Sechster Spaziergang in und um Altona

Viele wollen behaupten, dass Altona ein weit bedeutender Ort sein würde, wenn es nicht so nahe an Hamburg grenzte, und dass des letztern Größe und Reichtum dem kleinern Altona bei jeder Gelegenheit schade, ihm auch seine Überlegenheit zuweilen merklich genug fühlen lasse.

Ich denke nicht so, im Gegenteil glaube ich behaupten zu können, dass Altona weniger angenehm sein würde, als es gegenwärtig ist, wenn nicht das größere und volkreichere Hamburg seine so nahe Nachbarin wäre.


„Ich will nicht einmal erwähnen, dass es den Altonaern frei stehe, in Hamburg auf und außer der Börse eben so gut Geschäfte zu machen, als den Eingebohrnen, und dass also in merkantilischer Hinsicht der Vorteil, den Altonas Bürger von Hamburgs Wohlstand der Handlung ziehen, sehr beträchtlich ist; aber auch das Angenehme der Lebensart haben Einheimische und Fremde in Altona, der nahen Nachbarschaft Hamburgs vorzüglich mit zu verdanken.

Traurig würde es im Sommer in Altonas vorzüglichsten Straßen, auf seinen Spaziergängen? in seinen Belustigungsörtern und den angenehmsten Gegenden außerhalb der Stadt aussehen, wenn nicht Hamburger einen großen Teil der Besuchenden ausmachten. Die schönen Anlagen von Ottensen an bis Dockenhuden, die meisten der Land- und Gartenhäuser, die man auf diesem Wege rechts und links antrifft, und die ich künftig auf meinen Spaziergängen nach und nach zu beschreiben gedenke, rühren fast einzig von Hamburgern her.

Ich würde dieses nicht so geradezu sagen, wenn ich als Fremder besorgen müsste, durch so aufrichtige Schilderung, die Eigenliebe der Altonaer' auch nur im mindesten zu beleidigen; aber diese Besorgnis wäre vergebens; denn ich wünschte nichts mehr, als den Charakter der Altonaer von allen Fehlern eben so, als von dem einer so überspannten Eigenliebe freisprechen zu können.

Eigenliebe, wenn sie nicht überschritten wird, ist mit Patriotismus verschwistert, und von lezteren finden sich in Altona nur gar wenige Spuren. Ich habe wenigstens bei meinem Aufenthalte und auf meinen Spazziergängen manche Fülle bemerkt, die mich davon deutlich genug überzeugten. Es sei mir vergönnt, ein literarisches Beispiel anzuführen.

Altona hat gegenwärtig zwei Buchhandlungen, die Hammerich- und Bechtoldsche Buchhandlung, denn Herr Vollmer befindet sich auf Reisen, und dennoch werden hier, was Journale oder andre neu herauskommende Schriften betrifft, wenige Bestellungen gemacht, die Freunde der Lektüre lassen sich ihre Bücher aus Hamburg kommen. Ich sah öfterer auf meinen Spaziergängen die sogenannten Läufer der Hamburger Buchhändler mit großen Packen unterm Arm in die Häuser der Vornehmen gehen, und erfuhr zu meinem Erstaunen, dass solche Journale, gelehrte Zeitungen, oder andre Novitäten zu bringen pflegten. Das sind keine guten Mäcenaten, dachte ich, die ihre Mitbürger vorbeigehen, und courante Waren, die sie eben so gut und wohlfeil von diesen bekommen können, sich von Ausländern zubringen lassen.

Es könnte der Fall sein, dass ein Altonaer mit einem Hamburger in besonderer freundschaftlicher Verbindung stehe, und die Sache würde dann, eine Ausnahme leiden, aber ich erinnere mich, dass mir selbst ein hamburger Buchhändler erzählte, er habe in Altona einige dreißig solcher Bücherfreunde, denen er alle Schriften, die sie gebrauchen, selbst die sie als Speditions-Artikel weiter verschicken, zu liefern pflegt, und mit alle denen wird er doch wahrscheinlich nicht in freundschaftlichen Verhältnissen stehen?

