Letzte verzweifelte Kämpfe der Söhne Niklots. Die Zeiten der novella plantatio (1161 - 1181)

Doch nur scheinbar war der Krieg beendet; die Mittel zu neuem hatte man Niklots Söhnen gelassen. Diese sahen das Elend Obotritiens, das unter der eisernen Zuchtrute des Eroberers seufzte, sahen trostlos das Vaterland seinem Untergange entgegeneilen, und beschlossen aufs Neue den Wechsel des Kriegs zu versuchen; schon im Winter von 1162 bereiteten sie eine Insurrektion vor. Aber durch Gunzel von Zwerin zu Zeiten davon benachrichtigt, traf sie Herzog Heinrich, ehe sie vollkommen gerüstet waren. Da verschanzte sich Wertislaw in dem festen Werle, aber nach hartnäckiger Verteidigung musste er sich auf Diskretion ergeben; er ward mit vielen wendischen Edlen nach Braunschweig geführt, und über Werle, ein Bruder Niklots, der Greis Lubemar gesetzt. Nach diesen Unfällen suchte und erhielt auch Pribislaw, der den kleinen Krieg bisher nicht ohne Glück geführt hatte, den Frieden, 1163.

Doch besser gerüstet, mit den Wendenfürsten jenseits der Peene im Pommerlande, Casimir und Bogislaw verbunden, brach Pribislaw schon 1164 wieder auf, da zu gleicher Zeit große Überschwemmungen die Nordseeküsten verwüsteten, zum letzten Entscheidungskampfe. Rasch zog er vor Mikilinburg: „Bedenkt ihr Männer,“ sprach er zu den Flandern, die jetzt diese Weste behaupteten, „dass Unrecht und Gewalttat uns aus der Heimat vertrieben, und das Erbteil der Väter uns entrissen hat. Öffnet die Veste, ich verheiße unverletzten Abzug mit dem Eurigen, aber weigert ihr die Räumung und verteidigt die Veste, so sollt ihr alle über die Klinge springen.“ Die Flandrer antworteten mit einem Hagel von Pfeilen, aber Pribislaw tat einen kräftigen Sturm, und eroberte die Veste, die er demolierte; alle Männer fraß das Schwert, wie er verheißen, Weiber und Kinder wurden in die Sklaverei geführt. Von da rückte er vor die Ilinburg, deren Fall die Wachsamkeit Gunzels vereitelte, doch Kussin und Malchow ergaben sich gegen freien Abzug über die Elbe.


Nun erschien Heinrich der Löwe selbst im Felde mit seinen Vasallen und seinen Bundesgenossen, den Dänen und Brandenburgern. Er eröffnete den Feldzug mit der barbarischen Grausamkeit, den gefangenen Wertislaw im Angesichte des belagerten Malchow aufknüpfen zu lassen. Darauf konzentrierte sich der Krieg in der Gegend des Cummeroer Sees. In und um Demmin standen die Wenden, bei Viruchen (Verchen) bezogen die Deutschen ein Lager. Es entbrannte ein heißer Kampf. Tapfer kämpften die Wenden und verzweifelt. Anfangs zurückgeworfen, erstürmte Pribislaw beim zweiten Angriffe das Lager der Deutschen; die Grafen Reinhold von Ditmarsen und Adolf von Holstein fanden den Tod, eine große Niederlage begann, doch Gunzel von Hagen und Christian von Oldenburg stellten die Schlacht wieder her, und nach mörderischem Kampfe ward das Lager wiedergewonnen und das Schlachtfeld behauptet; 2.500 Wenden fielen an diesem Tage, wie viele der Deutschen wird nicht berichtet. Nun kam Heinrich selbst beim Heere an, vereinte sich mit den unter ihrem Könige Waldemar gelandeten Dänen, und zog siegreich und verheerend durch Pommern bis gen Stolp, ohne kräftigen Widerstand zu finden. Hier hemmte er den Lauf seiner Siege; den pommerschen Fürsten gab er ihr Land zurück, dagegen fiel das verödete Gebiet Pribislaws dem Sieger anheim; in Holstein setzte er den Grafen Heinrich von Orlamünde zum Regenten und Vormunde, in Ratzeburg den Grafen Heinrich, dessen Vater Bernhard bei Viruchen gefallen war. — Unter pommerschem Schutze weilte nun Pribislaw mit den treuen Anhängern, die das Unglück ihm gelassen. Von hier unternahm er häufige Streifzüge bis gen Schwerin und Ratzeburg; oft nicht ohne Glück. Da aber kündeten Bogislaw und Casimir ihm ihren Schutz auf, des Löwen Rache befürchtend, und der unglückliche Pribislaw schien nun auf immer verloren und verlassen zu sein.

