Die jüdischen Ärzte in Italien

Aus den dunklen Zeiten, in die uns soeben Spanien und Portugal geführt haben, müssen wir noch einmal in die lichtvolleren zurückkehren. Wir haben gehört, wie die arabisch-jüdische Medizin in Sizilien ihren Einzug hielt und von dieser Insel auf das italische Festland gelangte und haben auch erfahren, wie sie in Salerno eine gastfreundliche Heimat gefunden hat. Wir erinnern uns auch, wie großen Anteil jüdische Ärzte an dem ersten Aufschwung dieser ältesten italienischen Hochschule für Medizin genommen haben, und bei dem zahlreichen Zuzug jüdischer Studenten nach Salerno kann es auch nicht zweifelhaft sein, dass sich im zwölften Jahrhunderte schon, wie in den meisten christlichen Staaten, so auch in den italienischen jüdische Ärzte vorfanden. Namentlich bekannt ist uns der Rabbi Chananel, der unweit Salerno, zu Amalfi, seinen geistlichen Beruf mit dem des Arztes verbunden hatte. Aus späterer Zeit habe ich bereits erwähnt, dass der jüdische Arzt Jakob ben Abba Mari aus Frankreich nach Neapel zog, vom Vertrauen Kaiser Friedrichs II. dorthin berufen, und dort im vierten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts lebte und wirkte. Gerade diese Berufung scheint mir ein Beweis dafür zu sein, dass zu jener Zeit die Zahl der jüdischen Ärzte, wenigstens hervorragender, in Italien noch keine große gewesen sein kann. Bald aber zeichneten sich auch in diesem Lande jüdische Ärzte aus.

Aus Turin gebürtig und zu Salerno unterrichtet war Abulhakim, dessen arabisch geschriebene Abhandlung über die Erhaltung der Gesundheit sich im Manuskript bis heute erhalten hat. Er lebte etwa gleichzeitig mit dem Leibarzte Kaiser Friedrichs. Noch bedeutender war Farradsch ben Salem, Ferragius oder Ferragut geheißen, den noch neuestens Häser 19) zu den wichtigsten der Übersetzer aus dem dreizehnten Jahrhunderte zählt. Er entstammte der Schule von Salerno und muss in freundschaftlicher Beziehung zu Karl von Frankreich, Bruder Ludwigs des Frommen, der über Neapel und Sizilien von 1266 — 1285 herrschte, gestanden haben. Denn die lateinische Übersetzung der Medizinischen „Werke des Arabers Jahya ben Djesla, welche 1532 veröffentlicht worden ist, ist Carolo regi ejus nominis primo gewidmet. Ferragius ist wohl einer der ersten jüdischen Ärzte, die nicht mehr in das Hebräische, sondern in die klassische Gelehrtensprache, in das Lateinische, aus dem Arabischen übersetzten.


Aus Verona kam nach Salerno, um Medizin zu studieren, Hillel ben Samuel und bildete sich zu einem tüchtigen Arzt, zu einem gewandten Übersetzer und zu einem tiefen Denker aus. Er stand in Verkehr mit den gelehrtesten Männern seines Vaterlandes und verfasste außer philosophischen Schriften, von denen eine, 1291 vollendet, uns die Zeit seines Lebens verrät, eine hebräische Übersetzung der Chirurgie des Bruno von Langoburgo, der sie 1252 wesentlich nach den Angaben des Galen, des Hippokrates, Rhazes und Abulkasem verfasst, aber auch eigene Beobachtungen hinzugefügt hatte; Hillels Übertragung ist Sefer Kerithuth betitelt. Es beweist dieselbe, dass, wie in Frankreich, so auch in Italien das Interesse für die neu erwachende Chirurgie unter den jüdischen Ärzten ein sehr lebhaftes gewesen sein muss. In Rom lebte damals Nathan Hamati, aus Syrien eingewandert, der ein fleißiger Übersetzer gewesen ist. Er übertrug in das Hebräische aus dem Arabischen die Medizin von Zoharani (Mamar hameschichoth), die Aphorismen des Hippokrates mit dem Kommentar des Galen nach einem arabischen Text (Sefer haperakim, beendet 1283), den Kanon Avicennas (beendet 1273), eine Abhandlung des Augenarztes Abulkasem (Sefer berefuoth haajin) und vor allem als Perke Moscheh die Aphorismen des Maimonides; diese letztere Übersetzung Hamatis liegt den lateinischen Übertragungen des Werks des Maimonides, welche ich früher genannt habe, zu Grunde. In Rom hatte damals auch der Papst Bonifacius VIII. einen Doktor Isaak als Leibarzt; er bewies damit eine menschenfreundliche Duldsamkeit, welche vor ihm schon Papst Gelasius (am Ende des fünften Jahrhunderts) durch die Ernennung des Juden Telesinus zu seinem Leibarzt und durch die ihm bewiesene Freundschaft ausgezeichnet hatte, und welche nach ihm noch manchen Inhaber des Stuhles Petri auszeichnete, wie wir wiederholt erfahren werden, von den in Avignon residierenden Päpsten aber schon erfahren haben. Endlich lebte in Rom am Ausgange des dreizehnten Jahrhunderts Serachia ben Isaak Chen, der aus seiner Geburtsstadt Barcelona eingewandert war; er war Arzt, Philosoph, Astronom und Physiker und verfasste zahlreiche Übersetzungen und Originalarbeiten, unter den ersteren eine hebräische Übertragung von Avicennas Kanon, von der Metaphysik und der Physik des Aristoteles (1284 vollendet) und von den zu diesen klassischen „Werken des Altertums hinzugeschriebenen Kommentaren des Averroes, unter letzteren Briefe an den Arzt Hillel und eine Abhandlung über Himmel und Erde in hebräischer Sprache (Sefer schamaim weha-aulom). Als Philipp der Schöne die Juden aus Montpellier vertrieb, nahm sie ein anderer französischer Fürst gastfreundlich in seinem Lande auf. Das war Karl II., der König von Neapel, dessen Freisinn und Milde hoch gerühmt werden. Er selbst hatte einen jüdischen Leibarzt, Samuel ben Jakob von Capua. Dieser übersetzte die Medizinischen Werke von Jahya ben Masoviah, aber interessanter Weise nicht aus dem Arabischen, sondern auf Grund einer lateinischen Übersetzung, welche zu seinen Lebzeiten in Ägypten erschienen war. Auch Karls Nachfolger, Robert von Anjou, hatte während seiner Regierung von 1309 — 1348 einen jüdischen Leibarzt, einen vielseitig gebildeten Mann 20). Von ihm ließ er die vielen hebräischen Werke seiner Bibliothek, die er unter großem Kostenaufwand gesammelt hatte, in das Lateinische übersetzen.

20) Carmoly nennt diesen Isaak; Münz sagt, dass der auch als satyrischer Dichter bekannte Kalonymos ben Kalonymos, auch Maestro Calo genannt, Arzt König Roberts war. Ich habe nichts finden können, um zu entscheiden, ob unter beiden Namen dieselbe Person gemeint ist, oder welcher der beiden Autoren sich irrt.

In Sizilien, das ehemals zum Königreich Neapel gehörte, sich aber seit der sizilianischen Vesper 1282 unter spanische (arragonische) Herrschaft gestellt hatte, lebten damals Aron von Messina, Meister David in Palermo und in derselben Stadt Gaudius, dem 1327 der Regent von Sizilien „gegen zufriedenstellende Vergütung seiner Auslagen“ an seinen Hof zu kommen befahl, um ihm „gewisse und ausdrückliche Dienste“ zu leisten. Diese Ärzte beweisen, dass das Parlament zu Piacca auf Sizilien, welches am 20. Oktober 1293 sich die judenfeindlichen Kirchenbeschlüsse aneignete und verfügte, dass, wenn ein kranker Christ von einem jüdischen Arzte sich behandeln ließe, der Patient auf drei, der Arzt auf zwölf Monate bei Wasser und Brot eingekerkert werde, Honorar aber und Kosten der Heilmittel der Armenkasse zufallen sollten, nicht genügende Macht besaß, um seine Beschlüsse durchzuführen. Ein Mangel an Ärzten muss freilich allmählich eingetreten sein; denn 1450 wurde jenes Parlamentsdekret formell umgestoßen, und es wurde verfügt, dass den jüdischen Ärzten auf Sizilien die Ausübung der Praxis auch unter den Christen des Landes frei stehe.

