11. Die Ritter und Höfe

Die Ritter und Höfe.



Wenn in der höfischritterlichen Zeit der Wächter von der Höhe des Wartturms das Nahen eines Gastes signalisiert hatte, reichte die Frau oder Tochter des Hauses diesem in der Ehrenhalle den Willkomm. Nachdem der Ankömmling sich seiner schweren Rüstung entledigt hatte, ward ihm ein Labetrunk geboten und ein Bad bereitet. Dann verfügte er sich in den Kreis der Familie, wo inzwischen das Abendmahl zugerüstet war; er hatte den Ehrenplatz, dem Stuhl des Wirts gegenüber, und an seiner Seite saß die Burgfrau oder älteste Tochter, um ihm den Trunk zu kredenzen. — Begab sich der Gast zur Ruhe, so geleitete ihn die Wirtin in die Kemenate, um ihm den Schlaftrunk zu reichen und nachzusehen, ob Gemach und Bett in Ordnung seien, was keine ganz unbedenkliche Sitte war, weil die Gastfreundschaft oft sehr weit getrieben ward und die Naivität des Mittelalters überhaupt gar nicht so groß war, als sie von Manchen gerühmt worden ist. Doch hatten die Ritter im 13. Jahrhundert noch Freude an zierlicher Rede, an Musik und Liederstreit: später aber traten an Stelle dieser harmlosen Kurzweil monströse Saufgelage mit unflätigem Gespräch, unsaubern Possen, ruinierender Spielwut und einem stupiden Raufboldwesen; Alles neigte sich im 14. Jahrhundert dem Rohen und Gemeinen zu. Schon seit alten Zeiten waren die Ritter und Hofleute starke Trinker; und da bei ihnen Wohlgeschmack, sittliche Verfeinerung und sanftere Gefühle selten zu finden waren, so ging es gewöhnlich wüst bei ihren Gelagen her, und in unermesslichen Mengen flossen Bier und Wein. Wenn wir nun bedenken, daß sich solche Gelage bei jeder geringen Gelegenheit wiederholten, daß die Turniere nicht nur geschickte Kämpfer, sondern auch verhältnismäßige Trinker erforderten, daß das Zechen nach Regeln und Gesetzen »nd um die Wette geschah, daß sogar bei den Krönungen allemal dem Kaiser vom Erzschenken ein ungeheurer Pokal zum Trinken nachgetragen wurde, so ist es klar, daß das deutsche Nationallaster durch absichtliche Übung beständig genährt und vergrößert ward.




Die Belehnung der Ritter geschah anfänglich mit einem Horn, später aber mit dem sog. Lehnsbecher. Welche andre sinnbildliche Bedeutung konnte dieser haben, als daß der Lehnsmann, der ihn tapfer zu leeren vermochte, dadurch seine Kraft, Ritterlichkeit und deutscheste Deutschheit bewies? Eine klare Bestätigung dieser Bedeutung finden wir in einer später n Urkunde bei Lünig (Corp. jur. feud. Germ. III. p. 70), wo es von einem Hohenlohischen Vasallen heißt: „Nach abgelegtem Eide wird ihm gratuliert und sofort zur hochgräflichen Tafel angesagt, da er dann nach dem alten deutschen Herkommen den großen Lehnsbecher, ein Oehringer Maß haltend, Bescheid und damit vel quasi eine Probe tun muß, ob er auch ein gut teutsch geborner von Adel und dem Vaterland hiernächst gute Dienste leisten könne.“ In den Friedbergischen Statuten wird ausdrücklich gefordert, daß ein aufzunehmender Burgmann einen Becher, Patriarch, vormals Krauß genannt, leeren könne. (Böhmer, Dissert. de jurib. ex statu milit. Germ. pengentibus 1750, p. 100.) Durch die Liebe zum Becher erwarb man nicht nur Ehre und Ansehen, sondern auch Freunde und Popularität. Der ehrbare Rudolf von Habsburg ging zu Erfurt in ein Wirtshaus und rief hier, ein Glas Bier in der Hand, aus dem Fenster: „Wol in, wol in! eyn gut Bier dat hat Herr Sifrid von Bustede ufgetan,“ wodurch er sich bei den Erfurtern lange in gutem Andenken erhielt. (Falkenstein, Gesch. v. Erfurt, p. 162.)

