Geschichte der jüdischen Ärzte

Ein Beitrag zur Geschichte der Medizin
Autor: Landau, Richard Dr. (1864-1903) praktischer und Schularzt, Lyrischer und dramatischer Dichter, Erscheinungsjahr: 1895
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Geschichte der Medizin, Medizingeschichte, jüdische Ärzte, Dr. Richard Landau, Krankheit, Heilung, Heilmittel, Wissenschaft,
Bei Goethe habe ich einmal gelesen:

„Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken,
Das nicht die Vorwelt schon gedacht ?“


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Wie wenig wird dieses Wort in der Neuzeit beherzigt! Wie stolz bläht sich mancher im Dünkel des eignen Geistes, den nur er zu besitzen vermeint! Mit Verachtung blickt man auf das Alte und hält es für veraltet, weil es alt ist, und es scheint vielleicht gar manchen kleinlich und zeitverschwenderisch, in die Vergangenheit hinabzutauchen, und dort nach der Wahrheit und Schönheit zu suchen, die uns die Gegenwart mit ihren scharfen Gegensätzen so oft. so unendlich oft vermissen lässt. Aber jede Wissenschaft ist eine fortlaufende Kette; Ring reiht sich an Ring, und nimmer kann eine Lücke offen bleiben, ohne das Ganze zu vernichten. Was wir heute wissen, was wir heute können, ist nicht der Gegenwart Verdienst allein; mit tausend Wurzeln, mit tausend Fasern haftet es fest in der Vorzeit. Um bei diesem Bilde zu bleiben, kann man auch sagen, die Wissenschaft sei ein mächtiger Baum, der himmelanstrebend aus der Niedrigkeit aufstieg. Von seinem einfachen Stamme wuchsen Äste und Zweige nach allen Richtungen, und jeder Ast und jeder Zweig verteilte sich wieder tausendfältig: grüne Blätter und goldene Früchte sind daran gewachsen — mancher Zweig verdorrte und fiel tot zu Boden, manche Frucht verbarg unter goldener Hülle ein wurmstichiges Gehäuse und wurde verächtlich zur Seite geschleudert. Aber der Stamm blieb jung und frisch trotz seiner Last von tausenden von Jahren, trotz des Werdens und Vergehens in seinem Wipfel! Das soll man bedenken und soll aus der hohen Krone des weltbeschattenden Baumes, den man Wissenschaft heißt, und in dem man sich so stolz und erhaben fühlt, gelegentlich einmal hinabsteigen und den Stamm, der uns trägt, betrachten und die Wurzeln, aus der die Laubkrone ihre belebenden Säfte saugt, beschauen. Hätte diese Betrachtung, die man Geschichtsforschung nennt, keinen andern Wert und Zweck, einen hat sie immer, und er genügt, um die aufgewandte Mühe zu belohnen, um die verbrauchte Zeit wohl benutzt zu haben! Dieses eine, was die Geschichtsforschung immer lehrt, ist Bescheidenheit — ohne Bescheidenheit aber kann kein wahres Wissen sein. Das sollen die Ärzte, wie andere, die nach der Wahrheit ringen, stets vor Augen haben, und sie werden alle, wenn sie nur einmal den Mut gefasst haben, die Geschichte ihrer Wissenschaft zu lesen und zu lernen, mit mir überzeugt werden, dass sie damit keine Zeit vergeudet, sondern nutzbringend, segensreich gearbeitet haben. Einem in und von der Praxis lebenden Arzt, wie dem Verfasser nachfolgender Blätter, kann es nun nicht beifallen, eine Geschichte der Medizin in ganzem Umfange schreiben zu wollen; er muss sich begnügen mit der geringeren Aufgabe, einen Teil, einen Ast vom gewaltigen Stamme, zu schildern und dadurch zu suchen die Lust zu erwecken, doch auch die anderen Äste kennen zu lernen.

