Das Recht und die Sitte der Slawen

Ein allgemeines Recht der Person kannte der Slave nicht. Als frei gilt ihm nur der Genosse seines besonderen Stammes, nicht einmal jeder Wende überhaupt, geschweige der Fremde. Aus diesem Gefühl der Verachtung gegen seine Feinde erklärt sich denn auch die Treulosigkeit und Grausamkeit des Wenden im Kampfe; ja selbst beschworene Verträge bricht er ohne Scheu. Wie man aber oft die größten Gegensätze neben einander findet, so zeigt sich auf der andern Seite der Wende wieder duldsam gegen den Ausländer, so dass er es ihm sogar erlaubt, sich in seinen Handelsstädten niederzulassen. Vor allem aber übt er auch gegen sie die Tugend der Gastfreundschaft. Es wird erzählt, dass in Stettin jeder Hausvater ein Gemach hatte, worin stets ein gedeckter Tisch für unvermutete Gäste stand. Ja, während Dieberei sonst unbekannt war Schlösser und Riegel gab es im Wendenlande nicht — stahl man selbst zum Zwecke der Gastfreundschaft. Denn so hieß es bei den Wenden: „Was Du des Nachts gestohlen hast, sollst Du am Morgen an Gäste wieder austeilen.“ Wer aber die Gastfreundschaft verweigerte, galt für ehrlos, und sein Haus und sein Hof konnten in Brand gesteckt werden.

Die Frauen hatten bei den Wenden eine sehr untergeordnete Stellung, was schon daraus hervorgeht, dass die Vielweiberei herrschte. Doch scheint eine Frau die Bevorzugte gewesen zu sein. Auch wurde die Verbindung der Frau mit dem Manne so eng gedacht, dass sie sich häufig beim Tode desselben verbrennen ließ. Töchter galten als eine Last, und es war daher nicht ungewöhnlich, dass sie bald nach der Geburt getötet wurden; die Söhne dagegen wurden von den Eltern sehr geliebt, und sie teilten nach dem Tode derselben entweder das väterliche Vermögen, oder sie besaßen es gemeinschaftlich. Doch hatten sie andererseits die Verpflichtung, sich der alten und schwachen Eltern anzunehmen. Daher finden wir bei den Wenden keine Arme und Bettler. Aber auch hier findet sich neben der fürsorgenden Liebe wieder ein höchst unmenschlicher Zug im Charakter des Wenden. Im Falle der Kriegsgefahr lässt er nämlich alles in Stich, selbst Weib und Kind; das eigene Leben ist ihm das Höchste. Und bei eintretender Hungersnot trägt er kein Bedenken, selbst seine Eltern zu essen; denn die Kinder hätten doch mehr Recht dazu, als die Würmer, meinte man.


Hinsichtlich ihrer politischen Stellung zerfallen die Wenden in zwei Klassen, in Freie und Unfreie. Die Freien gliedern sich wieder in die niederen Freien und in die Edlen oder Herren.

Unter den niederen Freien haben wir die Landbevölkerung und die Bewohner der Städte zu verstehen. Nach der Anschauung unserer Zeit waren diese Leute eigentlich nicht frei, denn sie hatten nicht das Recht, ihren Besitz ohne Zustimmung des Herrn zu veräußern, mussten auch von ihrer Hufe eine Abgabe geben und selbst dem Herrn in manchen Dingen zu Dienste sein, so dass ihr Verhältnis fast dem der leibeigenen Bauern gleich zu sein scheint. Dennoch aber waren diese Bauern — zum Unterschiede von den leibeigenen Bauern, welche wohl aus den unterworfenen Varinern entstanden, Zehntbauern genannt — frei, denn sie hatten das Recht, Waffen zu tragen. Der freie Bauer ging daher stets mit dem Speer in der Hand, und das war im Mittelalter das Zeichen des freien Mannes.

Gleiches Recht der Waffenfähigkeit wie die Zehntbauern hatte die städtische Bevölkerung. Hierunter haben wir aber nicht Bewohner von Städten in unserem Sinne zu denken, sondern Leute, welche sich in dorfähnlicher Zerstreutheit um eine der zahlreichen Burgwälle des Landes angesiedelt hatten und hier Gewerbe trieben. Jm Gegensatz zu ihnen hießen die Bewohner der Burgen Bürger. Beide, Städte und Bürger, standen unter dem Burgwart oder Castellan (Zupan). Das ganze Land zerfiel in eine größere oder geringere Anzahl solcher Castellanien.

