Siebter Abschnitt. - Unerachtet der tausend Schwachheiten, zu welchen ungemessene Eigenliebe und Lust zu glänzen die Gräfin Rosenberg verführen mochten, ...
Unerachtet der tausend Schwachheiten, zu welchen ungemessene Eigenliebe und Lust zu glänzen die Gräfin Rosenberg verführen mochten, hielt dennoch niemand fester als sie an das, was sie ihre Grundsätze nannte. Achtung vor äußerem Anstande, Sitte und gutem Ruf, diese Kardinaltugend vornehmer Leute besaß sie in hohem Grade; sie war eine abgesagte Feindin alles offenbaren Unrechts, und Adelberts Verhältnis zu Herminien mußte ihr großes Mißfallen erregen, sobald sie es für das erkannte, was es war. Hippolits jetziges Benehmen gegen die Marquise machte sie zuerst aufmerksam darauf. Sie sah, wie er, der sonst nur in den Blicken der Marquise d'Aubincourt zu leben schien, ihr jetzt mit unverkennbarer Kälte begegnete, wie zuvorkommend er Adelberten jedesmal, wenn beide bei ihr zusammentrafen, den Platz neben ihr einräumte, und sie hatte selbst zu lange und in zu mannichfaltigen Verhältnissen in und mit der Welt gelebt, um nicht, wenngleich diesesmal ungerechterweise, den Grund einer so auffallenden Veränderung im Betragen ihrer Hausgenossin zu suchen. Die dunkle Seite desselben blieb ihrem Scharfblick nicht lange verborgen, und grenzenloser Zorn ergriff sie bei Entdeckung, daß die Marquise es wage, unter ihren Augen, in ihrem Hause und gleichsam unter ihrem Schutze mit dem Gemahl einer ihrer nächsten Verwandtinnen ein solches Verhältnis zu unterhalten. Hätte die Gräfin Rosenberg den ersten Regungen ihres empörten Gemüts zu folgen gewagt, so wäre die Marquise in der nächsten Stunde durch öffentliche Kundmachung ihres Betragens vor der Welt auf das Beschämendste bestraft worden; aber sie war von jeher gewohnt, nur mit der äußersten Umsicht vorzuschreiten, und jedes, nicht durch Bewunderung erregte Aufsehen zu scheuen wie den Tod. Der Familienstolz, welcher einst den Baron von Aarheim so mächtig beherrschte, war auch der Brust seiner Schwester nicht fremd, und das Bekenntnis, daß Auguste, ihre Verwandtin, um einer andern willen verlassen werden konnte, schien ihr unwürdig und entehrend. Schmerzlich vermißte sie jetzt Ernestos gewohnte leitende Hand, doch dieser Freund war fern, auf dem Wege nach Italien, wohin Ottokars wiederholte Einladungen ihn zogen, und so blieb der Gräfin nichts übrig, als an seiner Stelle Gabrielen zu Rat und Mitwirkung aufzufordern, um mit ihrer Hülfe die Marquise ohne äußeres Aufsehen zu entlarven, zu entfernen und hernach Adelberten reuig und gebessert Augusten wieder zuzuführen.
Gabriele stritt lange und heftig für Adelberten gegen die Beschuldigungen der Gräfin, ehe sie sich entschließen konnte, solche als Wahrheit anzuerkennen, und selbst dann bemühte sie sich noch, sein Vergehen in gemildertem Lichte zu sehen. Weder sie, noch ihre Tante hatten die leiseste Ahnung davon, daß er in der Marquise d'Aubincourt Herminien wiedergefunden habe; um so auffallender mußte ihnen diese plötzlich entstandene Leidenschaft erscheinen, aber auch um so leichter die Möglichkeit, solche zu besiegen. Adelberts schleunige Entfernung von der gefährlichen Zauberin, welche ihn umstrickt hielt, schien beiden Frauen nach langem Beraten das einzige Mittel, ihn wieder zu sich selbst, zu Augusten zurückzuführen und der innigste Wunsch dieser womöglich die über dem Glück ihres Lebens schwebende Gefahr gänzlich zu verbergen, bestimmte Gabrielen, sich an Frau von Willnangen zu wenden, um durch diese Adelberts schleunige Zurückberufung zu bewirken. Denn so sehr sie auch den freundlichen Greis, Adelberts Oheim, liebte und ehrte, so wußte sie dennoch nicht, inwieweit man in einer für Augustens Zukunft so wichtigen Sache auf dessen Leitung sich verlassen könne, und durfte demnach es nicht wagen, das Muttergefühl der geliebten Freundin zu schonen.
Mildernd, begütigend, aber doch eindringend und ernst machte Gabriele sie mit Adelberts trauriger Verirrung so schonend als möglich bekannt. Die Marquise zeigte sie ihr, so wie sie ihr selbst erschien, als ein für den ersten Augenblick höchst einnehmendes blendendes Geschöpf, reich an allem, was reizt, gefällt und verführt, aber eigentlich doch arm an innerem Werte, mit keiner einzigen der Eigenschaften begabt, die einst Augusten das Herz ihres Gatten gewannen.
„Auguste wird ihn wieder gewinnen“, setzte Gabriele dieser Beschreibung hinzu. „Sie muß ihn wieder gewinnen, um auf ewig ihn zu halten, sobald es uns nur gelingt, ihn dem magischen Kreise dieser neuen Armida zu entrücken, deren Nähe ihn allen seinen Freunden und sich selbst zum Unkenntlichen verwandelt.“ Um nicht zu ängstlich bei diesem Hauptzweck ihres Briefes allein zu verweilen, versuchte es weiterhin Gabriele, der Frau von Willnangen ein heiteres lebendiges Bild ihres jetzigen Lebens und des glänzenden Horizonts zu geben, an welchem sie selbst ein Stern erster Größe war. „Sie sehen“, schrieb sie ferner, „aus Ihrer sonst so furchtsamen Gabriele ist nach und nach ein ziemliches Weltkind geworden; doch fürchten Sie nicht zu viel für meinen häuslichen Sinn. Ach liebe liebe Mutter! Ich sehne mich oft so, daß mir die Tränen in die Augen treten, nach einer einzigen Stunde, wie ich deren so unzählig viele bei Ihnen, mit Ihnen, mit Augusten, mit Ernesto verlebt habe. Wissen Sie noch den Abend, wo wir sangen: Dolce dell' anima, speme del mio cor? Wie laut, wie töricht flatterte damals dieses Herz, das jetzt so leise sich regt! Alles ist anders wie in jenen Tagen und doch im Grunde dasselbe. Was je mir teuer war, ist noch das Leben meines Lebens; jede Freude, jedes Gelingen, jeden guten Vorsatz knüpfe ich an ein liebes Bild; aber dies Bild glänzt weit, weit von mir in meinem Jugendlande. Ich träume davon, wie schlafende Kinder mit Engelbildern spielen, aus einer fernen, goldenen, himmlischen Heimat, und wenn ich erwache, lächelt der Abglanz des Morgenrotes meines Lebens noch immer freundlich in meinen Werkeltag hinein.
Wirklich, ich komme mit meinen vierundzwanzig Jahren mir oft recht alt, recht matronenhaft vor, und ich glaube, ich erscheine auch andern so; meinem Zöglinge wenigstens gewiß, denn ich muß es nur bekennen, ich gebe mich jetzt mit der Erziehung ab und zwar bei einem recht verwahrlosten Kinde, das ich dem Untergange entreißen will. Freilich ist es schon einundzwanzig Jahre alt, aber erschrecken Sie nicht darüber, mein Zögling gebärdet sich gewöhnlich, als zähle er deren kaum sieben; er ist unbändig, ungehorsam und wieder lenksam, folgsam und gut wie es kommt. Er verbindet alle Arten und Unarten eines Kindes mit jeder glänzenden Eigenschaft der reifern Jugend. Denken Sie ihn hoch, schlank, schön wie Achill; schmiegsam, biegsam, fast kindliche Grazie in jeder Bewegung, mit dunkeln Locken und schwarzen blitzenden Augen, wie Mignon. So wunderlich wie in seinem Äußern eint sich der Widerspruch auch in seinem Innern. Er ist stolz, auch wohl hochmütig verachtend, eitel, argwöhnisch, süffisant-ausgelassen und oft recht von Herzen betrübt. Alles das teils durch das Leben, welches er bis jetzt lebte, teils durch die Leute, mit denen er in Verbindung geriet, mehr aber noch, wie er mir nicht vertraute, aber erraten ließ, durch früh erlittenen Verrat, Mißhandlung und Betrug von seiten derer, welchen es Pflicht war, ihn zu lieben. Von Natur ist er mild, bescheiden, heiter, vertrauend, jeder Aufopferung fähig, aber diese edleren Eigenschaften treten nur zuweilen hervor und werden oft verdüstert. Er ist sehr unterrichtet, sogar gelehrt, wie es mich dünkt. Er weiß von Kunst zu reden, bläst die Flöte, zeichnet, skizzenhaft, aber geistreich. Doch alles dies ist ihm nur ein Erlerntes, er weiß es nicht zu brauchen, er weiß nur damit zu glänzen. Er geht umher wie ein Nachtwandler in eines Königs Palast, man muß ihn bei Namen rufen, damit er die Herrlichkeit gewahr werde, die ihn umgibt, aber man muß ihn dabei auch recht sorglich festhalten, um ihn vor dem Falle zu schützen und auf die rechte Bahn zu bringen.
Dies zu versuchen, habe ich mir nun vorgenommen. Ich fand ihn am Scheidewege, oder vielmehr, daß ich es nur gestehe, ich fand ihn schon eine ziemliche Strecke über die Grenze hinaus verlockt. Ein wunderliches Begegnen brachte ihn mir nahe; zuerst war er ungezogen, ich schalt, wie billig, er schämte sich etwas ungeschickt, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben bei solchem Anlasse, und mitten durch alles dieses blickte so viel Gutes, ja selbst Edles hervor, daß er mein innigstes Bedauern erregte und ich den Wunsch fühlen mußte, ihm wieder zurecht zu helfen. Die Frauen mögen an seinem Verderben nicht wenig schuld sein. Nun es sei gewagt. Vielleicht gelingt es mir, wieder zu erbauen, was andere meines Geschlechts zerstörten. Hippolit scheint Vertrauen zu mir gefaßt zu haben, und das ist schon viel.
Möge es Ihnen ein Beweis seiner Herzensgüte sein, daß er zu meinem eignen Erstaunen das Wohlwollen meines Gemahls sich in so hohem Grade zu erwerben gewußt hat, daß dieser ihn immer um sich haben möchte und Hippolit deshalb beinah wie einer unserer Hausgenossen anzusehen ist; nur daß er nicht bei uns wohnt. Manche kleine körperliche Schwäche des Alters beginnt, früh wie mich dünkt, Herrn von Aarheims Dasein zu trüben, ohne daß ich deshalb ernstlich um ihn besorgt zu sein Ursache hätte. Er wäre gewiß weit öfterer leidend und grämlich als er es ist, doch Hippolit macht ihn vieles vergessen, denn er umspielt ihn in Jugendlust und heiterer Lebensfülle. Der allmählich zum Greise heranalternde Mann scheint oft zu wähnen, er habe in ihm einen lieben Sohn wiedergefunden, der seine grauen Locken ehrt und seine kleinen Schwachheiten schonend erträgt. Wie sehr ich dabei an häuslicher Ruhe und Lebensfreiheit gewinne, werden Sie, die Sie uns so genau kennen, leicht ermessen und sich nicht darüber wundern, daß Hippolit, in diesem freundlichen Verhältnis zu uns, mir selbst ein Verwandter zu sein dünkt, der Anspruch hat an mich, daß ich für ihn tue, was ich kann.“
Einige Wochen waren nach Absendung dieses Briefes vergangen und Gabriele sah längst der Antwort entgegen, als eines Abends sich ein kleiner gewählter Kreis zum musikalischen Verein in ihrem Zimmer versammelt hatte.
Umflossen von Licht, Glanz und Schönheit saß die Marquise auf dem Divan unter einer strahlenden Girandole von Kristall. Vor ihr stand die reich geschmückte große Pariser Harfe, hinter ihr über sie hingebeugt Hippolit, dessen Flöte die Töne begleitete, welche sie mit Meisterhand dem goldenen Saitengewebe entlockte. Die ganze Gesellschaft im Saal war in der Andacht des Zuhörens und des Anschauens versunken. Nur Adelbert saß einsam und abgewendet in der fernsten Ecke desselben. Mit den soeben verklungenen einfachen Tönen eines alten oft gehörten Liedes hatte Gabriele eine Welt von Schmerz und Sehnsucht in seinem Busen aufgeregt. Die Melodie des Liedes war eine von jenen, welche wie Töne aus der Heimat in uns wiederklingen und den Worten so fest sich anschließen, daß es unmöglich wird jene ohne diese oder diese ohne jene zu denken. Hier ist das Lied:
Noch einmal muß ich vor Dir stehn,
Noch einmal in Dein Auge sehn
So lieb und klar;
Die Hand, so fest und wahr,
Noch einmal fassen inniglich
Die liebe Hand und Dich – und Dich!
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Ich muß Dir sagen noch einmal
All meine Freud, all meine Qual;
Du kennst sie beid,
Mein Glück und auch mein Leid,
Doch ich muß sagen Dir aufs neu
All meiner Seele Lieb und Treu!
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Muß hören noch ein einzig Mal
Den süßen vollen Glockenschall
Von Deiner Stimm,
Denn – ging's mir noch so schlimm –,
Wenn sie von Deinen Lippen weht,
Wird meine Klage still Gebet.
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Will rufen all mein schmerzlich Glück
Mir noch ein einzig Mal zurück;
Will lauschen sacht:
Wie Du an mich gedacht?
Noch einmal muß auf Erden mein,
Nur einmal noch der Himmel sein.
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Diesen Worten, diesen Tönen hatte Adelbert unzähligemal im innigsten Gefühl seines Glücks an Augustens Seite zugehorcht, wenn Gabriele, wie eben jetzt, mit ihrer süßen rührenden Stimme sie sang; und nun erfüllten sie das Gemüt des einsam Verirrten mit einer unendlichen Sehnsucht nach dem häuslichen glücklichen Herd. Dabei ward ihm, als trennten weite Meere, unüberwindliche Klüfte ihn von den Seinen, als werde er nimmer und nimmer sie wiedersehen. Allmählich versank er so in immer trostlosere Wehmut und beachtete weder das Spiel der Marquise noch alles, was ihn umgab. Ein leises Öffnen der Türe bewog ihn endlich mechanisch die Augen zu erheben und zu seinem unsäglichen Schrecken erblickte er dicht vor sich die ehrwürdige Gestalt seines, viele Meilen weit entfernt geglaubten Oheims, des General Lichtenfels. Blitzschnell fuhr Adelbert bei dem unerwarteten Anblick in die Höhe, er wollte ihn begrüßen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst; bleich, wie entgeistert, blieb er auf seinem Platze regungslos stehen, den stieren Blick auf den eben Eingetretenen geheftet, der ihn indessen ebensowenig bemerkte, als er selbst von der, ganz der Musik zugewendeten Gesellschaft bemerkt ward.
Leise auftretend, durchschritt der General das Zimmer der Länge nach, bis er dicht vor der Marquise still stand, nur durch die Harfe von ihr geschieden. Mit immer zorniger werdendem Ernste betrachtete er sie, jede Sekunde überzeugte ihn immer fester, sie sei wirklich die, für welche er sie im ersten Augenblicke erkannt hatte, bis endlich eine Pause in der Musik entstand. Die Marquise, welche bis dahin ihr Harfenspiel ganz unbefangen fortgesetzt hatte, wendete sich jetzt gegen ihre Zuhörer, um in den Augen derselben die dankbarste Bewunderung zu lesen, und ihr erster Blick fiel auf die hohe, drohende Gestalt, die, ganz nahe vor ihr, über die Harfe weg, sie anstarrte. Gelähmt vom Schrecken bei der unerwarteten Erscheinung, die auch sie nur zu wohl wiedererkannte, fühlte sie dennoch die dringende Notwendigkeit, hier ruhig und besonnen zu bleiben. Sogar ein Gedanke der Möglichkeit, unerkannt durchzuschlüpfen, fuhr ihr durch den Kopf, wenn sie Fassung genug behielt, ferner für eine Französin zu gelten, deren große Ähnlichkeit mit der ehemaligen Braut seines Neffen den General verwirre. Aber ein Seitenblick auf Adelbert, der wie vernichtet dastand, brach ihr den Mut, und als nun vollends der General die wohlbekannte Stimme donnernd erhob, sank sie erbleichend auf den Divan zurück und vermochte es kaum noch, auf ihrem Sitz sich aufrecht zu erhalten.
Erzürnt, tief empört, vom Augenblick hingerissen, vergaß der General alle ihm sonst eigene Milde und Schonung und begann eine laute lange Strafpredigt. Der ganze Zusammenhang von Adelberts Verirrung war ihm klar geworden wie der Tag, sowie er in der Marquise Herminien wieder fand, und er überströmte die ihm jetzt zwiefach strafbar Erscheinende mit Fragen, mit Vorwürfen, mit Anklagen, welche den dabei Gegenwärtigen ihre früheren und jetzigen Verhältnisse in dem allerungünstigsten Lichte offenbaren mußten. Die duldende Verlegenheit der Marquise galt bei allen für das vollkommenste Eingestehen jeder Beschuldigung, besonders da sie in der Angst der früheren Verstellung vergaß, und plötzlich in sehr reinem geläufigen Deutsch ihren Widersacher zu besänftigen und manche Anklage von sich abzuwenden suchte. Die Szene ward immer verwirrender und Gabriele, die, wenn sie gleich auf diese Art es nicht gewollt hatte, sich doch bewußt war, sie veranlaßt zu haben, geriet in immer drückendere Verlegenheit. Denn jetzt erhob sich auch die Gräfin, um die Angeklagte vollends zu zerschmettern.
Mit richtendem Ernst, stolz und hoch wie eine Königin, betrachtete sie sie einige Sekunden, dann wandte sie sich an Gabrielen mit der laut ausgesprochenen Bitte, ihr zu verzeihen, daß sie, auf beispiellose Art getäuscht, sich durch ihre gewohnte arglose Gefälligkeit habe verleiten lassen, eine Dame bei ihr einzuführen, mit deren Verhältnissen sie, wie sie jetzt gewahr werde, dazu nicht bekannt genug gewesen sei. Mit einer verbeugenden Bewegung, welche die nämliche Bitte auch den übrigen Anwesenden wiederholte, verließ sie alsdann das Zimmer, nur begrüßte sie noch vorher die Marquise mit einem nachlässig vornehmen: „ Madame! J'ai l'honneur de Vous saluer“, und umarmte nochmals ihre verlegen dastehende Nichte.
Auch Adelbert hatte sich früher, ohne bemerkt zu werden, entfernt.
