Jüdische Ärzte in türkischen Landen

Schon seit dem Jahre 1355 begannen die Osmanen oder Türken von Kleinasien her in Europa einzubrechen; das morsche Kaiserreich, das man einst das byzantinische, später das griechische hieß, vermochte den tapferen Asiaten keinen bedeutenden Widerstand zu leisten, und schon 1361 setzten sich diese in Adrianopel fest. Gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts beschränkte sich das griechische Kaiserreich auf Konstantinopel und dessen Umgebung. Der Sultan Mehemed II. eroberte 1453 auch diese Stadt und bereitete damit der griechischen Herrschaft ein Ende; der letzte Kaiser, Konstantin XI., fiel heldenmütig auf den Trümmern seiner Hauptstadt, und das Kreuz der Sophienkirche ist seitdem durch den Halbmond ersetzt.

Mit dem Eroberer Konstantinopels zog der erste jüdische Arzt unter der europäisch-türkischen Herrschaft in die Stadt ein. Denn Mehemeds Leibarzt Hekim Jakob war Jude von Geburt und nahm erst später, als ihm die Würde des Vezirs winkte, den Islam an. Seine Erfahrung und sein Wissen wurden hoch gerühmt. Als dann kurze Zeit darauf die Verbannten Spaniens und Portugals die Welt durchirrten und ein Asyl suchten, öffnete das junge Türkenreich im Osten Europas willig seine Grenzen und nahm viele Tausende dieser Obdachlosen auf. Auch in der neuen Heimat vergaßen die Juden ihre Kulturmission nicht; bald blühten jüdische Schulen im Lande, die ein reges, geistiges Leben vermittelten. Die ererbte Liebe zur Medizin erwachte unter dem friedlichen Schutze der türkischen Sultane, und, wie berühmt nach wenigen Jahrzehnten bereits die jüdischen Ärzte der Türkei waren, erkannten wir ja schon aus der mitgeteilten Tatsache, dass Franz I. von Frankreich, als er einen jüdischen Arzt zu Rat zu ziehen wünschte, ihn aus der Türkei herbeirufen ließ.


Unter der Regierung Selims I., der dem Sohne des Eroberers von Konstantinopel als dritter Sultan auf europäischem Boden gefolgt war, zeichnete sich von den spanisch-jüdischen Ärzten am meisten Salomon Almoli aus, der nicht nur ein geschickter Arzt, sondern auch ein vortrefflicher, hebräischer Grammatiker war. Medizinische Schriften sind uns nicht von Almoli bekannt; seine hebräischen Werke, darunter ein hebräisches Lexikon, sind teilweise wiederholt gedruckt worden. Sein Zeitgenosse war des Sultans Leibarzt Josef Harnon, der nicht aus Spanien, sondern aus Italien eingewandert war. Bedeutender aber war sein Sohn Moses Hamon, der Leibarzt des kriegerischen Soliman des Prächtigen (II.), der Gefährte desselben auf seinen Kriegszügen gen Westen, die wir alle aus Theodor Körners „Zriny“ mit besonderem Interesse kennen gelernt haben. Moses Hamon war ein kluger Arzt und ein gebildeter Mann, der mit gleicher Geläufigkeit die hebräische, die arabische, die türkische und die persische Sprache beherrschte; eine Abhandlung über den Pentateuch schrieb er z. B. in persischer Sprache. Moses Hamon war trotz seiner hohen Staatsstellung ein treuer Sohn seines Glaubens und versäumte keine Gelegenheit, seine Glaubensgenossen gegen Verleumdungen und böswillige Unterstellungen zu verteidigen. Besonders damals, als zu Amasie in Kleinasien die Juden beschuldigt wurden, Christenblut gebraucht zu haben, und viele Juden, darunter auch ein Arzt, Jakob Abiub, zum Scheiterhaufen geschleppt worden waren, nach diesem Justizmorde aber der angeblich getötete Christ wieder auftauchte, da war es Moses Hamon, der den Sultan zu einer strengen Untersuchung der Angelegenheit zu bestimmen wusste, deren Ergebnis die strengste Bestrafung der gewissenlosen Richter und die Verfügung waren, dass künftig ähnliche Anschuldigungen nur vom Sultan selbst zu entscheiden seien. Ein zeitgenössischer Reisender schreibt von seinem Aufenthalte in Konstantinopel ,,Zu Konstantinopel ist Moses sehr mächtig und steht in hoher Gunst beim Sultan. Er hat Hervorragendes geleistet, was erwähnt zu werden verdient und in jeder Stadt, in jeder Familie, zu allen Zeiten bekannt werden sollte, damit er ewig im Gedächtnis der Nachwelt fortlebe: wollte ich einzeln aufzählen, was zum Beweis für sein großes Herz dienen könnte, so möchte ihn das vielleicht kränken. Er hat gelehrte Männer um sich gesammelt und hat eine Hochschule errichtet; zu diesem Werk hat er ein eigenes Gebäude aufbauen lassen und große Summen dafür verausgabt, und darin lebt man unaufhörlich dem Studium“ 32). Neben diesem Manne war Arzt am Hofe Solimans der Portugiese Tom Ebn Jahya. Er hatte in Konstantinopel studiert und erwarb sich neben seinen Medizinischen Kenntnissen ein so hervorragendes Wissen in der damaligen türkischen Jurisprudenz , dass türkische Richter in schwierigen Fragen seinen Rat einholten. Auch er war sehr sprachenkundig. Seine ärztliche Tüchtigkeit belohnte der Sultan dadurch, dass er für ihn und für seine beiden Söhne ein beträchtliches Jahrgeld auswarf. Tom Ebn Jahya starb in vorgerücktem Alter in Konstantinopel. Von seinen beiden Söhnen lebte der ältere, Josef, ebenfalls in der Umgebung des Großherrn, während der jüngere zu Saloniki eine ausgedehnte Praxis betrieb und sich in seinen Mußestunden philosophischen Studien hingab. Spanier von Geburt war Abraham Halevy Ebn Megas, der im Gefolge Solimans das Heer nach Syrien begleitete und aller Orten, wohin er kam. Beweise seines hervorragenden Könnens gab; die spanische Gemeinde in Damaskus forderte ihn noch lange Zeit nach seiner Rückkehr nach Konstantinopel auf, sich in ihrer Mitte niederzulassen. Er überlebte den großen Sultan, der 1566 starb. Von seinen wissenschaftlichen Werken ist uns nur eines, das 1585 zu Konstantinopel gedruckte Khabod Elohim, in dem er seine Reisen im Orient beschreibt, überkommen. Sein Zeitgenosse war in Konstantinopel Abraham Nachmias, der verschiedene medizinische Schriften verfasste; die Abhandlung über Hämatemesis wurde 1591, die über Gehirnfieber 1604 zu Venedig in lateinischer Übersetzung veröffentlicht.

32) Salomon Athia von Jerusalem in der Vorrede zum Kommentar zu den Psalmen. Venedig 1519. (zitiert von Carmoly).

Eine sehr zahlreiche Gemeinde jüdischer Emigranten besaß im sechzehnten Jahrhundert Saloniki. Darum finden wir auch hier zahlreiche jüdische Ärzte. Zu den gesuchtesten Praktikern zählte Samuel Uziel. Seine letzte Lebenszeit verbrachte in dieser Stadt einer der bedeutendsten jüdischen Ärzte, die es überhaupt gab, Jean Rodriguez, bekannt als Amatus Lusitanus. Er war 1511 zu Castello-Bianco in Portugal geboren und hatte unter der Maske des angenommenen Christentums in Salamanka studiert; praktische Ausbildung in den Spitälern dieser Stadt beförderte namentlich seine chirurgischen Kenntnisse. Die Furcht vor der Inquisition trieb ihn dann aus Spanien durch Frankreich und durch die Niederlande nach Italien. Er liess sich in Ankona nieder und wurde bald einer der berühmtesten Ärzte Italiens. Von Nah und Fern strömten ihm Patienten zu; Papst Julius III. berief ihn wiederholt zu sich, der König von Polen (Siegismund II.) begehrte ihn als Leibarzt. Aber, um ungehindert als Jude leben zu körinen, schlug er solche Anerbietungen ab und ging nach Saloniki. Hier starb Amatus Lusitanus 1562. Sein Name lebt fort in seinen Werken, an deren Spitze die sieben Centurien stehen „Curationum Medizinalium centurias Septem“; in sieben Teilen werden je hundert Krankheiten behandelt mit Angabe von Krankengeschichten und besonderer Rücksicht auf Therapie. Die Titel seiner anderen Werke sind: Commentatio de introitu medici ad aegrotantem; de crisi et diebus decretrotoriis, Venedig 1557; in Dioscoridis Anarzarboei 33) de materia medica libros quinque und enarrationes eruditissimae, Venedig 1553. Amatus Lusitanus war ein sorgfältiger und gewissenhafter Beobachter am Krankenbett und widmete sich seinen Kranken mit seltener Hingebung.

33 ) Pedanius Dioscorides aus Anazarbea Zilizien lebte unter Kaiser Nero und Vespasian. Sein Werk über die Arzneimittel ist das bedeutendste des Altertums in botanischer und pharmakologischer Hinsicht und galt im ganzen Mittelalter als untrügliches Orakel, (cur. pag. 30.)

Andere Ärzte im Reiche des Halbmonds waren zu jener Zeit David ben S diu seh an zu Jerusalem in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts und, wohl gleichzeitig lebend, Isaak Chaber in Damaskus. Zu Tyrus lebte in hohem Ansehen mit einem Ehrensold des Sultans (Selim II. ?) Moses Abas, der neben seinen ärztlichen Talenten eine schöne poetische Gabe hatte. Yon den egyptischen Ärzten war wohl Samuel al Magrabi der bedeutendste Praktiker. Zu Patras wirkte bis zum Jahre 1533 als Arzt der aus Korfu gebürtige Messir Vidal, oder, wie er selbst sich zu nennen pflegte, David Vidal; in jenem Jahre eroberte General Doriä die Stadt Patras, und David Vidal, seiner Bibliothek verlustig, ging nach Konstantinopel. Im Jahre 1550 hielt er sich in Venedig auf. In Korfu selbst lebte der Arzt Samuel Valerio schon vor der Zeit David Vidals.

Im siebenzehnten Jahrhundert wuchs hier die Zahl der jüdischen Ärzte beträchtlich, und um ihrer Kunst willen hatten sie Zutritt bei Hoch und Niedrig, bei Arm nnd Reich. Es finden sich unter ihnen tüchtige Praktiker und gelehrte Theoretiker. Einige gehörten zur Sekte der Karaiten; vielleicht hat Schabtai, der den Beinamen Arzt führte und zu denselben zählte, in Konstantinopel gelebt. Von den übrigen ist z. B. Samuel Salum, der aus Ägypten gebürtig war, erwähnenswert; er übte die ärztliche Praxis um die Wende des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts mit großem Erfolge in Konstantinopel aus. Ein Nachkomme spanischer Emigranten war Isaak Jaabez, gleichfalls Arzt in der türkischen Hauptstadt, der dort im Beginne des siebenzehnten Jahrhunderts gestorben ist; er hat gelehrte Kommentare zu den heiligen Büchern verfasst, während medizinische Abhandlungen von ihm nicht bekannt sind. In der Türkei selbst und zwar zu Saloniki war Moses Amardji geboren, der Arzt und Günstling am Hofe des Sultans war. In vorgerückten Jahren zog er sich in seine Vaterstadt zurück und starb daselbst. In Saloniki gab es zu seiner Zeit noch andere jüdische Ärzte, von denen Je hu da Chendali als gründlicher Arzt und als weiser Philosoph, Abraham Cohen als hervorragender Praktiker und edler Charakter gerühmt wird. Abraham Cohen verkehrte sehr häufig am Krankenbette Andersgläubiger. Anfangs Arzt in Saloniki, später aber Rabbiner in Askophia war Abraham Melamed.

Aus Flandern kam 1633 Leo Siaa nach Konstantinopel und gewann rasch eine ausgedehnte Klientel; hinterlassene Schriftstücke lassen erkennen, dass er die lateinische und die arabische Sprache verstand. Von portugiesischen Eltern war in Konstantinopel selbst Ephraim Penseri zur Welt gekommen; er vertiefte sich in späteren Jahren in die Kabala und ging zu ihrem Studium nach Damaskus, wo er, als Heiliger verehrt, starb. Von spanischen Scheinchristen war noch in Spanien Abraham ben Iaisch geboren; er verließ die pyrennäische Halbinsel, um sich offen als Israelit zu bekennen, und unternahm von Lissabon aus eine Reise nach Amerika. Die Rückreise hatte ihn nach Konstantinopel und nach Damaskus geführt, wo er als Arzt wirkte. Salonion Konia, den wir schon in Padua als Arzt und Lehrer kennen lernten, (cfr. pag. 76), wirkte in gleicher Weise auch Jahre lang in Konstantinopel; hier waren seine besten Schüler David Coriel, später Arzt in Adrianopel, und wiederum sein Sohn Israel Konia, der die Praxis seines Vaters in der Residenzstadt fortführte.

Sehr reich an jüdischen Ärzten war das damals zur Türkei gehörige Palästina. Schon 1625 gab es in Jerusalem selbst fünf: den Spanier Jakob Ebn Amram, den Castilianer Isaak Chabilis, ferner Jakob Aboab, Samuel Halevy, der Leibarzt des türkischen Paschas war, und Elieser Archa, der sich neben tüchtigem ärztlichen Können durch reiches talmudisches Wissen auszeichnete. Bald darauf gewann auch Isaak Espagna in Jerusalem den Ruf eines bewährten Praktikers, und als Mann von vierzig Jahren kam schließlich aus Jassy in der Walachei nach der heiligen Stadt der Arzt Jak ob Ebn Arvani. Außerhalb der Hauptstadt lebten und wirkten Jakob Zemach, ein Portugiese von Geburt, der 1619 nach Palästina gekommen war und in seinen letzten Lebensjahren nach Jerusalem verzog, und Chaj a Rofe, der gesammelte Schriften als Maasse Chaia schrieb, veröffentlicht von seinem Sohne Meier, Arzt in Hebron, und in einer zweiten Auflage 1727 zu Fürth gedruckt.

Endlich reiht sich an diese Männer, die weniger wissenschaftlich tätig waren, aber als gewiegte Praktiker der Menschheit nützten, ein hochgebildeter, viel gewanderter Mann, der durch seine Geburt der Türkei und dem siebenzehnten Jahrhundert angehört — ich meine Josef Salomon del Medigo, noch bekannter als Josef von Candia.

Er war auf der Insel Candia im Sommer 1591 geboren als Nachkomme des bereits erwähnten berühmten Elias del Medigo. Kaum fünfzehnjährig bezog er die Hochschule zu Padua und machte sich hier durch seinen lebhaften Eifer für die Naturwissenschaften und die Philosophie bemerkbar. Als Doktor der Medizinischen Fakultät kehrte er in seine Heimat zurück und begann etwa 1613 dort seine ärztliche Praxis. Etwa drei Jahre später trieb ihn Wissensdurst nach Ägypten und von hier nach Konstantinopel; hier sowohl als vorher in Kairo besuchte er namentlich die Lehranstalten der Karaiten. Dann kam er nach Polen, die Walachei durchwandernd, und musste hier, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, ärztliche Praxis ausüben. Sein Ruf verbreitete sich rasch, so dass ihn Fürst Racziwil nach Litauen kommen ließ. Aber Josef von Candia war ein unstäter Mann; nach einigen Jahren setzte er seine Wanderung fort nach Deutschland und hielt sich in Hamburg auf, bis ihn die Pest nach Glückstadt in Schleswig vertrieb. 1627 finden wir ihn in Amsterdam, und hier ließ er seine ersten Werke erscheinen. Später durchzog er wieder Deutschland und Böhmen, 1650 war er in Prag, 1652 in Worms und dann wieder in Prag, wo im Herbst 1655 der Tod ihn zu rasten zwang. Da ruht er auf dem alten Judenfriedhof, und ein Denkmal bezeichnet seinen Hügel. Trotz dieses Wanderlebens fand Josef von Candia Zeit, eine Anzahl wissenschaftlicher Werke naturwissenschaftlichen, philosophischen, theologischen Inhalts abzufassen; Carmoly zählt ihrer 36 auf. Uns Ärzte interessieren davon eine Abhandlung zur Kenntnis der Schatten (Zel hachokhma, Manuscript), eine Abhandlung Medizinischen Inhalts (Refuoth Thaale), eine Schrift über die Wunder der Chemie und der Mechanik (Chefesch mechuppasch), eine über den Regenbogen und seine Farben, eine Übersetzung der Aphorismen des Hippokrates in das Hebräische mit Kommentar und der Dialoghi die Amore von Jehuda Abarbanell. Auch ein Überblick über die Literaturgeschichte der Juden stammt aus seiner Feder; dieses Werk wurde 1834 in der Krim gedruckt und abermals mit deutscher Übersetzung und Erläuterungen von Geiger 1840 in Berlin herausgegeben. Was sonst im Druck von ihm erschien, ist theologischen bzw. kabalistischen Inhalts. Während Josef von Candia von der Türkei ausgegangen war und wesentlich im Auslande seinen Ruhm begründete, war in Konstantinopel Tobias Cohen eingewandert und schuf sich hier seine ehrenvolle Stellung. Er war 1652 zu Metz geboren und hatte deutsche Bildung genossen. Denn ihm und einem nachmaligen Arzte Gabriel war es als den ersten Juden vergönnt, zu Frankfurt an der Oder die Universität zu besuchen; es geschah auf besondere Ordre des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, genannt der Große, von Brandenburg. In Padua (cfr. pag. 76) setzte Tobias Cohen seine Studien fort und promovierte daselbst. Dann ließ er sich in Konstantinopel nieder und erwarb bedeutendes Ansehen. Fürst Maurocordato und Vezir Rumi-Pascha führten ihn bei dem Sultan Achmed III. ein. Im Jahre 1708 begab er sich nach Venedig, um seine Werke in Druck zu geben. Auf der Rückreise besuchte er Palästina und starb zu Jerusalem im Jahre 1729. Tobias Cohens Gesamtwerke wurden 1708 zu Venedig das erste und 1728, also noch zu seinen Lebzeiten, zu Jesnitz das zweite Mal gedruckt. Der erste Teil dieses Buches beschäftigt sich mit physikalischen, astronomischen und sonstigen naturwissenschaftlichen Fragen, während der zweite ganz der Heilwissenschaft gewidmet ist. Da finden wir eine Übersicht über die Krankheiten in topographischer Anordnung, wie es damals allgemein 34) Brauch war, so dass er mit den Krankheiten des Kopfes begann. Unter Cohens neuen Beobachtungen sind seine Bemerkungen über die namentlich in Polen endemische Plica (Plica polonica, „Weichselzopf) hervorzuheben; er erfuhr als Student in Padua davon durch einen brieflichen Bericht aus Lemberg, und wir hören, dass die polnischen Ärzte dieser Krankheit gegenüber ratlos waren und schon vor Tobias Cohen die Fakultät von Padua um ihr Gutachten darüber ersucht hatten. Tobias Cohen meint, die endemischen Krankheiten müssten durch verschiedene Ursachen, nicht durch eine einzelne, bedingt sein — nach unserem heutigen Wissen eine treffende Bemerkung! Im vierten Abschnitt finden sich seine Beobachtungen über die Hydropsieen, und er kennt Hydrothorax, Ascites und akuten Hydrocephalus. Bei der Lehre von den Krankheiten des Fusses wird das Podagra angeführt und eine neue Behandlungsart beschrieben. In Anhängen bespricht der Autor die Fieberlehre nach den Anschauungen der alten Ärzte und seiner Zeitgenossen , wie nach seinen eigenen Beobachtungen, dann die kontagiösen und epidemischen Krankheiten mit Bemerkungen über die Pest und das Regime zu Pestzeiten, drittens die Eigentümlichkeiten des weiblichen Geschlechts (Jungfrauschaft, Gattin und Mutter; Menstruation, Schwangerschaft, natürliche und künstliche Entbindung), viertens die Kinderkrankheiten mit einem besonderen Abschnitt über die Pocken, fünftens über Zeugung. Verminderung des Samens und seine Ursachen und endlich über die Arzneipflanzen. Dem Werke beigegeben ist ein Register der Termini technici in drei Sprachen.

34 ) Z. B. beginnt Hellwigs Chirurgie vom Jahre 1713 „Wir wollen im Nahmen Gottes den Anfang von den Wunden des Haupts und was dazu gehört machen".

In der Vorrede zu seinem Werke sagt Tobias Cohen: „Die Heilkunde ist nach dem Ausspruch eines großen Arztes sehr leicht im Munde der Charlatane, aber sehr schwierig in den Augen des echten Arztes. Maimonides sagte darüber in seinem Regimen sanitatis — „wer sich einem Arzt, dem die Theorie seiner Wissenschaft unbekannt ist, anvertraut, gleicht dem, der trotz widriger Winde auf Seereisen geht; oft leiten sie ihn ja nach seinem Wunsche, aber weit öfter verschlingen sie das Schiff, das ihn trägt!“ Und weiter heißt es: „Der Arzt muss mit Sorgfalt alles, was auf jede einzelne Krankheit Bezug hat, studieren und aufmerksam den Kranken beobachten.“ Das scheint schon zu seiner Zeit das Publikum nicht mehr zu schätzen gewusst zu haben; denn aus seinen weiteren Ausführungen geht hervor, dass in der Türkei schon zu seinen Lebzeiten die Kurpfuscherei blühte, „dass falsche Ärzte darnach trachteten, die echten zu verdrängen.“ Sicher ist, dass nach diesen gelehrten Ärzten die Wissenschaft im allgemeinen und die Medizin im besonderen im Reiche des Halbmonds verfiel. Mystik und Aberglaube überwucherten im achtzehnten Jahrhunderte. Auch die politische Macht der Sultane war ja in dieser Zeit im Sinken begriffen, und im zweiten Drittel dieses Jahrhunderts verloren die Türken einen großen Teil ihres Besitzes (die Walachei, die Moldau und die Krim) an die Russen. Dass aber in der neuesten Zeit politische Machtstellung und Höhe der Kulturentwicklung in der Türkei weit entfernt von den Zeiten Solimans gewesen sind, ist allgemein bekannt; speziell in der Geschichte der Medizin hat die Türkei ganz aufgehört, eine Rolle zu spielen.

Ähnliches gilt von den sonstigen Reichen der Moslim, von Marokko, Algier, Tunis und Tripolis — also in jenen Landstrichen, wo im Mittelalter, die Medizin eine Pflegestätte fand und manchen tüchtigen Arzt aufweisen konnte. Gerade die Juden, welche hier wohnten, vergaßen ganz und gar die hohe Kulturstufe und die geistige Entwicklung ihrer Vorfahren. Sie teilten im sechzehnten, siebenzehnten, achtzehnten Jahrhunderte, wie wohl heute noch, mit den Christen und den Mohamedanern das Vertrauen zu Amuletten; als solche dienten ihnen Pergamentstreifen mit Bibelsprüchen, Metallblättchen mit kabalistischen Wunderzeichen, u. a. m. Der Arzt erfreute sich wohl beim Volke großer Wertschätzung; aber er galt mehr als Zauberer, denn als Arzt. Und die Vertreter des ärztlichen Standes trugen wenig zur Wahrung ihrer Würde bei. Von Ort zu Ort zogen sie, mit einem Felleisen ausgestattet, und, wohin sie kamen, ertönte der Ruf „Ei kekim, ei kekim!“ d. h. „der Arzt, der Arzt!“ Die Kranken wurden vorgeführt, der Arzt fühlte den Puls und stellte ohne weitere Untersuchung den Krankheitsfall fest, öffnete das Felleisen, entnahm daraus ein Pulver oder Pillen, strich dafür sein Geld ein und setzte sein Geschäft anderen Ortes fort. Ihre Medikamente, die eine heftige Krise der Krankheit hervorrufen sollten, bereiteten diese sogenannten Ärzte sich selbst, und kein Gesetz bekümmerte sich um ihre Schädlichkeit oder um ihre Harmlosigkeit. Mit ihnen konkurrierten in manchen Fällen die Geistlichen; namentlich übten sie, wie ihre Amtsgenossen im Abendlande ja auch, die Austreibung des Teufels bei Besessenen. Wenn man Carmoly glauben darf, dem ich diese Schilderung ier trostlosen Zustände unter den Berbern entnehme, war es üblich, bei jedem solchen Falle einen Rabbiner, einen Priester and einen Derwisch um Hilfe anzugehen; denn man konnte niemals wissen, welcher Konfession der Teufel, der in den armen Kranken gefahren war, angehörte, und jeder gehorchte nur dem Geistlichen seiner Religion, so dass es die Sicherheit des Verfahrens erheischte, eine dreifache Beschwörung vorzunehmen. Ein Nachtbild aus einer Zeit, in der in anderen Ländern die Sonne der Aufklärung mit glühendem Morgenrot sich verkündigte!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der jüdischen Ärzte
000. Plan Konstantinopels des Giovanni Andrea Vavassore, Venedig, um 1520. (Aus Eugen Oberhummer: Konstantinopel unter Suleiman d. Gr., R. Oldenbourg, München 1902)

000. Plan Konstantinopels des Giovanni Andrea Vavassore, Venedig, um 1520. (Aus Eugen Oberhummer: Konstantinopel unter Suleiman d. Gr., R. Oldenbourg, München 1902)

001. Moschee Suleimansi (Suleimanie) 1550-1566 Nordwestfassade des Hofes.

001. Moschee Suleimansi (Suleimanie) 1550-1566 Nordwestfassade des Hofes.

002. Goldenes Horn mit Suleimanije von der neuen Brücke aus.

002. Goldenes Horn mit Suleimanije von der neuen Brücke aus.

003. Goldenes Horn vom Friedhofe von Ejub aus

003. Goldenes Horn vom Friedhofe von Ejub aus

004. Leanderturm, Altes Serai (rechts), Aja Sophia und Achmedmoschee (Mitte) und Seemauern

004. Leanderturm, Altes Serai (rechts), Aja Sophia und Achmedmoschee (Mitte) und Seemauern

005. Suleimanije mit den umgebenden Wohlfahrtsanlagen im Vordergrund Türkisches Viertel

005. Suleimanije mit den umgebenden Wohlfahrtsanlagen im Vordergrund Türkisches Viertel

006. Atmeidan mit Achimedmoschee im Hintergrund die Aja Sophia

006. Atmeidan mit Achimedmoschee im Hintergrund die Aja Sophia

007. Galaturm mit Resten der alten Stadtmauer

007. Galaturm mit Resten der alten Stadtmauer

008. Verbrannte Säule (Dschemberli Tasch) von Konstantin d. Großen errichtet

008. Verbrannte Säule (Dschemberli Tasch) von Konstantin d. Großen errichtet

009. Sockel des Theodosiusobellisken mit Darstellung der Wettkämpfe

009. Sockel des Theodosiusobellisken mit Darstellung der Wettkämpfe

010. Goldenes Tor von innen mit den vermauerten Bögen

010. Goldenes Tor von innen mit den vermauerten Bögen

014. Goldenes Tor und Jedi Kule (Die Burg der sieben Türme)

014. Goldenes Tor und Jedi Kule (Die Burg der sieben Türme)

015. Mewlewi Hane-Tor (Porta Rheggii)

015. Mewlewi Hane-Tor (Porta Rheggii)

016. Die Landmauer Theodosius II (413). Im Hintergrund die Zypressenfriedhöfe

016. Die Landmauer Theodosius II (413). Im Hintergrund die Zypressenfriedhöfe

017. Landmauer, Teilansicht

017. Landmauer, Teilansicht

018. Jedicule Innenhof mit Moscheeruine

018. Jedicule Innenhof mit Moscheeruine

019. Straßenbild längs der Landmauern

019. Straßenbild längs der Landmauern

020. Silivri Kapu (Tor)

020. Silivri Kapu (Tor)

021. Der Marmorturm (Mermer Kule) 975-1025

021. Der Marmorturm (Mermer Kule) 975-1025

022. Der sogenannte Justinianpalast am Marmarameer

022. Der sogenannte Justinianpalast am Marmarameer

023. Aquädukt des Valens

023. Aquädukt des Valens

024. Tekfur Serai, Hoffassade

024. Tekfur Serai, Hoffassade

025. Tekfur Serai, Außenansicht

025. Tekfur Serai, Außenansicht

026. Aja Sophia 532-537 Außenansicht

026. Aja Sophia 532-537 Außenansicht

027. Aja Sophia. Vorhof mit Waschbrunnen

027. Aja Sophia. Vorhof mit Waschbrunnen

028. Aja Sophia Innenansicht gegen Osten

028. Aja Sophia Innenansicht gegen Osten

029. Aja Sophia, Blick aus dem rechten Seitenschiff.

029. Aja Sophia, Blick aus dem rechten Seitenschiff.

030. Aja Sophia, Westansicht mit Vorhallen

030. Aja Sophia, Westansicht mit Vorhallen

031. Aja Sophia, Südemphore

031. Aja Sophia, Südemphore

032. Aja Sophia, südöstliche Exedra mit Mimbar (Kanzel)

032. Aja Sophia, südöstliche Exedra mit Mimbar (Kanzel)

033. Irenenkirche von Norost, im Hintergrund Aja Sophia

033. Irenenkirche von Norost, im Hintergrund Aja Sophia

034. Irenenkirche, Inneres, jetzt Waffenmuseum

034. Irenenkirche, Inneres, jetzt Waffenmuseum

035. Sergius und Bacchus (Kütschük „Kleine“ Aja Sophia), Inneres

035. Sergius und Bacchus (Kütschük „Kleine“ Aja Sophia), Inneres

036. Kirche des Klosters Myrilaion (Bodrum Mesdschid) 10. Jahrh.

036. Kirche des Klosters Myrilaion (Bodrum Mesdschid) 10. Jahrh.

037. Kirche Pammakaristos (Fethie Dschami) Ostansicht

037. Kirche Pammakaristos (Fethie Dschami) Ostansicht

038. Kapitelle aus Sergius und Bacchus

038. Kapitelle aus Sergius und Bacchus

040. Kirche des Klosters Chora (Kahrie Dschami) Außenansicht

040. Kirche des Klosters Chora (Kahrie Dschami) Außenansicht

083. Blick in den großen Bazar

083. Blick in den großen Bazar

091. Uferpartie bei Skutari

091. Uferpartie bei Skutari

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