Ein Jugendfreund von Buonaparte.

Hamburg war inzwischen von Napoleon durch die Sendung des Herrn von Bourrienne beglückt. Er war ein Jugendfreund von Buonaparte gewesen, hatte in Leipzig studirt; 1797 war er Buonaparte's Privat–Secretär geworden und hatte ihn nach Italien, Aegypten begleitet; er war ein feiner, gebildeter Mann, aber für wichtigere Posten nicht zu gebrauchen. Da er aber sehr Vieles von Napoleon wußte, was verschwiegen bleiben mußte, wollte der Kaiser ihn zum Freunde behalten. Er gab ihm im Mai 1804 die Gesandtschaftsstelle im niedersächsischen Kreise, die Reinhard bis dahin bekleidet hatte; eine Stelle, die Bourrienne's Geldliebe befriedigen konnte. Es war leicht vorauszusehen, daß durch die beabsichtigte Kontinentalsperre die ausgedehnteste Schmuggelei einer Handelstadt wie Hamburg notwendig ward, wenn nicht aller Handel aufhören sollte. Diese wurde durch einen Mann, wie Bourrienne, gefördert, er ließ sich durch bedeutende Summen erkaufen, und alle größeren Handelshäuser mußten ihm kommen.

Unter den verwickelten Verhältnissen, unter welchen er herkam, arbeitete Bourrienne dahin, die Hansestädte zu bewegen, nicht mit Preußen sich einzulassen. Die Deputirten der Städte kamen am 15. October in Lübeck zusammen, und gaben eine Antwort, „die mehr als kalt“ war. Es sollen noch im September 1806 150.000 Frcs. für geheime Geschenke ausgegeben sein.


Nun hörten die Verhandlungen Napoleons mit England auf; England näherte sich Preußen; da ließ Napoleon die Hansestädte besetzen. Der Moniteur erklärte: Die Hansestädte, welche seit langer Zeit die Lust Preußens erregt haben, verdanken Frankreich ihre Unabhängigkeit. Sie sind die Niederlagen des europäischen Handels; aber bis der Handel zum gemeinsamen Eigenthum der Völker wird, ist es von Wichtigkeit, daß die Hansestädte unter dem Schutz und der unmittelbaren Ueberwachung derjenigen Macht stehen, welche berufen ist, den Handelsdespotismus zu zerstören. Am 20. November 1806 erließ Napoleon von Berlin aus das Decret, durch welches allen Schiffen, die in Frankreich unterworfenen Häfen einlaufen wollten, die Berührung der englischen Küsten untersagt, jeder Engländer zum Kriegsgefangenen erklärt, aller brieflicher Verkehr mit Großbritannien verboten, alles englischen Unterthanen zuständige Gut, sowie jede aus englischen Fabriken, Manufacturen und Colonien kommende Ware für französisches Eigentum erklärt wurde.

Der Eindruck, den diese Maßregeln in Hamburg machten, war fürchterlich. Ich glaube, schrieb ein hamburgischer Rathsherr an Carl von Villers, der ihn für das unglückliche Lübeck in Anspruch nehmen wollte, ich glaube, es ist Alles für uns verloren, gänzlich verloren und für immer! Eine enorme Anzahl von Soldaten, die bis jetzt sich noch jeden Tag vergrößert; Forderungen, unzählige und im wahren Sinne des Wortes nicht zu erfüllende; nächtliche Arrestationen und Angst für die persönliche Sicherheit. Ich will mich gern bereden, daß in allen diesen Schreckensmaßregeln Uebertreibungen sind; wenn man die Drohung bis auf das persönliche Eigenthum, bis auf unsere Bank treibt, will ich an die moralische Unmöglichkeit solcher Maßregeln glauben. Aber wer wagt es, nach dem, was man sieht, für das, was geschehen kann, einzustehen. Die Angst für unsere politische Existenz, für unsere Verfassung, ist in diesem Augenblick untergeordnet. Ich halte sie unwiderruflich verloren; aber man wagt noch nicht davon zu sprechen. In der furchtbaren Krise, in der wir uns befinden, ist jedes Gefühl egoistisch, Man fragt sich, ob man für den andern Tag noch Brod für die Kinder hat.