Wenn auch manche der deutschen Kaiser selbst sehr mäßig waren, so achteten doch die vielen kleinen Fürsten die Verordnungen sehr wenig, die sie zum Teil selbst gegen das Viel- und Zutrinken erließen, und gingen ihren Untertanen mit schlechtem Beispiel voran. Was sie besonders auf den Reichstagen über die höchsteigne Kehle zu gießen geruhten, übertraf jedes Maß. Der mäßige Karl V. brachte zu einer Fürstenversammlung in Regensburg 3.000 Eimer Wein mit, und ein Erzherzog von Österreich ließ sich 2.000 Eimer für seine Tafel nachführen. Die hohen Herren vertaten mit ihrem Bankettieren nicht nur, was sich in den Kassen vorfand, oft eine Summe von vielen tausend Talern, sondern mussten zuweilen außerdem Geld aufnehmen, um nur nicht mit Schanden vom Reichstag zu scheiden. Zu Speyer 1544, zu Regensburg 1546, zu Augsburg 1547 zechten die Fürsten Tag für Tag aufs Stärkste. In Regensburg stellten die Spanier dies dem Kaiser vor und drangen in ihn, den deutschen Trunkenbolden die schärfsten Strafen zuzudiktieren. Aber Karl, der vielen vergeblichen Verbote müde, antwortete ihnen: „Was soll ich thun? ich bedaure ihre Thorheit, aber ihre Gurgeln vor dem Wein verschließen kann ich ebensowenig, als euch Spaniern die Hände binden, daß sie nicht wüten.“ (Carpzovii Praxis crimin. III, p. 327.) Schon Johann von Schwarzenberg hatte in seinem „Sendebrief der Stände der Hölle an die Zutrinker“ dem Kaiser Max I. zu verstehen gegeben, daß Seine Majestät erst den Gewaltigen am Hof, und dann den andern Untertanen das Zutrinken untersagen sollte. Zum Teil waren die Fürsten selbst nicht blind gegen ihre Schwäche; so sagte Herzog Ernst von Lüneburg an kurfürstlicher Tafel zu Luther: „Herr Doktor, wir wollen gern alle gute Christen sein, aber das Laster der Völlerei können wir nicht ablegen.“ — „Dazu solltet ihr Herren aber thun“, versetzte Luther freimütig. — „Wir tun's“, scherzte Herzog Heinrich von Mecklenburg, „denn wenn wir Fürsten nicht darzu täten, das Saufen wäre längst abgestellt.“[/i

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Nicht nur die Turniere und Reichstage, sondern jede fürstliche Vermählung und Kindtaufe, zu denen eine Menge von Edelleuten zusammenströmte, gab vollauf Gelegenheit zu immensen Gelagen. Bei der sechstägigen Hochzeit des Prinzen von Oranien mit der sächsischen Prinzessin Anna 1561 zu Leipzig gingen 3.600 Eimer und 1.000 Fässer Wein auf. Freilich läßt sich von den 5.647 mitgebrachten Pferden auf die Anzahl der Gäste schließen. Als Herzog Ulrich von Württemberg 1511 mit der danischen Prinzessin Sabina Beilager hielt, wurden in Stuttgart zur Bewirtung von 7.000 Gästen 736 Ochsen und 1.800 Kälber geschlachtet, 6000 Scheffel Früchte verbacken, und Tag und Nacht sprang aus zwei Brunnenröhren roter und weißer Wein. Bei einer üblichen Hochzeit im Braunschweigischen 1581 wurden 80 Eimer ausgetrunken. Grade der müßige Adel unterhielt im höchsten Maß die Unsitte des Vieltrinkens. Die Memoiren des schleichen Ritters Hans von Schweinichen, welche den Zeitraum von 1552 bis 1602 umfassen, legen den Lebenslauf der adligen Gesellschaft von damals sehr getreulich dar. Als Schweinichen 1573 im Gefolge des Herzogs von Liegnitz nach Mecklenburg kam, heißt es: [i]„Habe auf diesem Ritt im Reich große Kundschaft bekommen und mir mit meinem Saufen einen großen Namen gemacht.“
— Auch hundert Jahre später konnte man sich mit Saufen noch „große Kundschaft“ machen, wie das Beispiel jenes brandenburgischen Oberkämmerers Kurt von Burgsdorf beweist, der während einer Mahlzeit 18 Maß Wein zu sich zu nehmen gewohnt war und sich rühmen konnte, seinem Herrn Schlösser und Dörfer mit Wetttrinken abgewonnen zu haben. Aeneas Sylvius (Histor. Se Lurop. e. 20) und Fugger (Oestr. Ehrenspiegel p. 1129) erzählen sogar vom letzten der alten Görzischen Grafen, er sei oft Nachts aufgestanden, um seine Kinder zum Trunk anzutreiben; und wenn sie geschlafen, habe er seine Gemahlin eine Ehebrecherin gescholten und ausgerufen, es seien nicht seine Kinder, wenn sie eine ganze Nacht ungetrunken bleiben könnten. Die Trunkliebe scheint beim Grafen in eine Manie und Geistesstörung ausgeartet zu sein.

Jahrhunderte hindurch galt es in den meisten Kreisen der sogenannten guten Gesellschaft für einen Ehrenpunkt, Niemandem im Trinken das Feld zu r?umen, und einem Jeden auf fein Vortrinken Bescheid zu thun, und für einen besondern Beweis der Artigkeit und Hochachtung, Jemandem so lange zuzutrinken, bis er besinnungslos unter den Tisch fiel. Die Gastmähler der Vornehmen endigten mit einer allgemeinen Trunkenheit; denn wenn das Saufen eine Ehrensache war, konnte unmöglich das Besoffensein für schimpflich gelten. „Wein Trinken eine Ehre ist, dem ist Speien keine Schande.“ Wer aber seinen Gegner dergestalt zu Boden getrunken hatte, daß derselbe für todt vom Schlachtfeld getragen werden mußte, war stolzer auf seinen Sieg, als der Feldherr auf eine gewonnene Schlacht; wie überhaupt der Ruhm eines großen Trinkers nicht geringer war für manchen Ritter, als der eines tapfern Helden. Wie zur Zeit des Mittelalters fahrende Ritter im Lande umherzogen, um mit Ihresgleichen eine Lanze zu brechen, so konnte man noch im vorigen Jahrhundert Edelleute sehen, Meister in der Kunst des Trinkens, welche ihren Ruhm darin suchten, von Hof zu Hof zu reisen und ihre Standesgenossen förmlich auf einen Kampf mit dem Becher herauszufordern. So kam nach Stuttgart ein Würzburger Geheimrat und besiegte alle Herren des dortigen Hofs im Trinkkampf, indem er 10 Maß Burgunder an einem Tag zu sich nahm. Nach der Versicherung dieses Becherhelden gab es am Würzburger Hof noch fünf so starke Trinker, wie er selber, alle auf 10 Maß täglich geeicht. (Keyßler, Reise durch Deutschl. 1729, p. 84.) Ein paar tüchtige Trinker gehörten daher zu den unentbehrlichen Requisiten jedes wohlgeordneten Hofstaats; und selbst als die allgemeine Sitte des Trinkens abkam, hielt man sich doch noch eine Zeit lang Leute, welche fremden Gästen, die sich durch Trinken auszeichneten, Stand zu halten vermochten. Sogar das ehrwürdige Reichskammergericht zu Wetzlar forderte von seinen Assessoren, daß sie nicht bloß den Reichskammergerichtsprozess und die Reichsgesetze inne hätten, sondern auch die Kunst des Trinkens verständen, um vorkommenden Falls dem hohen Kollegium keine Schande zu machen.

Schon Hutten und andere hervorragende Männer tadelten mit scharfem Spott die Schlemmerei an den Höfen; allein mag immerhin eine aus den vornehmsten Kreisen unsers Vaterlands bestehende Gesellschaft, welche keine andre Ergötzlichkeit kannte, als sich gegenseitig um den Verstand zu trinken, und den einen Rausch nur deshalb ausschlief, um sobald als möglich in einen zweiten zu fallen, kein sehr anmutiges Bild darbieten, so erfüllt uns doch die aus Frankreich eingewanderte Galanterie und Schamlosigkeit, welche im vorigen Jahrhundert an einigen deutschen Höfen herrschend geworden war, mit noch weit tieferem Ekel. Wenn sich die tonangebenden Klassen in Schlemmerei und Trunksucht gefielen, so lernte das Volk wenigstens damit kein neues Laster, sondern wurde nur in einem angestammten bestärkt, während die nach dem Muster von Versailles gebildeten Höfe, welche ihre tiefe moralische Fäulnis mit einer gewissen Eleganz der Formen und einem falschen Schein von Genialität übertünchten, die mittlern und untern Klassen mit einer Sittenlosigkeit ansteckten, von der man bis dahin fast keine Ahnung gehabt hatte.

