Vertrag zwischen Preußen und Russland.

Unbeschreiblich war der Eindruck, den diese Nachricht, wohin sie kam, hervorrief; die Kleinmütigen richteten sich wieder auf; die Verräther knirschten und hohnlächelten; die Bewunderer Napoleons traueten ihren Augen nicht. Hatte Davoust selbst doch gesagt, ehe er nach Rußland zog. „Mein Kaiser hat gesiegt, wo es Wunder war, zu siegen. Jetzt würde es ein Wunder sein, wenn er nicht siegen würde; die ganze Welt ist nun sein.“ Aber der Herr, der da Wunder thut, der hatte auch hier beweisen wollen, daß Er den Hochmüthigen widersteht! – Bald folgten den Geständnissen des Kaisers die lebendigen Zeugen; flüchtende Generäle, Beamte, Soldaten, abgezehrt, krank, verkrüppelt; ein kleiner Rest eines baierschen Dragoner–Regiments, der sich hier remontiren sollte. Die französischen Behörden konnten ihre Aengstlichkeit nicht verbergen; sie hatten schon früher von der Verbindung Alexanders mit Schweden, seiner Zusammenkunft mit dem Kronprinzen gehört; die Unterhandlung mit den Preußen waren ihnen auch nicht unbekannt geblieben. Im Januar 1813 bestand die französische Besatzung in Hamburg aus wenig mehr, als 3.000 M. In den ersten Tagen des Februars erschien der neue General–Gouverneur Lauriston und nahm noch den größten Theil dieser Truppen nach Magdeburg. General York war mit seinem Corps zu den Russen übergegangen. Die Franzosen glauben wohl, daß Napoleon, der in Paris angekommen gleich wieder die Rüstungen begann, den König von Preußen am Abfall hindern werde; allein Friedrich Wilhelm III. verließ am 22. Januar Berlin und nahm seine Residenz in Breslau. Am 3. Februar erscholl der Ausruf an die Jugend zur freiwilligen Bewaffnung; aber – der Feind war noch nicht genannt. Henrich Steffens, der Norweger, hatte zuerst den Muth in öffentlicher Rede, als Professor der Universität, den Namen auszusprechen. Der König zögerte noch, dem Drängen seines Volkes nachzugeben. Am 27. Februar kam Stein nach Breslau; am 28. kam der Vertrag zu Kalisch zwischen Preußen und Rußland zu Stande.

Dies war in Hamburg kein Geheimniß; die angestellten Berliner selbst nahmen Pässe und erhielten sie auch. Die Ungeduld des Volkes wurde immer größer; mit der Hoffnung, daß die Stunde der Befreiung endlich schlagen würde, wechselte die Furcht, daß Napoleon sich hier, in Hamburg, einen Stützpunkt zu neuen Operationen möchte bilden. Mettlerkamp, der, als Bleidecker, mitten im Volke lebte, und sah, wie die Keckheit gegen die Unterdrücker mit jedem Tage stieg, und das Volk dem Feinde keine Zeit lassen wollte, alle geraubten Schätze wegzubringen, sammelte in der Stille eine Anzahl kräftiger, tüchtiger Leute, meist Handwerker, um sich in verschiedenen Localen, namentlich in der Vorstadt St. Georg, in den Waffen zu üben. Bald wurde er mit dem Dr. von Hefs bekannt durch Friedrich Perthes, dem er schon in seiner Vaterlandsliebe begegnet war. Perthes, der das Vertrauen zu Gott nie verloren hatte, sah jetzt die Zeit kommen, in der das ganze deutsche Vaterland einmüthig sich erheben werde, das Joch des Drängers abzuschütteln und als ein großes Volk sich zu erheben. In diesem Geiste verachtete er das ihm zunächst liegende nicht; er nährte in seiner Umgebung den deutschen Sinn; er suchte zusammen zu führen, die in ihrem Hasse gegen die Feinde den Muth, zur Rettung beizutragen, nicht verloren hatten. Aber berufen, wie er sich fühlte, zu höherem Wirken durch die Verbindung, in die er durch seine Vaterlandsliebe mit den edelsten Männern Deutschlands gekommen war, wandte er sich an einen Fürsten mit dem Wunsche, sich an die Spitze der Erhebung des Volkes in Norddeutschland zu stellen. Es war der Herzog von Oldenburg, den er sich dazu ersehen. Hatte dieser doch selbst sein Land, das Erbteil seiner Väter, wieder zu gewinnen, und dazu an dem Kaiser von Rußland, der jetzt Deutschlands Gränzen nahte, eine Stütze. An diesen richtete Perthes seine Aufforderung, indem er in einem Manifeste ihm seinen Plan vorlegte. „Immer hat der Deutsche“, heißt es in diesem, „seine Fürsten geliebt. Diese Liebe ist jetzt noch da und sucht mit Inbrunst ihren Gegenstand. Allgemein ist die Hoffnung und der Wunsch auf Sie, durchlauchtigster Herzog, gerichtet, der sein Land, wie Keiner, glücklich machte, der deutsche Art und Kunst würdigte, und die Ehre rettete, indem er der Gewalt mit hoher Würde wich. – Der Fürst, der jetzt sich den Deutschen hingibt, kann mit Zuversicht auf die Nation rechnen. Wenn in diesem Augenblick eine auch nur kleine Anzahl Truppen in unserer Gegend auftritt, geführt von einem braven deutschen Fürsten, der sich einige Männer unbescholtener und bekannter Namen aus dem Adel und dem Bürgerstande beigesellt, so steht Alles zur Unterstützung auf, und Deutschland wird mit Gottes Hülfe allein, durch sich selbst frei, bis an den Rhein!“


Perthes reiste den 21. Februar ab, um diese Schrift mit dem Grafen Adam Moltke auf seinem Gut Nütschau zu besprechen. Durch diesen kam sie in die Hände des Herzogs. Ein ähnliches Memorial, in dem die Lage des herrenlosen Norddeutschlands ausführlich dargestellt ward, wurde dem russischen Ministerium mitgeteilt. Auch begaben sich auf den Rath eines in der Nachbarschaft befindlichen russischen Diplomaten, von Struve, Männer, die bedeutenden Einfluß jenseits der Elbe hatten, nach England, um das englische Ministerium mit der Lage der Dinge bekannt zu machen. Als Perthes aber von seiner Reise in Holstein heimkehrte, fand er den Zustand von Hamburg sehr verändert.

Die Widersetzlichkeit des Volkes gegen seine Unterdrücker hatte sich ganz insbesondere gegen die Douaniers geäußert. Die Thore, namentlich das, welches nach Altona führte, waren stark verpallisadirt; man konnte nicht auf geradem Wege in die Stadt kommen; der Weg schlängelte sich hiehin, dahin; der Durchweg durch die aufgeworfenen Schanzen war enge; man mußte sich oft durchdrängen, namentlich bei den Wachen und Häusern, wo die Douaniers standen. Denn das Schmuggeln hatte immer zugenommen. Bei der Geschäftslosigkeit in der Stadt zogen ganze Scharen von Männern, Frauen, Kindern nach Altona, um Kaffe, Zucker u. s. w., zuweilen im Munde, in den Stiefeln, durchs Thor zu bringen. Innerhalb des Walls warteten schon Andere, die das Durchgebrachte in Empfang nahmen, sammelten, verkauften. Die Douaniers sollten aufpassen, daß nichts Unerlaubtes durchpassire; sie hatten große Macht; sie visitirten die Verdächtigen, oft auf eine unschickliche Weise, selbst anständige Damen. Oft war ihr Betragen empörend. Komische Scenen fielen auch dabei vor. Einst kam z. B. der ernste Professor Dr. Grohmann feierlichen Schrittes von einem philosophischen Spaziergange zurück durchs Thor; dem Douanier fallen seine dicken Rocktaschen auf; er untersucht ihn und findet mehrere Bücher, unter andern Kantus „vom ewigen Frieden“ – „leider die verunglückte Hypothese“, setzt Grohmann hinzu, da er die Geschichte selbst erzählt. – Der Douanier läßt sich den Titel übersetzen. „Vom Frieden? Ach, das ist Nichts!“ rief er, und läßt ihn gehen.

In der letzten Zeit waren die Douaniers natürlich sehr aufgeregt durch den Hohn und Spott des Volks, daß sie zu hintergehen suchte. Mit Gewalt drängten die Schmuggler durchs Thor, in großen Haufen. Denn die Macht der Franzosen zum Schutze der Zöllner war sehr geschwächt. Lauriston hatte nur 4–500 Soldaten hier gelassen. Der General Cara St. Cyr, der Stadt–Commandant, wie der vielthuerische, nichtsnützige General Ivendorf, erkannten sehr gut das Gefährliche ihrer Lage; sie konnten ihre Unruhe nicht verbergen durch das Schwankende und Unsichere ihrer Haltung. Nicht einmal die Wachen waren mehr zu besetzen; die Nachtwächter mußten zu Hülfe genommen werden. Die Municipalität hatte schon den Vorschlag gemacht, die alte Bürgerwehr wieder zusammenzurufen. Gerade am Morgen des 24. Februars berieth der Präfect, der immer für Hamburgs Wohl bemüht war, dies mit dem Maire. Da plötzlich brach ein Aufruhr los. Es war schon früher hier eine Präfecturgarde von den Franzosen errichtet; Söhne angesehener Eltern traten gerne in dieselbe, um dadurch von der Conscription sich zu befreien; sie glaubten nicht anders, als daß sie nur als Ehrengarde des Präfecten dienen müßten und nicht außerhalb des Elbdepartements verwandt werden sollten. An dem genannten Tage sollten aber zu ihrem Entsetzen einige von ihnen nach Harburg übergeschifft und nach der Armee gesandt werden. Das Volk, das am Hafen Zeuge davon war, wie sie sich sträubten, sammelte sich, nahm ihre Partei. Zugleich sah es, wie beim Hauptdepot der Douane, beim Hafen, gerade bares Geld in Fässer gepackt wurde, um mit eingeschifft zu werden. Das regte die Menge noch mehr auf. Nun kam noch ein Zug von Menschen vom Altonaerthor. Hier war ein Douanier, wie es hieß, grob gegen ein Mädchen gewesen; dies war das Signal geworden zum Angriff gegen die Zöllner; die schwache Wache war zurück gedrängt; das Zollhaus zerstört. Abendroth, sobald er von dem Lärmen hörte, eilte sogleich selbst nach dem Hafen; er hoffte, durch sein Ansehn beim Volk die Gemüther etwas zu beruhigen. Leider waren in dieser Masse aber gar viele, die ihn als Magistrat schon hatten fürchten gelernt; dazu kam, daß ein sehr verhaßter Polizei–Commissär, Nohr, sich zu ihm gesellte; er selbst wurde insultirt und konnte sich nur durch die Flucht in das Haus eines Freundes retten; Nohr wurde arg mißhandelt; das Volk begleitete ihn nach Hause, nach dem Pferdemarkt, und plünderte sein Haus. Aus allen Höfen und Gängen kam neuer Zuwachs des Getümmels; die französischen Adler, – die Aasvögel, wie sie genannt wurden, – wurden abgerissen von den Wachen, den vielen Lotterieschildern, den öffentlichen Gebäuden. Ein Hanse drang in das Tribunal erster Instanz; hier sollten grade die Conscriptionspflichtigen loosen; sie wurden befreiet und im Jubel mitgenommen. Die französischen Beamten wurden in ihren Häusern durch Zischen und Pfeifen verhöhnt; die Nachtwächter und Officianten gutmüthig gebeten, ihre Cocarde abzunehmen; nur ein Douanier wurde auf dem Rödingsmarkte über das Geländer der Brücke ins Wasser geschmissen, sonst sollen keine persönliche Mißhandlungen später am Tage vorgefallen sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg unter dem Drucke der Franzosen 1806 - 1814