09. Die Martinstage

Die Martinstage.



In einer Geschichte der Zechkunst darf ein gewisser Tag im Jahr nicht vergessen werden, der seit alter Zeit durch Trinkgelage und Schmausereien, wobei eine fette Gans die Hauptrolle spielte, gefeiert ward. Dieser Tag ist der 11. November, dem heiligen Martin dem Bischof geweiht, welcher Patron der Trinker war; besonders stand derselbe zu dem Weinmost in Beziehung, worauf eine Menge Lieder hindeuten, und hieß deshalb auch musto madidus. Schon in frühster Zeit ward Martini als Volksfest begangen und hatte besonders im Geschäftsleben weit und breit eine große Berühmtheit; es war der Tag der Naturalabgaben an die Geistlichkeit, überhaupt ein landesüblicher Zahlungstermin, Umschlag; denn er siel in die Zeit, wo die Gänse fett wurden und schon hinreichend Korn gedroschen war; daher hatte auch der heilige Bischof eine Gans zum Symbol. In einigen Gegenden Deutschlands ward am Martinstage eine Art Kuchen von besonderer Form gebacken, welche Martenshorn hieß. Wahrscheinlich wurden dadurch die Hörner angedeutet, die man vormals zu Ehren dieses Heiligen austrank. Weil man ferner zu einer Zeit, wo der Winter vor der Tür stand, für die Armen sorgen mußte, machte man den heiligen Martin auch zum Schutzpatron der Armen, und war es an seinem Ehrentage Sitte, kleines Geld, Früchte, Semmeln und andre Nahrungsmittel unter die Straßenjugend auszuwerfen. Alle alten Feste sind gewissermaßen Produkte der Natur; und wenn die Kirche so klug gewesen ist, sie mit ihren Heiligenfesten zu identifizieren, so ist doch deshalb ihr Ursprung nicht verloren gegangen. So war Martini offenbar ursprünglich das Fest des wiederkehrenden Winters, eine Art von Vorweihnachten, zumal in manchen Gegenden unsers Vaterlandes der christliche Martin geradezu an die Stelle eines heidnischen Gottes trat.




Es pflegen aber nicht nur die Festtage selbst, sondern auch die vorhergehenden Abende gefeiert zu werden, z. B. der heilige Abend vor Weihnachten. Daher kam es auch, daß der 10. November, der Geburtstag Martin Luthers, zum Tage ausersehen war, an welchem der Lübecker Martensmann sein Weingeschenk in Schwerin überreichte und beim abendlichen Gastmahl im Herzoglichen Schloß die Wahrheit des alten Spruchs:

Wer nich vull sick supen kann,
De is ken rechte Martensmann.


zu beweisen Gelegenheit fand. Der Martini-Abend war früher an sehr vielen Orten nicht nur der Hefe des Pöbels, sondern sogar den Palästen der Großen feierlich. Am Rhein wurden Leuchtfeuer auf den Höhen und in den Ebnen angezündet, und in den Städten liefen arme, mit Strohbüscheln umwundne Buben lärmend von Haus zu Haus und bettelten um Holz und Stroh. Vor den Toren der Stadt ward das Holz angesteckt, und die Jugend tanzte wild umher mit Fackeln, die sie sich von ihrem Stroh gemacht hatte. In spätern Zeiten ging sie gesitteter in den Straßen auf und ab mit ausgehöhlten Kürbissen, in denen eine Kerze brannte und an deren Wänden Fratzen ausgeschnitten waren.

Man feierte auch in früheren Jahrhunderten am Martinstag das Weinerntefest, welches zwei volle Tage dauerte. Der Hochmeister des deutschen Ordens gab dazu zwei Tonnen Wein und acht Tonnen Bier zum Besten und nahm selbst mit seinen Komturen und Rittern daran Teil; gab es grade Krieg, so war an jenen Tagen Waffenstillstand. Es herrschte die Sitte, daß die Pfarrer und Schullehrer jährlich einen Pfingsttrunk und einen Martinstrunk bekamen. Martini-Abend war endlich von mystischer Vorbedeutung für das Wetter, die Winzer betrachteten den Himmel; so viel Sterne sie zählen konnten, so viel Ohm gab ihnen die nächste Weinlese. Es geschah auch gewiß nicht zufällig, daß das große Heidelberger Faß 1752 grade am 10. November zuerst mit Wein gefüllt ward. In altdeutschen Gedichten kommt gar der Martensvogel vor, welcher, wenn er von der Linken zur Rechten vor dem Wandrer herflog, von glücklicher Vorbedeutung war, von unglücklicher dagegen, wenn er sich links vom Weg niederließ. Überhaupt aber kommen der heilige Martin und seine Gans in unzähligen Liedern vor, von denen wohl die meisten von den Mönchen gemacht wurden, die den heiligen Patron der Trinker natürlich sehr hoch feierten.

Herbei, herbei zur Martinsgans,
Herr Burkart mit den Bretzeln — jubilemus!
Bruder Urban mit den Flaschen — cantemus!
St. Bartel mit den Würsten — gaudeamus!
Sind alle starke Patronen,
Zur feisten Martinsgans.







Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage