Die Religion der Slawen

Da die Wenden selbst keine schriftlichen Denkmäler hinterlassen haben, auch wohl der Kunst des Schreibens, abgesehen von einigen Runenzeichen, unkundig waren, so sind wir auch hinsichtlich der wendischen Religion auf die Nachrichten der deutschen Chronisten beschränkt. So mannigfaltig diese nun auch sind, so lassen sie uns doch zu keiner einheitlichen Anschauung der wendischen Religion gelangen. In Kürze zusammengefasst, bietet sich uns folgendes Bild:

Nach wendischer Anschauung wohnt im Jenseits, im Himmel, ähnlich dem Allfadur der Germanen, ein ungenannter Gott der Götter, der allen zu gebieten hat, aus dessen Blute alle übrigen Götter, böse und gute, hervorgegangen sind. Je näher diesem, desto trefflicher, je ferner ihm, desto böser ist jeder von ihnen. Während aber der ungenannte Gott der Götter sich um die irdischen Dinge gar nicht bekümmert, stehen alle übrigen Götter in einer engen Beziehung zu den Dingen dieser Erde und zu dem Leben des Menschen.


Von der großen Zahl von Göttern, welche die Wenden hatten, sind uns im Ganzen nur 22 Namen aufbewahrt. Diese 22 Götter lassen sich in 2 Klassen zerlegen, nämlich in solche, welche Personifikationen von Naturkräften, und solche, welche Personifikationen von ethischen Begriffen sind. Wir sehen hieraus, dass bei den Wenden die Entwickelung der Religion denselben Gang genommen hat, wie bei allen übrigen Völkern.

Der Ursprung aller heidnischen Religionen ist zu suchen in dem Bewusstsein des Menschen, von einer Macht, welche ihm fremd ist, abhängig zu sein, ein Bewusstsein, welches sich auch bei den noch auf der niedrigsten Stufe der Kultur stehenden Völkern findet und daher mit Recht als Rest der ursprünglich anerschaffenen Gottesgemeinschaft betrachtet wird. Dieses Bewusstsein einer Macht außer ihm, oder, wie wir auch sagen können, von Gott treibt nun den Heiden, dieselbe zu suchen, und was ist wohl natürlicher, als dass er sie zu finden glaubt in den segenbringenden und vernichtenden Kräften der Natur, denen gegenüber er täglich seiner Ohnmacht inne wird?

So ist der Anfang aller heidnischen Religion Naturreligion, und so war es auch bei den Wenden. Siwa, die Lebensgöttin, ist es, die er vor allen verehrt. Sie ist am meisten der römischen Ceres vergleichbar. Denn sie lässt die Saaten sprießen, und sie gibt dem Gespross Wachstum und Gedeihen. Ja, wenn der Frühling ins Land zieht, verwandelt sie sich in einen Kukuk und verkündet durch ihren Ruf dem Menschen seiner Lebenstage Länge. Ihr zur Seite stehen andere Götter, wie Gerovit, der Frühlingssieger, Porevit, der Waldsinger, Porenuz, der Waldverkürzer; wie man sieht, lauter Götter, welche ihre Entstehung der Natur verdanken.

Aber der Geist des Menschen findet bald, dass noch andere Mächte es sind, von denen er abhängig ist, als die Kräfte der Natur. Er findet sein Geschick im öffentlichen und privaten Leben, bedingt nicht bloß von seinem Willen, sondern von einer allmächtig wirkenden Macht, welche das Gute belohnt und das Böse bestraft, welche Glück und Unglück sendet nach ihrer Wahl. Es bildet sich ein Recht und eine Sitte, welche der Einzelne nicht gemacht hat, sondern in welche er hineingeboren wird, denen er sich unterstellt fühlt, und so meint er, dass auch diesem Allen eine Persönlichkeit zu Grunde liegen muss, und auch sie denkt er nun als einen Gott. So schließt sich an die Naturgötter eine zweite Reihe von Gottheiten, welche Personifikationen ethischer, sittlicher Mächte und Begriffe sind, und während die Naturgötter in der Regel nur Stammgötter sind, sind diese Götter meistens Volksgötter, allen Stämmen gemeinsam. So kennt denn der Wende auch einen bösen und schwarzen Gott, von dem alles Unheil stammt, den Zernebog, und einen weißen Gott, Svantevit, den lichten Sieger, auch Gott des Krieges, sowie Prove, den Gott des Rechtes, besonders verehrt in Wagrien. Kriegsgötter waren auch Triglav und Radegast, letzterer Stammgott der Obotriten und Redarer; Goderac war Stammgott der Kessiner.