Kehren wir auf das italische Festland, zurück und überblicken wir die Städte außerhalb Neapels, so finden wir am Beginne des vierzehnten Jahrhunderts zu Verona den Doktor Mischel ben Abraham, den der Titel Harofe d. h. Arzt schmückte. Zu Rom waren Sprossen der Familie Anav als Ärzte tätig und hochgeehrt; in dieser Familie war die Ausübung der Heilkunde erblich, und die ersten derselben, Benjamin und Abraham, lebten und wirkten bereits am Beginne des dreizehnten Jahrhunderts unter Innocenz III., dessen Ärzte sie vielleicht gewesen sind. Jehuda, Zedekias und Jekuthiel Anav sind die hervorragendsten Glieder der Familie; ein letztes Glied, der durch seine Frömmigkeit berühmte Menachem Rofe Anav, lebte im ersten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts. Zu Rom lebte auch der geistreiche Dichter Immanuel, der zwar keine ärztliche Praxis ausgeübt zu haben scheint, aber gewiss Medizinisch ausgebildet gewesen sein dürfte; er durfte sich rühmen, mit Italiens größtem Dichter des ganzen Mittelalters, mit Dante Alighieri , der 1321 starb , persönlich befreundet zu sein. Wahrscheinlich veranlasste ihn diese Freundschaft auch seinerseits eine Fahrt durch die Hölle und das Paradies zu besingen. In dieser humoristisch-satyrischen Dichtung versetzt Immanuel die schlechten Ärzte und die Quacksalber, die dem Menschengeschlechte Schaden zufügen und die Kranken nur in das Grab befördern, in die Hölle; aber auch Hippokrates erblickt er inmitten der Sünder, weil er seine hohe Weisheit geheim gehalten hat — gewiss ein feinsinniger Ausdruck selbstloser Menschenliebe! Auch in seinen humorvollen Novellen finden sich Episoden aus dem Leben des Arztes eingestreut.

Die zweite Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts erfüllten auf Italiens Boden die Kämpfe zwischen Welfen und Ghibellinen; besonders die Kämpfe zwischen den Anhängern Colonnas und denen Orsinis sind bekannt. Im Kirchenstaate machte sich mehr und mehr die Abwesenheit der Päpste, die schon seit 1305 in Avignon auf französischer Erde residierten und erst 1376 nach Rom zurückkehrten, geltend und übte einen lähmenden Einfluss auf die Entwicklung von Wissenschaft und Kunst, zumal Gewalthaber das Volk indessen zu Aufständen aufreizten (Cola Rienzi 1347): nach ihrer Rückkehr trat die Spaltung des Papsttums in einen französisch und einen italienisch gesinnten Papst, die sich gegenseitig verfluchten, das sogenannte Schisma, ein und setzte die unerfreulichen Zustände Italiens fort. In Neapel bekämpften sich die Parteien zügellos, bis König Ladislaus von Ungarn im Jahre 1400 sich des Reiches bemächtigte, und nach seinem Tode 1414 griffen doch die alten misslichen Verhältnisse wieder um sich und blieben bald ein Jahrhundert lang bestehen. Auch Venedig und Genua lagen damals im Kriege.

Aus diesen geschichtlichen Fakten wird es verständlich, dass zur Zeit derselben die jüdischen Ärzte in Italien weniger hervortreten. Besonders fehlte zu ihrem Gedeihen die Gunst der Päpste; davon waren die Juden Roms so überzeugt, dass sie den endlich wiederkehrenden Papst durch den Rabbiner begrüßen ließen und für ihn öffentliche Bittgebete anordneten. Dennoch wirkten an verschiedenen Orten auch damals Juden als hochgeachtete Ärzte, so dass uns ihre Namen überliefert sind. Gentile da Foligno wurde 1340 als Professor nach Padua berufen, wo in dieser Zeit der Hauptsitz jüdischer Gelehrsamkeit auch auf philosophischem und theologischem Gebiete war. Foligno starb als das Opfer seiner Berufstreue an der Pest 1348; es wird ihm ausdrücklich nachgerühmt, wie oft und unermüdlich er seine Pestkranken besuchte, nach allen Kräften bestrebt, ihre Leiden zu lindern 21). Die Begabung und der Ruf des jüdischen Arztes Leo war so groß, dass ihm der Rat von Venedig, als er 1331 dorthin kam, die vorgeschriebene Staatsprüfung erließ und ihm ausdrücklich erlaubte, seine Kunst frei auszuüben. Als dann die Päpste wieder in Rom residierten, ließ der zweite nach der Rückkehr, Bonifacius IX, sein körperliches Wohl von einem jüdischen Arzte beraten. Unter dem 1. Juli 1392 bestätigte er, nachdem Manuela sein Leibarzt gewesen war, auch dessen Sohn „dem geliebten Sohn Angelus Manuela, dem Juden von dem städtischen Rione Trastevere, von Geburt ein Jude, dem Arzte und unserem Vertrauten (familiaris)“ alle Privilegien und Rechte seines Vaters. Der Papst erklärt, ihn als Arzt und Vertrauten zu nehmen, in der Absicht „dass Du dadurch die Vorteile der Apostolischen Gunst noch reicher genießest, und wir wollen, dass Du alle Privilegien, Ehren, Freiheiten, Vorzüge, Befreiungen und Ausnahmsrechte und alle unseren und des genannten Stuhles Familiäres jetzt und später zukommenden Gunstbezeugungen in Wirklichkeit genießest, ohne dass immer Apostolische Konstitutionen und andere gegenteilige Edikte entgegenstehen“ 22). Im Jahre 1399 bezeugte sodann der Papst Bonifaz seinen Leibärzten, „dass sie in der Ausübung ihrer Kunst zuvorkommend, wohlwollend und dienstfertig sich erweisen, Armen und Dürftigen zu Hilfe eilen, nicht auf Bezahlung dringen und in ihrem Berufe außerordentlich erfahren seien.“

Noch im Jahre 1400 lebte Astruc, (auch Jehuda genannt), Schalom, der Übersetzungen in das Hebräische angefertigt hat; sein Sohn Isaak Schalom und sein Enkel Abraham Schalom widmeten sich gleichfalls dem ärztlichen Berufe. In der Romagna praktizierte Jakob ben Jechiel Rofe um dieselbe Zeit, und Arzt in Perugia, das zum Kirchenstaate gehörte, war Nathan ben Mescbulam Harofe, wie es bereits sein Vater gewesen war. Er war ein Liebhaber guter Bücher und ließ zahlreiche Kopieen für seine Bibliothek anfertigen.

21) Vgl. Güdemann, Geschichte des Erziehungswesens und der Kultur der Juden, Wien.

22) Berliner, Geschichte der Juden in Rom, Frankfurt a. M. bei J. Kauffmann.


Auch die Rabbiner Italiens nahmen Anteil an dem regen Interesse, das im Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts die Juden dieses Landes erfüllte; sie übten teilweise selbst Praxis aus, teilweise begnügten sie sich durch Abschreiben medizinischer Manuskripte die Kenntnis der Heilwissenschaft zu verbreiten. Hervorragend war unter ihnen der Rabbiner von Ankona, Meister Josef, dessen Geburtsort Ferrara gewesen ist; aus einer für ihn verfertigten Kopie wissen wir, dass er 1436 noch lebte. Amts- und Zeitgenossen von ihm waren Rabbi Daniel ben Abraham und Isaak ben Meschulam Rofe, der Bruder des ebengenannten Nathan ben Meschulam, und in Rom Rabbi Moses Rieti, ein hochgebildeter, vielwissender Mann. Etwas später betätigte sich als Arzt in Neapel Rabbi Jechiel, den ebenfalls der Tite Harofe d. h. Arzt schmückte. Aus Kopieen oder Zitaten sind uns dem Namen nach noch bedeutend mehr jüdische Ärzte aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts bekannt; es würde ermüden, sie alle aufzuzählen. Es genügt, zu wissen, dass gerade in jener Zeit sich der weitaus größte Teil der ärztlichen Praxis in Italien in jüdischen Händen befunden hat.