Noch ehe Bourrienne das Decret aus Berlin notificirt hatte, hatte schon das französische Gouvernement hieselbst einen Befehl erlassen, alle Documente über in Händen habende Gelder und Waren, die aus England herrührten, innerhalb 24 Stunden anzugeben, bei Androhung militärischer Ahndung jedes Unterschleifes. Ja, am 23. die Angaben hätten dem Marschal noch nicht genügt, binnen 48 Stunden müsse jeder bei dem Revue–Inspector Bremen seine Angabe protocollarisch wiederholen, dann würden Haussuchungen und militärische Strafen eintreten. Der Senat berief deshalb am 27. November die Bürgerschaft, und es wurde eine Commission niedergesetzt, um wo möglich das auf die hier declarirten englischen Waren gelegte Sequester aufzuheben. Die Unterhandlungen zogen sich sehr in die Länge; der Rath zeigte am 24. August 1807 der Bürgerschaft an, nach einem Schreiben des General–Intendanten Daru gehe die Erklärung des Kaisers dahin, daß für die sequestrirten Waren 16 Millionen Livres bezahlt werden sollten; er schlüge deshalb vor, daß die Kaufleute, die englische Waren declarirt hätten, 30 Prozent von dieser Summe hergeben sollten, der Staat das Uebrige übernehme, weil dadurch sonst eine Menge Familien unschuldig ins Verderben gestürzt würden; die Wegnahme der Waren, welche Auswärtigen gehörten, auch Repressalien gegen Hiesige hervorrufen könnten. Die Bürgerschaft erklärte sich aber zur Zahlung der ganzen Summe bereit, da der Staat Person und Eigenthum zu schützen verpflichtet sei, und sie sich nicht dazu verstehen können, einen Theil der Mitbürger mit einer Contribution zu belästigen. Am 21. September sah sich der Senat darauf genöthigt, die unangenehme Mitteilung zu machen, daß der Kaiser 4 Millionen sogleich, und dann jeden Monat 2 Millionen verlange, bis die 16 voll wären, nicht von der Stadt, sondern von den Besitzern der declarirten Waren. Der Courier, der die Nachricht gebracht, solle die zustimmende Antwort sogleich zurückbringen, oder das Decret müsse in Vollzug treten. Nun war guter Rath theuer. Die Bürgerschaft wollte die Declaranten der englischen Waren nicht in Anspruch genommen haben; das Commercium brachte 3 Millionen; der Rathsweinkeller eine Million auf; später erklärte das Commercium sich bereit, noch eine Million zu verschaffen. Auch die übrigen 9 Millionen Livres oder 4.800.000 Thaler wurden durch Anleihen und auf andere Weise zusammengebracht. Am 30. November wurde der Beschlag auf die englischen Waren aufgehoben.

Das Zusammenbringen der Millionen war um so schwieriger, da durch das Continental–System der alte Handel vernichtet war. Ueber 300 Schiffe lagen abgetakelt im Hafen. Die Asscuranz–Compagnien hatten in den 3 Jahren nach der Besetzung der Stadt einen Verlust von 20 Millionen Frcs. Dazu kam, daß die bleibende Einquartirung unendliche Ausgaben bereitete.

Die Truppen lösten sich in raschem Wechsel ab. An die Stelle der Italiener und Holländer kamen im August 1807 Spanier. Es war unter ihnen das Regiment Princessa, eines der vorzüglichsten Truppencorps, das dem neuen spanischen König Joseph besonders verdächtig war, weil es von Vaterlandsliebe erglühte. Napoleon sandte es deshalb nach dem Norden. Diese Spanier wurden in Hamburg sehr beliebt; sie waren gegen die Hamburger freundlich, vertraulich, mit Wenigem zufrieden; sie schmeichelten sich in den Familien durch ihre Liebe zu den Kindern ein. Wenn sie auf ihren Mauleseln, seitwärts, nach Art der Frauen, sitzend, durch die Straßen zogen, oder auf dem Eise, das ihnen ein ganz neues Vergnügen bot, sich hinlegten, da gaben sie sich gerne dem Lachen der jubelnden Kinder bloß. Aber wenn sie mit französischen Soldaten zusammentrafen, da fanden sie sich leicht beleidigt, und bald sah man sie heftig aufbrausen, ja, den Dolch ziehen, den sie immer bei sich trugen. Dabei hatten sie einen ernsten Zug im Gesichte, der von einem tiefen innern Gram zeugte, und wenn sie nun ihre Nationallieder anstimmten, da brach das Heimweh des Herzens hervor; verstand man auch ihre Sprache nicht, man merkte ihnen an, wie ungern sie die fremde Joch trugen. Ihr Anführer war der Marquis de la Romana, ein Mann, dessen Physiognomie schon höchst bedeutend war. Obgleich freundlich, erschien er vornehm, gebieterisch; seine Unterhaltung überraschte die Hamburger durch seine Bekanntschaft mit der deutschen Literatur; er hatte früher in Leipzig studirt. Er war vorsichtig in seinen Reden, mied namentlich jede Berührung der Politik. Deutlich zeigte er, wie unlieb es ihm war, jemanden zur Last zu fallen; gegen seine Hauswirthe war er äußerst liebenswürdig, und überraschte z. B. die Hausfrau am Weihnachtsabend mit einem kostbaren Schmuck, den sie ihm für eine Dame, die er im hohem Grade ehre, hatte aussuchen müssen. Bei diesen Verhältnissen ist es leicht zu denken, wie traurig die Hamburger bei dem Abzuge dieser Truppen waren, und mit welcher Theilnahme sie von der plötzlichen Entweichung des ganzen Corps von Fühnen aus im August 1808, von seiner Ankunft in Spanien und seinen Thaten in den Guerillas–Kriegen hörten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg unter dem Drucke der Franzosen 1806 - 1814