Bernadotte, General-Gouverneur und Prinz von Pontecorvo.

Als General-Gouverneur war damals Bernadotte, der Prinz von Pontecorvo, hier, der nachmalige König von Schweden. Er war dem Reichsmarschal Brune gefolgt, der am 15. December 1806 vom Kaiser zum General-Gonverneur der Hansestädte ernannt war. Dieser war den Hamburgern lieb gewesen. „Unser Gouverneur hat etwas den Hansestädten Adaequates, schrieb Perthes; „wir behalten ihn lieber, als Einen, doch – wäre besser Keiner.“ Allein er war in Ungnade gefallen, weil er sich den Bestechungen der Schmuggler zugänglich gezeigt. Bernadotte war im Juli 1807 hieher gekommen und gefiel sich im Glanze eines Prinzen und Reichsmarschals. Er bezog das Haus des verdorbenen Senator Günther auf den großen Bleichen (jetzt des Herrn J.H. Schröder). Er war seinem Wesen, wie seiner Geburt nach, ein Gascogner, gutmüthig, scherzend, gerne prahlend, dabei von feinen Sitten. „Er philosophirt gern“, schrieb Perthes an Jacobi 1807. In Lübeck begann er bei einer großen Tafel einen Streit über das Dasein Gottes, das er nicht zu glauben meinte, und als sein Gegner, ein Lübecker, nicht zu überzeugen war, rief er aus: „Wie können Sie für das Dasein Gottes streiten? Gäbe es einen Gott, könnte ich dann hier in Lübeck sein?“ – Sein fürstlicher Hofstat kostete der Stadt viel Geld. Der Prinz erhielt monatlich 1440 Friedrichsd'or Tafelgeld. Man hoffte bei seiner Abreise Erleichterung. Der dänische Obrist von Haffner selbst fühlte, mit welchem Rechte. Er schrieb dem Stadt–Quartirmeister: „Da seit der Abreise Sr. Durchlaucht des Prinzen von Pontecorvo es nunmehr auch entschieden scheint, daß der Herr General Gratien nicht in Hamburg sein General-Quartir haben wird, so habe ich, um nicht der Stadt Hamburg unbillige Kosten zu verursachen, nicht unterlassen wollen, Ew. Hochw. anzuzeigen, daß, besonders seit meiner Ernennung zum Commandanten von Altona, mir kein Absteige-Quartir in Hamburg mehr zukommt und dieses folglich eingeht.“ Als Vicegouverneur kam hieher der General Dupas; er wollte, um nicht eigennützig zu erscheinen, kein bares Geld; aber seine Unterhaltung kam der Stadt doch in 6 ½ Monaten 143.737 Fracs. 9 Gr. zu stehen. Rechnet man dazu die andern Requisitionen, die für die Armee gemacht wurden, wie für Kleider und Lederzeug im Jahre 1807: 2.074.079 Frcs. für 50.000 Capots 1.301.467 Frcs., für Schuh und Strümpfe 423.400 Frcs., dann für Fouragelieferungen 1.968.000 Frcs., für Hospitaldienst 1.984.000 Frcs.; so begreift man wohl, wie Bourienne selbst nach Einsicht der ihm vorgelegten Belege nicht umhin konnte, im November 1809 zu bestätigen, daß die Ausgaben, welche die Einquartirung und Verpflegung der Truppen vom 19. November 1806 bis zum 1. November 1809 veranlaßt haben, sich auf 15 Millionen Frcs. belaufen.