Den ersten Rang im Saufen behaupteten natürlich die geistlichen Höfe, wo teils der edle Stoff in vorzüglicher Güte und Fülle vorhanden war, teils der Mangel einer feinern, durch den Umgang mit Frauen gewürzten Geselligkeit die lebenslustigen Würdenträger der Kirche auf solche rohere Ergötzungen von selber hinwies. Als ein englischer Reisender, Lord Chesterfield, sich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts an den Höfen von Mainz und Trier aufhielt, glaubte er sich nach seiner Erklärung an die Hofstatt eines gotischen oder vandalischen Königs zurückversetzt. Die Memoiren des Barons von Pöllnitz, welcher etwa 20 Jahre früher die meisten deutschen Höfe bereiste, sind von Trinkheldentaten und Trinkniederlagen übervoll. Den Preis des Trinkens, oder richtiger des Saufens, teilt der Baron dem bischöflichen Hofe von Fulda zu, eine Auszeichnung, die man erst dann ganz zu würdigen vermag, wenn man zugleich von jenem Herrn erfahrt, daß er während seines mehr als achttägigen Aufenthalts am Hofe zu Würzburg fast keine Stunde nüchtern wurde und die bischöfliche Tafel niemals anders, als im Zustand völliger Bewusstlosigkeit, verließ. (Memoiren I. p. 224.) Aber auch andre Höfe blieben nicht zurück. Nicht umsonst nannte der Kurfürst von der Pfalz die an köstlichen Weinen so reichen Hügel der Haardt und das weltberühmte Faß zu Heidelberg sein eigen. Hier war es, wo Pöllnitz, der nicht viel Wein vertragen konnte, sondern mehr in den Künsten französischer Galanterie bewandert war, sein trübseligstes Abenteuer erlebte. Man führte ihn zu dem bekannten großen Faß, wo ihm als Willkomm ein ungeheurer Pokal voll Wein gereicht ward. Pöllnitz überstand diese erste Probe glücklich, indem er einen Teil des Inhalts hinter dem Rücken des Kurfürsten vergoß. Aber immer stärker ward ihm zugesetzt. Die Damen nippten von dem Wein und veranlassten so die Herren zum Trinken. Pöllnitz, der seine Kräfte schwinden fühlte, versteckte sich unter das Faß. Aber der Kurfürst, der seinen Gast bald vermißte, befahl, den Flüchtling zu suchen und „todt oder lebendig“ zurückzubringen. Endlich entdeckte ein Page den Unglücklichen unter dem Faß, der nun im Triumph hervorgezogen und vor den Kurfürsten geführt ward. Dieser ernannte seine Tochter und deren Kammerjungfern zu Richterinnen, um dem Ausreißer den Prozess zu machen. Trotz seiner Verteidigung ward er einstimmig verurteilt, so lange zu trinken, bis der Tod erfolge. Der Kurfürst erklärte, als Landesherr das Urteil dahin mildern zu wollen, daß Pöllnitz stehenden Fußes vier große Gläser, jedes von einem halben Maß, leeren solle. Er verlor dadurch zwar nicht das Leben, aber Sprache und Besinnung. Als er wieder zu sich kam, erfuhr er zu seiner Genugtuung, dass es seinen Anklägern und Richtern nicht besser ergangen, als ihm selbst, und daß alle das Gewölbe in einem wesentlich andern Zustande verlassen hätten, als in welchem sie es betreten. (Memoiren II. p. 16.)



