Die dreißiger Jahre. Folgen der Julirevolution und des Zollvereins

Gerade zu dieser Zeit, nämlich im Juli 1830, kam die Kunde einer neuen Revolution aus Frankreich zu uns herüber, und wie ein elektrischer Funke durchzitterte sie die Gemüter des Volks. Ganz Deutschland war erregt, man fürchtete Revolutionen, aber nur im Königreich Sachsen, im Herzogtum Braunschweig und im Kurfürstentum Hessen entstanden Unruhen.

Wenn man die Kulturgeschichte der einzelnen deutschen Staaten von 1770 — 1830 verfolgt und dabei die Landwirtschaftlichen Verhältnisse besonders im Auge behält, dann wird man sehr natürlich finden, warum dieses große Ereignis bei uns so verschiedene Wirkungen ausüben musste. Es ist zwar richtig, dass die Unruhen nirgends vom Landvolke ausgingen, denn dieses bildet immer den konservativern Teil der Nation; aber ebenso wahr ist auch, dass die bedrängten Regierungen am Bauer keine Stütze fanden und, des Beistandes der größten Zahl des Volks beraubt, sich gezwungen sahen, nach Änderung des Personals, neue Wege zu betreten.


Vor allem waren im Königreich Sachsen schreiende Missverhältnisse zwischen Regierung und Volk; das Volk stand an der Spitze der Intelligenz, die Regierung noch im vorigen Jahrhundert. Alles, was im Laufe der zwanziger Jahre zu Gunsten des Landmanns hier geschehen war, beschränkte sich auf die Niederschießung des stark überhandgenommenen Wildes, vor dem der Landmann nicht einmal seine Saaten schützen konnte und welches nun König Anton, bei seinem Regierungsantritt im Jahre 1827, niederzuschießen befahl. Im übrigen war kein Fortschritt gewesen. Es gab hier keine Gleichheit vor dem Gesetze, keine gleiche Besteuerung, keine Verordnungen für Ablösung der Feudallasten, sondern es bestand alles noch fort, wie es Friedrich August 1763 vorgefunden hatte. Es waren nicht allein Fronen und persönliche Dienstleistungen aller Arten geblieben, sondern sogar die Leibeigenschaft, welche doch überall beseitigt worden war, blühte in Sachsen, dem Lande der Intelligenz, trotz des 19. Jahrhunderts fort und wurde in der Lausitz mit dem beschönigenden Namen Lassitenverhältnis belegt. Überall in Sachsen war von Seiten der Regierung Bevormundung, nirgends freie Entwickelung, und doch hatte 1818 Professor Pölitz in einem Programm überzeugend bewiesen, dass das sächsische Volk mündig sei. Darf man sich wundern, wenn bei solchen Missverhältnissen, die von einem Jahrzehnt zum andern verschleppt worden waren, das vertrauend harrende Volk endlich die Geduld verlor und die Gelegenheit ergriff, um mit Gewalt zu beseitigen, was seiner Entwickelung so hinderlich war?

Nun fiel in kurzer Zeit alles, was längst schon hätte beseitigt sein sollen, der Geschäftsgang, dessen Langsamkeit seither alle Vorstellungen überboten hatte 40), nahm einen raschen Lauf, und auf ruhigem Wege schritten die Reformen der innern Staatsorganisation ihrem Ziele entgegen. Was die agrarischen Verbesserungen betraf, so wurden nicht bloß Ablösungsgesetze über alle Feudallasten gegeben, sondern man schritt auch zu einer allgemeinen Bonitierung sämtlicher Grundstücke des Reichs, um auf sie eine gerechte Besteuerung des Grund und Bodens zu basieren.

Das Lassitenverhältnis der Lausitz und die Leibeigenschaft Sachsens überhaupt löste sich auf eine zweckmäßige Art. Der Lassit stand im Erbuntertänigkeitsverhältnisse zwar dem Katenmanne Preußens und Mecklenburgs gleich, aber er war kein Tagelöhner, sondern lebte auf einem seiner Herrschaft gehörigen kleinen Bauergute, einer sogenannten Nahrung, die ihm, nach allen Abgaben an die Herrschaft, einen dürftigen Unterhalt bot. Dem Herrn stand es zwar frei, seinen Lassiten willkürlich von einer Nahrung zur andern zu versetzen, auch ihm die Nahrung gänzlich zu nehmen; doch da er in diesem Falle für den Unterhalt der Lassitenfamilie sorgen musste und kein Mangel an Dienstboten war, so kam das Einziehen einer Nahrung hier sehr selten vor. Als man nun die Leibeigenschaft aufhob, so behielten die Lassiten Haus und Hof, waren aber, gleich den böhmischen und mährischen Bauern unter Maria Theresia und Joseph II., genötigt, sich einzukaufen. Um die Beschaffung der Ablösungsgelder zu ermöglichen, wurde ein dreißigjähriger Termin der Entrichtung jährlicher Abschlagssummen festgesetzt, sodass nach Verlauf desselben der ehemalige Lassit auf seinem von allen Lasten befreiten Hofe als Eigentümer saß. Allerdings wurde es anfangs dem Lassiten schwer, die verhältnismäßig hohe Geldsumme jährlich zu schaffen, doch da er jetzt schon sein Gut zur freien Verfügung bekam und schon von alters her ein fleißiger und sparsamer Mann war, so wuchs die Einnahme vom Gute mehr und mehr und dadurch auch die Bequemlichkeit der Entlastung.

Die Aufstände, welche sich in Kurhessen und Braunschweig kurz nach der Julirevolution im Jahre 1830 ereigneten, waren von den sächsischen Unruhen insofern verschieden, als hier nicht sowohl Missverhältnisse in der innern Staatsorganisation, sondern vielmehr große Willkürlichkeit der Regenten die Veranlassung dazu gaben; doch zogen sie in Bezug auf die agrarische Gesetzgebung ähnliche Folgen nach sich.

Braunschweig hatte mit Hannover in agrarischen Dingen viel Ähnlichkeit. In beiden Staaten hatte die westfälische Regierung schon die drückendsten Lasten 1809 entfernt. Die Leibeigenschaft, welche vorzüglich in Hannovers später erworbenen Landesteilen Hoya und Diepholz häufig vorkam, war beseitigt worden, ebenso waren Abgaben wegen Lehnsverbindungen, wie Kürkuh und Schutzgeld und ungemessene oder persönliche Dienstleistungen, als Jagdfronen oder das Geld dafür, ohne alle Entschädigung abgeschafft. Der bei weitem größte Teil der niedersächsischen Bauern besaß sein Gut auf Meierrecht, das heißt, der Bauer hatte sein Gut auf Erbpacht und musste, neben andern Abgaben, die sehr mannigfach waren 41), einen jährlichen Kanon, den Meierzins entrichten, welcher die Hauptlast bildete. Gleich nach dem Aufstande erschienen billige Ablösungsgesetze, durch welche die Braunschweiger Bauern, in kurzer Zeit, Herren ihrer von Abgaben befreiten, ziemlich ansehnlichen Güter wurden. Hannover war von Aufständen fast gänzlich frei geblieben, beeilte sich aber dennoch, Ablösungsgesetze ins Leben treten zu lassen, und dazu hatte der Katechismus über Ablösungen, welchen Hr. von der Horst herausgab, viel mit beigewirkt.

Hessen war ebenfalls im Jahre 1809 von Leibeigenschaft, persönlichen Dienstleistungen und Schutzgeld durch die westfälische Regierung, ohne Entschädigungsgelder, erlöst worden und sollte jetzt, nach dem Aufstande, durch Ablösungsgesetze auch von den übrigen Feudallasten befreit werden, die sehr mannigfach waren und fast auf jedem Gute in Höhe wechselten; doch fand in Hessen die Ablösung ihre besondere Schwierigkeit. Der hessische Bauer war dazu wenig geneigt; er wurde entweder aus Armut gehindert, die Ablösungssumme zu schaffen, oder er sah, aus Mangel an gewöhnlicher Bildung 42), den ihm gebotenen Vorteil nicht ein, und deshalb zog sich dieses Geschäft sehr in die Länge hinaus.