Mit der Zunahme der jüdischen Ärzte wuchs aber auch der Neid und die Missgunst gegen sie. Außerordentlich wechselnd war gegen sie die Gesinnung der Päpste jener Zeit, die ja in ganz Italien die maßgebendsten und einflussreichsten Männer waren. Noch 1406 hatte Papst Innocenz VII. drei jüdischen Ärzten in Anerkennung ihrer großen Verdienste neben anderen Vorrechten das Bürgerrecht der Stadt Rom verliehen. Martin V. hatte sogar in einer Bulle vom Februar 1422 die Christenheit ermahnt, „Wohlwollen gegen die Juden zu bezeigen, den jüdischen Ärzten aber ausdrücklich erlaubt, christliche Kranke zu behandeln; unter Androhung des apostolischen Bannspruches untersagte er den fanatischen Mönchen, gegen den Verkehr der Christen mit Andersgläubigen zu predigen. Unter jenen mönchischen Predigern des Hasses zeichnete sich an Grimm und Verleumdung unrühmlich Bernardin von Siena aus, der von 1380 — 1444 lebte. Er zog von Stadt zu Stadt und verspritzte, wohin er auch kam, sein unseliges Gift gegen die jüdischen Ärzte; keine Verleumdung war ihm schlecht genug, keine Lüge groß genug, um der lauschenden Volksmenge ein Bild des Schreckens und des Abscheues von der ärztlichen Tätigkeit der Juden zu entwerfen, dass sie sich freilich fürchten musste, einen jüdischen Arzt an das Krankenbett eines teuren Angehörigen zu rufen. Sienas würdiger Nachfolger, der sein Vorbild noch zu übertreffen sich eifrigst mühte, war der Franziskanermönch Bernardin von Feltre. Er schilderte allüberall die Juden als Abschaum der Menschheit und die jüdischen Ärzte insbesondere als die schlechtesten dieser Verworfenen. Besser, so predigte er, ist es, in einer Krankheit zu Grunde zu gehen, als die Kirchenbeschlüsse sündhaft zu übertreten und einem Juden Gesundheit zu verdanken! Nun, klingende Phrasen und begeisterte Worte haben alle Zeit urteilslose Gemüter gefesselt, und so mag wohl mancher diesen Predigern der Liebe gefolgt sein. Besonders die empfänglichere Seele der Frau wurde zweifellos auf solche Art gewonnen und vergiftet. Man berichtet, ein Vater habe zu seinem totkranken Sohn einen jüdischen Arzt rufen wollen, nachdem alle andere Hilfe fruchtlos gewesen war; sein Weib aber trat ihm entgegen, und die Mutter sah ihr Kind sterben, ohne die letzte Hilfe versucht zu haben. Von einer adligen Frau, Lukretia Salimbeni, wird behauptet, sie habe Tage lang unter der Geburt in fruchtlosen Wehen gelegen und habe standhaft die Hilfe des jüdischen Arztes abgewiesen. Der christliche Geschichtsschreiber unserer Tage Depping 23) bemerkt zu diesen Erzählungen ironisch: „Dieses waren christliche Glaubensheldinnen in den Augen eines Bernardin von Feltre!“ Ich meine, einen höheren Gipfel der Verblendung kann kaum der Menschengeist erreichen. Während den Siena die Bulle des Papstes bedrohte, hatte Feltre einen Rückhalt an den Kirchenfürsten seiner Zeit. Denn sowohl Eugen IV. und Nikolaus V., als Calixtus III. beschränkten die jüdischen Ärzte in der Ausübung ihrer Praxis; ja, sie verboten auch ausdrücklich, sich die nötigen Heilmittel von Juden zubereiten zu lassen. Erst Paul II. war, wenn auch nicht den Juden, so doch den jüdischen Ärzten günstiger gesinnt. Nachdem ältere kanonische Beschlüsse und zuletzt 1434 das Konzil von Basel bestimmt hatten, dass die Juden ein besonderes Abzeichen, den sogenannten Judenflecken, als Kennzeichen zu tragen hätten, verordnete Paul II. im Jahre 1464, dass sich die Juden durch Tragen eines roten Mantels von den Christen zu unterscheiden hätten; aber er fügte hinzu, dass die jüdischen Ärzte als besondere Vergünstigung die übliche Tracht ihrer christlichen Kollegen, einen Talar, anlegen dürften.

23) Die Juden im Mittelalter. Aus dem Französischen, Stuttgart 1834 (citiert nach Münz).

Zur Ehre des Menschengeistes muss man es bekennen, dass trotz dieses hässlichen Kampfes, trotz Verleumdung, trotz Bedrohung mit dem Verluste der Seligkeit jüdische Ärzte auch in dieser Zeit zu Rate gezogen wurden und die Würdigsten von ihnen Anerkennung fanden. Paul II. war nicht der einzige Fürst, der die jüdischen Ärzte beschützte. Auch König Ferdinand I. von Neapel kümmerte sich nicht um die Kirchenbeschlüsse, sondern erwählte den Juden Benjamin von Porta Leone zu seinem persönlichen Leibarzte und empfahl ihn später in gleicher Eigenschaft dem Herzog von Mailand, Galeas-Maria Sforza. Fast unglaublich klingt es aber zu hören, dass die Stadt Siena, nach der sich Bernardin von Siena genannt hatte, um diese Zeit trotz des zornigsten Widerspruchs Bernardins von Feltre einen jüdischen Arzt als Stadtarzt anstellte und besoldete.

Namentlich seit Paul II. mehrt sich die Zahl der hervorragenden jüdischen Ärzte. In Mantua zeichnete sich Abraham Conath aus. Dieser Arzt verdient einen besonderen Platz in der Kulturgeschichte, weil er bereits 1476 in seinem Wohnsitz eine Buchdruckerei mit hebräischen Typen errichtete, also nur zwanzig Jahre später, als das erste Buch (der lateinische Psalter) gedruckt worden war; die hebräischen Druckwerke aus Conaths Werkstatt gehören folglich zu den ältesten, die überhaupt existieren. Etwa zu seiner Zeit lebte in Tivoli der Arzt Elias ben Jehuda, der aus Marigni gebürtig war. Er ist Verfasser eines in Dialogform geschriebenen Lehrbuchs der Frauenkrankheiten, betitelt Sefer Tholdath, dessen Manuskript die vatikanische Bibliothek besitzt; Dinah fragt den Vater Jakob über ihre Leiden, und Jakob belehrt sie, wie sie zu heilen sind. Etwas früher als Conath dürfte dagegen Isaak Dalbadi (auch Dalbari geschrieben), der im Königreich Neapel geboren war, gelebt haben. Er war Schüler von Salerno; 1450 praktizierte er, wie eine von ihm zum eigenen Gebrauch kopierte Handschrift der Chirurgie Wilhelms von Piaceza erweist, zu Barletta. Isaak Dalbadi gilt auch als vorzüglicher Kenner der hebräischen Sprache. Ein fleißiger Forscher in den Büchern seiner Vorfahren, besonders in denen Aben-Esras und Davids Kimchi, zu denen er Bandglossen schrieb, war Daniel ben Salomon, dessen Vater auch Arzt gewesen war. Aus einer hinterlassenen Reisebeschreibung aus seiner Feder wissen wir, dass er 1473 die Insel Kreta besuchte. Mit ihm ist nicht zu verwechseln Daniel ben Samuel der ein eifriger Verehrer der Araber war, besonders Avicennas ; die Pariser Bibliothek besitzt noch eine Kopie von Avicennas Kanon, die für ihn angefertigt worden war (im Jahre 1487). Zu gleicher Zeit galt in Neapel Josef Halevy als kluger Arzt. Auch ein Arztrabbiner verdient erwähnt zu werden, Messer Leon in Mantua; er verband mit seinen Medizinischen Kenntnissen ein hervorragendes Wissen und verfasste geschätzte philosophische und grammatische Werke. Noch bedeutender als Arzt ist sein Sohn Messer David, der in Neapel wohnhaft gewesen ist. Er verfasste eine ungedruckte Medizinische Abhandlung; von seinen zahlreichen philosophischen, grammatischen und theologischen Arbeiten ist nur eine, Thehila ledowid, mit theologischem Inhalte gedruckt und erschienen (1577 zu Konstantinopel).