Jedes Bestreben, dem General Einhalt zu tun, war vergeblich. Mitleidig versuchte es endlich Gabriele, der Marquise wenigstens den Weg zur Flucht zu bahnen, aber dieser war nicht zu helfen, sie saß regungslos auf dem Divan, von der einen Seite durch die große Harfe eingeengt, von der andern durch den General, der sich selbst immer zorniger sprach und seinen Anschuldigungen immer schonungslosere Worte gab. Hippolit hatte sich indessen lange fruchtlos bemüht, die bei diesem widerwärtigen Vorgange nicht persönlich interessierten Zuschauer zum Weggehen zu bewegen, alle bildeten aber einen neugierigen Kreis und niemand hatte die mindeste Lust, zu wanken oder zu weichen. Doch jetzt, da die Gräfin das Beispiel gab, konnte man sich nicht mehr anständig weigern, ihr zu folgen. Die Gesellschaft brach also mit ihr auf, und Hippolit ergriff nun das einzige Mittel, das ihm übrigblieb, um diese unangenehme Szene gänzlich zu beenden. Er nahte sich der Marquise, schob die schwere Harfe beiseite, und unerachtet der General, den er nicht kannte, noch immerfort sprach, bot er ihr den Arm, um sie an ihren Wagen zu geleiten. Doch es schien, als ob das Regen der Gesellschaft um sie her, sie plötzlich aus ihrer Bewußtlosigkeit erwecke; sie stand auf, wies mit einer verachtenden Bewegung Hippolits dargebotenen Arm von sich und wandte sich dann gegen den General, der nun seinerseits auch über das Unerwartete wie verwundert verstummte.
„Ihr Alter, Herr General! gibt Ihnen das Privilegium, unartig zu sein, daher verzeihe ich Ihnen“, sprach Herminia sehr vernehmlich. „Ob Sie aber Ihr heutiges Betragen sich selbst und denen, welche Sie dazu aufreizten, werden verzeihen können, das mögen Sie bei kälterem Blute selbst entscheiden. Morgen, wenn Sie das Fieber verschlafen haben, in welches die Ermüdung der Reise Sie versetzt hat, werden bei hellerem Bewußtsein Ihnen vielleicht die Gründe klar werden, welche diese Dame und diesen Herrn veranlaßt haben können, Sie zu einer Szene zu verschreiben, deren Herbeiführung freilich den Forschungsgeist und das savoir faire derselben in der skandalösen Chronik der Stadt rühmlichst verewigen muß.“ Mit einem höhnischen Lächeln verbeugte sie sich bei diesen Worten gegen Hippolit und Gabrielen und verließ dann das Zimmer. Hippolit folgte ihr dennoch, um sie sicher bis an den Wagen zu geleiten, während Gabriele beim General blieb, der zornbleich und von der heftigen Gemütsbewegung erschöpft in einen Armsessel gesunken war, aus dem er aber mit dem Ausdruck eines schreckhaften Sichbesinnens bald wieder auffuhr.
„Auguste!“ rief er, „Auguste! Daß ich diese vergessen konnte! Aber wie war es möglich, ein solches Zusammentreffen vorauszusehen? Wir meinten es gut, Frau von Willnangen und ich; ungern mochte ich Adelberten vor Beendigung seines Geschäfts von hier abrufen. Augustens Wiedersehen, so hofften wir, sollte schnell die Fesseln der Buhlerin lösen. Wer konnte die Möglichkeit denken, in der Marquise d'Aubincourt Herminien zu finden?“
„Um Gottes willen, wo ist Auguste?“ rief Gabriele.
„Die Arme“, erwiderte der General, der noch immer seine gewöhnliche Fassung nicht wieder gewonnen hatte; „die Arme! Sie weiß von nichts. Auf mein Bitten begleitete sie mich, Adelberten, wie sie glaubt, zu seinem heutigen Geburtstage durch ihre Gegenwart freudig zu überraschen. Wir vernahmen beim Aussteigen aus dem Wagen, hier sei Konzert, Gott weiß, ich ahnete nichts von der Szene, die nun erfolgt ist. Ich glaubte nicht, die Marquise in dieser Gesellschaft zu finden. Gut nur, daß Auguste sich nicht in Reisekleidern zeigen mochte.“
„Wo ist sie? Wo ist sie?“ fragte Gabriele noch ängstlicher und zog hastig die Klingelschnur, um Annetten herbeizurufen.
„In Adelberts Zimmer“, erwiderte der General, „sie wollte eiligst sich umkleiden.“
Pfeilschnell flog jetzt Gabriele, die Freundin aufzusuchen, der General folgte ihr; unten von der Treppe herauf hörten sie unterwegs Hippolits und Adelberts Stimmen, wie im heftigen Wortwechsel ertönen und auch der Marquise Stimme ward vernehmbar.
Zu jeder andern Zeit würde dies alles Gabrielen sehr beunruhigt haben, jetzt achtete sie kaum darauf und dachte nur an Augusten. Sie fand sie wirklich in Adelberts Zimmer allein, zwar mit allem Geschehenen unbekannt, aber doch zitternd vor einem namenlosen Unglück, das ihr um so furchtbarer erschien, je weniger sie imstande war, ihm eine Gestaltung zu geben.
Adelbert war vor einigen Minuten heftig bewegt und, wie sie meinte, freudig über ihren unvermuteten Besuch in das Zimmer gestürzt. Mit offenen Armen war sie ihm entgegen getreten, er aber hatte mit vorgestreckten Händen sie von sich abgewehrt, hatte furchtbar sie angestarrt und war dann davon geflohen wie ein Verzweifelnder. Auguste war ihm gefolgt, aber er in dem ihr fremden Hause schnell ihr aus dem Gesicht geschwunden. Mit Mühe hatte sie sich in das Zimmer zurückgefunden und dann versucht sich zu erholen, um Gabrielen aufsuchen zu können, als diese mit dem General zu ihr eintrat.
Gabriele kannte das zutrauensvolle Gemüt ihrer Freundin, sie wußte, daß diese liebende, neidlose Brust keinen Funken Eifersucht verbarg und blickte mit um so herzlicherem Mitgefühl auf die Arme, die nur vor einem ihr unbekannten äußeren Unglück zitterte, welches ihren Adelbert betroffen zu haben schien, während sie gar nicht daran dachte, daß sie anders als in ihm beklagenswert sein könne. Gabrielens erste Sorge war, Augusten unter einem Vorwande aus dem Zimmer zu entfernen, in welchem Adelbert selbst jeden Augenblick überraschend eintreten konnte. Dann suchte sie die schwere Aufgabe zu lösen, Augusten so schonend als möglich mit Adelberts und Herminiens zufälligem Zusammentreffen und dessen Folgen bekannt zu machen. Die Natur hatte Augusten mit Lebensmut und mit heiterem, alles ebnendem Sinn, diesen zum Glück des Lebens notwendigsten Gaben, reichlich ausgestattet und so wäre es der sorgenden Freundschaft wohl gelungen, die Bitterkeit des Kelches wenigstens zu mildern, den sie nicht mehr an ihr vorüberführen durfte, doch Moritzens unseliger Unbedacht vereitelte ihr Bemühen.
Unbekannt mit allem früher Vorgefallenen, kehrte er von einem späten Männerdiner zurück und gewahrte mit großer Verwunderung den ungewohnt zeitigen Aufbruch der bei Gabrielen versammelt gewesenen Gesellschaft, deren Wagen sich eben von seinem Hause aus in alle vier Winde verstreuten. Mit noch größerem Erstaunen fand er in der Vorhalle die Marquise, Adelbert und Hippoliten in heftigem Wortwechsel begriffen. Ohne dessen Entstehen zu kennen, bemühte er sich, ihn zu schlichten, und stürzte, da dieses mißlang, ganz verstört in Gabrielens Zimmer, ohne die Anwesenheit des Generals und Augustens zu bemerken.
„ Sono ammazato! Sie sind tot oder vielmehr so gut als tot, alle beide! Sie schlagen sich mit Tagesanbruch auf Pistolen, der Rittmeister und Hippolit“, rief er aus und lief wie ein Verrückter im Zimmer umher. Vergebens bemühten sich der General und Gabriele, ihn zum Schweigen oder zu einer bestimmten Erzählung des Vorganges, den er andeutete, zu bewegen; er fuhr nach seiner unverständigen Weise fort, die bängsten Befürchtungen zu erregen, ohne sich deutlicher erklären zu wollen, bis Auguste, freilich bebend und bleich, sich erhob, und des Generals Arm ergriff.
„Kommen Sie, Vater!“ sprach sie zu ihm, „führen Sie mich!“
„ Bravissimo!“ rief plötzlich sehr freudig Moritz von Aarheim, „das ist ein herrlicher Einfall, mein Wagen steht zum Glück noch angespannt und ich selbst will Sie zur Frau Marquise begleiten. Dort ist er, die gute Dame zog ihn beinahe gewaltsam mit in ihren Wagen, gewiß hält sie ihn bei sich fest, to keep him out of harm's way.“
„Er folgte Herminien?“ rief wie außer sich der General und wütender als je flammte sein Zorn auf. „Ja, ich nehme Ihren Wagen, ich will den Ehrlosen bei der Ehrlosen finden!“
Auguste sank an Gabrielens Busen. „Herminia! Und du verschwiegst es mir?“ sprach sie leise und fiel dann, nicht ohnmächtig, aber wie zerbrochen an allen Gliedern, auf das Sofa zurück.
„ What shall we do, what shall we do?“ wimmerte Moritz in einem fort, nach seiner gewohnten Art in jeder Angst. Der General war indessen zum Zimmer hinausgestürmt, eben rollte der Wagen fort, in welchem er zur Marquise fuhr. Moritz kam glücklicherweise auf den Gedanken, sich ebenfalls aufzumachen, um seinerseits den Grafen Hippolit aufzusuchen, und so erhielt Gabriele endlich eine ruhige Stunde, um mit der innigsten Liebe Augustens Sorge und Schmerz zu beschwichtigen.
Die Zeit verging im trüben Gespräche, es ward Mitternacht, schlaflos horchten die Freundinnen auf jeden durch die immer einsamer werdenden Straßen hinrollenden Wagen, unzähligemal mußte die treue Annette hinaus auf den Balkon, um nachzusehen, ob niemand käme? Vergebens. Draußen blieb alles ruhig, und in ihnen ward es immer trostloser und bänger.
