Die neue Zeit

Alle diese Ereignisse drängten zu wissenschaftlichen Untersuchungen hin, welche über das Verhältnis der Fruchtbarkeit des Bodens zu den Ernteerträgen und über den Wert der Dungmaterialien für die Kulturpflanzen nähere Auskunft erteilen sollten. Man hatte seither durch Forschungen in der Chemie und Pflanzenphysiologie die Lehre über den Ernährungsprozess der Pflanzen sehr bedeutend gefördert und fortwährend zur Grundlage für die Düngerlehre benutzt. Seit der Entdeckung der Endosmose, welche Saussure für seine Untersuchungen über das Pflanzenleben so meisterhaft benutzt hatte, wusste man, auf welche Weise der Eingang der Flüssigkeiten des Erdreichs in die Pflanzenwelt von statten gehe, und seitdem die Porenlosigkeit der Pflanzenzellen außer allem Zweifel gesetzt worden war, wusste man auch, dass nur auflösbare Stoffe in die Wurzeln eingehen könnten, alles Unlösbare dagegen zur Ernährung der Pflanzen untauglich sei. Ferner hatte man die Gesetze der Verdunstung ermittelt und den Austausch der Gase in dem Atmungsprozesse wenigstens in seinen Grundzügen erkannt. Endlich hatten die Chemiker auch die Elemente entdeckt, welche die Pflanzenmasse enthält, und die Physiologen waren tätig gewesen, sie, nach ihrer Bedeutung für den Lebensprozess, in verschiedene Abteilungen zubringen. Wenn aber auch in diesem allen schon vieles mit Entschiedenheit als zweifellos festgestellt worden war, so stritt man über den Hergang der Assimilation um so mehr. Namentlich herrschte über die Frage, auf welche Weise anorganische Stoffe in organische umgewandelt würden, eine große Meinungsverschiedenheit, zumal man in der Pflanze, bis zu den letzten Wurzelspitzen hinab, nur organische Stoffe fand. Schon das vorige Jahrhundert hatte sich an der Lösung dieses Problems versucht, ein Ansicht war der andern gefolgt, während die Landwirte dem Streite mit großer Ruhe zugesehen und die Ergebnisse ihrer Erfahrungen zur alleinigen Richtschnur ihres Handelns genommen hatten. Aber auch das neue Jahrhundert war, bei allen Bemühungen, hier Ausklärung zu schaffen, dem Abschlusse der Untersuchungen über diese so wichtige Frage immer noch fern.

In der Landwirtschaft folgte man Thaer. Nach seiner Ansicht spielte der Humus, in Verbindung mit Alkalien und alkalinischen Erden, die Hauptrolle im Ernährungsprozesse, und weil Dünger den Boden mit dergleichen Stoffen versieht, so beruhte in Art und Weise der Düngung hauptsachlich der Grad der Bodenfruchtbarkeit. Die atmosphärischen Substanzen und die anorganischen Bestandteile des Bodens, die sich im Pflanzenreiche als unverbrennliche Stoffe zeigen, waren dabei nicht ausgeschlossen, doch wies man beiden eine nur untergeordnete Bedeutung an. Später jedoch, als Karl Sprengel die Notwendigkeit dieser unverbrennlichen Stoffe für das Leben der Pflanzen nachgewiesen und auf die Wichtigkeit der Aschenbestandteile der Gewächse aufmerksam gemacht hatte, fand hierin eine Ergänzung der Thaer'schen Theorie statt, welche sich mehr noch befestigte, als die Untersuchungen von Wiegmann und Polstorff, die 1842 im Druck erschienen, die Frage über die Notwendigkeit der anorganischen Substanzen für das Gedeihen der Pflanzen zum Abschlusse brachten.


So standen die Sachen, als mit dem Ausgange des vierten Jahrzehnts die Ernährungslehre der Pflanzen durch Liebig in eine neue Epoche trat. Liebig veröffentlichte nämlich 1840 eine Theorie, welche mit der alten in grellem Gegensatze stand. 51) Sie erregte die Aufmerksamkeit der Physiologen, Chemiker und Landwirte zugleich, rief eine gewaltige Sensation hervor, erweckte einen lebhaften Kampf und gab zu neuen Untersuchungen kräftigen Anstoß. Nach Liebigs Meinung nahm der Humus am Ernährungsprozesse unmittelbar gar keinen Anteil, dagegen wurde der Atmosphäre die bedeutendste Rolle in der Pflanzenernährung zugewiesen, indem sie alle vier wesentliche Elemente des

Gewächsreiches besitze und diese in einer für die Pflanzen ausreichenden Quantität enthalte. Dem Boden schrieb er nur insofern einen Anteil am Ernährungsprozesse zu, als er die Pflanzen mit den unverbrennlichen Stoffen versorge, die in den Aschen derselben gefunden werden.