Wie früher Gentile da Foligno, war in Padua jetzt am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein jüdischer Arzt Lehrer an der Universität; das war Eli ah del Medigo oder latinisiert Elias Cretensis. Dieser Mann war nämlich auf der Insel Creta von deutschen Juden geboren worden. Creta gehörte damals zu Venedig und empfing von hier aus die Anregung zur Pflege von Wissenschaft und Kunst; so gab es hier auch jüdische Ärzte im fünfzehnten Jahrhunderte. Eliahs Großeltern waren etwa 1400 von Deutschland nach Kreta gekommen, und Eliahs Eltern ließen ihm eine gründliche Erziehung zu teil werden. Nachdem er zu Padua, wo ihm sein Freund Abraham Farissol würdig zur Seite gestanden hatte, als Arzt und Lehrer gewirkt, wurde er in gleicher Eigenschaft nach Florenz berufen und erfreute sich hier der Freundschaft des Fürsten Jean Pic de la Mirandole, für welchen er 1485 und 1486 zwei lateinische Übersetzungen anfertigte. Aus strittigen Ursachen verließ er später auch Florenz wieder und lebte und wirkte als Arzt in seiner Heimat, bis ihn 1493 in den besten Mannesjahren die Folgen eines Gesichtskrebses hinwegrafften. Eliah del Medigo hat zahlreiche Arbeiten geliefert, darunter einen Kommentar zu Averroes in hebräischer und lateinischer Sprache (1485), Untersuchungen über die Schöpfung der Welt, über das Sein der geschaffenen Dinge und über ihren ersten Urheber, welche 1506 zu Venedig in lateinischer Sprache gedruckt wurden, u. a. m. Er war ein heftiger Gegner der Kabalah, die damals wieder gepflegt wurde.

Ergänzend bemerke ich, dass im fünfzehnten Jahrhunderte nicht nur in Kreta, sondern auch auf den Inseln Sardinien und Korfu jüdische Ärzte die Praxis ausübten. Von den sardinischen sei Eymies Isacco in Alghero genannt. Er genoss hohes Ansehen und wurde auch außerhalb seines Wohnortes an das Krankenbett gerufen. Der Gouverneur dieser Stadt, Graf Don Berengaria Carroz, sprach, ihm bei Überreichung des Honorars seinen besonderen Dank für die guten Dienste aus, die sein ärztlicher Beistand der Bevölkerung und der gräflichen Familie insbesondere geleistet habe. 24) Auf der Insel Korfu, die, wie Kreta, damals zu Venedig gehörte, erwarb sich Salomon Vidal besondere Hochachtung. Er ist der Autor eines Kommentars zu Avicennas Kanon. Auch der ihm nahe verwandte Isaak Schalom, der im zweiten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts lebte und ein fieißiger Übersetzer war, und Samuel Ebn Schoham werden als bedeutende Jünger Aeskulaps genannt.

24) Güdemann, zitiert von Münz.

Bereits in das sechszehnte Jahrhundert ragt Vidal Balson hinein, der 1492 aus Sizilien nach Reggio gekommen war. Im Jahre 1505 verfasste er ein vortreffliches Lehrbuch der gesamten Heilkunde, eingeteilt nach Körperregionen, mit eingehender Darstellung der Therapie. Es vermischen sich bei ihm die Lehren Galens mit arabischen und jüdischen Anschauungen. Die Pariser Bibliothek besitzt dieses ungedruckte Manuskript. Auch zu seiner Zeit genoss ein jüdischer Professor der Medizin zu Padua Ehre und Anerkennung; zu den Hörern des Abraham des Balmes zählten nicht nur jüdische, sondern auch zahlreiche christliche Studenten, und, als er 1523 starb, veranstaltete die Universität Padua ihm zu Ehren eine großartige Leichenfeier. Der Balmese Abraham war auch Leibarzt des Cardinais Gammari. Trotz dieser vielseitigen, zeitraubenden Tätigkeit fand er noch Muße genug zur Schriftstellerei und verfasste Übersetzungen von Werken des Ptolomäus, des Averroes u. a. aus hebräischen Texten in die lateinische Sprache. Ihn überlebte in der Stadt Padua Messer Servideo, ein gesuchter praktischer Arzt. Zeitgenossen dieses Arztes waren Vitale Alatino zu Spoleto und sein Bruder Moses Alatino. Vitale galt als der geschickteste Arzt seiner Zeit im Bereich des ganzen alten Umbrien. Später wurde er Leibarzt des Papstes Julius III. Moses Alatino lebte in Ferrara. Er übersetzte Teile der Werke, des Avicenna Galen und Hippokrates aus arabischen Texten in das Lateinische.

Hier ist es Zeit, zu bemerken, dass die Päpste jener Zeit, wie Paul II. , von menschenfreundlichem Geiste gegen die jüdischen Ärzte geleitet wurden. Die weitgehenden Privilegien, welche Alexander VI. dem jüdischen Arzte Samuele Zarfati gewährt hatte, bestätigte nicht allein sein Nachfolger, Julius II. sondern er erwählte ihn sogar zu seinem Leibarzte und gestattete ihm ausdrücklich, auch christliche Patienten zu behandeln. Er war samt Familie und Dienerschaft selbst auf Reisen vor allen Belästigungen geschützt, er brauchte das Judenabzeichen nicht zu tragen und durfte in seinem Hause zu unbehinderter Ausübung der religiösen Vorschriften eine Synagoge einrichten. Als Julius II. am 17. August 1511 in einen bewusstlosen Zustand verfiel, so dass die Palastbeamten bereits seinen Tod verkündigten, erklärte dieser Leibarzt seinen Herrn nur für scheintot und widersetzte sich der Beerdigung. Samuele Zarfati behielt recht; der Papst erholte sich und überlebte den Unfall noch fast zwei Jahre. Im November 1530 wurde ebenfalls ein Zarfati, Isaak Zarfati, zum Leibarzte des Papstes — es regierte damals Clemens VII. — und zu seinem Famiharis erwählt, weil er „die meisten Krankheiten, sonst unheilbar, von denen sehr viele Leute der Curie, auch alte, getreue Hausgenossen von uns, uns lieb und genehm, bedrückt wurden“ 25) geheilt habe. Auch ihm wird ausdrücklich die freie und unbeschränkte Ausübung der Praxis in den Häusern der Christen gnädigst verstattet. Julius III. hatte neben Alatino einen zweiten jüdischen Leibarzt. Theodor von Sacerdoti. Auch er ist ein fleißiger Übersetzer arabischer Schriften in die lateinische Sprache gewesen. Die jüdischen Ärzte, die im Dienste Leos X. und Pauls III. gestanden haben, werden wir noch kennen lernen.

25) Berliner, Geschichte der Juden in Rom, Frankfurt a. M. bei J. Kauffmann.

