Die Hünen

Jahrhunderte lang hatten so gewiss die Lappen das nördliche Deutschland durchzogen, als sie von einem anderen Volke aus diesen Gebieten in die unwirtlichen Landstriche am nördlichen Eismeer zurückgedrängt wurden, von dem Volke der Hünen. Die Hünen, ohne Zweifel ein Stamm der großen Familie der Indogermanen, waren ein größeres, stärkeres und kräftigeres Geschlecht als die Lappen und verrieten schon durch ihre, wenn auch noch schmale, so doch schon höhere und gewölbtere Stirn eine größere Ausbildung der geistigen Anlagen. Sie waren ein Volk von Jägern und Fischern, geübt das Elen und den Bären zu erlegen und den Stürmen des Meeres zu trotzen. Ihren gewaltigen und riesigen Scharen konnte es daher auch nicht schwer werden, die zerstreuten Nomadenzüge der Lappen zu verdrängen, um so weniger, da sie, dem Ursitze mittelasiatischer Kultur nicht so entfremdet wie jene, auch nicht auf eine so tiefe Stufe der Kultur herabgesunken waren. Denn der Hüne schwang im Kampf mit den Feinden nicht mehr die leichte Streitaxt aus Knochen, sondern den wuchtigen Streithammer aus Sandstein und Hornblende, oder die gewaltige eichene Keule; mit der Feuersteinlanze und den spitzigen Steinpfeilen wusste er seine Gegner aus der Ferne zu erlegen, und ein wohlgezielter Stoß mit dem schmalen aber scharf geschliffenen dreikantigen Steinmesser befreite ihn oft von der erdrückenden Umarmung des gehetzten Bären. In eignen Steinschleifereien, welche er gerne an den Küsten des Meeres (z. B. in Mecklenburg bei Brunshaupten an der Ostsee) oder an den Ufern der Seen (bei Jabel am Cölpin, bei Plau) anlegte, fertigte und schärfte man auf Schleifsteinen von dunkelschwarzem Tonschiefer oder rötlichem Sandstein die Kelle zum Spalten des Holzes, die Meißel zum Behauen der Steine, Jagdmesser und viele andere Gerätschaften, besonders auch solche, welche zum Fischfange notwendig waren. Denn der Hüne siedelte sich am liebsten an den Ufern des Meeres und der großen Ströme, oder an den Gestaden großer Seen an, welche ihm durch ihre zahlreichen Fische einen nicht allzu mühevollen Lebensunterhalt und seinem Unternehmungsgeiste ein willkommenes und anziehendes Feld darboten. Hier erhoben sich denn auch, zum Schutz gegen die wilden Tiere und gegen die Feinde an seichten Stellen ins Wasser hineingebaut, auf etwa 10 Fuß langen, eichenen Pfählen ruhend, die runden Pfahlbauhütten des Hünendorfes. Ein Zwischenraum von 6—8 Schritten trennte die einzelnen Hütten, und Balken sowie große Granitfelsen stellten eine Verbindung der einzelnen Hütten unter sich und mit dem Festlande her. Trat man in das Innere der aus Holz erbauten und wahrscheinlich mit Rohr oder Fellen gedeckten Hütte, so wandelte man auf einem Fußboden aus festgeschlagenem Lehm (Estrich), den die Hand der reinlichen Hausfrau mit weißem Seesande zierlich bestreut hatte. An der einen Wand befand sich der Herd, besetzt mit gradwandigen, dicken, tönernen Töpfen, welche aus freier Hand geformt und deren Ton mit gestampftem Granit oder grobem Sand durchknetet war. Einige Töpfe wurden augenscheinlich zum Kochen benutzt, andere dienten zur Aufbewahrung von wilden Birnen, Haselnüssen, Getreide und Milch, welche Rinder, Schafe und Ziegen reichlich gewährten. An einer andern Stelle aber befanden sich zierlichere Näpfe, Krüge und Schüsseln, mit und ohne Henkel, auch Urnen, nicht ohne Geschmack verziert, während auf dem Boden große, muldenförmig ausgehöhlte Steine lagen, in denen man Getreidekörner mit kleineren rundlichen Reibsteinen zu Mehl zerstieß. An einer andern Wand erblickte man die Steinspindel, womit die Frau des Hünen den Flachs spann, und längliche Steine aus Tonschiefer, welche zum Glätten der Gewebe, Geflechte und Nähte dienten. Kleine Halsbänder von birnen-, scheiben- und herzförmigen Bernsteinstücken hingen an kleinen Pflöcken von den Wänden herab, ohne Zweifel der Schmuck der Hausfrau. — In einem andern Winkel bewachte der treue Jagdhund die Geräte seines Herrn, die halbmondförmige Steinsäge, den Bogen und die Fischharpune aus Eibenholz und sonstige Werkzeuge. Der kleine, im Walde gelegene Acker, der mit Steinkeilen aufgelockert ward, trug schon mancherlei Getreide und Flachs, auf den Wiesen weideten Pferde und Esel, Rinder, Schafe und Ziegen, das Schwein fand reichliche Nahrung im Walde an der Buchmast, und der Biber baute seine kunstreichen Häuser ungestört an den Ufern der Flüsse. Rehe, Hirsche, Wildschweine, Waldvögel, Fische lieferten dem Hünen neben seinen Haustieren saftige Braten, und Haselnüsse und Birnen bildeten den Nachtisch bei den Festgelagen.

