Heiland gefunden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg unter dem Drucke der Franzosen 1806 - 1814