Niklot (1131 - 1161)

Während Pribislaw so seiner Herrschaft meist beraubt wurde, während die wilzischen Stämme von Albrecht dem Bären, Markgrafen von Brandenburg teils unterjocht, teils zinspflichtig gemacht wurden, erfreute sich Niklot in seinem beschränkten Gebiete der Ruhe des Friedens; an Pribislaws Streifereien nahm er keinen Teil, unterstützte auch die gegen ihren neuen Herrn aufrührerischen Wagrier nicht, schloss vielmehr mit Adolf von Holstein einen Freundschaftsbund.

Aber bald sollte auch über sein Volk die Not des Krieges kommen. Die Zeiten der Kreuzzüge begeisterten die Völker des Abendlands zu religiösem Fanatismus; bald war aber das gelobte Land nicht das alleinige Ziel der Kreuzritter, jede andre heidnische Provinz ward Gegenstand ihrer Bekehrungszüge. Als 1147 das südliche Deutschland, unter dem Kaiser, sich zum Zuge nach Palästina rüstete, wandte Norddeutschland den Blick auf das Wendenland. Viele Fürsten nahmen das Kreuz, unter ihnen waren alle sächsischen Bischöfe, Herzog Conrad von Möhringen, Markgraf Albrecht von Brandenburg, Markgraf Conrad von Meißen, vor allen Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen. Niklot, auf sich ganz allein beschränkt (denn Adolf von Holstein weigerte den Beistand), sah furchtlos das Ungewitter nahen. Rasch und entschlossen kam er, während die Feinde noch rüsteten, ihnen durch einen Einfall in Wagrien zuvor, wo der Hass der dortigen Wenden gegen die neuen deutschen und friesischen Kolonisten ihm seine Operationen erleichterte; er eroberte das neugegründete Lübeck und kehrte mit Beute beladen nach Obotritien heim.


Im folgenden Jahre, 1148, begann das Kreuzheer den Feldzug, in 2 Kolonnen einrückend, mit Belagerung der Vesten Dobin und Demmin; auch eine dänische Flotte landete, die vielen Unbilden zu rächen. Aber der Erfolg entsprach den großen Rüstungen nicht; das Kreuzheer erlitt vor Dobin*) eine empfindliche Niederlage; der anfängliche Eifer erkaltete, und der Friede wurde geschlossen. Die Wenden versprachen, sich taufen zu lassen und die gefangenen Dänen herauszugeben, denn sie trieben auf der Ostsee das Handwerk afrikanischer Korsaren. — So endete, ohne große Verluste, der ungleichste Kampf, den die Wenden je zu bestehen gehabt, doch war die nun gewonnene Ruhe keine dauernde, war nur Aufschub der völligen Unterjochung und Vernichtung der wendischen Macht.

*) Diese Veste lag nordwestlich von der Insel Liepz am Schweriner See.

Inzwischen machte das Christentum, aller äußern Hindernisse, die in der Habsucht und Härte der Deutschen begründet waren, ungeachtet, durch die rastlosen Bemühungen Vicelins, der aus Heinrichs des Löwen Händen die Investitur des oldenburgischen Bistums genommen hatte, und seines gleichgesinnten Nachfolgers Gerold, mächtige Fortschritte besonders in Wagrien und Polabien. In Ratzeburg ward um diese Zeit ebenfalls ein Bistum errichtet und mit 300 Hufen Landes dotiert.

Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern, der mächtigste Reichsfürst seiner Zeit, an Talenten und Kriegskunst einer der ersten Heerführer, war der Nachbar des geschwächten Niklot; die Wendenländer an der Ostsee waren von jeher das Augenmark dieses ehrgeizigen Fürsten gewesen, die Grafen von Holstein und Ratzeburg wären seine Vasallen, Ditmarsen seine Eroberung; das nach dem großen Brande von 1136 neuerbaute Lübeck stand unter seinem unmittelbaren Schutze, jetzt sollte auch Obotritien, dessen Oberherrn er sich seit dem Kreuzzuge von 1148 nannte, und in der Tat auch war, ihm huldigen. Verwicklungen im Reiche, die italischen Feldzüge hatten bisher seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen; jetzt hatte er freie Hand zu seinen Operationen im Norden. Der Vorwand zum Kriege war leicht gefunden. Die Seeräubereien der Wenden mussten dazu dienen.

Der Feldzug begann im Jahre 1160. Niklot sah die Gefahr und suchte, wie vor Jahren, dem Feinde durch einen Einfall in Wagrien zuvorzukommen; aber sein Anschlag auf Lübeck misslang. Die Dänen, mit Heinrich verbunden, landeten auf Poel und zerstörten Rostock, das hier zum ersten Male und zwar schon als Stadt erscheint. Da schleifte Niklot selbst seine Vesten, Ilow, Mikilinburg, Zwerin und Dobin, und zog sich zurück nach dem festen Werle an der Warnow, an den Grenzen des Kyssinerlandes gelegen; hier fiel er, bei einem Ausfall sich zu kühn vorwagend*). Schrecken bemächtigte sich seiner Wenden. Alles floh in die Wälder und auf die Schiffe. Inzwischen hatte Markgraf Albrecht der Bär die Länder der Haveler, Birzaner und Stoderaner erobert, ganz Slavanien war in Feindes Händen. Heinrich räumte Kyssinien und Circipanien den Söhnen Niklots, dem Pribislaw und Wertislaw, wieder ein, nicht aber Obotritien; hier ließ er die zerstörten Vesten wieder aufbauen, und übergab Zwerin und Ilow dem tapfern Gunzel von Hagen, Kussin dem Ludolf von Braunschweig, das Kastell von Malchow dem Ludolf von Peina, an Heinrich von Scaten aber Mikilinburg, wo auch Berns zum Bischofe und Nachfolger des ersten, aber wohl nicht zum Besitz gelangten Bischofs Emmehard ernannt und eingesetzt wurde. So schien das ganze Land unterjocht; deutsche Kolonisten eilten in Scharen herbei, Besitz zu nehmen von dem geraubten Erbe der Wenden.

*) Die Abstammung Niklots, des Ahnherrn unsers Regentenhauses, schwebt im Dunkeln. Doch nach den Worten des gleichzeitigen Schriftstellers Helmold von Bosau, welcher den Pribislaw, der mit Niklot zugleich nach Hlawardes Tod als Herrscher im Wendenlande auftrat, fratruelem Henrici, den Niklot aber majorem terrae (welches wahrscheinlich wörtliche Übersetzung eines wendischen Titels ist) nennt, scheint man nicht berechtigt, Niklots Geschlecht von dem obotritischen Königshause abzuleiten, obwohl freilich das Gegenteil nicht gerade darum folgt. Jedenfalls stand sein Stamm in hohem Ansehen, wie die Ehe seines dritten Sohnes Prisilaw mit einer dänischen Königstochter sattsam beweist.