04. Die Ausbreitung der Weinkultur in Süddeutschland

Die Ausbreitung der Weinkultur in Süddeutschland.



Wenn die deutsche Weinkultur bis zum achten Jahrhundert nur eine langsame Ausbreitung und Veredlung erfuhr, so entfaltete sie sich dagegen unter Karl dem Großen rasch zu stattlicher Blüte. Der mit seinem Riesengeist Alles umfassende Kaiser interessierte sich, wie für die größten, so für die scheinbar kleinsten Dinge. In seinen Kapitularien finden sich Anweisungen bis in die speziellsten Details, wie die Reben anzupflanzen, der Wein zu keltern und in reine Gefäße zu gießen sei, daß die Trauben nicht mit den bloßen Füßen, sondern in eignen Kelter n ausgepresst werden, den sog. Truttas, woher noch jetzt die Benennung Trotte für Presse in Schwaben stammt; daß ferner die herrschaftlichen Wirtschafter, welche Weinberge zu verwalten hatten, für die Anpflanzung von Fechsern Sorge tragen und wenigstens 3 bis 4 Kränze aushängen, d, h. so viel Wirtschaften in ihrem Bezirk halten sollten. In diesen sog. Reifwirtschaften ward der herrschaftliche Wein ausgeschenkt, und zwar derjenige von geringerer Qualität; den bessern aber befahl der Kaiser in seine Hofkeller zu liefern. Die Sitte, über der Tür einer Weinschenke einen Kranz, Busch oder Reif als Schild auszuhängen, ist noch heute in vielen Ländern gebräuchlich. Verfasser sah in den kleinen Städten Portugals gewöhnlich die Spitze einer jungen Fichte an den Bendas und Estalagems ausgehängt. Erklärlich ist daher auch das in so vielen Sprachen vorkommende Sprichwort:


Guter Wein bedarf keines Kranzes.
A good wine needs no bush.
Vino vendibili hedera suspensa nihil est opus.
Al buon vino non bisogna frasca. (Ital.)
El vino que es bueno no ha menester pregonero. (Span.)
O vinho bom não precia pregoeiro. (Portug.)
Un bon vin ne faut point d'enseigne. Usw


Das Verbot Karls, die Trauben mit bloßen Füßen zu treten, wurde wohl nicht mit gehöriger Strenge im ganzen Reich durchgeführt; die alte Sitte muß sich vielmehr noch lange erhalten haben; denn Petrus de Crescentiis, ein landwirtschaftlicher Schriftsteller des dreizehnten Jahrhunderts, fordert, daß die nackten Füße rein seien, die Kelterer nicht aus der Kelter ein- und auslaufen, nicht innerhalb derselben essen und trinken und wegen der Transpiration genügend bekleidet seien.



Karl wird auch als der Gründer des edlen Jngelheimers angesehen. Einst geschah es nämlich, daß er aus seiner Pfalz nach den Bergen hinüberschaute und bemerkte, daß die Sonne sie schon im März so warm beschien, daß der Schnee wegschmolz, das junge Gras hervorspross und die Bäume sich belaubten. Da kam ihm der Gedanke, Wein zu pflanzen, wo noch ein finsterer Wald lag. Rasch verschwand dieser unter den Äxten der geschäftigen Arbeiter, und die Erde nahm die aus Ungarn, Italien, Spanien, Burgund, Champagne und Lothringen gebrachten Reben auf, die bald einen herrlichen Wein lieferten. Verdankte die eine Gegend des Vaterlands dem großen Kaiser die Einführung der Weinkultur, so verdankte ihm die andre die Verbesserung derselben. Alle neuen, von Karl eingeführten Rebsorten belegte man mit dem gemeinsamen Namen fränkische, während man wohl die früher n Sorten unter dem Ausdruck hunnische oder heunische zusammenzufassen pflegte, welcher noch jetzt gebräuchlich ist und wahrscheinlich von den Hunnen herstammt, die nach Attilas Niederlage 451 aus dem nach ihnen benannten Hunsrück zurückblieben und hier mit pannonischen Reben Pflanzungen anlegten. Zunächst hieß der von ihnen gewonnene Wein hunnischer, bis dann später der Name allgemeiner ward.

Im heutigen Burgund besaß Karl einen großen Bezirk von Weingärten, der noch seinen Namen trägt. Wie andre Große, schenkte auch er die besten Weinberge den geistlichen Herren. Wenn diese das göttliche Getränk schon an sich hoch schätzten, so konnten sie es auch noch zu weitern Zwecken verwenden: erhielt doch der Abt von Citeaux Jean de Bussières von Gregor XI. in Avignon für ein Geschenk von 30 Fässer Beaune und Chambertin den Kardinalshut.

