Frankreichs willkürliche Eiverleibung nördlicher Staaten Deutschlands.

Die Einverleibung der Staaten des nördlichen Deutschlands in Frankreich war ein solcher Act der Willkür gewesen, daß alle Fürsten, die mit Napoleon im Bunde standen, erschraken. Dieser gewaltige Schritt geschah, wie es in dem Manifeste heißt, in dem Oesterreich im Jahre 1813 den Krieg erklärte, ohne irgend auch nur scheinbaren Rechtsgrund, ohne Rücksprache mit irgend einem Kabinette; der Beschluß, schon an und für sich beunruhigend für alle benachbarten Staten, wurde es noch mehr, als unverkennbare Vorbedeutung künftiger, größerer Gefahr. Bis dahin hatte der Despot doch immer wenigstens einen Vorwand gesucht; aber diesmal hatte er die That nur,,als durch die Umstände geboten“ angegeben. Der Kaiser von Rußland vor allen nahm das Decret sehr übel; der Herzog von Oldenburg gehörte zu seinem Hause. Napoleon nahm zwar die Miene an, als handle es sich nur einfach um einen Gebietswechsel; und fügte bei der Mitteilung des Geschehenen in Petersburg die Zusage bei, den Herzog von Oldenburg anderswo zu entschädigen. Aber Alexander sah die Entziehung des Gebiets seines Verwandten als eine persönliche Beleidigung an und von diesem Augenblick an begann der Bruch beider Kaiser. Freilich dauerten die Verhandlungen zwischen Paris und Petersburg das ganze Jahr 1811 hindurch; aber während derselben wurden auch die riesenhaften Vorbereitungen zu dem großen Kriege getroffen. Die Festungen an der Elbe, Oder, Weichsel wurden mit Truppen angefüllt. Der Prinz von Eckmühl hatte schon, ehe er Befehl erhielt, vorwärts zu gehen, längst angefangen, für seine Rechnung Vorräthe von Zwieback, Kaffee, Zucker, Taback, Wein anzuschaffen, um solche durch sein eignes Gespann nachkommen lassen und unabhängig darüber verfügen zu können, damit er auch seinen Officieren davon mittheilen könne. Er sorgte immer für seine Truppen und war sehr vorsichtig bei der Disposition über die Zufuhren für sein Armeecorps. Im Februar 1812 kam er nach Pommern, sogleich nahm er eine feindliche Stellung gegen die Schweden an. Der Kronprinz von Schweden, sein früherer Waffengefährte Bernadotte, war zwar einst sein Freund gewesen; doch in der Schlacht bei Jena und Auerstädt hatte Bernadotte ihn im Stich gelassen, um ihn in Verlegenheit zu bringen, und dann selbst die Lorbeeren zu ärndten. Doch das war es nicht, was Eckmühl jetzt bewog, Schwedisch–Pommern sogleich als Feindesland zu behandeln; er sandte den Präsidenten von Wettersted sogleich als Gefangenen mit seinen Papieren an die General–Polizei–Direction nach Hamburg. Bei dieser war unter d'Aubignosc eine eigne Section eingerichtet, um genaue Erkundigungen einzuziehen, welche inneren Vorkehrungen in allen fremden Ländern von den Regierungen veranlaßt würden, wie die Stimmung der Völker sei u. dgl. Ein sehr geschickter Dechiffreur war angestellt, die interessanten Briefe zu öffnen. Ein höherer Beamter bekam alle verbotenen fremden Zeitungen, Pamphlets aus England, Dänemark, Schweden, Rußland; alle Rapporte der französischen Agenten des In- und Auslandes u. s. w. Täglich mußte er einen Bericht über die Situation politique mit dem Gouvernements–Estafette nach Paris senden. Der Polizei–Minister Savary, Herzog von Rovigo, wollte und mußte Alles wissen, um nicht hinter der Cabinetspolizei des Kaisers zurückzustehen, denn beide dienten dem Kaiser zur Controlle. In Gothenburg, in Petersburg, auf Helgoland gingen damals die Handelsgeschäfte mit England lebhaft; viele hanseatische Häuser waren dort etablirt; die Familienbriefe, die sie nach Hause sandten, wurden benutzt von der Polizei. Man merkte, wie das Continentalsystem in Schweden und Rußland nicht mehr strenge beobachtet wurde. Es schienen politische Unterhandlungen angeknüpft zu werden. Aber der Kronprinz von Schweden schrieb Briefe an Napoleon voll persönlicher Ergebenheit. Man sah sich vor. Am 28. Februar erklärte der Herzog von Bassano, der Minister des Auswärtigen, dem schwedischen Gesandten, Norwegens Besitz sei dem Könige von Dänemark durch Frankreich gewährleistet. Bernadotte suchte Norwegen zu gewinnen, und wandte sich, um dies zu erreichen, bald an Napoleon, bald an Alexander, bis er zuletzt sich Rußland anschloß.