Von den italienischen Juden, welche sich als Arzte im zweiten Drittel des sechszehnten Jahrhunderts ausgezeichnet haben, ist noch David Vidal in Venedig zu nennen; er widmete sich in seinen Erholungsstunden gern der Musik. In besonders hohem Ansehen stand Obadiah Sforno aus Casena, der 1550 in Bologna seine Tage beschloss. Allgemeines Interesse muss für ihn der Umstand erwecken, dass von ihm, dessen hebräische Kenntnisse sehr bedeutende waren, sich Johann Reuchlin, der bekannte Humanist, der zuerst in Deutschland die griechische und die hebräische Sprache lehrte , in dieser heiligen Sprache gelegentlich seines Aufenthalts in Italien 1498 unterrichten ließ. Unter seinen Schriften haben die Kommentare zu den heiligen Büchern den größten Wert; diejenigen über die fünf Bücher Moses und über die Psalmen wurden noch 1724 wieder gedruckt. Medizinische Arbeiten sind von Sforno nicht bekannt. Um die Zeit seines Todes wurde in Venedig Josef Hatamari, der in dieser Stadt etwa 1520 geboren sein mag und an der Universität zu Padua mit Auszeichnung Medizin studiert hatte, als Arzt der Stadt zugelassen. Aus der Hochschule von Padua ging auch Jehuda Ebn Jahia hervor, der 1529 zu Linola geboren war; er kam 1557 als Arzt nach Bologna, wo er rasch einer der gesuchtesten Ärzte Italiens wurde. Ein früher Tod (1560) schnitt die großen Hoffnungen, die er erweckt hatte, ab. Ihn überlebte der Doktor Benjamin, der in seiner Vaterstadt Modighana in Toskana mit größtem Erfolge die Praxis ausübte. Auch Doktor Raphael ist ein überlebender Zeitgenosse Jehudas; ihm gestattete der Senat der Stadt Genua im Jahre 1577 zu Sarzana dem ärztlichen Berufe obzuliegen. In der Stadt Genua selbst zu praktizieren, hatte bereits 1523 Papst Clemens VII. den jüdischen Ärzten erlaubt. Doch stieß die Ausführung dieser Verordnung entschieden auf Schwierigkeiten; denn der jüdische Geschichtsschreiber Josef Cohen, der selbst Arzt in Genua gewesen ist, berichtet, dass die christlichen Ärzte, als sich sein Schwestersohn Serachia Halevy ebenfalls als praktischer Arzt in Genua niederlassen wollte, sich mit den Edelleuten gegen die jüdischen Berufsgenossen verbanden und 1540 ein Verbannungsdekret gegen sämtliche Juden der Stadt vom Rate durchsetzten. Josef Cohen selbst musste die Stätte seiner Wirksamkeit verlassen und setzte seine Praxis in Voltaggio fort, wo er hochbetagt starb.

Als Arztfamilie sind die Porta Leone zu nennen. Wir haben bereits als Arzt Königs Ferdinand von Neapel Benjamin de Porta Leone kennengelernt. Dessen Sohn Elieser mühte sich redlich, ein würdiger Spross seines berühmten Vaters zu sein. Der Enkel David de Porta Leone war mit dem Doktorhut der Universität Padua geschmückt und übte mit regem Eifer die ärztliche Praxis in Mantua aus. Den höchsten Glanz erreichte diese gelehrte Familie in Benjamins Urenkel, Abraham de Porta Leone, auch Abraham meschaar Arie geheißen, der 1542 geboren wurde. Er hatte sich anfangs unter Anleitung der bedeutendsten Lehrer theologischen Studien gewidmet, ging später aber nach Pavia, um dort Medizin zu studieren. Da zogen ihn besonders die Lehren des Hippokrates und Galens mächtig an, zugleich auch die Philosophie des Aristoteles. Er erlangte den akademischen Doktorgrad im Jahre 1563, und schon drei Jahre später gehörte er dem Ärztekollegium seiner Vaterstadt Mantua an. 1564 hatte er auf Veranlassung des Herzogs Wilhelm Gonzaga von Mantua Untersuchungen über das Gold und seinen Heilwert angestellt und das Ergebnis derselben veröffentlicht; die Verwendung dieses Edelmetalls als Heilmittel war bis dahin den jüdischen Ärzten unbekannt. Später schrieb er noch zwei andere Medizinische Abhandlungen. Die Frucht seiner rabbinischen Weisheit ist die Schilte hagibborim, 1607 vollendet, in welchem Buche er die hebräischen Altertümer, die synagogalen Zeremonieen u. ähnl. m. einer wissenschaftlichen Kritik unterwirft. Veröffentlicht wurde dies Werk, das noch in der Gegenwart auch von christlichen Theologen gerühmt worden ist, zu Mantua 1612, in demselben Jahre, in welchem Abraham de Porta Leone starb. Die Medizinischen Abhandlungen hatte er in lateinischer Sprache abgefasst.

Abraham de Porta Leone war anfangs Theologe gewesen,, hatte sich aber nie dem theologischen Berufe gewidmet. Dagegen gab es auch damals noch, wie früher, Rabbiner, die zugleich Ärzte waren. Im Jahre 1573 noch übte ärztliche Praxis der Rabbi Moses Jechiel zu Pesaro aus; er war Mitglied des Talmudkollegiums jener Stadt, das gerade in jener Zeit die gelehrtesten Israeliten in sich vereinigte. Zu Siena war Arzt und Rabbiner Isaak Cohen. Zu Venedig vereinigte fast gleichen Ruhm als Arzt, wie als Theologe, der gelehrte Elias Chalphen auf seinem Haupte; er lebte im zweiten Drittel des sechszehnten Jahrhunderts, zu derselben Zeit, in welcher in der stolzen Dogenstadt Josef Rofe und Elieser Rofe prakticierten. Etwas früher lebte in Ferrara der Arztrabbiner Morde chai Rofe, besonders als Rabbiner geschätzt.

Alle diese letztgenannten italienischen Juden wurden indessen durch einige nach Italien eingewanderte Ausländer überstrahlt. Einen harmonischen Dreiklang des Ruhmes haben deren Namen — der Franzose Bonet de Lates und die Spanier Jehuda Abarbanel und Jakob Montino.

Bonet de Lates war im kleinen Örtchen Lates bei Montpellier geboren worden und hatte in der Provence gewohnt, bis 1498 die Juden von hier vertrieben wurden. Er kam nach Rom und widmete sich astronomischen Studien, deren Ergebnis die Erfindung eines astronomischen Ringes war; dieser gab die Höhe der Sonne und der Gestirne an und ließ die Stunden tags und nachts erkennen. Über die Theorie und die praktische Verwertbarkeit seines Instruments verfasste er eine lateinische Abhandlung und überreichte sie dem Papste Alexander VI. Borgia, der von 1492 — 1503 den Stuhl Petri inne hatte. Als dann nach der zehnjährigen Regierung des kriegerischen Julius II. des Mediceers Lorenzo feingebildeter Sohn als Leo X., von dem ein Geschichtsschreiber sagt, er habe „im Vatikan allen Glanz der Kunst und Bildung als ein Erbteil seines Hauses vereinigt“, zur Herrschaft gekommen war, hatte Bonet de Lates das hohe Glück, von ihm als Leibarzt erwählt zu werden. Wie hoch dieser edle Papst den französischen Juden schätzte, beweist folgende Tatsache. Ein schamloser getaufter Jude, Johann Pfefferkorn in Köln, hatte in Deutschland die Verleumdung der jüdischen Religionsbücher zu seiner Lebensaufgabe gemacht, als ob sie die Schmähung des christlichen Glaubens geböten und vom Kaiser Maximilian die Erlaubnis erwirkt, alle Bücher dieser Art, wo er sie immer fände, aufzugreifen und zu vernichten (1509). Da trat Reuchlin, ausgestattet mit den tiefsten Kenntnissen und begeistert von der Wahrheitsliebe, für die geschmähten Bücher mit der ganzen Wucht seiner verehrten Persönlichkeit in die Schranken und setzte dem irregeleiteten Kaiser in einer Schrift auseinander, dass im Gegenteil die jüdischen Bücher dem Christen nützten, da ihr Studium gelehrte und tapfere Kämpfe erwecke, die für die Ehre der Christuslehre gefochten würden. Es bildeten sich zwei Parteien, die Reuchlinianer und Pfefferkorns Sippe, die zehn Jahre lang einen fanatischen Federkrieg führten. Da endlich rief Maximilian die Entscheidung des Papstes Leo X. an, und Leos Leibarzt empfing von Reuchlin ein Schreiben über diese Sache mit der Bitte, Seine Heiligkeit über dieselbe aufzuklären und darauf einzuwirken, dass der Ketzerprozess gegen seine eigenen Schriften in seiner Diöcese ausgetragen werde; auch versäumte Reuchlin nicht, in dieser Zuschrift Bonets Wissen und seine treue Pflichterfüllung in seinem Amt als Leibarzt anzuerkennen. Wie dem auch sei, Papst Leo bestimmte den weisen Erzbischof von Speier zur Prüfung der Streitfragen und dieselbe wurde zu Gunsten Reuchlins gegen Pfefferkorn entschieden.

