Der Krieg und seine Folgen. Preußens Reformen

Obgleich die ökonomischen Verhältnisse sich jährlich besser gestaltet hatten, so blickte man dennoch damals gerade mit recht banger Besorgnis auf die Zukunft hin, denn es drohte die Napoleonische Macht mit Krieg. Das Deutsche Reich war aufgelöst, das letzte Band der deutschen Staaten zerrissen, und nicht unwahrscheinlich schien, dass es dem Feinde gelänge, die unter sich uneinigen Staaten einzeln zu besiegen. Nur der Gedanke, dass ein Krieg zwar Stillstand, aber nicht Vernichtung der Kulturfortschritte herbeiführen könne, gab den Gebildeten der Landwirte Trost und Mut, und deshalb arbeitete auch Thaer an der Gründung seiner Lehranstalt ununterbrochen fort. Zudem stand zu erwarten, dass der Krieg, im Gefolge zahlreicher Übel, auch manches Gute herbeiführen würde, was der Landwirtschaft und Technik zum Vorteil gereiche.

Und so geschah es auch. Napoleons Heere ergossen sich 1805 über den Süden, 1806 über den Norden von Deutschland; Thaer eröffnete seine Lehranstalt zu Möglin am 1. Nov. 1806 unter dem Kanonendonner des Krieges; weithin zogen die feindlichen Truppen; sie drangen 1807 bis an die äußersten Grenzen des Ostens vor, und der Friede zu Tilsit brachte Deutschland weder Erholung noch Ruhe. Fortwährend nagten Erpressungen und Truppendurchzüge des Feindes an den Gütern der Nation, neue Kriege erschütterten den Wohlstand des Landwirts tief; aber dennoch vermochte das alles den Fortschritt in der Kultur nicht zum Stillstande zu bringen. Gerade damals, wo der Druck am tiefsten lastete, hob sich Preußen, bei tiefer Ohnmacht äußerer Stärke, durch innere Kräftigung hoch empor. Es war, als sollte in dieser Zeit der tiefsten Erniedrigung unsers Volks eine neue Grundlage für ein erhöhtes Leben aller Zweige der Kultur gewonnen werden, und man erwarte nur die Zeit der Befreiung vom Feinde, um den reichen Segen der schönen Aussaat zu ernten.


Preußen hatte viel nachzuholen, es stand in seinen innern Verhältnissen dem größten Teile von Deutschland weit zurück, denn gerade diejenigen Provinzen, auf welchen das Mittelalter mit seiner ganzen Bürde lag, waren dem Königreich verblieben. Eine Reformation wurde jetzt um so dringender geboten, weil die westlichen Provinzen, seit 1807 von Preußen getrennt, zwar keineswegs freier von Drangsalen waren, aber doch einen nicht unbedeutenden Teil von Feudallasten verloren und daher sich schwerlich nach Preußen zurücksehnen konnten, wenn der alte Zustand verblieb. Daher sagte auch der Minister vom Stein, dass man dem Preußen erst ein Vaterland geben müsse, für das es sich lohne, Gut und Blut einzusetzen, bevor an eine Abwälzung des Joches gedacht werden könne.

Was man früher für ganz unmöglich ausgegeben hatte, vollbrachte nun mit einem mal die Not. Jetzt erst wurde in Preußen die Leibeigenschaft aufgehoben, dem Landwirt der freie Gebrauch seines Eigentums erlaubt, der Dienstzwang gelöst, das Verbot der Ausfuhr von Rohprodukten widerrufen, und jedem gestattet, für sein Geld Grundstücke und Güter nach Gutdünken zu erwerben oder zu verkaufen; jetzt erst durften die Älteren über die zukünftige Bestimmung der Kinder in weiterem Umfange verfügen, denn endlich waren die Kasten: Adel, Bürger und Bauer, vernichtet. Wenn man die Reformen jener Zeit, vom 9. Okt. 1807 bis zum 14. Sept. 1811, durchliest, dann überschaut man erst den ganzen traurigen Zustand der Landwirtschaft und aller innern Verhältnisse Preußens vor 1806, die eine Phalanx Bevorrechteter, trotz der Bestrebungen seiner Monarchen, durch ein ganzes Menschenalter aufzuhalten vermochte. Um diesen Jammer einigermaßen zu verdecken, sagt ein preußischer Schriftsteller 23) „Die Gemüter der Ackerbauer in Preußen wurden seit 1790 auf eine bessere Zukunft vorbereitet“, denn damals schon begann der Kampf gegen das alte System; doch leider dauerte diese Vorbereitung allzu lange, und ihr Ende hat der größte Teil der Ackerbauer von 1790 nicht erlebt.