In Bayern, Württemberg, Baden und Darmstadt gingen die Ablösungen jetzt schneller von statten, in Thüringen hatte man nur ein Gesetz über Ersatz des Wildschadens zu Stande gebracht.

Preußen, welches durch frühzeitige Entfernung aller Feudallasten andern Staaten vorangeeilt war, wurde von der Julirevolution Frankreichs gar nicht berührt; selbst die westlichsten Teile der Monarchie, die ehemaligen Herzogthümer Jülich und Saarbrück, blieben ruhig. Man hatte seither in Preußen mit Reformieren eigentlich gar nicht aufgehört, denn jährlich waren neue Gesetze erschienen, welche die Art der Ablösungen, Gemeinheitsteilungen und Arrondierung der Güter betrafen, und bloß die Einsetzung einer landständischen Verfassung fehlte noch. Das Bedürfnis danach war aber damals in den verschiedenen Provinzen durchaus nicht in gleichem Grade vorhanden und wurde gar sehr zurückgedrängt, sobald man erfuhr, dass Preußen eifrig bemüht sei, einen Zollverein mit ganz Deutschland anzubahnen, denn das Bedürfnis nach Freiheit des Handels wurde in allen Provinzen, ohne Unterschied, sehr lebhaft Gefühlt. Nicht ohne Opfer von preußischer Seite kam 1833 der Zollverein mit mehreren deutschen Staaten zu Stande, trat 1834 in Kraft, und andere Staaten folgten nach. Wie sehr das Volk an diesem frohen Ereignisse Anteil nahm, beweist seine Freude an dem schnellen Verschwinden der Grenzzollhäuser, die nicht einmal der nächsten Zukunft eine Spur ihres traurigen Andenkens übergaben.

Und das Volk konnte mit Recht frohlocken, denn es begann jetzt für Handel und Industrie eine neue, großartigere Zeit. Die Glieder des Handels, bisher in Fesseln geschlagen, reckten sich frei aus; Fabriken und Manufakturen, seither in vorsichtigem, langsamem Gange, erkräftigten sich zum schnellern Lauf. Die Unternehmungen gewannen an Größe, die Spekulationen an Kühnheit und Sachsen entwarf schon 1835 den Plan einer Eisenbahn. Kaum waren drei Jahre verflossen, so rollte der Dampfwagen, zum Erstaunen der Menge, im Vogelfluge dahin, und diese erste deutsche Eisenbahn von Leipzig nach Dresden, welche tatsächlich bewies, wie sehr sie Handel und Industrie zu fördern vermöchte, wurde der Anfang zu einem Bahnnetze über ganz Deutschland.

Dass solche neue Schwingen des Handels und der Industrie auf Deutschlands Landwirtschaft nicht ohne mächtigen Einfluss bleiben konnten, versteht sich von selbst. Man musste vielmehr jetzt eine um so freiere und schnellere Entwickelung derselben erwarten, als, gleichzeitig mit Preußens Absperrung, in mehreren deutschen Staaten das letzte Hindernis fiel, was die ungehinderte Entwickelung der Ökonomie seither beeinträchtigt hatte. Daher traten, mit der Errichtung des Zollvereins, auch in der Landwirtschaft eine Reihe neuer Erscheinungen auf, die nun erzählt werden sollen.

Zunächst tauchten Runkelzuckerfabriken auf. Fast hundert Jahre waren verflossen, seitdem Marggraf den Zucker in Runkeln fand. Später hatte Achard (1796) ein wohlfeileres Verfahren entdeckt, und Lampadius 1799 die Reinigung des Sirups durch Kalk und Kohle hinzugefügt; doch blieb es damals bei Versuchen im Kleinen. Erst als Napoleons Handelssperre heimischen Fabriken günstigere Bilanzen gab, traten drei Unternehmungen größerer Art ins Leben, die aber der Sturz Napoleons wiederum schloss. Frankreich dagegen setzte die Fabrikation des Runkelzuckers auch unter Ludwig XVIII. und Karl X. noch fort, und als man dort im Jahre 1829 den indischen Zucker mit höherer Steuer belegte, hatte sich schon nach sechs Jahren die heimische Zuckerfabrikation um das Zehnfache erhöht.

