Die Lappen

Es ist bekannt und für den christlichen Geschichtsforscher unumstößlicher Ausgangspunkt der Geschichtsbetrachtung, dass erst seit den Zeiten, welche der Völkerscheidung und Sprachenverwirrung beim babylonischen Turmbau unmittelbar vorausgingen und nachfolgten, von Mittelasien aus die Bevölkerung auch der übrigen Erdteile stattgefunden hat. In gewaltigen Zügen eilten die Nachkommen Sems, Hams und Japhets nach Osten, Süden, Westen und Norden, und losgerissen von ihren heimischen Wohnstätten, umherirrend in den ungeheuren Wäldern, Wüsten, Gebirgen und Einöden, die seit den Tagen der Sündflut keines Menschen Fuß betreten hatte, verloren sie bald die Bildung und Kultur, welche sie von ihren Vätern ererbt hatten, und gaben sich wieder einem wilden nomadisierenden Leben hin. Immer weiter zog es sie, nicht bloß nach Süden in die gesegneten Täler des Indus und Ganges, nicht bloß nach den Küsten Arabiens und der heißen Sonne Afrikas, sondern auch nach Norden bis zu den Gestaden des Eismeeres an den Mündungen der Lena und des Ob, und von da weiter in die Tiefebenen Russlands und bis zu den Eisbergen der Kjölen. Das Volk der Lappen, der mongolischen Rasse angehörend, war es, welches auf diese Weise in grauer Vorzeit den Norden Europas und die Küstenländer des baltischen Meeres mit seinem treuen Renntier nomadisierend durchzog und seine Wanderungen bis nach Pommern, Mecklenburg, Holstein, ja bis nach Thüringen und in die Gegenden des Rhein erstreckte. In Folge seines Jahrhunderte langen unstäten Nomadenlebens war dies Volk wieder auf eine sehr niedere Stufe der Kultur herabgesunken. Die schmale, niedrige und flache Stirn zeugte schon von geringer Ausbildung der geistigen Anlagen, von Mangel an Erfindungsgabe und Kunstsinn, während die starken, wulstigen Augenbrauenbogen und die hervorstehenden Backenknochen ein Überwiegen der sinnlichen Leidenschaften, der Raublust und der Kampfbegier, verkündeten. Doch boten dem kühnen Nomaden seine Streitaxt aus Hirschhorn und die aus den Zähnen des wilden Ebers verfertigten Pfeilspitzen nur sehr unvollkommene Kriegswaffen, und sein Weib fand nur einen ärmlichen Halsschmuck an den auf eine Schnur gezogenen Zähnen des Hirsches. Starb der Lappe, so ward sein Leichnam in hockender Stellung, wie er während seines Lebens nach getaner Arbeit so oft geruht hatte, entweder allein, oder in Gemeinschaft mit anderen, der Mutter Erde wieder übergeben; einige Knochengeräte wurden den Abgeschiedenen zum Gebrauch im jenseitigen Leben nachgeworfen und dann die Grube wieder geschlossen. Nur eine geringe Erhöhung des Bodens zeigte dem Wanderer an, dass hier Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Mecklenburgs. Band 1