Preußen trat also, in Landwirtschaftlicher Beziehung, erst nach dem Tilsiter Frieden aus dem Mittelalter heraus, holte aber alle vorangeeilten deutschen Staaten bald ein, kam ihnen durch das berühmte Kulturgesetz vom 14. Sept. 1811 weit voraus und stand mit einem mal an der Spitze des Fortschritts. Dieses Gesetz hob die Bannmeile auf, gab den Betrieb technischer Gewerbe frei, publizierte Verordnungen über Gemeinheitsteilung und Arrondierung der Güter und stellte die Ablösung aller Servitute in nahe Aussicht. Nun durfte jeder Landwirt nach Gutdünken brennen und brauen oder auf andere Weise seine Produkte verwerten, was später bedeutende Folgen nach sich zog. Sowie seit 1807 ein neues Gesetz erschien, fand es auf Domänen, auf geistlichen und städtischen Gütern sogleich seine Anwendung, und welcher Segen dadurch dem Lande kam, zeigte sich bald. Als im schwedischen Kriege 1810 Pommern große Verheerungen erlitt, wurde urkundlich ermittelt, dass auf adeligen Besitzungen 634 Bauerhöfe wüst lagen, geistliche und städtische Gebiete bloß sieben wüste Höfe hatten, und auf Domanialherrschaften kein einziger wüster Hof zu finden war. Der König setzte daher auch später, trotz des Einspruchs von mehreren Seiten, das Verbesserungssystem ohne Verkümmerung durch, und so war es Friedrich Wilhelm III. vorbehalten, das, was Friedrich der Große angestrebt hatte, in ungleich größerem Maßstabe zu vollenden.

Aber auch im Privatleben hatte man ununterbrochen am Fortschritte gearbeitet und namentlich war Thaer für das Aufkommen der Landwirtschaft fortwährend bemüht. Seine „Annalen der niedersächsischen Landwirtschaft“ führten die zahlreichen Leser zur neuen Methode des Landwirtschaftlichen Betriebs und brachten die Resultate der Forschungen aus allen Zweigen der Ökonomie. Um aber auch durch geselligen Verkehr den Sinn und die Lust für Verbesserungen zu beleben, rief er 1808 die deutschen Landwirte zu einer Versammlung nach Möglin, machte damals also schon den Anfang von dem, was ein Menschenalter später in der ökonomischen Welt so großen Beifall fand. Wenn man die Verhältnisse der damaligen Zeit überschaut, die Wunden des kaum beendigten Krieges und die Drangsale erwägt, die nicht endigen wollten, so wird man gewiss die Zahl von 63 Mitgliedern, deren Verhandlungen der alte Herzog von Holstein-Beck leitete, als eine verhältnismäßig große erklären. Später hat Thaer noch zweimal und mit wachsendem Beifall diese Versammlung fortgesetzt. 24)

Durch die nun allgemein gewordenen landwirtschaftlichen Verbesserungen war natürlich die Produktion der Nahrungsmittel im fortwährenden Steigen begriffen, doch wurde die Entwickelung des Betriebs, durch beständige Naturallieferungen an Stroh, Heu, Korn und Vieh, bedeutend abgeschwächt 25); außerdem verlor die Landwirtschaft durch die ununterbrochenen Kriege Napoleons einen großen Teil der Arbeitskräfte, und als im Jahre 1813 der Krieg fast ganz Deutschland durchtobte, verschlangen die großen Heere fast alle Vorräte an Korn. Schon 1812 war Deutschland gezwungen, Napoleons großes Heer von 500.000 Menschen und 170.000 Pferden zu ernähren und eine große Masse an Schlachtvieh, Korn und Futter ihm nachzusenden; im folgenden Jahre jedoch waren die Armeen fast aller europäischen Staaten in Deutschland vereint. Nach dem Waffenstillstande von Dresden standen 1.286.000 Soldaten in allen Gegenden Deutschlands zerstreut, große Verwüstung der Fluren und Dörfer bezeichneten die Züge der kämpfenden Truppen, und was die Franzosen früher dem Bauer und Bürger gelassen, das verschlang nun der Krieg. Auch im Jahre 1814 dauerten Truppenaushebungen, Durchzüge der Heere und Lieferungen beständig fort, bis endlich 1815 Napoleon der Macht der Alliierten erlag.

Das alles wird hinreichend erklären, warum, trotz aller Verbesserungen in Landwirtschaftlichen Dingen, bei dieser stürmischen Zeit dennoch kein Überfluss an Getreide war, ja in einigen Ländern zuweilen sogar wirklicher Mangel an Frucht eintrat. Als nun endlich der langersehnte Friede kam, war Deutschland völlig erschöpft. Man sah verwüstete Städte, verbrannte Dörfer, zerbrochene Werkzeuge, öde Ställe, leere Scheunen und Speicher, und das alles musste der Friede zuerst ersetzen, bevor an freiere Entwickelung des Betriebs zu denken war. Man hoffte auf bessere Zeiten, die das Geschäft in Schwung bringen sollten, doch statt ihrer trat 1816 ein Missjahr ein. Natürlich musste die schlechte Ernte, bei so gänzlich erschöpften Fruchtvorräten, außerordentlich hohe Kornpreise erzeugen, und die Teuerung wurde auch wirklich so groß, dass sie die Notjahre 1805 und 1771 übertraf.

So hatte denn das schwerbedrängte Vaterland in der kurzen Zeit von 1812—16, nach Jahren der Bedrückung und Drangsal, auch noch der Krieg, die Pest und der Hunger heimgesucht; mit Jubel begrüßte daher die bedrückte Bevölkerung die ersten Erntewagen des Jahres 1817, die als frohe Boten einem reichern Segen der Felder vorangingen und den Anfang einer bessern Zeit zu verkündigen schienen.