Doch längst schon hatte die Macht und das Glück des guelphischen Löwen den Neid vieler Reichsfürsten erweckt; Heinrichs Stolz und Herrschbegierde steigerte ihn zu allgemeinem Hasse, und seit Kaiser Friedrich Barbarossa zu Goslar umsonst vor ihm einen Fußfall getan, hatte er, statt des schirmenden Freundes, an diesem einen mächtigen Gegner. Dass eine Koalition wider ihn im Werke sei, konnte seinem Scharfblicke nicht verborgen bleiben. Vor Allem suchte er also bei dem bevorstehenden Kampfe den Rücken frei zu haben; er söhnte sich daher 1166 mit seinem bisherigen Erzfeinde Pribislaw aus, und gab demselben, unter Bedingung treuer Friedfertigkeit, das Land seiner Vater zurück; doch trennte er davon die Lande Schwerin und Zellesen mit Criewitz und Boizenburg, welche er seinem verdienten Feldherrn Gunzel von Hagen als erbliche Lehngrafschaft übergab.

Aber es war nicht mehr das mächtige Wendenreich, wie es Gottschalk und Heinrich beherrscht, nicht die weitläufigen Länder zwischen Eyder, Oder und Havel, die Pribislaw wieder erwarb. Er war beschränkt auf das Land zwischen dem Meere und der Elde — eine wüste, menschenleere Einöde. Hunger und Schwert hatten den größten Teil der wendischen Bewohner dahingerafft. Scharenweise flohen sie aus dem Lande nach der Viruchner Schlacht. Hier und da siedelten deutsche Kolonisten in den verheerten Gauen. Mangel und Not errichteten zahlreiche Raubscharen, welche die aufkeimenden Saaten einer neuen Kultur wieder vernichteten. — Pribislaw trat nunmehr mit seinem Sohne Borowin (seitdem Heinrich Borowin I. genannt und später Heinrichs des Löwen Eidam) zum Christentum über, und ward von jetzt an, des friedlichen Besitzes sich erfreuend, Heinrichs treuester Anhänger, selbst da diesen das Glück verließ und viele seiner alten Freunde.

Vorerst aber musste er Teil nehmen an dem Zuge Heinrichs und König Waldemars gegen die Heidnischen Rügier. Da fiel auch das Heiligtum Swantewits, die alte berühmte Arkona, 1168, und, als im folgenden Jahr beide über diese Eroberung in Zwist gerieten, musste er auch eine Flotte gegen die Dänen ausrüsten. Die lang unterdrückte Rache gegen den Erbfeind trieb fast die ganze Nation auf die Schiffe; die reichen dänischen Inseln waren der Preis der Sieger, alle Märkte waren bald mit Dänensklaven überfüllt; — ein einziger Markttag zu Mikilinburg sah deren 700 feil gestellt, und, für die Wenden viel zu früh, endete dieser Krieg noch in dem nämlichen Jahre.

Jetzt erst konnte Pribislaw in Ruhe für das Wohl seiner Länder sorgen; allmählich kehrten Friede, Sicherheit und Wohlstand zurück. Deutsche Einwanderer verwandelten neben dem Reste der Wenden die wüsten Gefilde bald wieder in gesegnete Fluren; Mikilenburg, Ilow, Rostock u. andre Städte und Burgen erhoben sich aus ihren Trümmern; das mikilinburgische Bistum wurde um diese Zeit (1174) nach Schwerin verlegt, und wie die andern wendischen Bistümer mit 300 Hufen Landes begabt. Jetzt fand auch, durch des frommen Bischofs Berno segensreiches Wirken, dass Christentum allgemeinen Eingang, so wie auch allmählich deutsche Sprache und Sitte. Kurz eine ganz neue Gestaltung begann; novella plantatio nennen die alten Chronisten diese Zeit, und mit Recht. Pribislaw übernahm bei seines Vaters Tode die Herrschaft über ein slavisches, heidnisches Land, seine Kämpfe waren die Todeszuckungen eines Sterbenden, seine Nachfolger überkamen einen meist germanisierten, christlichen Staat.

Als darauf Heinrich der Löwe, 1172, einen Zug nach dem gelobten Lande übernahm, war Pribislaw unter der Zahl seiner Begleiter; er überstand alle Gefahren und kehrte 1173 in sein Land zurück, wo er zum Gedächtnis dieses Kreuzzuges die Klöster Doberan und Dargun stiftete. Das Unglück Herzog Heinrichs, seine Ächtung (1180) gab ihm Gelegenheit, seine Treue zu beweisen; doch starb er schon 1184, durch den Sturz seines Pferdes auf dem Turniere zu Lüneburg, und wurde in Doberan begraben.