Don Jehuda Abarbanell, auch Leo medicus geheißen oder Leo Hebräus, war zu Lissabon geboren worden und hatte die Kinderjahre in Kastilien verlebt, wo sein Vater, Don Isaak Abarbanell, 26) zum Range eines Ministers gestiegen war und sich der Gunst Königs Ferdinand und der Königin Isabella erfreute, bis plötzlich 1492 das Verbannungsdekret gegen alle Juden Spaniens diese königliche Huld vernichtete. Vergebens hatte sich Isaak Abarbanell der Königin zu Füßen geworfen und um Gnade für seine Glaubensbrüder gebeten; der Großinquisitor Thomas von Torquemada hatte den Sinn der Königin in seiner Gewalt, und die Juden mussten, wie wir bereits gesehen haben, als Bettler die pyrennäische Halbinsel verlassen. Isaak Abarbanell gab um des Glaubens willen Rang und Fürstenhuld freiwillig auf und folgte seinem unglücklichen Volke in die Verbannung. So kam also Jehuda 1493 nach Neapel. Hier wurde sein Vater an den Hof des Königs Alphonse II. gezogen, und, als dieser von Karl VII. von Frankreich vertrieben war, folgte die Familie Abarbanell dem König Alphonse nach Messina; nach dem Tode des Königs aber siedelten sie nach Korfu über. Mit seinem Sohne Jehuda reiste Isaak von hier 1503 nach Venedig und weiter nach Genua , wo er endlich Rast nach langer, mühseliger Wanderung fand. Aus der rührenden hebräischen Elegie Jehudas auf seinen Vater wissen wir, dass Isaak Abarbanell 1508 gestorben ist. Jehuda hatte sich trotz des unsteten Lebens, wohl wesentlich von seinem Vater angeleitet, zu einem tüchtigen Arzt und zu einem tiefen Denker entwickelt. Als Arzt diente er dem König Ferdinand I. von Sizilien und dem Nachfolger desselben, Alphonse II.; besonders der letztere schenkte ihm sein volles Vertrauen. Alle Zeitgenossen rühmen ihn als tüchtigen Arzt, als gefühlvollen Dichter und als tiefsinnigen Philosophen; in dieser letzten Eigenschaft hat sich Jehuda Abarbanell unsterblich gemacht, durch seine Dialoghi di Amore, italienisch abgefasst und veröffentlicht zu Rom 1535, dann noch mehrmals zu Venedig, zuletzt 1607. Die Dialoge sind in das Französische, in das Lateinische und in das Spanische übersetzt worden, und der berühmte Delitzsch hat nach 1840 eine Analyse dieses Werks gegeben. Jehuda Abarbanell schließt, wie Delitzsch sagt, unter einem galanten Titel ein sehr bemerkenswertes philosophisches System ein; er bespricht die platonische Liebe, die Liebe der Engel, die Liebe in der Sternenwelt und die Liebe unter den Elementen. Medizinische Werke sind uns nicht von ihm überliefert worden.

26) In Lissabon war dieser geheimer Rat des Königs Alphonse V. gewesen; wie wir früher von Don Gedalia Ebn Jahiya erfuhren, dass er floh, weil der Nachfolger Johann II. allen Anhängern seines Vorgängers feindlich gesinnt war, so wandte sich damals aus gleichem Grunde Isaak Abarbanell nach Castilien, wo er anfangs als Privatmann lebte.

Jehudas Bruder, Joseph, war übrigens gleichfalls Arzt; er lebte in Ferrara noch 1549.

„Wie Abarbanell, floh als Opfer der Inquisition Jakob Montino aus Spanien nach Italien. Zu Tortosa geboren, kam er 1492 in jugendlichem Alter nach Venedig und wurde unter Obhut seines gelehrten Vaters hier erzogen. Er studierte eifrig Medizin und ließ sich in seiner zweiten Heimat, Venedig, als praktischer Arzt nieder. Das war zur Zeit, als der früher genannte Elias Chalphen der gesuchteste Arzt unter den Juden war, und dieser Umstand mag Jakob Montino wohl den Aufenthalt in Venedig verleidet haben; er wandte sich nach Rom und wurde hier bald der erste Arzt des Papstes Paul III. Jakob Montino gehörte zu jenen jüdischen Ärzten, welche durch fleißige Übersetzung Medizinischer und metaphysischer Werke aus dem Arabischen oder Hebräischen in das Lateinische zur Kenntnis derselben beigetragen und damit einen wesentlichen Ansporn zu neuem Eifer in der Medizinischen Forschung gegeben haben. Es ist diese Tätigkeit durchaus nicht gering zu schätzen, weil die Bekanntschaft mit jenen bis dahin dem Abendlande unverständlichen Texten das Bindeglied zwischen der alten griechischen und römischen Medizin und der neu erwachenden freien Forschung, auf der sich unser heutiges Wissen aufgebaut hat, geworden ist; ein wissenschaftliches Gebäude ist ja aus Bausteinen aller Völker und aller Zeiten errichtet, und ein höheres Stockwerk kann sich nur auf dem nächsttieferen stützen! Überhebung, die die Lehren der Vorfahren verachtet und nur im Modernsten das wahre Heil erblickt, ist nirgends unangebrachter, als auf dem Felde wahrer Wissenschaft und Erkenntnis. Mantino vermittelte namentlich die Bekanntschaft des Avicenna, des Averroes und des Maimonides dem Abendlande. Die lateinische Übersetzung des Averroes hatte er dem Vorgänger seines Herrn, dem weisen Papst Leo X., gewidmet. Veröffentlicht wurden seine Übertragungen in Rom und in Venedig.

Man erkennt leicht, wie in Italien gerade unter der Gunst der Päpste die Medizin unter den Juden gedieh und große Männer hervorbrachte, und man wird begreifen, dass die Missgunst der Stellvertreter Christi zu Rom die Entwicklung der jüdischen Ärzte hemmen musste. Wir haben ja diese Schwankungen in der Gesinnung der Päpste und die Parallelschwankungen im Blühen der Heilwissenschaft unter den italienischen Juden des Mittelalters schon wiederholt vor Augen geführt. Jetzt war fast ein Jahrhundert das Papsttum der Rückhalt der jüdischen Ärzte gewesen — da bestieg 1555 als Greis von 90 Jahren mit dem feurigen Hass eines Jünglings Paul IV. den Stuhl Petri. Er sperrte die römischen Juden in das Ghetto und verdammte sie zu Erniedrigungen, welche teilweise bis 1870 zu Recht bestanden; den jüdischen Ärzten aber verbot er nachdrücklichst, an das Krankenbett eines Christen zu gehen, selbst, wenn sie in der höchsten Not dahin gerufen werden sollten. Die Nachfolger Pauls IV. wachten streng über die genaue Befolgung dieser harten Beschlüsse. So beschränkte Pius V. die Berechtigung zum Wohnsitze im Kirchenstaate den Juden und beschuldigte die jüdischen Ärzte, deren Erfolge er wohl nicht leugnen konnte, dass sie durch magische Zauberkünste und durch Teufelswerke die Christen täuschten und irreführten. Gregor VIII. schärfte Pauls Dekret von neuem ein und bedrohte in der Bulle vom 30. März 1581 sowohl die jüdischen Ärzte, als die christlichen Patienten, welche sich trotzdem widerspenstig zeigen sollten, mit schweren Geldbußen.

In dieser Zeit unverständiger Kirchenbeschlüsse erwuchsen den jüdischen Ärzten zwei hochherzige, unerschrockene Verteidiger, David d'Askoli und David de Pomis. David d'Askoli schrieb eine Streitschrift für die jüdischen Ärzte gegen Paul IV. und übergab sie in lateinischer Sprache, allen Gebildeten verständlich, zu Straßburg 1559 der Öffentlichkeit. Aber er mochte in seinem Eifer wohl zu weit gegangen sein und büßte ihn mit langer Kerkerhaft: sein letztes Schicksal ist unbekannt. Vorsichtiger trat David de Pomis, selbst Arzt und Sohn einer uralten jüdischen Familie mit einer ehrenvollen Geschichte, für die jüdischen Ärzte ein.