Das machte in Deutschland Aufsehen, doch, vor der Errichtung des Zollvereins, waren nur österreichische Länder, auf welchen eine höhere Besteuerung des indischen Zuckers lag, im Stande, Runkelzuckerfabriken zu errichten, und daher wurden schon 1832 vier Fabriken in Böhmen erbaut. Als nun der Zollverein ebenfalls eine höhere Besteuerung des Rohrzuckers ausschrieb, war auch im übrigen Teile von Deutschland die Möglichkeit für solche Unternehmungen gegeben und es traten nun überall in geeigneten Gegenden, besonders aber in Preußen, neue Fabriken auf. Ihre Zahl wuchs rasch und hatte sich binnen sieben Jahren schon auf 76 vermehrt. 43)

Die Runkelzuckerfabrikation brachte für ihre Umgebung, in Landwirtschaftlicher Beziehung, Nutzen und Nachteil. Die Fabrikanten waren nämlich genötigt, sich einer umfangreichen Kultur der Zuckerrunkeln, in der Nähe der Fabrik, zu versichern, folglich mussten sie mit der Landwirtschaft in enge Verbindung treten, mit den Produzenten Kontrakte schließen, die den letztern günstig waren, und dadurch wurde die Produktion des Bodens im Werte erhöht. Aber nicht immer waren die Landwirte geneigt, dem Runkelbau, der den besten Boden in Anspruch nimmt, eine Ausdehnung zu geben, welche den Wünschen der Fabrikanten entsprach, zumal in Gegenden, die nur von Bauern bewohnt sind, wie das in der Börde bei Magdeburg der Fall ist. Daher sahen sich die Fabrikanten gezwungen, den Bauern das ganze Gut für enorm hohe Preise abzupachten, und letztere zogen nun in die Stadt. Hier wurden sie der Arbeit und Einfachheit des Lebens entfremdet und kamen daher in Verhältnisse, die man gewiss nicht als günstige für die Landwirtschaft bezeichnen kann. '

Die nach der Entstehung des Zollvereins sich sehr schnell entwickelnde Industrie bereitete auch der Wollzucht bald eine andere Bahn. Das allgemeine Bestreben, hochfeine Wolle zu erzielen, hatte schon mit dem Ende der zwanziger Jahre die Produktion derselben bedeutend gemehrt, und die Preise gingen merklich zurück. Zudem stieg die Nachfrage nach Mittelwollen mit jedem Jahre, ihre Preise verbesserten sich in dem Grade, als die hochfeinen sanken, und dieser Umstand veranlasste die Landwirte, Wollreichtum mit Feinheit der Vliese zu verbinden.

Überhaupt zeigte sich jetzt in allen volkreichern Gegenden eine Abnahme des Umfangs der Schäfereien, denn die Volksmasse hatte sich nun, während der 25 Jahre des Friedens, durchschnittlich um ein Drittel und in einigen Gegenden fast um die Hälfte vermehrt. 44) Das blieb auf die Landwirtschaftlichen Verhältnisse nicht ohne Einfluss, denn es stiegen zunächst allmählich die Fruchtpreise empor. Die wohlfeile Zeit der zwanziger Jahre war nun vorbei, alle Getreidearten wurden besser bezahlt, und seit 1836 nahmen die Preise sogar bedeutend in Höhe zu. 45) Die günstigem Kornpreise erhöhten auch die Preise der Milchprodukte, und deshalb fing man an, auf Unkosten der Schäfereien den Rinderstand zu vermehren. Für Veredlung dieses Zweigs der Viehzucht war im östlichen Teile von Deutschland nur stellenweise gesorgt worden, in manchen Gegenden hatte man sogar, aus Vorliebe für Schäfereien, den Rinderstand vernachlässigt; im Verlaufe der dreißiger Jahre holte man jedoch das Versäumte nach, und überall wurden, je nach Örtlichkeiten, bessere Rassen aus der Schweiz, aus Tirol, aus Holland oder England eingeführt.

