Vorwort

Es ist eine beklagenswerte, aber bekannte Tatsache, dass die Kenntnis unserer vaterländischen Geschichte unter unserem Volke nicht in dem Maße verbreitet ist, wie es mit Fug erwartet werden müsste. Die Ursachen dieser Erscheinung sind nicht schwer zu erkennen. Sie liegen zunächst in den Schulen unseres Landes, wo die mecklenburgische Geschichte entweder gar nicht, oder doch nur in sehr geringem Maße berücksichtigt wird. Der tiefere Grund aber auch hierfür liegt wieder in dem abschätzigen Urteil, welches in der Regel über die Geschichte unseres Landes gefällt wird. Sie ist dürr, trocken, arm an großen Tatsachen, ohne große Ideen, ohne Bedeutung für die Entwickelung des Gesamtvaterlandes, dagegen reich an Namen und Zahlen und wegen ihrer inneren Verworrenheit schwer aufzufassen und zu überschauen; das ist eine ziemlich allgemein verbreitete Meinung. Dies Urteil, obwohl nicht völlig ohne Wahrheit — denn eine gewisse Schwierigkeit des Verständnisses lässt sich nicht leugnen — ist doch im Großen und Ganzen in hohem Grade ungerecht und nur ein Produkt der bisherigen Methode der Darstellung der mecklenburgischen Geschichte. Dieselbe ist in den meisten Geschichtswerken die chronistische; eine Tatsache, eine Regentenlinie reiht sich in fast unübersehbarer Reihe an die andere, keine tiefere Idee scheint den Ereignissen zu Grunde zu liegen, keine Entwickelung ihre Folge zu bestimmen. Und wo kulturgeschichtliche Skizzen gegeben werden, da sind auch diese öfter ohne hinreichende Ordnung und Übersicht an einander gereiht, und es kann uns darum wenig wundern, wenn die Mecklenburgische Geschichte nicht bloß von der großen Menge des gebildeten Publikums, sondern auch von den Lehrern als langweilig und verworren hintenangesetzt wird. Ich muss gestehen, dass auch ich früher dieser Ansicht gewesen bin. An das hiesige Seminar berufen und mit der Aufgabe des Vortrages der mecklenburgischen Geschichte betraut, war ich gezwungen, mich einem genauen und sorgfältigen Studium derselben hinzugeben, und alsbald ward ich des inne, dass mein bisheriges Urteil ein verkehrtes gewesen war. Das dürre Gerippe der historischen Tatsachen wuchs zu einem lebenswarmen und mächtigen Organismus heran. Ich vertiefte mich an der Hand der Forschungen von Lisch in die vorhistorische Zeit unseres Landes, wo Lappen, Hünen und Germanen mit ihrer verschiedenen, stets sich steigernden Kultur unsere Gegenden bevölkerten und in den riesigen Hünen- und Kegelgräbern noch jetzt redende Zeugen ihres Daseins hinterlassen haben. Ich sah dann, angeregt durch Giesebrechts vortreffliche „Wendische Geschichten“, wie die in unseren Gegenden zurückgebliebenen Germanen von den ebenfalls durch die Völkerwanderung ergriffenen Slaven unterjocht und immer weiter nach Westen zurückgedrängt wurden, wie eine vierte Kulturperiode sich in unserem Lande anbahnte, eine Zeit reichen und eigentümlichen Lebens, deren Spuren sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Ich erblickte in den nun folgenden 250jährigen Kämpfen der Deutschen und Slaven das großartige Schauspiel eines National- und Religionskampfes, wie er, abgesehen von dem Todesringen der Oströmer gegen die Araber, in der Geschichte ohne Gleichen ist. Ich sah, wie der Deutsche seine alten Wohnsitze zurücknahm und das Kreuz auch in unserem Lande aufpflanzte. Ich lernte den Mut der Verkündiger des Evangeliums, ihre todesfreudige Aufopferung, ihre unsäglichen Mühsale und Arbeiten kennen, und ich schaute es, wie der Segen des Herrn ihren Arbeiten folgte. Ich verfolgte dann, gestützt auf die sorgfältigen Untersuchungen von Rudloff, von Lützow, Lisch, Fabricius, Giesebrecht, der beiden Boll, Wiggers, Wigger, Beyer, Glöckler, Hegel, Krabbe u. A., die ebenso interessante, als lehrreiche Germanisierung und Christianisierung unseres Landes im Einzelnen und Kleinen, und versuchte es, die von jenen Männern gewonnenen Resultate zu übersichtlichen Bildern zusammenzufassen. Ich erkannte weiter die nun folgende Zersplitterung des eben deutsch gewordenen Mecklenburg, die Selbstsucht und Eigenwilligkeit der Fürsten, des Adels und der Städte, den Reichtum der Priester und Klöster, die Irrtümer der kirchlichen Lehre und der kirchlichen Zucht als die Ursachen des Verfalles unseres Landes, und wiederum das allmähliche Zurückfallen der einzelnen Landesteile an die Hauptlinie Mecklenburg und die erhabenen Gestalten einzelner seiner Fürsten als den Grund seiner zeitweiligen Blüte. Die glänzende mittelalterliche Kirche mit ihren Segnungen und ihrem Verderben, die starke Hansa, die Kämpfe der Zünfte und Patrizier in den Städten, das Raubleben des Adels, die Versunkenheit und doch wieder die Großartigkeit der mittelalterlichen Zustände, die Vorboten der nahenden Reformation, das Alles zog an meinem Auge vorüber, und beschämt, aber auch freudig zugleich musste ich bekennen, dass ich mich geirrt habe, und dass auch unsere Geschichte, wenn sie von den eben angegebenen Gesichtspunkten aus dargestellt werde, einen so reichen und interessanten Inhalt, eine so schöne und in sich geschlossene Entwickelung habe, wie nur die Geschichte jedes anderen Landes. Mit Bedauern sah ich daher auf die bisherige Vernachlässigung, welche ich der Geschichte unseres Landes hatte zu Teil werden lassen, und es reifte in mir der Entschluss, so viel in meinen Kräften stehe, Andere davor zu bewahren.

