Abschnitt. 1

Die Selbstständigkeit Lübecks, welche zu Anfange dieses Jahrhunderts so sehr gefährdet erschien, wurde durch den Reichsdeputationsschluß zu Regensburg vom 25. Febr. 1803 einstweilen gesichert. Zu den sechs Reichsstädten Deutschlands, welchen ihre Selbstständigkeit gelassen wurde, gehörte auch Lübeck. Die Freude, welche sich unter allen patriotischen Bürgern über dieses kaum erwartete Ereigniß kund gab, war um so größer, als um dieselbe Zeit Handel und Verkehr zu einer Höhe gelangten, auf welcher keiner der damals lebenden Lübecker sie gesehen hatte.

Schon die Besetzung Hollands durch die Franzosen, wodurch die Handelsverbindungen mit jenem Lande den Engländern abgeschnitten wurden, bewog diese, viele Colonialwaaren nach den Hansestädten zu verschiffen. Als nun vollends, in Folge des Einrückens französischer Truppen in Hannoper, die Weser und Elbe von den Engländern gesperrt wurden, so konnte es nicht fehlen, daß ein großer Theil des bisher von Bremen und Hamburg betriebenen Handels sich nach Lübeck zog. Für die ankommenden Schiffe reichten die gewöhnlichen Liegeplätze auf der Trave bei der Stadt nicht aus, sondern mußten bis zur Ballastkuhle ausgedehnt werden. Den Leichterschiffen, welche auf der Rhede zu Travemünde einen Theil der mit größeren Schiffen angekommenen Waaren eingenommen hatten, weil jene Schiffe mit voller Ladung die damals sehr seichte Sandbarre daselbst nicht passiren konnten, fehlte es auf den für sie bestimmten Löschplätzen an Raum; sie mußten an das zunächst für Stecknitzschiffe bestimmte Travengestade zwischen der Holsten- und Dankwärtsbrücke anlegen. Die Karrenfahrer konnten mit ihrem Fuhrwerke den an sie gemachten Anforderungen nicht genügen; es mußten zum Transport der Kaufmannsgüter in der Stadt auch die Fuhrwerke der benachbarten Landleute in Anspruch genommen werden. Alle verlehnten Arbeiter hatten vollauf zu thun, und die herbeigezogenen Hülfsarbeiter stellten ihre Forderungen hoch. Ungeachtet die Lebensmittel um jene Zeit sehr im Preise gestiegen waren, so mehrte sich doch bei solchem Handelsverkehr der Wohlstand zusehends, und mit ihm Luxus und Ueppigkeit. Die Grundstücke stiegen bedeutend im Preise; baufällige und unzweckmäßig eingerichtete Häuser wurden von Speculanten neu aufgebaut und alsdann höchst vortheilhaft verkauft.


Wenn nun auch unter solchen günstigen Verhältnissen das öffentliche Aerar schon durch die Erhebung des Zolles und der Accise bedeutend gewann, so war es doch der Stadt drückend, dem Gesuche der hannoverschen Landstände zu genügen, welche unter drohender Fürsprache der Franzosen eine nicht unbedeutende Anleihe zur Bestreitung der dortigen Occupationskosten bei den Hansestädten machten, zu welcher Lübeck 455,000 lb. Mark Bco. beitragen mußte*), wozu noch eine Anleihe von 300,000 Frcs. kam, welche Lübeck zugleich dem General Leopold Berthier, Chef des Generalstabes der französischen Armee in Hannover und Unterhändler jener Anleihe, zu machen genöthigt war. Denn die Stadt hatte damals schon eine Schuldenlast von 6-7 Mill. Mark. Diese war theils durch eine mangelhafte Finanzverwaltung herbeigeführt, zumeist aber durch die Geldbeiträge, welche Lübeck als deutscher Reichsstand, da es keine Truppen stellte, zu dem durch die französische Revolution herbeigeführten Kriege leisten mußte; durch die späterhin von der französischen Regierung, unter Androhung von Sequester auf das in Frankreich befindliche lübeckische Eigenthum, geforderten Vorschüsse, für welche zwar batavische Inscriptionen gegeben wurden, welche aber später nicht den dritten Theil ihres Nominalwertes hatten; durch die Zahlungen für die preußische Demarcationslinie im nördlichen Deutschland; durch die beträchtlichen Gratificationen, welche die Stadt den Ministern und Beamten Frankreichs, Ostreichs und Rußlands wegen der ihr bei dem Reichsdeputationsschlusse zugestandenen Vortheile zu geben gezwungen war, und durch andere Umstände mehr.



*) Obgleich die Rückzahlung der am 17. Mai 1804 von Lübeck hergeliehenen 350,000 Bco. in 4 bis 9 Jahren, und die Rückzahlung der am 20. April 1805 hergeliehenen 105,000 Mark Bco. in den Jahren 1812 und 1813 geschehen, die Anleihe auch bis dahin mit 4 pCt. verzinset werden sollte, so erfolgten doch weder Zinsen noch Rückzahlung. Durch ein Decret des Königs von Westphalen vom 28. Jun. 1812 wurde diese Schuld anerkannt, aber, wie alle andern Schulden des Königreiches Westphalen, auf ein Drittel reducirt. Im Jahre 1819 machte Lübeck die Sache beim deutschen Bundestage anhängig, worauf 1. Aug. 1820 ein Vergleich geschossen wurde, nach welchem die Forderung auf 80 pCt. reducirt und für die 364,000 Mark Bco. bis zu deren völligen Abtragung eine Verzinsung mit 4 pCt. verheißen wurde. Die nunmehr zurückgezahlten Gelder sind meistens zu außerordentlichen Staatsbankett verwandt. - Die von General Berthier († 1807) unter Bürgschaft der gesammten französischen Generalität zu Hannover gemachte Anleihe ist nicht wieder zurückgezahlt worden.