Indessen hatte Napoleon am 24. Februar 1812 das Bündniß mit Preußen geschlossen, nach welchem der König 20.000 Mann und 60 Geschütze marschfertig nach Rußland stellen sollte; der Vertrag mit Oesterreich folgte bald darauf. Der Prinz Eckmühl bekam den Oberbefehl über das erste Armeecorps; er besetzte Marienburg, Thorn, Danzig, Pillau. Der Kaiser kam nach Dresden, nahm die Huldigungen seiner Vasallen entgegen; auch die Monarchen von Oesterreich und Preußen mußten ihn begrüßen. Doch bald ging's weiter nach Rußland. Am 28. Juni traf Napoleon in Wilna ein, am 28. Juli erreichte die große Armee Witebsk. Die Bulletins verkündeten den staunenden Völkern Siegesjubel; aber die Marschälle sahen mit Grauen, was geschah. Nach jeder gewonnenen Schlacht waren die Feinde, wie verschwunden; selbst das volk- und viehreiche Lithauen war verödet und ausgeleert. Napoleon hielt einen großen Kriegsrath; er wollte zuerst hier bleiben, das alte polnische Gebiet zu organisiren, hier Winterquartir machen; die meisten Offiziere stimmten zu; Murat wies darauf hin, wie Polen dann 6.000 Reiter zur Avantgarde werde liefern können; Napoleon wurde immer unruhiger. Da sagte Davoust: ,,Euer Majestät haben noch nie etwas halb getan; in Moskau werden wir Ersatz für Alles finden.“ Napoleon sprang auf, endete die Sitzung indem er rief. „Sei es, wir gehen nach Moskau!“ Am 13. August wurde aufgebrochen. Am 7. September fand Napoleon endlich die russische Armee von Kutusow in der Nähe des Ortes Borodino, an der Moskau, in Schlachtordnung aufgestellt; 250.000 Mann waren hier auf engen Raum zusammengedrängt mit 1.200 Geschützen. Tapfer wurde auf beiden Seiten gekämpft. Kutusow schlug zweimal den Angriff zurück. Da hieß es unter den Truppen: „Les chapeaux galonnés en avant!“ Die Generäle, die Marschälle traten an die Spitze; die Schlacht ward gewonnen; die Todten aber hat man nicht gezählt; doch 7 Generäle und 40 höhere Offiziere blieben auf dem Kampfplatz. Es war „la bataille des Généraux! Allein auch Kutusow, der das Schlachtfeld verlassen hatte, schrieb seiner Armee den Sieg zu. Er ließ in Moskau Danklieder anstimmen. Um so bitterer sahen sich die Einwohner getäuscht, als Kutusow dennoch die Hauptstadt selbst preisgab. Am 14. September zog Napoleon in Moskau ein; aber in das entleerte, das brennende Moskau. Der Gouverneur, Graf Rostopschin, wollte die Hauptstadt lieber vernichtet, als in Feindes Hand sehen. Er ließ seinen Palast zuerst anzünden, und entzündete dadurch in der Masse der Bevölkerung eine wilde Gluth der Rache. An vielen Stellen der Stadt zugleich schlugen die Flammen empor; die Feuerspritzen waren vernichtet; die Einwohner dachten nur an die Flucht. Napoleon hatte in Moskau auf den Frieden gerechnet, er hatte sich getäuscht; die Russen wollten nicht Frieden; am 18. und 19. October 1812 mußte Napoleon von Moskau aufbrechen.


Es ist uns jetzt bekannt, wie furchtbar für die Franzosen der Rückzug war; auch das 127. Regiment, zu dem die Conscribirten aus Hamburg gehörten, wurde fast ganz aufgelöst; die erschreckliche Kälte, die am 7. November bis zu 18 Grad stieg, machte noch größere Lücken, als die Kosacken und die andern Russen, die nicht auhörten, die Eilenden zu verfolgen. Der Prinz von Eckmühl schrieb, als er endlich, verkleidet, in Gumbinnen angekommen war, an seine Gemahlin, er habe vom 14. bis zum 27. November, von Smolenzk bis zur Beresina, von Pferdefleisch gelebt, und des Nachts ein oder zwei Pferden den Bauch aufschlitzen lassen, um sich hineinzulegen, damit er sich durch die animalische Wärme vor dem Erfrieren bewahre. Vor Krasnoe waren seine Truppen mit einem Corps des Prinzen von der Moskau, Marschall Ney, handgemein geworden. Während eines gräßlichen Sturmes und Schneegestöbers hatten beide Corps ihre Route verloren; herumschwärmende Kosacken hatten sie getäuscht; die Nacht war dazu gekommen; jedes Corps hatte das andere für ein russisches gehalten und auf dasselbe kanonirt. Von 100.000 waffentragenden Soldaten kamen an die Beresina keine 12.000. Neue Truppencorps stießen hier zu ihnen; noch einen Sieg konnten sie erringen; aber am 28. November trat die Kälte mit neuer Kraft ein und stieg in der ersten Woche des Decembers bis 25 Grad. Am 6. December war es ein Haufe in Lumpen gehüllter, kranker, hungernder Pilger, der in Wilna ankam. Noch ahnete man in Hamburg damals nicht, was geschehen war. Siegesnachrichten brachten für die Deutschen immer neue Trauerbotschaften. Gerade am 6. December wurde ein Tedeum in den Kirchen gesungen zur Feier der Einnahme von Moskau. Erst zwischen dem 13. und 15. bekamen die Behörden die Nachricht von Napoleons Ankunft – in Dresden. Allerdings hatten sie da schon aus den fremden Zeitungen, aus den aufgefangenen Briefen und, vor Allem, aus dem langen Schweigen Napoleons die ersten Ahnungen empfangen, daß es in Rußland schlecht stehe; aber wer hätte sich die Wahrheit von dem, was vorgefallen war, träumen lassen? Endlich bescheerte der heilige Christ der Stadt das 29. Bulletin als eine köstliche Weihnachtsgabe für Alt und Jung. Dies Bulletin hatte Napoleon am 3. December ausgegeben. Ohne die ganze Wahrheit zu sagen, enthielt es Schreckliches genug, um die Wahrheit erkennen zu lassen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg unter dem Drucke der Franzosen 1806 - 1814