Niebuhr, der unsterbliche Schilderer der römischen Geschichte, sagt: „Die Geschichte studiere doppelt, nach den Personen und nach den Staaten!“ Das gibt einen Fingerzeig dafür, welche Äste sich dazu eignen, besonders geschildert zu werden — einmal die Personen, welche die handelnden Personen in den Begebenheiten sind, also in unserem Falle die Ärzte, zum anderen der Boden, auf dem sich die Handlungen entwickeln und abspielen, also die Wirkungsstätte der Ärzte. Beides aber steht zu einander in so vielfältigem Wechselverhältnisse, dass sich nicht immer eine scharfe Trennung vornehmen lässt ; daher ist es geeigneter, wenn man einen Beitrag zur Geschichte der Medizin liefern will, keines von beiden ganz zu vernachlässigen, sondern eines von beiden zur Hauptsache, das andere zur Nebensache, oder richtiger gesagt zur Grundlage zu machen. Um also einen Teil vom großen Ganzen zu beschreiben, werde ich z. B. eine gewisse Kategorie Ärzte vor Augen führen dürfen und ihnen durch Berücksichtigung der Länder und der welthistorischen Begebenheiten, innerhalb welcher sie lebten, einen gewissen festen Boden geben können. Von solchen Gesichtspunkten geleitet, habe ich mich der Mühe unterzogen, eine Geschichte der jüdischen Ärzte zu schreiben oder, besser gesagt, den Versuch zu machen, eine solche zu schreiben. Warum gerade der „jüdischen Ärzte“, das werden einleitende Worte besonders begründen.

Das Material zu dieser Arbeit ist ein außerordentlich zerstreutes und teilweise sehr schwer zu beschaffendes; es ist meine Pflicht, den königlichen Bibliotheken zu München und zu Dresden, sowie der Universitätsbibliothek zu München meinen Dank auszusprechen für die Bereitwilligkeit, mit der sie mir ihre großen Schätze immer von neuem zur Verfügung gestellt haben. Ein deutsches Buch, das den ganzen Stoff umfasste, habe ich nicht auffinden können, nur ein französisches, das aber, von einem Laien geschrieben, wohl sehr reiches Material enthält (fast alles, was ohne Angabe der Quelle berichtet ist, habe ich ihm entnommen), aber an sehr mangelhafter Anordnung leidet, zudem sehr selten geworden zu scheint, da ich es in keinem Antiquariatskatalog auffand und zwei Bibliotheken, die Dresdner und die der Münchner Universität, umsonst darum anging, bis sich in der Staatsbibliothek zu München ein vom Verfasser z. Z. irgend einem Freunde dediciertes Exemplar vorfand. Das ist die Histoire des médecins juifs par E. Carmoly, Bruxelles, 1844. Außer diesem Hauptwerke habe ich benutzt:

1) Häser, Gesch. d. Medizin u. Grundriss d. Gesch. d. Medizin.
2) Baas, Grundriss d. Geschichte d. Medizin, Stuttgart 1876.
3) Hirsch, Gesch. der Medizin. Wissenschaft in Deutschland, München 1893.
4) Hyrtl, Das Arabische u. Hebräische i. d. Anatomie, Wien 1879.
5) Josef Bergel, Die Medizin der Talmudisten, Leipzig 1885.
6) J. Münz, Ueber die jüd. Ärzte i. Mittelalter, Berlin 1887.
7) M. Horovitz, Jüd. Ärzte i. Frankfurt a. M., Frankfurt 1886.
8) S. Lilienthal. Die jüdischen Ärzte, J. D. München 1838.
9) J. B. Scharold, Gesch. d. Medizinalwesens i. ehem. Bistum Würzburg, J. D. Würzburg 1824.
10) Ludwig Geiger. Gesch. der Juden in Berlin, Berlin 1871.
11) G. Wolf, Die Juden i. d. Leopoldstadt im 17. Jahrhundert in Wien, Wien 1864.
12) B. Finkenstein, Dichter und Ärzte, Breslau 1864.
13) Dittmar, Die Weltgesch. in Umrissen, Heidelberg 1874.
14) E. Hecht. Israels Geschichte, Leipzig 1855.
15) M. Wiener, Regesten zur Gesch. d. Juden in Deutschland während des Mittelalters, Hannover 1862.

Über eine gelegentliche weitere Quelle gibt die zitierende Fußnote Aufschluss.

Frankenberg, im März 1895.

Jerusalem from the Mount of Olives

Jerusalem from the Mount of Olives

The Cypresses of the Garden of Gethsemane.

The Cypresses of the Garden of Gethsemane.

The Rock-Cut Tombs of the Valley of Jehoshaphat.

The Rock-Cut Tombs of the Valley of Jehoshaphat.

006. Atmeidan mit Achimedmoschee im Hintergrund die Aja Sophia

006. Atmeidan mit Achimedmoschee im Hintergrund die Aja Sophia

083. Blick in den großen Bazar

083. Blick in den großen Bazar

091. Uferpartie bei Skutari

091. Uferpartie bei Skutari

Paris, Alexander III. - Brücke

Paris, Alexander III. - Brücke

Paris in den Tuilerien

Paris in den Tuilerien

Paris Notre-Dame

Paris Notre-Dame