Man hat Liebig vorgeworfen, dass seine Lehre nicht neu wäre, dass schon Ingenhouß allen Pflanzen das Vermögen, von anorganischen Substanzen zu leben, zugeschrieben und zugleich auch behauptet habe, dass in ihnen die einzige Nahrung der Pflanzen zu suchen sei. Wenn das auch richtig ist, so wird man dennoch nicht in Abrede stellen dürfen, dass Liebig diese Ansicht in ganz anderer Weise als Ingenhouß begründet hat, indem ihm das ganze Material der neuen Forschungen zu Gebote stand. Auch darf man wohl fragen, warum denn keiner seiner Vorgänger im Stande gewesen war, solches allgemeine Aufsehen zu erregen und die Theorien der Gegner in dem Grade zu erschüttern, dass ihr Gebäude in allen Teilen erbebte. Wir müssen daher, um diese Frage zu lösen, nicht die Lehrsätze Liebigs einzeln verfolgen, sondern vielmehr auf die Art seiner Darstellung eingehen, denn nicht sowohl das, was er brachte, sondern die Weise, wie er es gab, diese war neu, und sie hat die große Aufregung hervorzubringen vermocht, welcher die Landwirtschaft in dieser Beziehung so wesentliche Fortschritte verdankt.

Liebig erfasste nämlich seinen Gegenstand nicht vom chemischen Standpunkte allein, sondern er sammelte Resultate aus allen Gebieten der Naturwissenschaft und ordnete sie zu einem großen Ganzen. Er zeigte nun seinem Leser den erhabenen Organismus im Reiche unsers Planeten, den ewigen Kreislauf der nährenden Stoffe, die bilanzierenden Wechselwirkungen der beiden organischen Reiche und die Harmonie in der ganzen Natur. Er suchte auf geistreiche Weise, in einfacher, klarer Sprache, nach Goethes Worten, zu zeigen: „Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt.“ Das war der schöne Rahmen, in welchem er sein Gemälde von der Pflanzenernährung entwarf, und das war es eben, was seine Leser so hinriss, was selbst denjenigen, der ihm nur teilweise beipflichten konnte, dennoch mit Bewunderung erfüllte; denn diese Art der Darstellung hatte vor ihm noch keiner versucht.

Natürlich konnte Liebigs Lehre nicht ohne Anfechtung bleiben, indem sie, bei vielen Wahrheiten, doch auch manche Hypothesen enthielt. Der Chemiker Mulder legte durch seine neuen Untersuchungen über den Humus die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit dar, dass die Humusverbindungen für unmittelbare Ernährung der Pflanzen allerdings geeignet wären, und die Physiologen, wie Mohl und Schleiden, wiesen nach, dass der Ernährungsprozess, in der großen Mannigfaltigkeit der Natur, ein sehr verschiedener sei und nicht auf so einförmigem Wege vor sich gehe, wie es in Liebigs Darstellung behauptet worden war. Es brachte Mohl besonders noch in Erinnerung, wie viele Lücken in der Kenntnis des Lebensprozesses wären, wie unvollkommen der Ein- und Ausgang der Stoffe des Pflanzenreichs bekannt sei, wodurch auch die Unmöglichkeit einleuchte, zur Zeit ein vollendetes Bild der Ernährung der Pflanzen zu geben.

Liebig hatte seine Theorie aber auch zu Folgerungen für die Betriebsweise der Landwirtschaft benutzt, und hier geriet er auf ein ihm fremdes Feld. Seine Gegner in der Zahl der Landwirte, unter welchen wir besonders Hlubek, Koppe und Schulze hervorheben wollen, griffen ihn heftig an, letzterer vorzüglich in der Art seiner Methode. Ohne zu leugnen, dass seine Lehre manche Wahrheit enthalte, behauptete er dennoch, dass die Landwirtschaft eine Erfahrungswissenschaft sei, welche daher auch von Landwirtschaftlichen Erfahrungen ausgehen müsse und die Grundsätze der Naturwissenschaft nur als leitende Maximen zu betrachten habe, um die Erfahrungen wissenschaftlich zu verarbeiten. Zu dieser Aufgabe könne die Landwirtschaft nur solche Lehren der Naturwissenschaft benutzen, welche als gültige Wahrheiten allgemein anerkannt worden seien, nicht aber Hypothesen, auf welche Liebigs Theorie sich stütze und die in grellem Widerspruche mit aller Erfahrung ständen. Schweitzer aus Tharand sprach sich gegen Liebig 1847 folgenderweise aus: „Es ist zu beklagen, dass geistreiche Männer wie Liebig, die sich in der neuern Zeit auf eine so dankenswerte Weise bemühen, des Landwirts Bahn mit der Leuchte ihrer Wissenschaft, der Chemie, zu erhellen, mit der Ausübung seines Gewerbes sich nicht hinlänglich bekannt gemacht haben und sich dennoch verleiten lassen, von ihrem Standpunkte aus die absprechendsten Urteile darüber zu fällen, Vorschläge erteilen, die gar nicht ausführbar sind, und dadurch das Zutrauen der intelligenten Landwirte verscherzen.“ Boussingault, der ökonomische Chemiker, machte 1844 seine interessanten Untersuchungen über die Aufnahme des Stickstoffs der Düngermasse bei verschiedenen Kulturgewächsen bekannt, woraus hervorzugehen schien, dass allerdings die Leguminosen ihren Stickstoffgehalt nicht vom Dünger, sondern, wie Liebig für alle Pflanzen annahm, aus der Atmosphäre beziehen müssten; auch war darüber kein Zweifel, dass die Hauptquelle des Kohlenstoffs, wenigstens für die Hauptmasse der Gewächse, in der atmosphärischen Luft zu suchen sei.

Während sich nun auf diese Weise die Wogen im theoretischen Gebiete der Landwirtschaft stürmisch bewegten, wurde das praktische Bereich nicht minder heftig erregt, denn es ertönte von Westen her 1843 der Ruf der Not. Die Kartoffelkrankheit war in Britannien und Belgien mit ungewöhnlicher Heftigkeit ausgebrochen und hatte, in epidemischer Art, mit reißender Schnelligkeit um sich gegriffen. Schon 1844 war sie nach Deutschland gekommen und hatte sich zuerst in jenen Gegenden recht heimisch gemacht, wo man, wie oben erwähnt, die sogenannte Kartoffelwirtschaft trieb. Der Schrecken der Ökonomen war groß, denn binnen kurzer Zeit hatte sie den ganzen Norden von Deutschland erobert, brach 1845 in Mitteldeutschland ein, zog durch alle Gaue des Vaterlandes, war zuletzt in Tiefen und Höhen, im Thon wie im Sand, und sorgenvoll sah der Landwirt in die Verwüstung der Ernte hinein. Sollte die Kartoffel in Zukunft ihre Erträge dem Landwirt dauernd versagen, dann war die jetzige Höhe des Landwirtschaftlichen Betriebs und somit auch die große Menge der Produktion sehr in Frage gestellt, und dadurch drohte der bereits zu bedeutender Höhe gestiegenen Bevölkerung Mangel und Not. Also war die Erscheinung der Kartoffelkrankheit ein Ereignis, was nicht für die Landwirtschaft allein, sondern auch für den ganzen Staat von großen Folgen sein konnte, dessen hohe Bedeutung in der Wichtigkeit liegt, welche die Kartoffel in der jetzigen Betriebsart hat. Soll sie näher erörtert werden, dann muss es erlaubt sein, die große Rolle zu zeigen, welche die Kartoffel gegenwärtig in der Landwirtschaft spielt.

Die Kartoffel gehört zu den Hackfrüchten. Diese lockern und reinigen den Boden und gestatten, durch Einschiebung in die Fruchtfolge, die Umgehung der reinen Brache, bewirken also die Benutzung des dritten Teils der Felder, der sonst unproduktiv wäre. Doch die Kartoffel behauptet unter den Hackfrüchten den ersten Rang. Sie hat ein weit größeres Bereich als die übrigen, denn sie gedeiht fast in allen Arten des Bodens, in allen deutschen Klimaten bis hoch in die Gebirge hinaus und ist in Kultur viel bequemer als andere. Sie gerät auch nach jeder Frucht und ist besonders für Halmgewächse eine treffliche Vorfrucht. Daher kennen wir keine Hackfrucht, welche so bequem, so vorteilhaft und so allgemein, als Zwischenfrucht der Zerealien, zur Umgehung der reinen Brache, benutzt werden kann. Dabei spielt sie noch die Rolle des Getreides, denn sie gibt vortreffliche Nahrung für Menschen und Vieh, übertrifft in Mannigfaltigkeit der Verwendung sogar Weizen und Roggen, wird für Gebirgsbewohner fast einzige Brotfrucht, bietet für Brennereien ein gutes Material und ist für Stärke- und Sirupfabrikation brauchbar. Wo gäbe es nun in unserer Kultur ein Gewächs, welches für die Kartoffel eintreten könnte! Wir können sie nicht mehr entbehren, denn die Art des jetzigen Betriebs ist auf ihr Gedeihen gestützt.

Daher war die Sorge der Landwirte und der Regierungen wegen der Fortdauer der Kartoffelkrankheit auch wohl gerechtfertigt, und obgleich der bösartige Charakter derselben nur kurze Zeit anhielt, so hat sie dennoch auf den ungünstigen Verlauf der Geschichte in den vierziger Jahren einigen Einfluss geübt, wie später gezeigt werden soll; zumal sich vor und nach ihrem ersten Auftreten noch andere üble Ereignisse einstellten, welche die Not der Armen vergrößerten.

Dem Unglück der Kartoffelkrankheit ging nämlich das außerordentlich dürre Jahr von 1842 voran. Die Sommerfrüchte und das Futter missrieten, die Kornpreise stiegen und der Viehstand nahm wegen Mangel an Nahrung ab. Dann folgte die Missernte von 1846; der Roggen war in der Blüte durch Frost verletzt, die Körner wurden klein, die Kartoffeln verdarben fast bis zu drei Vierteln der Ernte, und auch der Obstbaum versagte seinen Ertrag. Die Preise stiegen, doch nicht zum Vorteil des Landmanns, denn die Missernte war allgemein. Im Jahre 1847 begann eine große Teuerung, die fast die Höhe von 1817 erreichte, und die Not des ärmern Teils der Bevölkerung endete nicht früher, als die gesegnete Ernte von 1847 eingebracht war.

Mit dieser Ernte fingen sich die trüben Aussichten in die Zukunft zu erheitern an, denn es traten mehrere Ereignisse ein, die eine bessere Zukunft versprachen. Zuerst bemerkte man eine Abnahme der Kartoffelkrankheit. Man erntete 1847 weniger faule Knollen, und es schien, als wollte dieses Übel, wie jede Epidemie, allmählich seinen bösartigen Charakter verlieren, eine Hoffnung, die später auch in Erfüllung ging. Zweitens gaben die seit den vierziger Jahren wiederum merklich gestiegenen Fruchtpreise 52) die Möglichkeit, auch ausländische Dungmaterialien, besonders Guano, gut verwerten zu können und durch Einführung von Stickstoffmasse die Produktion der Felder zu steigern. 53) Drittens kam 1844 die frohe Kunde aus England, dass die Kornbill aufgehoben worden sei. Man hatte in England schon längst gegen die Kornbill gesprochen, denn so viel war klar, dass der zahlreiche Stand der Fabrikanten zu Gunsten der Landwirte fortwährend teueres Brot essen musste, und am Ende hatte nicht einmal die Masse der Produzenten, die dort aus Pächtern besteht, sondern nur die kleine Zahl der reichen Grundbesitzer den ganzen Vorteil davon. Gleichwohl waren seither alle Bemühungen, die Kornbill zu stürzen, Erfolglos geblieben, bis im Jahre 1843 die Kartoffelkrankheit kam. Nun wuchs das Elend der armen Fabrikarbeiter in bedeutendem Grade, und nun diktierte die Not 1844 im Parlament die Aufhebung des Korngesetzes, welche früher von einer starken Partei für ganz unmöglich ausgegeben worden war.

Und so hatte gerade dasjenige Ereignis, welches die Landwirtschaft in Deutschland rückgängig zu machen drohte, ihr starken Vorschub geleistet, indem die Aufhebung der Kornbill zu jetziger Zeit für uns eine ungleich höhere Bedeutung als in frühern Jahren gewann. Durch die neuerstandenen Eisenbahnen, die sich jährlich vermehrten, wurde der Abfluss für alle unsere fruchtreichen Gegenden möglich gemacht, und die Folge davon war, dass in Zukunft auch mehrere nacheinander folgende reichgesegnete Ernten kommen konnten, ohne eine allzu große Anstauung von Getreide zu erzeugen, dass also eine Wohlfeilheit vom Jahre 1825 nicht so leicht wieder möglich war.

Zu diesem allen kam nun noch der in Deutschland jährlich wachsende Verkehr, welcher 1841 durch eine Münzkonvention aufs neue erleichtert worden war, desgleichen die rasche Entwickelung des deutschen Fabrikwesens und die fortwährend steigende Bevölkerung. Unsere Landwirte waren nun allerdings berechtigt, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken; sie entwarfen Pläne zur Erweiterung ihres Geschäfts, machten Versuche mit Guano und Chilesalpeter, brachten Mais als Futterersatzmittel für die kranken Kartoffeln ins Feld, und alles schien im besten Gange zu sein, als der rollende Donner eines schweren Gewitters, welches drohend am politischen Horizont aufstieg, mit einem mal allen Verkehr lähmte und die ganze Aufmerksamkeit Europas auf sich zog. Im Februar 1848 war nämlich in Frankreich eine dritte Revolution ausgebrochen; die Erschütterungen wurden im westlichen Nachbarstaate so heftig, dass sie sich östlich nach allen Richtungen fortpflanzten und auch ganz Deutschland in Aufruhr brachten. Soll nun der Anteil bezeichnet werden, den die ökonomischen Verhältnisse am Entstehen dieser Revolution hatten, so müssen wir die innern Verhältnisse Frankreichs in kurzem näher berühren.

In Frankreich lagen die Verhältnisse der Armen anders als bei uns, denn schon vor der ersten Französischen Revolution bestand dort ein Proletariat, eine mit den bestehenden Staatseinrichtungen und sozialen Verhältnissen unzufriedene Armut. Es hatte nicht an Männern gefehlt, welche Systeme schufen, durch die, nach ihrer Meinung, die Lage der Armen verbessert werden würde, und dadurch bekam der Haufen umsturzlustiger Menschen, dessen Hauptsitz Paris war, Leiter und Führer. Doch nicht diese waren es gewesen, die, am Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, das Proletariat so ansehnlich vermehrt hatten, sondern die Not hatte es großgezogen, vornehmlich die Teuerung im Jahre 1789.

Gleichwohl wäre von Seiten des Proletariats für die damaligen Zustände in Frankreich keine Gefahr erwachsen, denn eine so niedrige Schicht im Volke kann wohl Aufruhr erzeugen, doch keine Revolution; solange der Kern der Nation mit der Regierung geht, bleibt das Militär ihr treu und die Aufstände der Proletarier werden gedämpft. Wenn sich jedoch der Stoff zur Unzufriedenheit in dem Grade angehäuft hat, dass auch der Kern des Volks sich von der Regierung wendet und die Gesamtmasse der Nation zu den Waffen greift, dann gewinnt in Jahren, die durch Teuerung das Wachstum solcher murrenden Armen begünstigen, das Proletariat eine höchst bedenkliche Macht. In der großen Teuerung in Frankreich, welche von 1789 mehrere Jahre lang dauerte, hat sich ihr mächtiger Einfluss in hohem Grade gezeigt, in der Revolution von 1830 war er dagegen nicht zu spüren, weil jene wohlfeile Zeit den Haufen des Proletariats bedeutend gelichtet hatte, obschon es 1830 ebenso wenig als 1789 an Aufwieglern gebrach.

Seit 1842 war nun in Frankreich weit mehr noch als in Deutschland Teuerung und Not unter den Armen gewesen, denn die Dürrung vom Jahre 1842 hatte Frankreich härter als Deutschland betroffen, die Kartoffelkrankheit war früher nach Frankreich als nach Deutschland gekommen, und zu derselben Zeit, als im Jahre 1846 bei uns der Frost die Roggenblüte verletzte, traf er in Frankreich die Weizenblüte, verkümmerte also die Ernte der dortigen Brotfrucht sehr. Dabei trat das Elend stärker als in Deutschland hervor, weil bei uns die Fabrikarbeiter in den fabrikreichsten Gegenden mehr zerstreut in Gebirgen wohnen, in Frankreich dagegen massenhaft in große Städte zusammengedrängt sind. In diesen Jahren fuhren die Kommunisten und Sozialisten ebenso wie früher fort, für ihre Systeme zu werben, doch weder den Anhängern von Fourier, noch den Jüngern von Louis Blanc wäre es gelungen, einige Epoche zu machen, wenn ihnen nicht die teueren Zeiten der Jahre 1842, 1843, 1846 und 1847 kräftig in die Hände gearbeitet hätten. Der Haufen des Proletariats wuchs in Paris zu enormer Größe 54), die Unzufriedenheit stieg, und man erfand für die neue Verschwörung eine dem Bundschuh des 15. und 16. Jahrhunderts ähnliche Form. 55) Leicht gelang es, das Bündnis auch über Deutschland zu verpflanzen, weil bei uns ähnliche Not war.

Dennoch hätte diese Verschwörung, so bedeutend sie auch war, keine Revolution erzeugen können, wäre nicht Zündstoff reichlich vorhanden gewesen, der das Volk zum Aufstande entflammte und durch dessen Hilfe der Sturz der Regierung gelang. Die Verschwörung war daher von dem leichten Erfolge ihres Versuchs ganz überrascht, was sie selbst auch gestand, und das Volk sah sich durch das Proletariat zu einem Ziele getrieben, das von ihm anfangs gar nicht bezweckt war. In Deutschland konnten die Ereignisse nur in ähnlicher Weise verlaufen, denn wir haben zum Glück kein Proletariat von Paris und keine tonangebende Zentralstadt; insoweit waren aber die deutschen Ereignisse den französischen gleich, dass hier wie dort sich zuerst das Volk erhob, später das Proletariat an vielen Orten die Oberhand bekam und besonders in Städten zu terrorisieren begann.

Aber der weitere Verlauf der Revolution war ein ganz anderer, als viele gefürchtet hatten, und daran waren zunächst nur die ökonomischen Verhältnisse schuld. Schon im September 1847 hatte die eigentliche Teuerung aufgehört, beim Anfange der Unruhen im März 1848 stockte aller Verkehr, niemand fand sich zu Spekulationen geneigt, jeder wollte verkaufen, und dadurch fielen die Preise der Früchte herab. Als nun der August 1848 wiederum eine gesegnete Ernte brachte, begann eine wirklich wohlfeile Zeit, die durch nachfolgende gute Ernten mehrere Jahre währte, bis nach Eintritt der Ruhe sich durch Kornspekulation der Fruchtpreis wiederum hob. 56)

Das war von großen Folgen! Teuerung und Not hatten das Proletariat groß gemacht, dauernde Wohlfeilheit schwächte es wiederum ab. Zugleich wurde das Volk durch die Exzesse des Proletariats zur Regierung zurückgedrängt, diese bekam dadurch ihre alte Gewalt, und die Ordnung wurde aufs neue begründet. Man wird sich erinnern, wie leicht es Napoleon III. gelang, im Januar 1852 den französischen Thron zu erobern, denn das wohlfeile Brot hatte die Haufen der Proletarier so sehr gelichtet, dass das Innere von Paris nichts von dem kurzen Kampfe sah, der in der Vorstadt ausgefochten wurde. In Bezug auf das Proletariat hatte man in Deutschland eigentlich schon mit dem Anfange des Jahres 1849 die Oberhand gewonnen, denn die spätern Kämpfe, die sich gegen Aufstände in übervölkerten Gegenden erhoben, waren anderer Art und wurden, wie alle, die nicht von der Gesamtmasse des Volks ausgehen, bald unterdrückt.

Diese stürmische Zeit brachte besonders der Landwirtschaft reichen Gewinn, indem sich alle vorher säumig gewesenen Regierungen beeilten, dem Bauer die letzten Reste der Fesseln zu nehmen, die den freien Betrieb beeinträchtigt hatten; selbst das Wildübel, des Bauern dreihundertjährige Klage, ward beseitigt. Nun trat er eigentlich wieder in die Stellung zurück, die er zu Tacitus' Zeiten besaß, als freier Mann auf freiem Gute, von Zinsen und Diensten erlöst. Auch die Landwirtschaft hob ihre Schwingen mit erneuter Kraft, alle Glieder derselben waren zu ihrer Förderung tätig, und in rascherem Lause verfolgte sie ihr schönes Ziel.