Der Tod, dieses Rätsel für alle heidnischen Völker, gab auch den Wenden zu denken. Deshalb kann es uns nicht wundern, wenn er der Machtwirkung von Göttern zugeschrieben wurde. Smertnitza, ist die Todesfrau. Weiß gekleidet schleicht sie durch die Dörfer, und das Haus, in welches sie tritt, hat bald eine Leiche. Pochen und Werfen verkündigen ihre Anwesenheit, und die Zuckungen des Sterbenden sind das Zeichen, dass sie sich seiner bemächtigt. Noch jetzt wird in der Lausitz im Frühling eine Strohpuppe, das Bild der Smertnitza, ausgetragen und verbrannt. „Den Tod haben wir ausgetragen, den Sommer bringen wir heim, heißt es da. —

Pschipolnitza, die Jägerin, schleicht in Flur und Wald umher und erschreckt alle, die ihr zu nahe kommen; nur wer ihr stets zu widersprechen versteht und das Vaterunser rückwärts ohne Anstoß hersagen kann, bleibt verschont, hieß es später in der christlichen Zeit. —

Der Feuermann wandelt feurig im Walde oder wälzt sich auf der Erde umher; sein Erscheinen kündet Unheil an. Auch überfällt er die Wanderer des Abends und drückt sie zu Tode. Ertrinkt Jemand, so hat ihn der Wassermann in die Tiefe gezogen. Leeton, dem Alb der Germanen vergleichbar, reitet des Nachts die Pferde der Bauern heftig, und nur ein in die Krippe gelegter Pferdekopf verscheucht ihn. —

Selten aber begnügt sich ein Heide mit dem Bewusstsein der göttlichen Macht; er muss ein Bild haben, zu dem er beten kann, und das Bild bedarf des Schutzortes. Daher finden wir bei den Wenden auch Götzenbilder und Tempel. Die Bilder sind mannigfach. Häufig sind sie nichts weiter als mit Waffen behängte Pfosten, in welche der Name des Gottes mit Runenzeichen eingeschnitten ist. Andere Bilder sind aus Holz, Erz, auch aus Gold und Silber, oft mit zwei, drei und mehr Köpfen, auch mit mehreren Gesichtern. So hatte Svantevit vier Köpfe, welche nach den vier Himmelsgegenden gewendet waren, Triglav drei Köpfe, Poremuz fünf Gesichter. Die Zahl der Köpfe zeigt ohne Zweifel die Zahl dessen an, worüber sich die Herrschaft erstreckt, denn das Haupt ist das Symbol der Herrschaft. So herrscht dann Svantevit über die ganze Erde nach allen vier Himmelsgegenden und Triglav über Himmel, Erde und Unterwelt. Die verschiedenen Gesichter bezeichnen aber wohl die verschiedenen Perioden der Herrschaft.

Die Tempel der Wenden waren sehr einfach. Vier Pfähle, mit Vorhängen umspannt und von einem Dach überwölbt bilden den Tempel, der im Innern ein ebenso abgegrenztes Heiligtum mit dem Standbild des Gottes enthält. Die Tempel der Wenden lagen entweder in bewohnten Orten oder in der Nähe derselben, wie z. B. der Tempel des Triglav zu Stettin, die Tempel zu Brandenburg und Plön und hier in Mecklenburg der Tempel bei Malchow; oder aber sie lagen auch in unbewohnten Burgwällen, wie der Tempel des Svantevit zu Arkona, der Tempel des Radegast zu Rhetra, der von einem tiefen, einem Meere ähnlichen See umschlossen war, über welchen eine lange hölzerne Brücke führte, und der Tempel des Svantevit auf der heiligen Insel, swante Wustrow.

Die Götter der Wenden hatten auch bestimmte Feste, welche jährlich wiederkehrten und mit dem Wechsel der Jahreszeiten in Verbindung standen. Das Jahr begann im März. Der Gottesdienst bestand in der Darbringung von Opfern, verbunden mit Gebet. Die Opfer waren Dank- und Sühnopfer, und die letzteren bestanden nicht bloß in der Darbringung von Tieren, sondern auch von Menschen. Hieraus geht hervor, dass auch die Wenden ein Bewusstsein von Sünde und Schuld hatten, sowohl im öffentlichen Leben, als im Leben des Einzelnen. Nur einen Gott hatten sie, der die Sünde nicht strafte, den Triglav. Ihm wurden daher auch nur Dankopfer dargebracht; aber sein Angesicht war auch stets verhüllt, zum Zeichen, dass er die Sünde nicht sah.

Das Verlangen, die Zukunft zu erfahren und den Willen der Götter zu erforschen, ist allen Menschen eigen, zum Zeichen und zur Erinnerung daran, dass nicht wir es sind, die unseres Lebens Schicksale bestimmen. So hatte denn auch der Wende allerlei Mittel, den glücklichen oder unglücklichen Ausgang seiner Unternehmungen zu erforschen. Auf Rügen zeichneten die Frauen, ohne zu zählen, Striche in die Asche. War die Zahl nachher gerade, war das Unternehmen glücklich, war sie ungerade, war es unglücklich. Das Tier, welches dem Ausgehenden zuerst begegnete, zeigte Gelingen oder Misslingen eines Geschäftes an. Auch durch Lose und aus Bechern ward geweissagt. War aus dem Trinkhorn des Svantevit nichts vom Meth geschwunden, so war das Jahr gesegnet; im andern Falle folgte Misswachs. Bei Kriegszügen erkannte man zu hoffenden Sieg daraus, wenn die heiligen Pferde Svantevits oder Triglars, über mehrere am Boden liegende Lanzen geführt, keine mit dem Fuße berührten.

Die Vollziehung der Opfer und die Deutung der Orakel kam dem bei den Wenden sehr angesehenen Priesterstande zu. Die Priester trugen weiße Kleider und ließen das Haar lang herabwallen; ihren Lebensunterhalt zogen sie aus den Tempelgütern und dem Zehnten. Sie waren sehr angesehen und hatten dadurch, dass sie die Orakel der Götter deuteten großen Einfluss auf die Angelegenheiten des Volkes. Neben dem Priester des Svantevit zu Arkona, der sogar den rügischen König überragte, hatten die Diener des Radegast zu Rhetra die größte Macht.

So glaubte der Wende seine Götter, so verehrte er sie. Das Bild ist nur dürftig; aber es lässt erkennen, dass seine religiösen Vorstellungen denen der Germanen an Tiefe und Großartigkeit bei weitem nicht gleich kommen. Das zeigt sich auch noch in seiner Ansicht vom Wesen des Menschen und seiner Aufgabe. Auf die Frage nach Ursprung und Ziel des menschlichen Lebens hat, wie die meisten Heiden, auch der Wende keine Antwort. Zwar besteht auch ihm der Mensch aus Leib und Seele; aber während die Seele des tapferen Germanen nach dem Tode von den Walkyren in den herrlichen Festsaal Allfadurs auf Walhalla geführt wird, ist es für den Wenden mit dem Tode aus. Mit dem ausströmenden Blute entfliegt die Seele der Wunde des Sterbenden und flattert nur noch so lange zum Schrecken aller Vögel mit Ausnahme der Eule von Baum zu Baum, bis der Leichnam verbrannt und die Asche in der Urne beigesetzt ist; dann ist es aus — der Mensch kehrt mit dem Tode in das Nichts zurück. Einige, die nicht so tief gesunken waren, glaubten an ein Schattenleben nach dem Tode und schrieben der abgeschiedenen Seele manche böse Einflüsse auf die Überlebenden zu. Um diese abzuwenden, brachte man alljährlich Totenopfer, indem man Speisen, Getreide und Leinsamen auf die Gräber legte.

Die Begräbnisplätze der Wenden waren sehr einfach. Ein ebener Platz in der Nähe der Stadt oder des Dorfes ward dazu erwählt, und hier wurden die Totenurnen, angefüllt mit Asche und mancherlei Geräten, Waffen und Schmucksachen, umgeben von drei bis vier kleinen tafelförmigen Steinen und mit einem eben solchen verschlossen, in langen Reihen neben- und auch übereinander, ein bis zwei Fuß tief unter der Erde eingegraben. Zuweilen begruben die Wenden auch ihre Toten. Der größte in Mecklenburg aufgefundene Wendenkirchhof ist der von Bartelsdorf bei Rostock.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte Mecklenburgs. Band 1