Das ist die Entstehungsgeschichte dieses Buches. Es ist vorzugsweise den Lehrers unseres Landes sowohl an niederen als höheren Schulen gewidmet und will ihnen ein Hilfsmittel beim Vortrage der mecklenburgischen Geschichte sein. Ich habe mich auch in den kleinsten Dingen der größten historischen Treue befleißigt und für diejenigen, welche selbständig prüfen und weiter forschen wollen, am Schlusse in einer Reihe von Anmerkungen die literarischen Quellen angeführt. Sollte sich aber, was bei der unendlichen Fülle des Stoffes nicht unmöglich ist, irgendwo ein Fehler eingeschlichen haben, so bittet der Verfasser um gütige Nachsicht und Entschuldigung. Außer an Lehrer aber wendet sich dies Buch auch an geschichtsliebende Laien, an Studierende, insbesondere der Theologie, an die Mitglieder des hiesigen Seminars und überhaupt an die lernende Jugend unseres Landes, und möchte auch ihnen nach seinen Kräften zum Verständnis der mecklenburgischen Geschichte behilflich sein.


Und so möge denn das Büchlein — dessen anderer Teil, so Gott will, bald folgen soll — hinausgehen und mit dazu beitragen, den geschichtlichen Sinn in der heranwachsenden Jugend unseres Vaterlandes zu wecken, damit sie, eingedenk der schweren Arbeit ihrer Vater und an ihrem Beispiele sich stärkend, nicht verzage, wenn auch jetzt wieder schwere und trübsalsvolle Tage über das neue Deutsche Reich kommen sollten, und damit sie, die Fehler und Untugenden der Vorfahren vermeidend, durch Gottesfurcht und Gerechtigkeit unser Volk erhöhen helfe! Das walte Gott!

Neukloster, den 12. November 1871.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Mecklenburgs. Band 1