Doch nicht immer legten die Hünen ihre Wohnungen auf Pfählen an; nur zu leicht erfasste bei starkem Sturm die hoch aufflackernde Flamme des Herdes die Hüttenwände, und das ganze Dorf mit seinen Reichtümern und oft auch seine Bewohner fanden ihren Untergang in der Glut des Feuers. Von solchen Pfahlbaubränden legen auch die Reste unserer mecklenburgischen Pfahlbaudörfer bei Gägelow, Wismar und Bützow ein beredtes Zeugnis ab. Wegen dieser Gefahr zogen daher andere Hünen es vor, sich in der Tiefe der Erde in Höhlen anzubauen, deren innere Einrichtung den Wasserhütten aber im Ganzen entsprach, wie die Höhlenwohnungen von Drewskirchen, Roggow und Pölitz zeigen.


So war die Wohnung des Hünen rau und wenig behaglich, und rau verfloss ihm sein Leben, hingebracht in Jagd, Fischfang und geringem Ackerbau. Hatte er dann lebenssatt das Zeitliche gesegnet, so wurde sein Leib von den Überlebenden feierlich bestattet. In den älteren Zeiten der Hünen, als man der Bearbeitung des Steins noch nicht so kundig war, war die Beerdigung weniger großartig als später. Man wählte zunächst den Ort des Begräbnisses, in der Regel auf dem Gipfel eines Hügels. Auf dem natürlichen Erdboden (archäologisch: dem Urboden) bereitete man dann eine feste Tenne aus Ton, groben: Sand und Feuersteinstücken, die durch Feuer weiß ausgeglüht waren, eine Tenne, welche die Leiche gegen das Gewürme von unten schützen sollte. Diesen Raum umgab man dann mit riesigen Granitblöcken, deren Fugen mit kleineren Steinen ausgefüllt wurden, und legte die Leiche in sitzender Stellung, mit dem Gesicht gegen Osten gekehrt, hinein. Nachdem noch einige Waffen und Geräte, sowie Gefäße, teils mit Erde, teils mit Speise und Trank gefüllt, hineingesetzt waren, schloss man die Kammer mit einem riesigen Granitblock, oft bis 5.000 Pfd. schwer, und düster schaute nun das gewaltige Grab auf die schweigenden Wälder herab, bis es erst in unseren Tagen erbrochen und näher ergründet wurde. Öfter begrub man mehrere Leichen neben einander.

In den späteren Zeiten waren die Gräber etwas anders. Die Kammern aus Stein wurden nicht mehr mit einem, sondern mit 4 Decksteinen geschlossen und dann auch noch der Raum um die Steinkammer herum mit einem 4 — 8 Fuß hohen Erdhügel angefüllt, so dass die Steinkammer im Osten des Hügels, seltener in der Mitte zu liegen kam. In diesem Erdhügel wurden dann auch noch öfter Leichen, Urnen, Geräte, Schmucksachen, auch Knochen, Pferdeköpfe und dergleichen beigesetzt, wahrscheinlich damit sie der Abgeschiedene im jenseitigen Leben in den Jagdgründen der Seligen benutzen sollte. Das so gebildete oft 120 —150 Fuß lange Grab, im Volksmunde „Riesenbett“ genannt, ward dann noch ringsumher, mit großen Granitblöcken umgeben, welche bis auf wenige Fuß in die Erde eingegraben wurden. Diese Blöcke dienten teils zur Sicherheit gegen Zerstörung, teils zum Schmuck. Ja die Gräber besonders berühmter Helden bekamen wohl 2 solche Steinumwallungen. Andere Tote begruben die Hünen in Steinkammern, welche so tief innerhalb der Erde lagen, dass nur die Decksteine hervorragten; vielleicht sollte das Grab so besser gegen die wilden Tiere geschützt werden, vielleicht waren es auch Gräber ärmerer Leute.

In Mecklenburg finden sich Gräber von allen 3 Arten. Gewaltige Steinkammern erheben sich auf den Feldmarken von Alt-Sammit, Ruthenbeck und im Eversdorfer Forste, majestätische Riesenbetten bedecken Hügel hei Katelbogen, Naschendorf, Prieschendorf und Stuer, und verborgen in der Erde fand man bei Nesow in der Nähe von Rhena ein unterirdisches Grab. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Mecklenburgs. Band 1