Schonend, um ihn trauernd, ihn vertretend, wie nur der Schutzengel seines Lebens vor dem ewigen Richter es könnte, hatte indessen Gabriele versucht, Adelberts Verirrung zu entschuldigen, und Hoffnungen einer glücklichern Zukunft zu erregen. Sie hatte es mit einem Herzen zu tun, das ohnehin so bereit war zu vergeben, und der Sieg über die Vergangenheit ward ihr in dieser Hinsicht nicht schwer. Desto bänger aber zitterte Auguste den nächsten Morgenstunden entgegen, die sie, Unheil weissagend, den Himmel schon röten sah. Gabriele war hier weniger besorgt und bemühte sich eifrig, der Freundin den Glauben beizubringen, den sie selbst so gern festhielt: daß Herr von Aarheim sich geirrt habe und von gar keinem Streit, der einen blutigen Ausgang drohe, die Rede gewesen sein könne.
Von jeher war sie fern von allen Stadtsagen und aller Anekdotenjägerei geblieben, ihr ganzes Wesen schlug jeden Versuch nieder, sie mit irgend etwas, diesen schmutzigen Quellen Entfließendem bekannt zu machen. Daher war Hippolits früheres Verhältnis zur Marquise ihr ein Geheimnis geblieben und sie begriff wirklich nicht, wie und warum Adelbert mit ihm gerade in diesem Momente so heftig aneinander hätte geraten sollen. Die beleidigenden Worte, mit welchen die Marquise das Zimmer verließ, hatte sie als Ausbrüche ohnmächtiger Wut zu wenig geachtet, um sich die Mühe zu geben, sie verstehen zu wollen. Doch während sie auf diese Weise ihre zitternde Freundin zu beruhigen suchte, erhob plötzlich Annette ihre Stimme aus dem dunkeln Winkel, in welchem sie neben Augustens Ruhebette saß und gab beiden Frauen eine Gewißheit, welche diese so gern entbehrt hätten.
Das treue Mädchen war der Liebling ihrer Herrin geblieben und hatte als solcher so manches kleine Vorrecht; unter andern das, an Konzertabenden in einem Nebenzimmer der Musik lauschen zu dürfen. Auch an diesem Abende hatte sie diese Erlaubnis benutzt. Ängstlich über die ihr so ganz ungewohnte Szene, welche die Freuden desselben unterbrach, wollte sie die große Treppe hinab, der unerwartet schnelle Aufbruch der Gesellschaft hielt sie auf, und so kam sie in der Vorhalle des Hauses an, als eben der Zwist zwischen Hippolit und Adelberten begann.
„Liebe gnädige Frauen!“ sprach Annette, „es schmerzt mich in der Seele, Ihnen Ihren Trost zu benehmen, aber Wahrheit bleibt doch immer das Beste, und so denke ich, muß ich sie Ihnen gestehen, da ich sie weiß. Die beiden gnädigen Herren sind freilich leider in gefährlichen Zwist geraten.“
Gabriele erschrak nicht weniger über dieses Geständnis, als über Augustens Gegenwart dabei und suchte, so viel sie unbemerkt es konnte, Annetten zum Schweigen zu bringen, aber vergebens. Ein unglücklicher Stern schien heute über diesem Hause aufgegangen, der jede Schonung vernichtete, und Auguste drang mit so heftigen, ungeduldigen Fragen in das Mädchen, daß Gabrielen nichts übrig blieb, als sie gewähren zu lassen.
„Die Frau Marquise“, erzählte Annette, „ging eben ganz hochtrabend durch die Halle und der junge Herr Graf hinter ihr drein; sie sah sich aber gar nicht nach ihm um, sondern nur immer mit steifem Nacken geradeaus, als der Herr Rittmeister an mir vorüber die Treppe hinabstürmte. Er war totenbleich und so zerstört, daß ich ohne die Uniform gar nicht gewußt hätte, er sei es. So wollte er neben der Frau Marquise zur Türe hinaus, aber sie hielt ihn am Arme fest, trat dicht vor ihn und sah ihm starr und fest in die Augen. Da ward er immer bleicher und zitterte so und sah aus wie an dem Abende, als er aus der ersten Gesellschaft bei der Frau Gräfin kam. Die Frau Marquise sprach französisch zu ihm und weinte dabei und lehnte den Kopf an seine Schulter vor allen Bedienten! Ich glaubte es nicht, wenn ich es nicht gesehen hätte.“
„Und er? Und er?“ fragte ängstlich leise Auguste.
„Nun der Herr Rittmeister stand da und regte sich nicht“, war die Antwort; „er trat sogar ein kleines bißchen zurück, wie mir dünkt, aber es half ihm nichts. Die böse Dame, Gott verzeih es mir, aber das ist sie, faßte ihn und drehte ihn plötzlich gegen den jungen Herrn Grafen. ›Danken Sie diesem Herrn‹, sprach sie auf einmal auf deutsch, ›daß er zur Besserung des unartigen Knaben den Herrn Onkel kommen ließ und dann gehen Sie hinauf, bitten Sie ab, küssen Sie die Hand, die Sie straft, man wird Ihnen am Ende vergeben und Sie werden auf Ihre Art glücklich sein. Was aus mir wird, aus meiner gemordeten Ehre, gilt dir gleich und so auch mir.‹ Ja wahrhaftig, sie hat ihn geduzt, und dann weinte sie und lehnte sich wieder an ihn. Da trat der junge Herr Graf heran, ›kommen Sie, gnädige Frau‹, sprach er, ›Sie geben hier ein Schauspiel, dessen Sie morgen sich schämen werden‹, und so nahm er ihren Arm und wollte sie an den Wagen führen, aber sie riß sich los. ›Soll ich vor Ihren Augen um Ihretwillen mich mißhandeln lassen?‹ rief sie dem Herrn Rittmeister zu. ›Soll ich den Befehlen dieses Menschen gehorchen, durch dessen Künste ich morgen das Märchen der Stadt sein werde? Und Sie, um den alles dieses geschieht, sehen gelassen zu?‹ Da ward der Herr Rittmeister so feuerrot, als er vorher bleich gewesen war; auch Graf Hippolit ward heftig und unser gnädiger Herr, der eben zur Türe hereintrat, sprach auch darein und wollte sie besänftigen, auf spanisch und italienisch, aber es wollte alles nichts helfen. Der Streit ward immer heftiger und mir wurde so angst dabei, daß ich zuletzt auch nicht mehr vernahm, was sie auf deutsch zueinander sagten, bis der junge Herr Graf endlich gelassener wurde und sich verständlich machen konnte. ›Herr Rittmeister“, sagte er, ›lassen Sie uns eine Szene enden, die schon zu lange gewährt hat und hier doch nicht entschieden werden kann. Morgen bin ich zu jeder Erläuterung bereit.‹ – ›Gut dann, morgen‹, erwiderte der Rittmeister, und trat ganz nahe zu ihm heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf der Herr Graf eine bejahende Verbeugung machte, als wolle er sagen, ›ich bin's zufrieden“, und dann fortging. Die Frau Marquise tat nun ganz ohnmächtig und der Herr Rittmeister mußte sie begleiten, damit sie nicht allein im Wagen wäre. So wurde dann Ruhe, aber gewiß, es war nur zu deutlich zu sehen, die beiden Herren haben so leise nichts Gutes miteinander abgemacht.“
„Komm!“ rief Auguste mit erzwungener Ruhe, „jetzt muß ich zu ihm und wäre er auch bei ihr, ich muß ihn sehen.“ Ihr Auge flammte, ihre Bewegungen waren fieberhaft, und Gabriele kämpfte der Ausführung dieses Gedankens mit aller Macht entgegen. Sie stellte ihr vor, wie mißlich und zweckwidrig bei Männerstreitigkeiten jedes Einmischen der Frauen in der Regel auszufallen pflege, aber sie hätte schwerlich gesiegt, wenn nicht das Rollen eines Wagens in den Hof hinein Augusten wenigstens für den Augenblick zurückgehalten hätte.
Es war der General, der so ganz mit dem Ausdrucke einer guten Botschaft zu den Frauen hineintrat, daß sie alles geschlichtet und jede Besorgnis für überwunden achten mußten. Doch was den Oheim so freudig machte, war nur die Gewißheit, daß weder Bitten noch Drohen, weder Tränen noch Gründe Adelberten hätten bewegen können, die Marquise weiter als bis an die Türe ihrer Wohnung zu begleiten. Die Gräfin Rosenberg, bei welcher der General, spät wie es war, Zutritt suchte und die freundlichste Aufnahme fand, hatte als Augenzeugin ihn dessen versichert, überdem war sein Zorn gegen Adelberten durch diese Dame um vieles gemildert worden. Mit ihrer gewohnten Klugheit hatte sie dem Oheim alle Künste und Lockungen auf das lebhafteste geschildert, mit welchen Herminia den Arglosen fast unwiderstehlich anzog und festhielt. Die seltene Schönheit der verführerischen Frau, des Neffen früheres Verhältnis zu ihr, Augustens Abwesenheit wurden ebenfalls in Anschlag gebracht, und so gelang es ihr, den Oheim halb versöhnt mit dem Liebling seines Herzens wieder heimzusenden.
„Die Tante ist eine Frau, vor welcher ich alle Achtung habe“, sprach er zu Gabrielen, „Welt und Erfahrung haben sie mild und verständig gemacht. Sie kennt das Leben und weiß, daß Adams Söhne aus gröberem Stoffe geformt wurden als ihr, die ihr doch immer den Engeln näher verwandt seid als uns, nämlich, wenn ihr einmal etwas taugt. Die Herminien nehme ich aus, die gehören zu den gefallenen Engeln, vor welchen jeder gute Christ ein Kreuz schlägt. Getrost, liebe Nichte! Jugend ist freilich ein strengerer Richter als das Alter, aber ich hoffe doch, der Sünder Adelbert soll Gnade finden, wenn er heimkehrt. Und somit gute Nacht. Der heutige Tag hat der Plage genug gehabt, laßt uns Kräfte sammeln für den morgenden, ehe er uns hier überrascht.“
„Und Adelbert? Wo ist er?“ fragte Gabriele mitleidsvoll, denn Auguste saß da und vermochte keinen Laut aufzubringen.