Nächst den geistlichen Höfen zeichnete sich auch der sächsische durch seine Trunksucht aus. Beim Kurfürsten Christian II. wurde 7 Stunden lang aus ungeheuren j Humpen um die Wette gesoffen, und der Fürst selber trug den Sieg davon. Täglich wimmelte sein Hof von Gästen, so daß oft nicht weniger als 700 Tische auf einmal gedeckt waren. (Daniel. Eremitae Iter Germ. adnex. statui partic. Regiminis Ferd. II. 1637. P.321.) Alles Edlere und Höhere ging in wüstem Sauftumult unter, und die bleierne Monotonie der Trinkgelage wurde nur durch brutale und schmutzige Späße mit Lakaien und Hofnarren unterbrochen. Als Christian 1610 den Kaiser Rudolf II. in Prag besuchte, dankte er beim Abschied seinem Wirt mit den Worten: „Kaiserliche Majestät haben mich gar trefflich gehalten, also, daß ich keine Stunde nüchtern gewesen bin“. Ein Jahr darauf starb der Kurfürst in Folge eines Rausches. Sein Nachfolger Johann Georg soff sich mit seinen Räten gewöhnlich so voll, daß sie sämtlich vom Tisch getragen werden mußten. Auch am galanten Hofe Augusts des Starken, welcher die fürstliche Ausschweifung der Zeit zur höchsten Potenz steigerte, ward mitten zwischen Liebesabenteuern und sittenlosen Festen zuweilen tüchtig gezecht, besonders wenn es galt, die Ehre der sächsischen Kavaliere im Wettstreit mit den Herren aus Polen zu retten und diesen letztern den Aufenthalt am Hoflager zu Dresden so angenehm als möglich zu machen. Vielleicht geschah es, um seine Teilnahme an der edlen Weinkultur zu betätigen, dass König August 1727 während der Weinlese ein großes Festmahl im Weinbergshause der Hoflößnitz veranstaltete, bei welchem 12 Mädchen, als Nymphen gekleidet, die königliche Tafel bedienten. (Klemms Chronik 1837. II. p. 347.) Den graben Gegensatz zum Dresdener Hof bildete der Berliner, wo unter Friedrich Wilhelm I. die ganze Einfachheit und Rohheit der ältern deutschen Sitten herrschte, obwohl es auch hinsichtlich des Zechens hier mäßiger und anständiger, als an den meisten andern Hofen, herging. Das Tabakskollegium war die allabendliche Vereinigung der Minister, Generäle, Gesandten, auch fremder Fürsten beim König, Ein völlig zwangloser Ton herrschte unter den Gästen, von denen nur gefordert ward, daß sie aus holländischen Pfeifen rauchten und auf das allseitige Zutrinken fleißig Bescheid taten. Wer, wie Seckendorf und der alte Dessauer, nicht rauchte, mußte wenigstens dem König zu Gefallen so tun; wer aber nicht tapfer mittrank, ward als ein Pinsel verspottet. Vor Jedem stand ein weißer Deckelkrug mit Ducksteiner Bier. Des Königs Seelenfreude war es, fürstliche Besuche durch das starke Bier betrunken und durch den Tabaksqualm seekrank zu machen. Der Hauptspaßmacher aber war der hochgelehrte Gundling, welcher, wie man sagt, vom vielen Trinken starb und in einem Weinfass begraben ward. Das Kollegium endete selten ohne einen allgemeinen Rausch, der bisweilen die Gäste und den Wirt selbst nnter den Tisch warf.