Mit dem Rinderstande steht die Wiesenkultur, die sicherste Basis des Winterfutters, in enger Verbindung. Es verstand sich von selbst, dass, bei einer Erweiterung und Veredlung des Rinderstandes, auch auf eine Verbesserung der Wiesen Rücksicht genommen werden musste, die vorzüglich für Ebenen, welche gewöhnlich an großer Feuchtigkeit leiden, sehr nötig war. Auf diese Weise lenkte sich wieder der Blick auf die seit mehreren Jahrhunderten vernachlässigten Wiesen hin.

Auffallend ist, dass vor dem Dreißigjährigen Kriege Deutschlands Wiesenkultur im ganzen auf höherer Stufe stand als im Anfange unserer Zeit. 46) Zwar hatten alle Gebirgsvölker fortgefahren, in althergebrachter Weise, die Wiesen nach wie vor zu pflegen und durch Düngung nebst Berieselung ihren Graswuchs zu mehren; doch in der Ebene und den Stromauen lagen sie schon seit langer Zeit ohne Pflege da. Die Sache erklärt sich, wenn man die Bevölkerung der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit der Volkszahl vor dem Dreißigjährigen Kriege vergleicht, infoweit man nämlich über die Volksmenge aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts sichere Nachrichten hat.

Zufolge einzelner Notizen hatte 1790 die Bevölkerung jene Menschenzahl, welche vor dem Dreißigjährigen Kriege Deutschland bewohnte, kaum oder noch nicht wieder erreicht und betrug kurz nach jenem Kriege nicht die Hälfte. Böhmen war zu Anfange des 17. Jahrhunderts mit mehr als 2 1/2 Mill. Menschen bevölkert und hatte nach dem großen Kriege 780.000 Menschen, 1790 2.563.000. Mähren wird schon 1429 als ein Land mit über 2 Mill. Menschen bevölkert genannt; es fiel bis 1754 auf 845.762 Christen herab und stieg bis 1790 zu 1.300.000 Menschen wieder empor. Weit spezieller erfährt man aber bei einzelnen Städten und Dörfern den Zustand der Bevölkerung vor und nach dem Dreißigjährigen Kriege. Olmütz z. B. hatte 1618 1.356 Häuser, 1648 nur 168 bewohnbare Häuser und 1790 wieder 900 Häuser. Iglau zählte 1618 an 13.000 Einwohner, 1648 nur 299 Einwohner und 1790 10.200 Einwohner. 47) Ganz genau hat Dominicus 48) die Häuserzahl der erfurtischen Dörfer vor und nach dem Dreißigjährigen Kriege und von 1792 ermittelt. Es betrug die Häuserzahl von 19 Dörfern des Erfurter Gebiets vor dem großen Kriege 1.887, im Jahre 1650 noch 825 und 1792 wiederum 1.583. Daraus wird man sich überzeugen, dass durchschnittlich Deutschlands Bevölkerung im Jahre 1790 jene Menschenzahl vom Anfange des 17. Jahrhunderts kaum wieder eingeholt haben konnte, und dass der Dreißigjährige Krieg die Einwohnerzahl nicht um ein Drittel, wie man gewöhnlich annimmt, sondern um die Hälfte verringert hat.