Im Thurgau, Breisgau und am Bodensee kommen schon im 7. Jahrhundert Weinberge vor; während des 9. Jahrhunderts aber gelangte der Weinbau in der Schweiz, in Tirol und dem südöstlichen Deutschland zur schönsten Blüte. Dagegen war freilich nach Hemmerlin in der Gegend von Zürich der Wein noch im 15. Jahrhundert so schlecht, daß er 30 Jahre aufbewahrt werden mußte, um trinkbar zu sein, und daß man gewaltige Kelterbäume brauchte, die harten Trauben zu zerdrücken.

Als die drei Söhne Ludwigs des Frommen 843 das große Karolingische Reich teilten, bekam Ludwig der Deutsche die Länder rechts vom Rheinstrom, bedingte sich dazu aber, um auch Weinberge in seinem Reich zu haben, die drei Städte Mainz, Worms und Speyer aus, welche, wie oben gesagt, schon seit Probus Pflanzungen hatten. Es scheint danach, daß zu Ludwigs Zeit aus der rechten Seite des Rheins gar kein oder wenigstens nicht so viel Weinbau getrieben ward, als auf der linken. Nach einer alten Beschreibung von Bingen war 842 noch kein Weinstock in den Bergen der Umgegend zu finden. Ludwig der Deutsche legte mehrere Weinberge im Rheingau an, besonders aber war es Alamannien, wo der Weinbau erst unter den Karolingern entstand, was sich durch vielfache Urkunden feststellen läßt. 1074 sollen die Bürger zu Rüdesheim zuerst ihren starken Wein gekeltert haben. Auf dem Johannisberg, früher Bischofsberg genannt, stiftete der Mainzer Bischof Ruthard 1106 eine Benediktiner-Abtei, deren Insassen Weinberge anlegten und zuerst den berühmten Johannisberger gewannen. Das Kloster wurde 1552 vom wilden Markgrasen Albrecht von Kulmbach in Asche gelegt; beim Einfall der Schweden im dreißigjährigen Kriege geriet die Besitzung völlig in Verfall und siel 1641 dem Reichspfennigmeister Hubert von Bleymann zu, welcher 30.000 Gulden vorschoss. Das jetzige Schloß baute 1717 Fürst Adalbert von Walderndorf, und 1816 wurde die Besitzung, im Ganzen 65 Morgen, dem Fürsten Metternich als ein Geschenk für seine beharrliche Vertretung der dynastischen Interessen und für andre angebliche Verdienste verliehen. Den Steinberger Weingarten legten unter Barbarossa vor 1177 die Mönche des Klosters Eberbach an, welches durch sein Kolonisationssystem berühmt war, und zwar schufen sie den Weingarten aus einer 80 Morgen großen Wüstenei, die sie mit eigner Hand urbar machten und mit einer 12 Fuß hohen Mauer umschlossen. Der Steinberger datiert seinen Ruhm eigentlich erst von der Zeit, seit welcher ihn die Mönche nicht mehr allein trinken.



Die Hohenstaufen beförderten mit allem Eifer, besonders in ihrem Stammland Schwaben, den Weinbau, der hier selbst in rauern Gegenden nach und nach die Hauptbeschäftigung der Einwohner ward. Der Neckarwein war schon früh im Ausland geschätzt. Ein Zeitgenosse Rudolphs von Habsburg, der Abt Berchtold von St. Gallen, setzte den Rittern und Sängern, denen er jedes Jahr ein herrliches Fest gab, neben dem Botzener, Klevner und den Elsässer Weinen auch den edlen Neckarwein vor, damals noch eine teure Seltenheit. Wie unter Karl dem Großen, waren auch unter den Hohenstaufen die fürstlichen Hofgüter Musterwirtschaften und die fürstlichen Weinberge Musterpflanzungen. Strenge Gesetze schützten die Pflanzenkultur und bestraften die Zerstörung von Weinbergen nicht milder, als Brandstiftung. Der rege Geist, der zur Zeit der Kreuzzüge, jener umgekehrten Völkerwanderung, erwachte, und die mannigfache Berührung mit fremden Völkern, von denen Neues und Nützliches gelernt ward, trugen zur Hebung des Ackerbaus nicht wenig bei. Überdies war es eine unmittelbare Folge der Kreuzzüge, daß zugleich Pflanzenwandrungen stattfanden und manche Gegenden mit neuen Rebsorten bekannt gemacht wurden. In Böhmen, wo schon seit dem 10. Jahrhundert Weinbau getrieben wurde, war Kaiser Karl IV., welcher 1344 zuerst in Melnick Burgunderreben anpflanzte, der Gründer des noch jetzt beliebten dunkelroten Meinickers. (Haintl, Weinbau des östr. Kais. p. 12.) Gleichzeitig gewann der Weinbau in den Rhein-, Main- und Neckargegenden eine immer größere Bedeutung, und die berühmten Sorten des Rheingaus sind von jener Zeit bis heute dieselben geblieben. Sonst machen wir in der Geschichte der Weinkultur häufig die eigentümliche, wenn auch erklärliche Beobachtung, daß in Gegenden, wo man früher keine Ahnung vom Weinbau hatte, jetzt der herrlichste Wein gedeiht, und daß, wo früher berühmte Sorten wuchsen, jetzt nur ein mäßiges Produkt vorgefunden wird; ferner daß Weine, die früher berühmt waren, später in ihrem Wert sanken, während andre, von denen man früher wenig oder gar nichts wußte, jetzt berühmt geworden sind. Teilweise mag dies darin begründet sein, daß an verschiednen Orten und zu verschiednen Zeiten die Behandlung des Weinstocks sowohl wie des Weins in sehr verschiednem Grade rationell war; noch wichtiger ist aber der Umstand, daß man im Allgemeinen früher mehr auf die Qualität, später dagegen mehr auf die Quantität des Weins gab. So lange die Klöster in, Besitz der größten und besten Weinberge waren, galt mit Recht der „theologische Wein“ für den besten, weil es den Mönchen nicht darauf ankam, wie viel Wein, sondern einen wie guten sie erzielen konnten; die Menge des Ertrags war ohnehin groß genug. Den spätern Besitzern war es aber mehr um die Tragbarkeit der Reben und die Quantität des gewonnenen Weins zu tun, wenn auch dessen Qualität dabei geringer wurde. Besonders war dies in Deutschland nach dem dreißigjährigen Kriege der Fall, durch welchen der Weinertrag so erschrecklich beschränkt oder stellenweise gänzlich vernichtet ward. Man kann es nur mit Grauen vernehmen, daß allein im kleinen Herzogtum Württemberg unmittelbar nach jenem Krieg über 40.000 Morgen der blühendsten Weinberge völlig verwüstet dalagen. Wo nur immer Wein in den Dörfern lagerte, ward er die Beute der Soldateska, die sich besonders den kühlen Klosterwein gut schmecken ließ, oft auch mit wahnwitzigem Mutwillen die Fässer durchbohrte, daß die Keller voll Wein schwammen. In den Städten aber nahmen die feindlichen Heerführer nicht selten den ganzen Ratskeller auf Abschlag der Kontribution mit sich und ließen den Bürgern kein volles Faß übrig. Hatte man also vor dem Kriege mehr durch Auswahl guter Reben das Produkt selbst zu verbessern gesucht, so war es sehr natürlich, daß man nach dem Kriege durch Einführung neuer Rebsorten, die zwar einen gehaltloser n Wein gaben, aber ergiebiger waren, auf die Menge des Ertrags zu wirken suchte.



Im Allgemeinen dürfen wir nicht glauben, daß die Weinkultur in frühern Jahrhunderten mit weniger Sorgfalt getrieben ward, als jetzt, wenn es damals auch keine landwirtschaftlichen Ausstellungen und Vereine, keine Ermunterungsprämien oder andre segensreiche Einrichtungen gab, wie sie zu unsrer Zeit zur Hebung des Weinbaus eingeführt sind. Der mittelalterliche Winzer verstand sein mühevolles Gewerbe, das Düngen, Pfählen, Hacken und Beschneiden, schon vortrefflich und befolgte vielleicht hier und da bessere Methoden in der Behandlung der Reben, als der Winzer des 19. Jahrhunderts. Denn manches ist früher geschehen, was die Geschichte nicht überliefert hat, und manches ist mühsam wieder aufgebaut worden, was durch Krieg und Revolutionen leichtfertig zertrümmert war. Wie wir aus vielen Dokumenten ersehen, gab es früher bis in den hohen Norden hinauf, selbst in raueren Gegenden, wie in Westfalen und im Odenwald, Weinberge, von denen sich jetzt keine Spur mehr findet. Wie sollte der Weinbau nicht schon einmal in hoher Blüte gestanden haben zu einer Zeit, als alle öffentlichen Verhandlungen unter Weingenuss vollzogen wurden, als das Weintrinken zu den Tugenden eines Mannes, zur notwendigen Eigenschaft eines edlen Ritters gezählt ward, als die Glaubensboten nächst ihrem geistlichen Beruf vor allem diesem Zeitgeist huldigten und mit unermüdlichem Eifer die Anpflanzung eines Gewächses betrieben, dessen Früchte so wohl taten. Die ungeheuren Kellerräume, die wir heute noch in den geistlichen Stiftungsgebäuden vorfinden, zeugen wahrlich nicht für eine Ignoranz in der Weinkultur. Was mag nicht zur Aufmunterung derselben von Seiten der Pfälzischen Regierung schon vor 1689, ehe der berüchtigte General Melac die Pfalz verwüstete, und wiederum vor dem französischen Revolutionskriege geschehen sein! Doch die Kriegszeiten werden immer kürzer und die Friedenszeiten immer länger sein, so daß sich Wissenschaft und Kultur auf den Trümmern der Vergangenheit andauernd weiter aufbauen lassen.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Weins und der Trinkgelage