Meine Bemerkung schränkt sich nicht bloß auf den Buchhandel ein, sie trifft fast alle Teile der Handlung; denn es ist z. B. eine allgemeine Klage der Altonaer Galanteriehändler, dass selbst die Damen ihre Galanterie, Bedürfnisse sich lieber aus Hamburg bringen lassen, oder wohl gar auch die Unbequemlichkeit nicht scheuen, einen hamburger Galanterie-Laden zu besuchen, obgleich sie wissen, dass diese Waren eben so gut und wohlfeil in ihrer Vaterstadt zu bekommen ist.

Wenn das wahr ist, und ich habe keine Ursache in erzählte Tatsachen ein Misstrauen zu setzen; so wäre der gerügte Mangel an Patriotismus gar nicht zu bezweifeln, und die Denkungsart der Altonaer wäre in diesem Punkte von den Hamburgern gar merklich verschieden.

Ein Spaziergänger kann freilich wohl zuweilen sehen, wie hamburger Bürger der geringem Klasse zur Karpfenzeit besonders, sich einige Fische aus Altona holen. Dennoch werden sie oft genug für diese kleine Verletzung des Patriotismus hart gezüchtigt; denn im hamburger Tore lauert man ihnen gewöhnlich auf, und straft sie auf der Stelle durch Konfiskation der Ware.

Obgleich viele Produkte, besonders Brod und Fleisch, in Altona wohlfeiler als in Hamburg sind; so besitzt doch der Bürger der Mittelstandsklasse zu vielen Stolz — im Fall man es nicht Patriotismus nennen wollte — einen dergleichen Schleichhandel zu treiben, ja, er behauptet, dass seine vaterländischen Produkte besser sind, als die der Ausländer, und würde es für seinen Bürgerruf entehrend halten, wenn er ein Altonaer Produkt, bloß des wohlfeilern Preises wegen, vorziehen sollte.

Eine so auffallende Verschiedenheit in den Charakterzügen der Bewohner zwei so nah neben einander gelegenen Städte ist in, der Tat bemerkungswert, und gäbe einem scharft sinnigen Beobachter hinreichenden Stoff, den Grund dieser Verschiedenheit aufzusuchen.

Ich habe schon oben bemerkt, dass die vorzüglichsten Anlagen, die man auf dem Wege von Ottensen nach Dockenhuden bemerkt, Hamburgern gehören, und auch hieraus wäre auf die Verschiedenheit der Charaktere beider Städte-Bewohner zu schließen. Der vermögende Hamburger siedelt sich gern selbst im dänischen Gebiete an, wenn er glaubt, dass ihm seine Anlage Vergnügen gewährt oder Ruhm verschafft. In dieser Rücksicht spart er kein Geld um schön zu bauen, und in Garten-Anlagen der Natur durch Kunst zu Hilfe zu kommen. Er baut geschmackvoll, und wenn er sich nicht ganz auf eignen Geschmack verlassen kann, so zieht er Bauverständige zu Rate, ohne ängstlich zu fragen, wie hoch wohl die Kosten ausfallen werden, denn das gilt ihm ziemlich gleich, wenn er nur seinen Zweck erreicht. Der Altonaer denkt in dieser Rüksicht weit ökonomischer. Er baut auch, aber weit lieber kauft er Plätze zu Haus und Garten in der Stadt, in der Hofnung, dadurch seine Revenuen zu vergrößern, und das ist auch wahrscheinlich der Grund, warum die Elbgegend hinter Ottensen so wenig von Altonaern angebauet wurde; denn dass diese nicht so vermögend als die Hamburger sein sollten, kann die eigentliche Ursache nicht abgeben, weil es bekannt ist, dass grade zu der Zeit, wie Altona im lezteren Kriege von seiner Neutralitäts-Flagge so bedeutende Vorteile zog, Kaufleute und andere Privatpersonen reich wurden, in der Stadt selbst fleißig und prächtig bauten, sich dennoch aber nicht überwinden konnten, außerhalb Altona anzukaufen, und hier mittelmäßige Landhäuser aufzurichten.

Auf meinen künftigen Spaziergängen werde ich freilich auch bei einigen Anlagen der Altonaer in der Elbgegend verweilen; aber im Voraus muss ich erinnern, dass ich wenige dieser Gebäude schön nennen kann, weil ich sie gegen die Regeln der Architektur gebaut finde. Ich gebe gern zu, dass man den Buchstaben der Regeln überschreiten kann, aber von dem Geiste der Baukunst sollte man sich doch nicht ganz ablenken lassen.

Viele, vielleicht die meisten dieser Landhäuser der Hamburger, sind nach Hansens Angabe gebaut; aber denen Gebäuden der Altonaer — ich nehme das von Lawätz aus — sieht man es zu sehr an, dass der geschickte Hansen nicht dabei zu Rate gezogen worden, sondern dass solche vielleicht Phantasien der Bauherrn selbst waren, und dass, wenn sie unter den Augen eines Baumeisters errichtet wurden, dieser wahrscheinlich nicht freie Hand hatte, den Bau nach seinem Plane zu leiten.

Der Spaziergang, den ich meinen Lesern das leztere mal erzählte, war nahe bei der Stadt, bei Rainville; ich machte ihn an einem Sonnabend, weil ich aus meinem Quartiere, des fatalen Reinigungsfestes wegen, verjagt wurde. Den andern Tag spazierte ich etwas weiter, eben diesen Weg vorbei nach Ritscher, welches Wirtshaus auch gewöhnlich das Strohhaus genannt wird. Es verdient diesen Namen im eigentlichen Sinne des Worts, denn das sehr einfache Landhaus ist nur mit Stroh gedeckt, und weder die Außenseite noch die Bewirtung ist empfehlend. — Der Unterschied zwischen Rainville und Ritscher ist so auffallend, dass ich beinahe glaube, in solchen mein Missbehagen gefunden zu haben, wenigstens rate ich jedem Spaziergänger, diese beiden Gasthäuser nie schnell auf einander zu besuchen. Dort wird man trefflich bedient, und hier desto schlechter; bei Rainville herrscht Reinlichkeit, und eine gut besetzte Tafel, bei Ritscher grade das Gegenteil, und die einfache, ländliche Mahlzeit, die ich teuer genug bezahlen musste, war kaum genießbar.

Eben so auffallend war auch die Verschiedenheit in Ansehung der Gesellschaft. Sie war hier sehr ansehnlich; denn die Stuben und Lauben im Garten waren besetzt, aber sie bestand nur aus der gemeinen Klasse, und verschiedene Personen des Mittelstandes, die sich ebenfalls hier einzufinden pflegen, schienen ihren eignen Zirkel bilden zu wollen, so dass ein Fremder durchaus keinen Anspruch auf Unterhaltung machen konnte.

Was mir am meisten auffallen musste, war die Versicherung vieler Gäste, dass es hier Sonntags von Morgen bis zum Abend an Gesellschaft nie leer werde, und dass nicht bloß Altonaer, sondern selbst Hamburger zu Pferde und zu Wagen hier ankommen, um sich zu vergnügen. Ich war neugierig zu wissen, worin wohl in einer elenden Dorfschenke das Vergnügen bestehen könne, erhielt aber keine befriedigende Antwort.

An Wochentagen, sagt man, sei es hier besser, und das glaube ich selbst. Das heißt: es verabreden sich Gesellschaften bloß in der Absicht, einen angenehmen Spaziergang zu machen, und begnügen sich allenfalls, ziemlich gutes Bier zu bekommen. Die Lage dieses Hauses und Gartens ist treflich, und durch eine geringe Verbesserung der Wirtschaft könnte leicht dieser Ort angenehm gemacht werden. Jetzt gefiel es mir so wenig, dass ich eilte, um nach dem reizenden Flottbeck zu kommen, wovon ich meine Leser das nächste mal zu unterhalten gedenke.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg und Altona - Band 2 Heft 4