Bei einer so bedeutenden Population vor dem Dreißigjährigen Kriege musste auch die Landwirtschaft in intensiverer Weise betrieben worden sein, was man auch aus den damaligen Schriftstellern entnehmen kann. Weil aber in jener Zeit der Kleebau noch unbekannt war, so hatte der Landwirt kein anderes Mittel gehabt, einen höhern Viehstand zu ermöglichen, als eine sorgsame Kultur seiner Wiesen. Nach dem Dreißigjährigen Kriege war die Menschenmasse um die Hälfte verringert, Folge davon war extensive Wirtschaft, die sich zuerst in Vernachlässigung der Wiesen kund gab. Als die Bevölkerung am Ende des vorigen Jahrhunderts höher heranwuchs, indem der Betrieb wieder intensiver zu werden begann, hatte man schon den Kleebau und vermisste den Ausfall der Wiesenernten durch schlechte Behandlung nicht; in den dreißiger Jahren jedoch drängte die wachsende Population wieder zum Wiesenbaue und besonders in solchen Gegenden hin, wo er am ärgsten seither vernachlässigt worden war. Man nahm nun die Siegener Wiesenkultur als Modell für Verbesserungen der Wiesen, machte besonders im Norden von Deutschland, wo man die Wiesen hatte versumpfen lassen, viel künstliche Berieselungen, und 1837 wurde sogar von Patzig zu Janowitz eine besondere Schule zur Bildung für Wiesenbauer gegründet, die er später nach Kochstädt bei Halberstadt verlegte.

Aber die in den dreißiger Jahren steigenden Getreidepreise lenkten die Blicke der Landwirte auch mehr und mehr auf die Verbesserung der Werkzeuge und die Vermehrung der Dungkraft hin, um die Produktionsmasse der Felder zu steigern. Belgien und England hatten in beiden Beziehungen schon bedeutende Fortschritte gemacht, Deutschland aber vervollkommnete sich jetzt in Fertigung guter Landwirtschaftlicher Maschinen weit mehr als zuvor, doch für den Ankauf fremder Dungmaterialen standen die Verhältnisse noch nicht günstig genug. Gleichwohl fing man zu benutzen an, was die Heimat bot, namentlich wurden düngende Abgänge der Gewerbe und mineralische Stoffe jetzt weit häufiger und sorgfältiger verwendet als früher.

Diese neue Blüte des ökonomischen Betriebs steigerte auch das geistige Leben in allen Kreisen der Landwirtschaft bis zum Bauer herab. Das Bedürfnis mündlicher Austauschung der Ansichten und Erfahrungen wuchs, neue Vereine reihten sich den ältern an, und das ganze Vereinswesen erhielt in mehreren Staaten eine bessere Organisation. Auch gab es jetzt nicht mehr Vereine von Gutsbesitzern und Pächtern allein, sondern es traten nun auch Bauernvereine ins Leben, deren Besprechungen mehr die kleinern Verhältnisse der Hufengüter betrafen. Doch man ging weiter. Man wollte Vereine schaffen, welche die Landwirte ganz Deutschlands vereinigen sollten, und nahm die Wanderversammlungen der Naturforscher zu Muster. Was Thaer schon 1808 ins Leben zu rufen strebte und dessen Fortgang damals die bedrängten Zeiten verhinderten, erstand nun 1837 in erneuerter, zeitgemäßerer Gestalt. Dresden sah die erste Versammlung, in welcher sich zwar nur 145 Mitglieder einfanden, doch später hat sich die Frequenz sehr bedeutend vermehrt. 49)

Es konnte nicht fehlen, dass bei solchem regen Leben auch das Bedürfnis nach einer wissenschaftlichen Ausbildung unter der Zahl der jungen Landwirte wuchs. Daher steigerte sich innerhalb der dreißiger Jahre die Frequenz der Lehranstalten, und mehrere Staaten fühlten sich veranlasst, neue Landwirtschaftliche Institute zu gründen. Schon 1829 wurde eine Landwirtschaftliche Lehranstalt mit der sächsischen Forstakademie zu Tharand vereinigt, 1834 Eldena bei Greifswald nach dem Muster von Jena errichtet, und 1835 die höhere Lehranstalt auf dem Geisberge bei Wisbaden gestiftet. Dazu kamen mehrere Privatinstitute, wie die Anstalt zu Darmstadt von Pabst und das im Jahre 1839 neu errichtete Institut zu Jena von Schulze. 50)