„Das weiß ich nicht“, erwiderte der General, „wie ich höre, hat er weder Freunde noch Bekannte, bei denen man ihn vermuten könnte, und nachdem ich die Gräfin verlassen, bin ich nach allen Gasthöfen herumgefahren, ihn zu suchen, ich habe schlaftrunkene Portiers und Hausknechte die Menge ins Verhör genommen, aber niemand wollte von ihm etwas wissen. Und wenn ich ihn auch gefunden hätte, was hätte es geholfen? Liebe Frauen, ich will es zugeben, es mag um die Gesetze unsrer Ehre ein barbarisches Ding sein, aber sie sind fürs erste nicht zu ändern. Übrigens hat er es, wie ich höre, mit einem braven edlen Gegner zu tun, laßt das euern Trost sein, wie es der meinige ist. An das Leben geht es nicht gleich, und ein kleines Andenken an diese Geschichte kann ihm für die Zukunft ganz gesund sein, wenn es nicht zu arg kommt.“
Die weichen liebenden Herzen der Frauen konnten dieser Ansicht nicht beipflichten, sie schlugen ängstlich und ahnungsvoll in immerwachsender Besorgnis, als auch Moritz bei jetzt ganz hellem Tag heimkehrte.
Der Arme bebte im Fieberfrost und mußte sogleich zu Bette gebracht werden. Seine Nachforschungen waren nicht glücklicher gewesen als die des Generals. Vergebens hatte er Hippoliten in dessen Wohnung aufgesucht, vergebens war er von Haus zu Haus gefahren, wo er nur eine Spur von ihm zu finden hoffen konnte. Endlich war er bis an die Sternwarte gekommen, wo eben der Professor der Astronomie, den er kannte, hinaufstieg, um eine beim Aufgang der Sonne sich ereignende Finsternis zu beobachten. Sowie die Vorliebe für die Astronomie von Moritz gewichen war, hatte er auch solchen Beobachtungen entsagt, aber es kam ihm der große Gedanke: sowie der Tag anbräche, mit Hülfe eines Teleskops alle Tore der Stadt zu bewachen, um zu entdecken, nach welcher Seite Hippolit und Adelbert sich wenden würden, ihr feindseliges Vorhaben auszuführen; denn er vermutete mit großer Wahrscheinlichkeit, daß sie weder in der Stadt noch bei Nacht ihren Zwist ausfechten könnten. Mit heldenmütiger Standhaftigkeit begann er auf dem Balkon des Observatoriums seine Beobachtungen der Wege, sowie der Tag graute, aber der kalte Morgentau und die oben herrschende Zugluft ergriffen ihn nach der durchwachten Nacht und der vorhergegangenen Ermüdung so an, daß er bald seinen Plan aufgeben und mit einem bedeutenden Erkältungsfieber sich nach Hause bringen lassen mußte.
Gabriele stritt lange und heftig für Adelberten gegen die Beschuldigungen der Gräfin, ehe sie sich entschließen konnte, solche als Wahrheit anzuerkennen, und selbst dann bemühte sie sich noch, sein Vergehen in gemildertem Lichte zu sehen. Weder sie, noch ihre Tante hatten die leiseste Ahnung davon, daß er in der Marquise d'Aubincourt Herminien wiedergefunden habe; um so auffallender mußte ihnen diese plötzlich entstandene Leidenschaft erscheinen, aber auch um so leichter die Möglichkeit, solche zu besiegen. Adelberts schleunige Entfernung von der gefährlichen Zauberin, welche ihn umstrickt hielt, schien beiden Frauen nach langem Beraten das einzige Mittel, ihn wieder zu sich selbst, zu Augusten zurückzuführen und der innigste Wunsch dieser womöglich die über dem Glück ihres Lebens schwebende Gefahr gänzlich zu verbergen, bestimmte Gabrielen, sich an Frau von Willnangen zu wenden, um durch diese Adelberts schleunige Zurückberufung zu bewirken. Denn so sehr sie auch den freundlichen Greis, Adelberts Oheim, liebte und ehrte, so wußte sie dennoch nicht, inwieweit man in einer für Augustens Zukunft so wichtigen Sache auf dessen Leitung sich verlassen könne, und durfte demnach es nicht wagen, das Muttergefühl der geliebten Freundin zu schonen.
Mildernd, begütigend, aber doch eindringend und ernst machte Gabriele sie mit Adelberts trauriger Verirrung so schonend als möglich bekannt. Die Marquise zeigte sie ihr, so wie sie ihr selbst erschien, als ein für den ersten Augenblick höchst einnehmendes blendendes Geschöpf, reich an allem, was reizt, gefällt und verführt, aber eigentlich doch arm an innerem Werte, mit keiner einzigen der Eigenschaften begabt, die einst Augusten das Herz ihres Gatten gewannen.
„Auguste wird ihn wieder gewinnen“, setzte Gabriele dieser Beschreibung hinzu. „Sie muß ihn wieder gewinnen, um auf ewig ihn zu halten, sobald es uns nur gelingt, ihn dem magischen Kreise dieser neuen Armida zu entrücken, deren Nähe ihn allen seinen Freunden und sich selbst zum Unkenntlichen verwandelt.“ Um nicht zu ängstlich bei diesem Hauptzweck ihres Briefes allein zu verweilen, versuchte es weiterhin Gabriele, der Frau von Willnangen ein heiteres lebendiges Bild ihres jetzigen Lebens und des glänzenden Horizonts zu geben, an welchem sie selbst ein Stern erster Größe war. „Sie sehen“, schrieb sie ferner, „aus Ihrer sonst so furchtsamen Gabriele ist nach und nach ein ziemliches Weltkind geworden; doch fürchten Sie nicht zu viel für meinen häuslichen Sinn. Ach liebe liebe Mutter! Ich sehne mich oft so, daß mir die Tränen in die Augen treten, nach einer einzigen Stunde, wie ich deren so unzählig viele bei Ihnen, mit Ihnen, mit Augusten, mit Ernesto verlebt habe. Wissen Sie noch den Abend, wo wir sangen: Dolce dell' anima, speme del mio cor? Wie laut, wie töricht flatterte damals dieses Herz, das jetzt so leise sich regt! Alles ist anders wie in jenen Tagen und doch im Grunde dasselbe. Was je mir teuer war, ist noch das Leben meines Lebens; jede Freude, jedes Gelingen, jeden guten Vorsatz knüpfe ich an ein liebes Bild; aber dies Bild glänzt weit, weit von mir in meinem Jugendlande. Ich träume davon, wie schlafende Kinder mit Engelbildern spielen, aus einer fernen, goldenen, himmlischen Heimat, und wenn ich erwache, lächelt der Abglanz des Morgenrotes meines Lebens noch immer freundlich in meinen Werkeltag hinein.
Wirklich, ich komme mit meinen vierundzwanzig Jahren mir oft recht alt, recht matronenhaft vor, und ich glaube, ich erscheine auch andern so; meinem Zöglinge wenigstens gewiß, denn ich muß es nur bekennen, ich gebe mich jetzt mit der Erziehung ab und zwar bei einem recht verwahrlosten Kinde, das ich dem Untergange entreißen will. Freilich ist es schon einundzwanzig Jahre alt, aber erschrecken Sie nicht darüber, mein Zögling gebärdet sich gewöhnlich, als zähle er deren kaum sieben; er ist unbändig, ungehorsam und wieder lenksam, folgsam und gut wie es kommt. Er verbindet alle Arten und Unarten eines Kindes mit jeder glänzenden Eigenschaft der reifern Jugend. Denken Sie ihn hoch, schlank, schön wie Achill; schmiegsam, biegsam, fast kindliche Grazie in jeder Bewegung, mit dunkeln Locken und schwarzen blitzenden Augen, wie Mignon. So wunderlich wie in seinem Äußern eint sich der Widerspruch auch in seinem Innern. Er ist stolz, auch wohl hochmütig verachtend, eitel, argwöhnisch, süffisant-ausgelassen und oft recht von Herzen betrübt. Alles das teils durch das Leben, welches er bis jetzt lebte, teils durch die Leute, mit denen er in Verbindung geriet, mehr aber noch, wie er mir nicht vertraute, aber erraten ließ, durch früh erlittenen Verrat, Mißhandlung und Betrug von seiten derer, welchen es Pflicht war, ihn zu lieben. Von Natur ist er mild, bescheiden, heiter, vertrauend, jeder Aufopferung fähig, aber diese edleren Eigenschaften treten nur zuweilen hervor und werden oft verdüstert. Er ist sehr unterrichtet, sogar gelehrt, wie es mich dünkt. Er weiß von Kunst zu reden, bläst die Flöte, zeichnet, skizzenhaft, aber geistreich. Doch alles dies ist ihm nur ein Erlerntes, er weiß es nicht zu brauchen, er weiß nur damit zu glänzen. Er geht umher wie ein Nachtwandler in eines Königs Palast, man muß ihn bei Namen rufen, damit er die Herrlichkeit gewahr werde, die ihn umgibt, aber man muß ihn dabei auch recht sorglich festhalten, um ihn vor dem Falle zu schützen und auf die rechte Bahn zu bringen.
Dies zu versuchen, habe ich mir nun vorgenommen. Ich fand ihn am Scheidewege, oder vielmehr, daß ich es nur gestehe, ich fand ihn schon eine ziemliche Strecke über die Grenze hinaus verlockt. Ein wunderliches Begegnen brachte ihn mir nahe; zuerst war er ungezogen, ich schalt, wie billig, er schämte sich etwas ungeschickt, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben bei solchem Anlasse, und mitten durch alles dieses blickte so viel Gutes, ja selbst Edles hervor, daß er mein innigstes Bedauern erregte und ich den Wunsch fühlen mußte, ihm wieder zurecht zu helfen. Die Frauen mögen an seinem Verderben nicht wenig schuld sein. Nun es sei gewagt. Vielleicht gelingt es mir, wieder zu erbauen, was andere meines Geschlechts zerstörten. Hippolit scheint Vertrauen zu mir gefaßt zu haben, und das ist schon viel.
Möge es Ihnen ein Beweis seiner Herzensgüte sein, daß er zu meinem eignen Erstaunen das Wohlwollen meines Gemahls sich in so hohem Grade zu erwerben gewußt hat, daß dieser ihn immer um sich haben möchte und Hippolit deshalb beinah wie einer unserer Hausgenossen anzusehen ist; nur daß er nicht bei uns wohnt. Manche kleine körperliche Schwäche des Alters beginnt, früh wie mich dünkt, Herrn von Aarheims Dasein zu trüben, ohne daß ich deshalb ernstlich um ihn besorgt zu sein Ursache hätte. Er wäre gewiß weit öfterer leidend und grämlich als er es ist, doch Hippolit macht ihn vieles vergessen, denn er umspielt ihn in Jugendlust und heiterer Lebensfülle. Der allmählich zum Greise heranalternde Mann scheint oft zu wähnen, er habe in ihm einen lieben Sohn wiedergefunden, der seine grauen Locken ehrt und seine kleinen Schwachheiten schonend erträgt. Wie sehr ich dabei an häuslicher Ruhe und Lebensfreiheit gewinne, werden Sie, die Sie uns so genau kennen, leicht ermessen und sich nicht darüber wundern, daß Hippolit, in diesem freundlichen Verhältnis zu uns, mir selbst ein Verwandter zu sein dünkt, der Anspruch hat an mich, daß ich für ihn tue, was ich kann.“
Einige Wochen waren nach Absendung dieses Briefes vergangen und Gabriele sah längst der Antwort entgegen, als eines Abends sich ein kleiner gewählter Kreis zum musikalischen Verein in ihrem Zimmer versammelt hatte.
Umflossen von Licht, Glanz und Schönheit saß die Marquise auf dem Divan unter einer strahlenden Girandole von Kristall. Vor ihr stand die reich geschmückte große Pariser Harfe, hinter ihr über sie hingebeugt Hippolit, dessen Flöte die Töne begleitete, welche sie mit Meisterhand dem goldenen Saitengewebe entlockte. Die ganze Gesellschaft im Saal war in der Andacht des Zuhörens und des Anschauens versunken. Nur Adelbert saß einsam und abgewendet in der fernsten Ecke desselben. Mit den soeben verklungenen einfachen Tönen eines alten oft gehörten Liedes hatte Gabriele eine Welt von Schmerz und Sehnsucht in seinem Busen aufgeregt. Die Melodie des Liedes war eine von jenen, welche wie Töne aus der Heimat in uns wiederklingen und den Worten so fest sich anschließen, daß es unmöglich wird jene ohne diese oder diese ohne jene zu denken. Hier ist das Lied:
Noch einmal muß ich vor Dir stehn,
Noch einmal in Dein Auge sehn
So lieb und klar;
Die Hand, so fest und wahr,
Noch einmal fassen inniglich
Die liebe Hand und Dich – und Dich!
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Ich muß Dir sagen noch einmal
All meine Freud, all meine Qual;
Du kennst sie beid,
Mein Glück und auch mein Leid,
Doch ich muß sagen Dir aufs neu
All meiner Seele Lieb und Treu!
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Muß hören noch ein einzig Mal
Den süßen vollen Glockenschall
Von Deiner Stimm,
Denn – ging's mir noch so schlimm –,
Wenn sie von Deinen Lippen weht,
Wird meine Klage still Gebet.
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Will rufen all mein schmerzlich Glück
Mir noch ein einzig Mal zurück;
Will lauschen sacht:
Wie Du an mich gedacht?
Noch einmal muß auf Erden mein,
Nur einmal noch der Himmel sein.
Drum wenn ich nur erst bei Dir wär,
Dann wär schon alles recht,
Und wenn ich nur erst bei Dir wär,
Wie's Gott dann schicken möcht!
Diesen Worten, diesen Tönen hatte Adelbert unzähligemal im innigsten Gefühl seines Glücks an Augustens Seite zugehorcht, wenn Gabriele, wie eben jetzt, mit ihrer süßen rührenden Stimme sie sang; und nun erfüllten sie das Gemüt des einsam Verirrten mit einer unendlichen Sehnsucht nach dem häuslichen glücklichen Herd. Dabei ward ihm, als trennten weite Meere, unüberwindliche Klüfte ihn von den Seinen, als werde er nimmer und nimmer sie wiedersehen. Allmählich versank er so in immer trostlosere Wehmut und beachtete weder das Spiel der Marquise noch alles, was ihn umgab. Ein leises Öffnen der Türe bewog ihn endlich mechanisch die Augen zu erheben und zu seinem unsäglichen Schrecken erblickte er dicht vor sich die ehrwürdige Gestalt seines, viele Meilen weit entfernt geglaubten Oheims, des General Lichtenfels. Blitzschnell fuhr Adelbert bei dem unerwarteten Anblick in die Höhe, er wollte ihn begrüßen, aber die Stimme versagte ihm den Dienst; bleich, wie entgeistert, blieb er auf seinem Platze regungslos stehen, den stieren Blick auf den eben Eingetretenen geheftet, der ihn indessen ebensowenig bemerkte, als er selbst von der, ganz der Musik zugewendeten Gesellschaft bemerkt ward.
Leise auftretend, durchschritt der General das Zimmer der Länge nach, bis er dicht vor der Marquise still stand, nur durch die Harfe von ihr geschieden. Mit immer zorniger werdendem Ernste betrachtete er sie, jede Sekunde überzeugte ihn immer fester, sie sei wirklich die, für welche er sie im ersten Augenblicke erkannt hatte, bis endlich eine Pause in der Musik entstand. Die Marquise, welche bis dahin ihr Harfenspiel ganz unbefangen fortgesetzt hatte, wendete sich jetzt gegen ihre Zuhörer, um in den Augen derselben die dankbarste Bewunderung zu lesen, und ihr erster Blick fiel auf die hohe, drohende Gestalt, die, ganz nahe vor ihr, über die Harfe weg, sie anstarrte. Gelähmt vom Schrecken bei der unerwarteten Erscheinung, die auch sie nur zu wohl wiedererkannte, fühlte sie dennoch die dringende Notwendigkeit, hier ruhig und besonnen zu bleiben. Sogar ein Gedanke der Möglichkeit, unerkannt durchzuschlüpfen, fuhr ihr durch den Kopf, wenn sie Fassung genug behielt, ferner für eine Französin zu gelten, deren große Ähnlichkeit mit der ehemaligen Braut seines Neffen den General verwirre. Aber ein Seitenblick auf Adelbert, der wie vernichtet dastand, brach ihr den Mut, und als nun vollends der General die wohlbekannte Stimme donnernd erhob, sank sie erbleichend auf den Divan zurück und vermochte es kaum noch, auf ihrem Sitz sich aufrecht zu erhalten.
Erzürnt, tief empört, vom Augenblick hingerissen, vergaß der General alle ihm sonst eigene Milde und Schonung und begann eine laute lange Strafpredigt. Der ganze Zusammenhang von Adelberts Verirrung war ihm klar geworden wie der Tag, sowie er in der Marquise Herminien wieder fand, und er überströmte die ihm jetzt zwiefach strafbar Erscheinende mit Fragen, mit Vorwürfen, mit Anklagen, welche den dabei Gegenwärtigen ihre früheren und jetzigen Verhältnisse in dem allerungünstigsten Lichte offenbaren mußten. Die duldende Verlegenheit der Marquise galt bei allen für das vollkommenste Eingestehen jeder Beschuldigung, besonders da sie in der Angst der früheren Verstellung vergaß, und plötzlich in sehr reinem geläufigen Deutsch ihren Widersacher zu besänftigen und manche Anklage von sich abzuwenden suchte. Die Szene ward immer verwirrender und Gabriele, die, wenn sie gleich auf diese Art es nicht gewollt hatte, sich doch bewußt war, sie veranlaßt zu haben, geriet in immer drückendere Verlegenheit. Denn jetzt erhob sich auch die Gräfin, um die Angeklagte vollends zu zerschmettern.
Mit richtendem Ernst, stolz und hoch wie eine Königin, betrachtete sie sie einige Sekunden, dann wandte sie sich an Gabrielen mit der laut ausgesprochenen Bitte, ihr zu verzeihen, daß sie, auf beispiellose Art getäuscht, sich durch ihre gewohnte arglose Gefälligkeit habe verleiten lassen, eine Dame bei ihr einzuführen, mit deren Verhältnissen sie, wie sie jetzt gewahr werde, dazu nicht bekannt genug gewesen sei. Mit einer verbeugenden Bewegung, welche die nämliche Bitte auch den übrigen Anwesenden wiederholte, verließ sie alsdann das Zimmer, nur begrüßte sie noch vorher die Marquise mit einem nachlässig vornehmen: „ Madame! J'ai l'honneur de Vous saluer“, und umarmte nochmals ihre verlegen dastehende Nichte.
Auch Adelbert hatte sich früher, ohne bemerkt zu werden, entfernt.
Jedes Bestreben, dem General Einhalt zu tun, war vergeblich. Mitleidig versuchte es endlich Gabriele, der Marquise wenigstens den Weg zur Flucht zu bahnen, aber dieser war nicht zu helfen, sie saß regungslos auf dem Divan, von der einen Seite durch die große Harfe eingeengt, von der andern durch den General, der sich selbst immer zorniger sprach und seinen Anschuldigungen immer schonungslosere Worte gab. Hippolit hatte sich indessen lange fruchtlos bemüht, die bei diesem widerwärtigen Vorgange nicht persönlich interessierten Zuschauer zum Weggehen zu bewegen, alle bildeten aber einen neugierigen Kreis und niemand hatte die mindeste Lust, zu wanken oder zu weichen. Doch jetzt, da die Gräfin das Beispiel gab, konnte man sich nicht mehr anständig weigern, ihr zu folgen. Die Gesellschaft brach also mit ihr auf, und Hippolit ergriff nun das einzige Mittel, das ihm übrigblieb, um diese unangenehme Szene gänzlich zu beenden. Er nahte sich der Marquise, schob die schwere Harfe beiseite, und unerachtet der General, den er nicht kannte, noch immerfort sprach, bot er ihr den Arm, um sie an ihren Wagen zu geleiten. Doch es schien, als ob das Regen der Gesellschaft um sie her, sie plötzlich aus ihrer Bewußtlosigkeit erwecke; sie stand auf, wies mit einer verachtenden Bewegung Hippolits dargebotenen Arm von sich und wandte sich dann gegen den General, der nun seinerseits auch über das Unerwartete wie verwundert verstummte.
„Ihr Alter, Herr General! gibt Ihnen das Privilegium, unartig zu sein, daher verzeihe ich Ihnen“, sprach Herminia sehr vernehmlich. „Ob Sie aber Ihr heutiges Betragen sich selbst und denen, welche Sie dazu aufreizten, werden verzeihen können, das mögen Sie bei kälterem Blute selbst entscheiden. Morgen, wenn Sie das Fieber verschlafen haben, in welches die Ermüdung der Reise Sie versetzt hat, werden bei hellerem Bewußtsein Ihnen vielleicht die Gründe klar werden, welche diese Dame und diesen Herrn veranlaßt haben können, Sie zu einer Szene zu verschreiben, deren Herbeiführung freilich den Forschungsgeist und das savoir faire derselben in der skandalösen Chronik der Stadt rühmlichst verewigen muß.“ Mit einem höhnischen Lächeln verbeugte sie sich bei diesen Worten gegen Hippolit und Gabrielen und verließ dann das Zimmer. Hippolit folgte ihr dennoch, um sie sicher bis an den Wagen zu geleiten, während Gabriele beim General blieb, der zornbleich und von der heftigen Gemütsbewegung erschöpft in einen Armsessel gesunken war, aus dem er aber mit dem Ausdruck eines schreckhaften Sichbesinnens bald wieder auffuhr.
„Auguste!“ rief er, „Auguste! Daß ich diese vergessen konnte! Aber wie war es möglich, ein solches Zusammentreffen vorauszusehen? Wir meinten es gut, Frau von Willnangen und ich; ungern mochte ich Adelberten vor Beendigung seines Geschäfts von hier abrufen. Augustens Wiedersehen, so hofften wir, sollte schnell die Fesseln der Buhlerin lösen. Wer konnte die Möglichkeit denken, in der Marquise d'Aubincourt Herminien zu finden?“
„Um Gottes willen, wo ist Auguste?“ rief Gabriele.
„Die Arme“, erwiderte der General, der noch immer seine gewöhnliche Fassung nicht wieder gewonnen hatte; „die Arme! Sie weiß von nichts. Auf mein Bitten begleitete sie mich, Adelberten, wie sie glaubt, zu seinem heutigen Geburtstage durch ihre Gegenwart freudig zu überraschen. Wir vernahmen beim Aussteigen aus dem Wagen, hier sei Konzert, Gott weiß, ich ahnete nichts von der Szene, die nun erfolgt ist. Ich glaubte nicht, die Marquise in dieser Gesellschaft zu finden. Gut nur, daß Auguste sich nicht in Reisekleidern zeigen mochte.“
„Wo ist sie? Wo ist sie?“ fragte Gabriele noch ängstlicher und zog hastig die Klingelschnur, um Annetten herbeizurufen.
„In Adelberts Zimmer“, erwiderte der General, „sie wollte eiligst sich umkleiden.“
Pfeilschnell flog jetzt Gabriele, die Freundin aufzusuchen, der General folgte ihr; unten von der Treppe herauf hörten sie unterwegs Hippolits und Adelberts Stimmen, wie im heftigen Wortwechsel ertönen und auch der Marquise Stimme ward vernehmbar.
Zu jeder andern Zeit würde dies alles Gabrielen sehr beunruhigt haben, jetzt achtete sie kaum darauf und dachte nur an Augusten. Sie fand sie wirklich in Adelberts Zimmer allein, zwar mit allem Geschehenen unbekannt, aber doch zitternd vor einem namenlosen Unglück, das ihr um so furchtbarer erschien, je weniger sie imstande war, ihm eine Gestaltung zu geben.
Adelbert war vor einigen Minuten heftig bewegt und, wie sie meinte, freudig über ihren unvermuteten Besuch in das Zimmer gestürzt. Mit offenen Armen war sie ihm entgegen getreten, er aber hatte mit vorgestreckten Händen sie von sich abgewehrt, hatte furchtbar sie angestarrt und war dann davon geflohen wie ein Verzweifelnder. Auguste war ihm gefolgt, aber er in dem ihr fremden Hause schnell ihr aus dem Gesicht geschwunden. Mit Mühe hatte sie sich in das Zimmer zurückgefunden und dann versucht sich zu erholen, um Gabrielen aufsuchen zu können, als diese mit dem General zu ihr eintrat.
Gabriele kannte das zutrauensvolle Gemüt ihrer Freundin, sie wußte, daß diese liebende, neidlose Brust keinen Funken Eifersucht verbarg und blickte mit um so herzlicherem Mitgefühl auf die Arme, die nur vor einem ihr unbekannten äußeren Unglück zitterte, welches ihren Adelbert betroffen zu haben schien, während sie gar nicht daran dachte, daß sie anders als in ihm beklagenswert sein könne. Gabrielens erste Sorge war, Augusten unter einem Vorwande aus dem Zimmer zu entfernen, in welchem Adelbert selbst jeden Augenblick überraschend eintreten konnte. Dann suchte sie die schwere Aufgabe zu lösen, Augusten so schonend als möglich mit Adelberts und Herminiens zufälligem Zusammentreffen und dessen Folgen bekannt zu machen. Die Natur hatte Augusten mit Lebensmut und mit heiterem, alles ebnendem Sinn, diesen zum Glück des Lebens notwendigsten Gaben, reichlich ausgestattet und so wäre es der sorgenden Freundschaft wohl gelungen, die Bitterkeit des Kelches wenigstens zu mildern, den sie nicht mehr an ihr vorüberführen durfte, doch Moritzens unseliger Unbedacht vereitelte ihr Bemühen.
Unbekannt mit allem früher Vorgefallenen, kehrte er von einem späten Männerdiner zurück und gewahrte mit großer Verwunderung den ungewohnt zeitigen Aufbruch der bei Gabrielen versammelt gewesenen Gesellschaft, deren Wagen sich eben von seinem Hause aus in alle vier Winde verstreuten. Mit noch größerem Erstaunen fand er in der Vorhalle die Marquise, Adelbert und Hippoliten in heftigem Wortwechsel begriffen. Ohne dessen Entstehen zu kennen, bemühte er sich, ihn zu schlichten, und stürzte, da dieses mißlang, ganz verstört in Gabrielens Zimmer, ohne die Anwesenheit des Generals und Augustens zu bemerken.
„ Sono ammazato! Sie sind tot oder vielmehr so gut als tot, alle beide! Sie schlagen sich mit Tagesanbruch auf Pistolen, der Rittmeister und Hippolit“, rief er aus und lief wie ein Verrückter im Zimmer umher. Vergebens bemühten sich der General und Gabriele, ihn zum Schweigen oder zu einer bestimmten Erzählung des Vorganges, den er andeutete, zu bewegen; er fuhr nach seiner unverständigen Weise fort, die bängsten Befürchtungen zu erregen, ohne sich deutlicher erklären zu wollen, bis Auguste, freilich bebend und bleich, sich erhob, und des Generals Arm ergriff.
„Kommen Sie, Vater!“ sprach sie zu ihm, „führen Sie mich!“
„ Bravissimo!“ rief plötzlich sehr freudig Moritz von Aarheim, „das ist ein herrlicher Einfall, mein Wagen steht zum Glück noch angespannt und ich selbst will Sie zur Frau Marquise begleiten. Dort ist er, die gute Dame zog ihn beinahe gewaltsam mit in ihren Wagen, gewiß hält sie ihn bei sich fest, to keep him out of harm's way.“
„Er folgte Herminien?“ rief wie außer sich der General und wütender als je flammte sein Zorn auf. „Ja, ich nehme Ihren Wagen, ich will den Ehrlosen bei der Ehrlosen finden!“
Auguste sank an Gabrielens Busen. „Herminia! Und du verschwiegst es mir?“ sprach sie leise und fiel dann, nicht ohnmächtig, aber wie zerbrochen an allen Gliedern, auf das Sofa zurück.
„ What shall we do, what shall we do?“ wimmerte Moritz in einem fort, nach seiner gewohnten Art in jeder Angst. Der General war indessen zum Zimmer hinausgestürmt, eben rollte der Wagen fort, in welchem er zur Marquise fuhr. Moritz kam glücklicherweise auf den Gedanken, sich ebenfalls aufzumachen, um seinerseits den Grafen Hippolit aufzusuchen, und so erhielt Gabriele endlich eine ruhige Stunde, um mit der innigsten Liebe Augustens Sorge und Schmerz zu beschwichtigen.
Die Zeit verging im trüben Gespräche, es ward Mitternacht, schlaflos horchten die Freundinnen auf jeden durch die immer einsamer werdenden Straßen hinrollenden Wagen, unzähligemal mußte die treue Annette hinaus auf den Balkon, um nachzusehen, ob niemand käme? Vergebens. Draußen blieb alles ruhig, und in ihnen ward es immer trostloser und bänger.