Die allgemeinen Landesangelegenheiten wurden entweder auf Herrentagen, wo bloß die Edeln zusammen kamen und Stimmenmehrheit den Ausschlag gab, oder auf Landtagen, an welchen auch die niederen Freien Teil nahmen, beraten. Auf den letzteren war Stimmeneinheit notwendig, wenn ein Vorschlag zum Beschluss erhoben werden sollte, und diese wurde beim Widerspruch Einzelner nötigenfalls durch Gewalt, d. h. durch Stockschläge oder Verbrennung des Gehöftes, hergestellt.

Die Herren- und Landtage wurden von den Fürsten berufen. Ob es bei allen wendischen Stämmen Fürsten, Herzoge oder Könige [Knese] gegeben hat, lässt sich nicht nachweisen; gewiss aber ist es, dass bei den Obotriten vom achten Jahrhundert an eine ununterbrochene Reihe von Herzogen geherrscht hat. Die Würde war erblich. In der Regel folgte der älteste Sohn dem Vater unter Zustimmung des Volkes. War dieses aber dem Thronfolger nicht günstig gestimmt, so fiel die Krone auch wohl einem jüngeren Sohne zu.

Die Fürsten galten als Herren des Landes, weshalb es beim Verkauf von Erbgütern ihrer Zustimmung bedurfte. Die Bauern mussten ihnen einen Zins in Korn (Poradlne) entrichten, ebenso einen Zins von Baustellen. Alles wüst liegende Land und gestrandete Gut gehörte dem Fürsten. In jeder Feste hatte er seine Pfalz d. h. Haus und Hof, welches Bauern und Städter in baulichem Zustande erhalten mussten. Auch mussten sie durch Lieferungen von Vieh und Korn für den Unterhalt des Fürsten sorgen und ihm bei seinen Jagden behilflich sein, obwohl es zweifelhaft ist, ob dieses landesherrliche oder grundherrliche Gerechtsame waren.

Das höchste Amt des Fürsten war das Kriegsherrenamt. Als solchem gehörten ihm alle Burgen, welche er nach Belieben erbaute und zerstörte. Die hauptsächlichsten Burgen im Obotritenlande waren: Suerin (Wildgehege), Dobin am Nordrande des Schweriner Sees in der Nähe des Döpe-Sees, Ilow südlich von Neubukow, Kussin an der Stelle des jetzigen Neukloster, besonders aber Mecklenburg südlich von Wismar. Andere mecklenburgische Burgen sind: Werle bei Schwaan, Butissin (Bützow), Dargun, Dimin, Starigard (alte Burg), Malchow, Röbel, Kutin am See Kuzin (Plauer See), Parchim, Grabow, Raceburg, Gadebuz (Gadebusch). Zur Verteidigung dieser Burgen waren Edle und Bauen: verpflichtet, wie denn überhaupt alle Freien zum Waffendienst verbunden waren, die Edlen zu Ross, die Bauern zu Fuß.

Die Gerichtsbarkeit übte die Gemeinde durch Schöffen aus, deren Beratungen ein fürstlicher Beamter leitete. Der Ort der Versammlungen war öfter ein heiliger Hain, wie z. B. der des Prove in Wagrien, wo am Montage Urteile gesprochen wurden. Leibes- und Lebensstrafen wie die Deutschen kannten die Wenden nicht. „Bei den Christen,“ meinten z. B. die heidnischen Stettiner, „gibt es Diebe und Räuber, man haut ihnen die Füße ab, beraubt sie der Augen, alle Arten von Verbrechen übt der Christ gegen den Christen; eine solche Religion bleibe fern von uns.“ Doch scheinen Stockschläge als Strafe selbst gegen Freie üblich gewesen zu sein, und die größten Verbrechen wurden auch wohl mit dem Kreuzestode belegt. Die höchste Strafe war der Verkauf in die Sklaverei. Bei persönlichen Beleidigungen und Verletzungen galt auch bei den Wenden die Blutrache. Gottesurteile und dergleichen finden wir in den ältesten Zeiten nicht; selbst der Eid wurde selten gestattet. Denn, hieß es, wer bei einem Gott schwöre, schwöre einem andern gewissermaßen ab, da unter den Göttern gegenseitiger Neid herrsche. —
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Mecklenburgs. Band 1