Ein vom damaligen preußischen Hof wiederum sehr verschiednes Bild bot derjenige des Kronprinzen Friedrich zu Rheinsberg, wo der Zauber der Künste und Wissenschaften dem Leben eine höhere Weihe verlieh und eine königliche Tafel, ein Götterwein, himmlische Musik, köstliche Spaziergänge und Wasserfahrten, geistvolle Unterhaltung und Aufführung von Tragödien den Aufenthalt höchst angenehm machten. Der Freiherr von Bielefeld verlebte 1739 als Gast in jenem feenhaften Palast wahrhaft entzückende Tage; hören wir von ihm die Schilderung eines kleinen Bacchanals, welches die zwanglose Genialität des kronprinzlichen Hofs hübsch veranschaulicht (Freundschaftl. Briefe I. p. 66): „Wir hatten uns kaum zur Tafel gesetzt, als der Kronprinz viele wichtige Gesundheiten auszubringen begann, auf die man notwendig Bescheid tun mußte. Auf dieses erste Scharmützel folgte eine ganze Lage von scherzhaften und sinnreichen Einfällen, sowohl von Seiten des Kronprinzen, als einiger andern, die zugegen waren; die finstersten Stirnen heiterten sich auf, die Fröhlichkeit ward allgemein, und selbst die Damen nahmen Teil daran. Nach Verlauf von zwei Stunden bemerkten wir, daß auch die größten Behältnisse nicht einem Schlunde gleichen, worin man ohne Aufhören flüssige Materien schütten kann, ohne ihnen wieder einen Ausgang zu verschaffen. Die Notwendigkeit litt kein Gesetz, und selbst die Ehrfurcht, die man der Prinzessin schuldete, konnte mich und andre Gäste nicht zurückhalten aufzustehen, um im Vorgemach frische Luft zu schöpfen. Als ich aber in den Saal zurücktrat, fing eine kleine Umnebelung an mir den Verstand zu verdunkeln. Ach hatte ein großes Glas Wasser vor mir stehen gehabt. Die Prinzessin, der gegenüber zu sitzen ich die Ehre hatte, war durch eine kleine, liebenswürdige Schalkheit bewogen worden, mir das Wasser ausgießen und das Glas mit Sillerywein, ebenso klar wie Quellwasser, anfüllen zu lassen; den Schaum davon hatte man obenein abgeblasen. Da ich nun schon das Feine im Geschmack verloren hatte, vermischte ich wider Willen meinen Wein mit anderm Wein, und statt der gehofften Abkühlung trank ich mir ein Räuschchen, das einem Rausch ziemlich nahe kam. Um mir völlig den Rest zu geben, befahl der Prinz, daß ich mich an seine Seite setzen sollte; er schwatzte mir viel von seinen gnädigen Gesinnungen vor; ließ mich einen Blick in die Zukunft tun, so weit als damals meine umnebelten Augen sehen konnten, und nötigte mich dabei, ein gestrichnes Glas nach dem andern von seinem Lünelwein zu trinken. Indessen empfand die übrige Gesellschaft so gut als ich die Wirkung des Nektars, der an diesem Feste wie Wasser floß. Eine der fremden Damen, die sich in andern Umständen befand, fühlte sich ganz ebenso belästigt, wie wir Herren, brach plötzlich auf und machte eine kleine Abwesenheit auf ihrem Zimmer. Wir fanden diese Tat heroisch und höchst bewunderungswürdig. Der Wein macht zärtlich. Die Dame ward, als sie zurückkam, mit Liebesbezeigungen überschüttet. Endlich, sei es durch Zufall oder aus Vorsatz, zerbrach die Kronprinzessin ein Glas. Dies war gleichsam die Losung für unsre ungestüme Freude und schien uns ein großes nachahmungswertes Beispiel. Im Augenblick flogen die Gläser in alle Winkel des Saals, und alles Kristall, Porzellan, Schalen, Spiegel, Leuchter, Geschirr und dergleichen wurde in tausend Stücke zerschlagen. Mitten in dieser gänzlichen Verwüstung zeigte sich der Prinz wie der gesetzte Mann bei Horaz, der beim Umsturz des ganzen Wettgebäudes die Trümmer mit ruhigem und heiterem Auge betrachtet. Allein da sich die Freude in einen Tumult verwandelte, entzog er sich dem Handgemenge und begab sich mit Hilfe seiner Pagen in sein Zimmer. Die Prinzessin verschwand in dem nämlichen Augenblick. Ich für meine Person hatte das Unglück, auch nicht einen Bedienten anzutreffen, der so viel Menschlichkeit besessen hätte, sich meiner wankenden Figur anzunehmen. Ich kam also der großen Treppe zu nahe, fiel selbige völlig hinunter und blieb an der letzten Stufe, ausgestreckt, ohne Besinnung liegen. Ich wäre vermutlich umgekommen, wenn nicht eine alte Magd mein Schutzengel gewesen wäre. Ein Zufall hatte sie an diesen Ort gebracht; und da sie mich im Finstern für den großen Schlosspudel ansah, so belegte sie mich mit einem garstigen Titel und gab mir mit dem Fuß einen Tritt vor den Leib. Da sie aber merkte, daß ich ein Mensch und, was noch mehr, ein junger Hofmann war, so mochte sich ihr ganzes Herz bewegen; sie schrie nach Hilfe, meine Bedienten liefen herbei, man trug mich in mein Bett, holte den Chirurg und verband meine Wunden.“ Der edle Kavalier musste darauf noch 14 Tage das Bett hüten. Am Morgen nach dieser Orgie aber war das ganze Schloß zum Sterben krank; weder der Prinz noch ein einziger von seinen Kavalieren konnte ans dem Bett steigen, nur die Prinzessin befand sich allein an der Tafel. Übrigens waren solche Orgien keineswegs häufig am Hofe Friedrichs zu Rheinsberg; im Allgemeinen ward ein sehr vernünftiger Gebrauch von allen Vergnügungen gemacht, welche nur den Ernst der philosophischen Studien mildern sollten.






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage