Abschnitt. 2

Der lebhafte Handelsverkehr, welcher auch noch im Jahre 1805, wenn gleich etwas beschränkter, als in den beiden vorhergehenden Jahren, fortdauerte, vermochte indessen unter denen nicht alle Besorgnisse zu verscheuchen, welche mit ihrem Blicke nicht bei den dermaligen günstigen Zuständen Lübecks verweilten, sondern den Gang der politischen Verhältnisse überhaupt betrachteten. Die Macht Frankreichs wuchs mehr und mehr, und der Friede zu Preßburg, welcher am 26. Dec. 1805 auf die für die östreichischen und russischen Waffen so unglückliche Schlacht bei Austerlitz folgte, ließ es nicht mehr bezweifeln, daß der Verfassung Deutschlands eine völlige Umgestaltung bevorstehe. Durch den am 12. Jul. 1806 von den süddeutschen Staaten geschlossenen Rheinbund, zu dessen Protector der Kaiser Napoleon sich erklärte, wurde denn wirklich das alte heilige römische Reich deutscher Nation aufgelöst. Kaiser Franz II. legte am 6. Aug. die deutsche Kaiserwürde nieder, entband alle Kurfürsten, Fürsten und Stände von ihrem Eide und vereinigte seine deutschen Provinzen mit dem Kaiserthum Oestreich. Das nördliche Deutschland gerieth dadurch in eine mißliche Stellung. Zwar traf Preußen Veranstaltungen, dasselbe unter seinem Protectorate ebenfalls zu einem Bunde zu vereinigen, und begann zu diesem Zwecke Verhandlungen mit den Höfen zu Dresden und Kassel. Auch die jetzt souverainen Hansestädte wurden von Preußen zur Theilnahme an der beabsichtigten nordischen Conföderation ausgefordert. Napoleon widerrieth zwar, unter der Versicherung, daß er großen Werth auf die Unabhängigkeit dieser Städte lege, die Verbindung mit Preußen, nichts desto weniger bot er dieselben fast gleichzeitig durch Talleyrand in den Unterhandlungen mit England als eine Entschädigung für den König Ferdinand von Neapel und Sicilien an; auch erklärte er sich nicht abgeneigt, sie mit Hannover vereinigen zu lassen, wenn England anderweitig für jenen König zu sorgen bereit sei. Die Hansestädte ließen inzwischen Abgeordnete in Lübeck zusammentreten, um über ihre zukünftige gemeinsame Stellung zu Preußen Berathungen anzustellen. Nach weitläuftiger Verhandlung einigte man sich endlich am 15. Oct. 1806 dahin, die Anträge Preußens abzulehnen. Doch schon am Tage zuvor hatte sich eine Begebenheit ereignet, wodurch es Preußen überall unmöglich wurde, seine Absichten in Hinsicht der nordischen Conföderation weiter zu verfolgen. Es war in dem mittlerweile zwischen Frankreich und Preußen wieder ausgebrochenen Kriege das preußische Heer in den Schlachten bei Jena und Auerstädt gänzlich von den Franzosen geschlagen worden und Preußen der feindlichen Gewalt preisgegeben.

Einige Abtheilungen des zersprengten preußischen Heeres zogen in das nördliche Deutschland, und eine derselben, unter Anführung des General v. Blücher, wandte sich nach Lübeck, dessen Neutralität schon durch ein Corps ans Lauenburg sich zurückziehender Schweden verletzt war. Blücher erzwang den Eintritt in die Stadt und führte dadurch am 6. Novbr. die für dieselbe so unheilbringende Schlacht herbei. Je weniger die Bewohner Lübecks die Möglichkeit eines solchen Mißgeschickes geahnet hatten, je unvorbereiteter, bestürzter und rathloser sie demnach unter demselben waren, desto schrecklicher wurden sie heimgesucht. Schon die durch Verfolgung und angestrengte Märsche ermatteten Preußen hatten gleich nach ihrem Einzüge in die Stadt Geld, Lebensmittel, Fourage und Schuhe requirirt, welche ihnen auch, soweit es augenblicklich möglich war, geliefert wurden. Die Franzosen aber waren durch Lebensmittel nicht zu befriedigen. Schon seit langer Zeit ohne Sold, erhitzt durch den Kampf, vielleicht durch Verheißungen zu dem blutigen Sturme ermuthigt, auch meistenteils in dem Wahne, daß die Stadt eine preußische sei, verübten sie in derselben und deren Umgegend mehrere Tage hindurch die abscheulichsten Gewalttätigkeiten gegen Personen und Eigenthum. Viele Familien verloren auf diese Weise einen nicht unbedeutenden Theil ihrer Habe. Gleichzeitig ergingen von Seiten der französischen Verpflegungs-Beamten unermeßliche Forderungen an die ausgeplünderte Stadt. Es mußten herbeigeschafft werden die Lazareth-Bedürfnisse für beinahe 3000 Verwundete und Kranke, Lebensmittel für drei französische Armeecorps und für mehr als 15,000 Kriegsgefangene, Fourage für eine zahlreiche Cavallerie, Fuhrwerk und Pferde für die Bagage und viele andere Bedürfnisse mehr. Obwohl in einem von Berlin aus erlassenen französischen Tagesbefehle vom 9. Novbr. es bereits ausgesprochen war, daß die Stadt Lübeck wegen des ihr überkommenen Schicksals sich an die zu halten habe, welche den Krieg in ihre Mauern leiteten, so gab man sich doch von lübeckischer Seite der Hoffnung hin, daß Napoleon für die von seinen Heereshaufen in einer friedlichen und neutralen Stadt verübten Räubereien einigen Ersatz leisten werde. Es wurden die durch die Schlacht und deren nächste Folgen für den lübeckischen Staat erwachsenen Verluste, Schäden und Kosten von einer dazu beantragten Commission ermittelt und dieselben auf 11,252,380 Frcs. geschätzt, von denen 6,607,051 Frcs. auf die Verlüste durch die Plünderung, 1,767,124 Frcs. auf die Einquartierung, 552,251 Frcs. aus die Bedürfnisse der Spitäler, 192,000 Frcs. auf die Tafelgelder, 858,357 Frcs. auf Lieferungen von Capots, Schuhzeug, Lebensmittel, Fourage etc. kamen. Doch die darüber im Jahre 1807 dem zum Gouverneur der Hansestädte ernannten Marschall Brune und dem Minister Bourrienne in Hamburg gemachten Mitteilungen hatten nicht den geringsten Erfolg.