Dieser Mann war 1525 zu Spoleto geboren und ist 1588 in Venedig gestorben; 1551 erlangte er das Doktordiplom der Universität Perugia, an der er seit 1515 studiert hatte. Aus seinem ersten Wohnsitze, wo er selbstständig die Praxis ausübte, aus Magliano, vertrieben ihn die Dekrete Pauls IV. Seiner Habe beraubt, trat er in den Dienst des Herzogs Kikolas Ursino und dann in den der Familie Sforza. Als man ihn einst nach Chinsy berief, verschloss ihm der Bischof das Tor der Stadt. Endlich kam David de Pomis nach Rom und erlangte vom Papste Pius IV. das Privileg, christliche Kranke zu behandeln; Pius V. missachtete dasselbe, und der vielgewanderte Mann musste abermals seinen Wohnsitz verlassen. So kam er nach Ankona und fand endlich in Venedig eine Ruhestätte. Trotz dieser widrigen Schicksale hatte David de Pomis Mut und Schaffenskraft behalten und verfasste sein großes Wörterbuch Hebräisch Lateinisch-Italienisch, Zemach David betitelt, das 1587 in Venedig erschien, dem Papste Sixtus V. gewidmet. Andere Schriften, die ebenfalls meist in Venedig veröffentlicht wurden, sind Brevi discorsi et efficasissimi ricordi per liberare ogni città oppressa dal mal contagioso (1577), Discorso intorno a l'humana miseria (1578) und Enarratio brevis de senum affectibus praecavendis atque curandis, (1588) benannt. Die vorerwälinte Verteidigungsschrift, betitelt Demedico hebräo enarratio apologica , ist „cum consensu superiorum“ (1588) zu Venedig gedruckt worden und dem Herzog Franz Maria II. von Urbino zugeeignet. In zwölf Kapiteln weist David de Pomis die Anklagen gegen die jüdischen Ärzte zurück; der jüdische Arzt sei nicht unzuverlässig, er kenne keinen Glaubensunterschied in seiner Klientel, und er tue nicht unrecht daran, sich der Heilkunde hinzugeben; das Judentum beruhe auf göttlicher Satzung, welche die Sünde verbietet; jeder Jude sei verpflichtet, darnach zu handeln und dürfe Gottes Gebot weder übertreten noch hintansetzen; wer aber nach ihm lebe, muss tugendhaft leben. Der Jude, erklärt de Pomis weiter, ist kein Christenhasser, verdient aber auch nicht, von den Christen erniedrigt zu werden; vielmehr sollte Liebe Christ und Juden verbinden, und, da alle Anklagen gegen die Israeliten erlogen sind, müsse vor allem jeder christliche Fürst und der Papst gerecht gegen die Nachkommen Jakobs handeln. Seinen Beweis führt David de Pomis an der Hand geschichtlicher Daten und mit dem Hinweis auf zahlreiche rabbinische Sprüche, die von Sittlichkeit und von Menschenliebe zeugen. Er hat sich mit dieser Apologie jedenfalls in der Geschichte der Humanität ein monumentum aere perennius gesetzt!

Papst Sixtus V. hob in der Tat das Gesetz, dass jüdische Ärzte christliche Kranke nicht behandeln dürften, auf, und, wenn auch im allgemeinen die italienischen Juden bis in die neueste Zeit hinein Demütigungen und Beschimpfungen erdulden mussten, wenn auch nie wieder bis in die Gegenwart hinein die sonnigen Zeiten eines Bonifacius IX., eines Martin V. und eines Leo X. ihnen zurückkehrten, so gab es doch immer wieder duldsamere Männer, wie eben Papst Sixtus V., welche wenigstens das segensreiche Wirken der jüdischen Ärzte nicht verkannten und darum nicht hinderten. Darum gab es auch in der Folgezeit in Italien noch würdige Vertreter des ärztlichen Standes jüdischen Glaubens.

Bekannt ist aus dieser Zeit als Autor eines Werkes, das Likutim-merefuah betitelt ist, Mordechai Cohen: wie der hebräische Titel sagt, handelt es sich um eine Art Excerpta medica, um Auszüge aus medizinischen Schriften seines Großvaters Gabriel. Zu Padua wirkte als Arzt Kalonymos ben Samuel, der mit seinem Vater und zwei Brüdern der Pest im Jahre 1635 zum Opfer fiel; ein einziger Bruder, Jehuda ben Samuel, der gleichfalls Arzt in Padua war, entging diesem traurigen Schicksal, weil er zur Zeit der Seuche zufällig fern von Padua war. Elias Antalti war in Venedig Arzt; er war ein gebildeter, aufgeklärter Mann, der die inrmer mehr um sich greifende Wiederbelebung der kabalistischen Lehren unter den italienischen Rabbinern lebhaft befehdete. Gleichfalls in der Markusstadt praktizierte Josef Chamitz, der mehrere Abhandlungen über Zohar verfasst hat. Zu Mantua lebte bis gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts der Arzt Samuel Meldola und erfreute sich eines bedeutenden Rufes. In Padua war um die Mitte dieses Jahrhunderts David Chaim Luria ein gesuchter praktischer Arzt.

Etwas größere Bedeutung hat Ezechiel de Castro, aus einer gelehrten Familie, deren Glieder uns noch wiederholt begegnen werden. Er lebte in Verona und ließ dort sein Amphitheatrum medicum, in quo morbi omnes quibus imposita sunt nomina ab animalibus raro spectaculo debellantur, 1646 erscheinen. Vorher (1642) war von ihm eine Abhandlung „Jgnis lambeus rarum pulchriscentis naturae specimen“ veröffentlicht worden. Mit ihm lebte gleichzeitig der Doktor Jakob Lombroso in Venedig, ein Mann von ausgezeichneten Kenntnissen, der aus Spanien stammte. Mit seiner ärztlichen Geschicklichkeit verband er großes rabbinisches Wissen, wie die von ihm 1639 veröffentlichte, von Christen und Juden damals hochgeschätzte hebräische Bibel beweist, und innige Liebe zur Religion seiner Väter, wie aus dem Federkriege, den er mit dem judenfeindlichen Hugo Grotius in seinem Propugnaculum Judaismi führte, erhellt. Lombrosos Landsmann der Geburt nach war Moses Cordovero in Livorno, der als kluger und geschickter Arzt und als Menschenfreund geschildert wird.

Würdig geschlossen wird diese Liste der italienisch-jüdischen Ärzte des siebzehnten Jahrhunderts durch Jakob Zahalon und Isaak Cardoso. Jakob ben Isaak Zahalon war 1630 in Rom geboren worden. Er studierte mit Eifer Medizin, besonders Chirurgie, und daneben rabbinische Wissenschaften und entfaltete dann in Ferrara eine segensreiche Tätigkeit als Arzt bis zu seinem Tode im Jahre 1693. Er ist Verfasser des berühmten Thesaurus vitae (Ozar Ckaim), worin er in dreizehn Abschnitten die gesamte Heilkunde abhandelt; der erste 27) behandelt die Diätetik, der zweite die Fieber, der dritte Urin und Zunge, der vierte Gifte und Gegengifte, der fünfte die Symptomatologie, der sechste die Materia medica, der siebente bis neunte die spezielle Pathologie, der zehnte die Chirurgie, der elfte die Gynäkologie, der zwölfte die Kinderkrankheiten, und der dreizehnte die Seelenkrankheiten. Als Anhang ist eine Abhandlung über Steinbildung und ihre Heilung beigegeben. Das Werk enthält auch interessante Schilderungen des Zustands in der Stadt Rom im Pestjahre 1651. Der Thesaurus vitae, der 1683 in Venedig erschienen ist, ist nur ein Teil eines groß angelegten Thesaurus scientiarum (Ozar hachokhmoth), von dem aber wohl nur noch zwei Teile geschrieben wurden, keiner aber weiter veröffentlicht ist. Isaak Cordoso war aus Portugal, wo seine Eltern als Scheinchristen lebten, wie viele andere, die ihre Heimat nicht verlassen mochten, darum die Taufe annahmen, aber dennoch im Geheimen als Juden lebten. So vermochte Isaak Cordoso in Madrid seinen Studien obzuliegen und dann auch als praktischer Arzt dort ungestört tätig zu sein als Ferdinand Cordoso, als welchen ihn sogar der Clerus von Madrid hochschätzte. Überdrüssig dieser Heuchelei, verließ er Spanien und wandte sich nach Italien, anfangs nach Venedig, später nach Verona, wo er sich öffentlich wieder als Israelit bekannte und starb. Mit ihm hatte sein Bruder, der gleichfalls Arzt war, Abraham, sich aus Spanien geflüchtet; er erwarb sich in Tripolis hohes Ansehen. Isaak Cordoso hat in spanischer Sprache eine Abhandlung über den Nutzen des Wassers, sowohl des kalten, als des warmen, verfasst, die 1673 in Verona gedruckt worden ist. Als Arzt gehörte er in Verona zu den geachtetsten Persönlichkeiten.

27) Nach Lilienthals Angabe, 1. c. pag. 22.

Bereits in das folgende Jahrhundert ragt mit dem Ende seiner Wirksamkeit hinein Isaak Vita Cantarini, welcher 1633 zu Padua geboren war. Er war anfangs Schüler der rabbinischen Schule und besuchte erst später die Universität seiner Vaterstadt, um Medizin zu studieren. Nachdem er die Promotion empfangen hatte, widmete er sich dem ärztlichen Berufe in Padua und erfreute sich eines vortrefflichen Rufes, so dass sich seine Patienten aus allen Teilen Italiens einfanden; er soll sogar in Venedig einen erkrankten Patrizier behandelt haben. Später verwaltete er neben seiner ärztlichen Praxis auch das Rabbinat von Padua. Ärztliche Schriften sind uns nicht von ihm überliefert worden. Isaak Vita Cantarini starb hochbetagt im Jahre 1728. In seinen beiden Ämtern ersetzte ihn Sabbatai-Vita Marinibis zu seinem Todesjahre 1718. Dieser vielseitig gebildete Mann war zugleich ein vortrefflicher Dichter, welcher Ovids Metamorphosen nach einem italienischen Texte in hebräische Verse übertrug: die Veröffentlichung dieser interessanten Arbeit hinderte der Tod des Autors.

In Padua erwarb sich das Doktordiplom der rnedizinischen Falkultät auch Samson Morpurgo, der 1681 in Gradiska nahe bei Grörtz geboren und in Venedig erzogen worden war ; er vernachlässigte aber seinen ärztlichen Beruf mehr und mehr und starb als Rabbiner von Ankona 1740. Überhaupt finden wir im achtzehnten Jahrhunderte in Italien wieder den ärztlichen Beruf mit dem geistlichen oftmals vereinigt. So war Isaak Lampronti ein tüchtiger Arzt und Wundarzt und gleichzeitig einer der gelehrtesten Rabbiner seiner Zeit. Er war in Ferrara geboren, wirkte und starb daselbst (1756) im Alter von mehr als 60 Jahren. Sein Sohn Salomon, der das Doktordiplom der rnedizinischen und der philosophischen Fakultät von Padua besass, war gleichfalls ein gesuchter Arzt in Ferrara. In dieser Stadt gab es überhaupt zahlreiche jüdische Ärzte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Zeitgenossen des älteren Lampronti waren dort der Doktor Isaak Borgo und Mordochai Zahalon, der würdige Sohn Jakobs Zahalon: Zeitgenosse des jüngeren Lampronti war Doktor Jakob Heilpronn. In Verona lebte damals der Arztrabbiner Salomon Levi, von dem wir wissen, dass er 1731 eine Reise nach Amsterdam unternahm: vor ihm hatte in Verona Isaak Levi-Vali ärztliche Praxis ausgeübt. Zu Mantua zeichnete sich als Arzt Joseph Konia , der Sohn eines Apothekers, rühmlichst aus. Aus derselben Familie, wie er, stammte Salomon Konia, der besonders als Lehrer der Heilkunde eine größere Beachtung beansprucht; seine bedeutendsten Schüler waren Tobias Cohen, von dem wir noch sprechen werden, Moses ben Benjamin Wolf und sein Sohn Israel Konia.

Die blühendste jüdische Gemeinde jener Zeit war wohl die von Livorno, und darum ist es nicht wunderbar, dass hier gerade zahlreiche jüdische Ärzte tätig waren. Isaak Pua gehörte zu den beliebtesten; er machte sich außer seinem Berufe durch Einrichtung einer hebräischen Druckerei, aus der zahlreiche Drucke hervorgingen, verdient. Von Rom war nach Livorno Elias Concili, der zu Padua studiert hatte, gekommen, und bewährte sich als hervorragender Praktiker. Speziell auf dem Gebiete der Chirurgie und der Augenheilkunde glänzte Adam Bondi und erwarb sich eine zahllose Klientel, die nach seinem Tode Jakob Bondi, sein Sohn, übernahm; dieser neigte aber sehr zu den mystischen, unwissenschaftlichen Lehren der Kabalah und war vielleicht ein bedeutenderer Rabbiner, als Arzt. In dieser letzteren Eigenschaft übertraf ihn sein Sohn Azaria Chaim Bondi, der seinem großen Großvater ähnelte. Die Familie Bondi stellte in Zukunft zu den jüdischen Ärzten Italiens eine nicht geringe Anzahl. Endlich wäre von den Ärzten Livornos noch Emanuel Calbo zu nennen, Doktor der Heilkunde und der Philosophie von Padua, der sich in der Folge aber auch zum Kabalismus neigte.

Es erübrigt noch die Brüder Luzatto zu erwähnen, welche durch ihre seltene Treue zu einander dem menschlichen Herzen nahe gerückt werden. Beide waren in der Provinz Friaul zu Saint Daniel geboren — Ephraim 1729 und Isaak 1730 — und besuchten gemeinsam die Hochschule von Padua, wo beide an demselben Maitage des Jahres 1751 die Doktorwürde erlangten. Dann ging der jüngere in seine Vaterstadt zurück und wirkte unbehindert als tüchtiger Arzt bis 1777 in derselben; in diesem Jahre wurden die Juden von Saint Daniel verjagt und zerstreuten sich in verschiedene Orte Österreichs, besonders gingen viele nach Triest. Allein Doktor Isaak Luzatto erfreute sich so großer Wertschätzung, dass ihm als einzigen Juden gestattet ward, im Städtchen zu bleiben und seinem Berufe auch ferner obzuliegen; er blieb in der Tat mit seiner Familie wohnen und praktizierte bis zu seinem Tode 1803. Ephraim Luzatto war anfangs in Padua geblieben, war aber dann in die Welt hinausgezogen und siedelte sich in London an (1763). Dreißig Jahre entfaltete er hier eine segensreiche Tätigkeit als Arzt; dann trieb ihn sein Herz zurück in die Heimat und zu seinem Bruder. Das Schicksal erfüllte seinen Wunsch nicht; Ephraim Luzatto starb auf der Rückreise in Lausanne (1799). Beide Luzattos besaßen auch ein schönes poetisches Talent. Von ihren Nachkonmiener weckt Raphael Luzatto Interesse als erster jüdischer Arzt der Stadt Görz.

Zu Italien und zwar zu Venedig gehörte damals die Insel Zante. Dort wurde 1670 als Sohn einer aus Kreta eingewanderten jüdischen Familie Abraham Cohen geboren; als fünfzehnjähriger Jüngling bezog er die Universität Padua, studierte fleißig Medizin und erwarb sich das Doktordiplom und zugleich die Rabbinatswürde. Als Arzt und Rabbiner kehrte er nach Zante zurück, und seine ärztliche Geschicklichkeit, seine vorzügliche Rednergabe und sein poetisches Talent verschafften ihm rasch Gunst und Ansehen, so dass sein Tod (1722) allgemein betrauert ward. Es hatte übrigens schon vorher auf Zante ein Jude als Arzt gelebt; das war der von spanischen Eltern geborene Doktor Jakob ben Uziel. Er ist berühmt als Dichter eines heroischen Gedichts David, das noch heute Interesse verdient, weil es eine Beschreibung des alten Spaniens enthält 28).

Wie wir sehen, gab es auch nach Paul IV. zahlreiche jüdische Ärzte in Italien. Sie waren tüchtige Praktiker, haben aber nicht mehr, wie ihre Vorgänger, wissenschaftliche Werke hinterlassen, welche zur Förderung der Wissenschaft beigetragen hätten. Die Dekrete Pauls IV. und seiner gleichgesinnten Nachfolger auf dem Stuhle Petri hatten die Blüte der jüdischen Medizin in Italien geknickt.

28) Finkenstein, Dichter und Ärzte, Breslau 1864, pag. 20.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der jüdischen Ärzte