Am Ende des Jahres 1809 verließen die westphälischen Truppen des Generals Bongar die Stadt, nachdem sie 315.000 Frs. erpreßt hatten. Im folgenden Jahre, 1810, schlug zuerst der General Graf Molitor sein Hauptquartir hier auf, ein liebenswürdiger Franzose, von chevalereskem Sinn und Geist, dem der Kriegsruhm seines Kaisers, der, wie er sagte, mit seiner Elegantenkraft Alles, was ihm in den Weg trete, umwerfe, über Alles ging. Ihm folgte am 19. August der Reichsgraf General Morand, der auch sehr freundlich sich benahm, da er fand, daß die Truppen hier sehr gut verpflegt wurden. Am 16. October aber traf der General Compans hier ein, der Chef des Generalstabes des Prinzen von Eckmühl. Er kündete die Ankunft des Marschals an, der hier sein Hauptquartir ausklagen werde, und theilte dem Senat zur Publication einen Tarif mit, nach welchem jedem Officier, was ihm zukomme, werden müsse. Der Prinz wollte dadurch den Prellereien der höheren Officiere, die ihm nicht unbekannt geblieben sein konnten, wohl ein Ziel setzen, aber wie schwer dies hielt, beweist, daß der General Compans selbst, der sonst ein Mann war, gerade wie Davoust, fest und unerschütterlich in dem, was er wollte, den Tarif zu seinem Vortheile von 2.000 Frs. auf 4.000 erhöhte. Dieser General begann auch gleich Anfangs große Summen zu fordern, und wirklich mußte die Stadt erst 100.000, hernach noch 200.000 Frs. für rückständigen Sold zahlen, der ihr, nach der ausdrücklichen Bestimmung des Kaisers, nicht oblag.


Es war natürlich, daß die Stadt die großen Feste, die die Gouverneure am Napoleonstage und bei ähnlichen Veranlassungen veranstalteten, bezahlen mußte; aber das freilich mußte den Hamburgern wehe thun, das z. B. bei Erwähnung der glänzenden Feier des 15. August 1809, im Moniteur hervorgehoben ward, daß Herr von Bourieune 3.000 Bco. den Armen der Stadt gegeben habe, da er von der Stadt, was nicht gesagt war, 15.000 Bco. zur Ausstattung des Festes erhalten hatte.

Allein der Verlust des Geldes war das Schwerste nicht, was die Besetzung der Stadt durch fremde Truppen über die Einwohner brachte. Bei der Vermehrung der Einquartirung war schon im August 1807 befohlen, daß fremde Officiere nicht mehr in Wirthshäuser ausquartirt werden sollten, weil die Gasthöfe für die ankommenden oft kaum Platz böten; ja, am 2. September, daß auch die Bewohner der Buden, Sähle und Keller mit Einquartirung belegt werden müßten. Das war der Ruin der alten Zucht und Ordnung in den niederen Familienkreisen, die leichtfertigen französischen Grundsätze kamen unters Volk; Religion und Sittlichkeit ward nun auch dort verspottet, wie sie bei den vornehmeren Ständen schon längere Zeit untergraben, ja verschwunden waren. Es ist entsetzlich, wie wenig die schweren Zeiten in Hamburg das höhere Leben erweckt haben, wie die Immoralität deshalb immer größer geworden ist. Aber unbegreiflich ist es freilich nicht. Nachdem der Glaube an die Wahrheit des geoffenbarten Wortes Gottes am Ende des vorigen Jahrhunderts so erschüttert und verspottet war, mußte auch das Volk es bald erfahren, daß die Gebildeten in ihrer Aufklärung ihren Gott verloren hatten. Die Witzeleien des eitlen Verstandes schmeichelten ja der Eitelkeit. Die trivialen Wahrheiten, die ihnen statt Gottes Wort in den Kirchen geboten wurden, mußten sie langweilen; die Moral der Selbstsucht braucht der Mensch nicht erst zu lernen; die Kirchen wurden immer leerer, wenn man auch eine nach der andern eingehen ließ (1805 den Dom, 1807 Marien Magdalena, 1806 die Hiobskirche), um die andern zu füllen, wenn man auch die Zahl der Gottesdienste verminderte und, indem man die Liturgie auf unsinnige Weise veränderte, zu verkürzen suchte. Um den Unterricht im Christenthum kümmerte man sich immer weniger; die Hauptaufgabe wurde ja zu trachten nach den Gütern dieser Welt, da wurde die Gerechtigkeit vergessen; wie sollten nicht in Zeiten solcher Noth, und Bedrängniß, wie sie damals eintraten, die Armen, wie die Reichen nur dahin gestrebt haben, auf alle Weise sich zu bereichern. Und wenn Viele aus den ärmeren Classen, in ihrem Broderwerb gestört, bald ihre Freude im Schmuggeln fanden, ja, wenn sie noch kräftig waren, ihre Dienste den Franzosen verkaufen, als Zöllner auf die abscheulichste Weise Spionage und Angeberei trieben, hatten sie nicht das Beispiel der Wohlhabenderen, Gebildeten, namentlich der sie bedrängenden Feinde vor Augen?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg unter dem Drucke der Franzosen 1806 - 1814