Schonend, um ihn trauernd, ihn vertretend, wie nur der Schutzengel seines Lebens vor dem ewigen Richter es könnte, hatte indessen Gabriele versucht, Adelberts Verirrung zu entschuldigen, und Hoffnungen einer glücklichern Zukunft zu erregen. Sie hatte es mit einem Herzen zu tun, das ohnehin so bereit war zu vergeben, und der Sieg über die Vergangenheit ward ihr in dieser Hinsicht nicht schwer. Desto bänger aber zitterte Auguste den nächsten Morgenstunden entgegen, die sie, Unheil weissagend, den Himmel schon röten sah. Gabriele war hier weniger besorgt und bemühte sich eifrig, der Freundin den Glauben beizubringen, den sie selbst so gern festhielt: daß Herr von Aarheim sich geirrt habe und von gar keinem Streit, der einen blutigen Ausgang drohe, die Rede gewesen sein könne.
Von jeher war sie fern von allen Stadtsagen und aller Anekdotenjägerei geblieben, ihr ganzes Wesen schlug jeden Versuch nieder, sie mit irgend etwas, diesen schmutzigen Quellen Entfließendem bekannt zu machen. Daher war Hippolits früheres Verhältnis zur Marquise ihr ein Geheimnis geblieben und sie begriff wirklich nicht, wie und warum Adelbert mit ihm gerade in diesem Momente so heftig aneinander hätte geraten sollen. Die beleidigenden Worte, mit welchen die Marquise das Zimmer verließ, hatte sie als Ausbrüche ohnmächtiger Wut zu wenig geachtet, um sich die Mühe zu geben, sie verstehen zu wollen. Doch während sie auf diese Weise ihre zitternde Freundin zu beruhigen suchte, erhob plötzlich Annette ihre Stimme aus dem dunkeln Winkel, in welchem sie neben Augustens Ruhebette saß und gab beiden Frauen eine Gewißheit, welche diese so gern entbehrt hätten.
Das treue Mädchen war der Liebling ihrer Herrin geblieben und hatte als solcher so manches kleine Vorrecht; unter andern das, an Konzertabenden in einem Nebenzimmer der Musik lauschen zu dürfen. Auch an diesem Abende hatte sie diese Erlaubnis benutzt. Ängstlich über die ihr so ganz ungewohnte Szene, welche die Freuden desselben unterbrach, wollte sie die große Treppe hinab, der unerwartet schnelle Aufbruch der Gesellschaft hielt sie auf, und so kam sie in der Vorhalle des Hauses an, als eben der Zwist zwischen Hippolit und Adelberten begann.
„Liebe gnädige Frauen!“ sprach Annette, „es schmerzt mich in der Seele, Ihnen Ihren Trost zu benehmen, aber Wahrheit bleibt doch immer das Beste, und so denke ich, muß ich sie Ihnen gestehen, da ich sie weiß. Die beiden gnädigen Herren sind freilich leider in gefährlichen Zwist geraten.“
Gabriele erschrak nicht weniger über dieses Geständnis, als über Augustens Gegenwart dabei und suchte, so viel sie unbemerkt es konnte, Annetten zum Schweigen zu bringen, aber vergebens. Ein unglücklicher Stern schien heute über diesem Hause aufgegangen, der jede Schonung vernichtete, und Auguste drang mit so heftigen, ungeduldigen Fragen in das Mädchen, daß Gabrielen nichts übrig blieb, als sie gewähren zu lassen.
„Die Frau Marquise“, erzählte Annette, „ging eben ganz hochtrabend durch die Halle und der junge Herr Graf hinter ihr drein; sie sah sich aber gar nicht nach ihm um, sondern nur immer mit steifem Nacken geradeaus, als der Herr Rittmeister an mir vorüber die Treppe hinabstürmte. Er war totenbleich und so zerstört, daß ich ohne die Uniform gar nicht gewußt hätte, er sei es. So wollte er neben der Frau Marquise zur Türe hinaus, aber sie hielt ihn am Arme fest, trat dicht vor ihn und sah ihm starr und fest in die Augen. Da ward er immer bleicher und zitterte so und sah aus wie an dem Abende, als er aus der ersten Gesellschaft bei der Frau Gräfin kam. Die Frau Marquise sprach französisch zu ihm und weinte dabei und lehnte den Kopf an seine Schulter vor allen Bedienten! Ich glaubte es nicht, wenn ich es nicht gesehen hätte.“
„Und er? Und er?“ fragte ängstlich leise Auguste.
„Nun der Herr Rittmeister stand da und regte sich nicht“, war die Antwort; „er trat sogar ein kleines bißchen zurück, wie mir dünkt, aber es half ihm nichts. Die böse Dame, Gott verzeih es mir, aber das ist sie, faßte ihn und drehte ihn plötzlich gegen den jungen Herrn Grafen. ›Danken Sie diesem Herrn‹, sprach sie auf einmal auf deutsch, ›daß er zur Besserung des unartigen Knaben den Herrn Onkel kommen ließ und dann gehen Sie hinauf, bitten Sie ab, küssen Sie die Hand, die Sie straft, man wird Ihnen am Ende vergeben und Sie werden auf Ihre Art glücklich sein. Was aus mir wird, aus meiner gemordeten Ehre, gilt dir gleich und so auch mir.‹ Ja wahrhaftig, sie hat ihn geduzt, und dann weinte sie und lehnte sich wieder an ihn. Da trat der junge Herr Graf heran, ›kommen Sie, gnädige Frau‹, sprach er, ›Sie geben hier ein Schauspiel, dessen Sie morgen sich schämen werden‹, und so nahm er ihren Arm und wollte sie an den Wagen führen, aber sie riß sich los. ›Soll ich vor Ihren Augen um Ihretwillen mich mißhandeln lassen?‹ rief sie dem Herrn Rittmeister zu. ›Soll ich den Befehlen dieses Menschen gehorchen, durch dessen Künste ich morgen das Märchen der Stadt sein werde? Und Sie, um den alles dieses geschieht, sehen gelassen zu?‹ Da ward der Herr Rittmeister so feuerrot, als er vorher bleich gewesen war; auch Graf Hippolit ward heftig und unser gnädiger Herr, der eben zur Türe hereintrat, sprach auch darein und wollte sie besänftigen, auf spanisch und italienisch, aber es wollte alles nichts helfen. Der Streit ward immer heftiger und mir wurde so angst dabei, daß ich zuletzt auch nicht mehr vernahm, was sie auf deutsch zueinander sagten, bis der junge Herr Graf endlich gelassener wurde und sich verständlich machen konnte. ›Herr Rittmeister“, sagte er, ›lassen Sie uns eine Szene enden, die schon zu lange gewährt hat und hier doch nicht entschieden werden kann. Morgen bin ich zu jeder Erläuterung bereit.‹ – ›Gut dann, morgen‹, erwiderte der Rittmeister, und trat ganz nahe zu ihm heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf der Herr Graf eine bejahende Verbeugung machte, als wolle er sagen, ›ich bin's zufrieden“, und dann fortging. Die Frau Marquise tat nun ganz ohnmächtig und der Herr Rittmeister mußte sie begleiten, damit sie nicht allein im Wagen wäre. So wurde dann Ruhe, aber gewiß, es war nur zu deutlich zu sehen, die beiden Herren haben so leise nichts Gutes miteinander abgemacht.“
„Komm!“ rief Auguste mit erzwungener Ruhe, „jetzt muß ich zu ihm und wäre er auch bei ihr, ich muß ihn sehen.“ Ihr Auge flammte, ihre Bewegungen waren fieberhaft, und Gabriele kämpfte der Ausführung dieses Gedankens mit aller Macht entgegen. Sie stellte ihr vor, wie mißlich und zweckwidrig bei Männerstreitigkeiten jedes Einmischen der Frauen in der Regel auszufallen pflege, aber sie hätte schwerlich gesiegt, wenn nicht das Rollen eines Wagens in den Hof hinein Augusten wenigstens für den Augenblick zurückgehalten hätte.
Es war der General, der so ganz mit dem Ausdrucke einer guten Botschaft zu den Frauen hineintrat, daß sie alles geschlichtet und jede Besorgnis für überwunden achten mußten. Doch was den Oheim so freudig machte, war nur die Gewißheit, daß weder Bitten noch Drohen, weder Tränen noch Gründe Adelberten hätten bewegen können, die Marquise weiter als bis an die Türe ihrer Wohnung zu begleiten. Die Gräfin Rosenberg, bei welcher der General, spät wie es war, Zutritt suchte und die freundlichste Aufnahme fand, hatte als Augenzeugin ihn dessen versichert, überdem war sein Zorn gegen Adelberten durch diese Dame um vieles gemildert worden. Mit ihrer gewohnten Klugheit hatte sie dem Oheim alle Künste und Lockungen auf das lebhafteste geschildert, mit welchen Herminia den Arglosen fast unwiderstehlich anzog und festhielt. Die seltene Schönheit der verführerischen Frau, des Neffen früheres Verhältnis zu ihr, Augustens Abwesenheit wurden ebenfalls in Anschlag gebracht, und so gelang es ihr, den Oheim halb versöhnt mit dem Liebling seines Herzens wieder heimzusenden.
„Die Tante ist eine Frau, vor welcher ich alle Achtung habe“, sprach er zu Gabrielen, „Welt und Erfahrung haben sie mild und verständig gemacht. Sie kennt das Leben und weiß, daß Adams Söhne aus gröberem Stoffe geformt wurden als ihr, die ihr doch immer den Engeln näher verwandt seid als uns, nämlich, wenn ihr einmal etwas taugt. Die Herminien nehme ich aus, die gehören zu den gefallenen Engeln, vor welchen jeder gute Christ ein Kreuz schlägt. Getrost, liebe Nichte! Jugend ist freilich ein strengerer Richter als das Alter, aber ich hoffe doch, der Sünder Adelbert soll Gnade finden, wenn er heimkehrt. Und somit gute Nacht. Der heutige Tag hat der Plage genug gehabt, laßt uns Kräfte sammeln für den morgenden, ehe er uns hier überrascht.“
„Und Adelbert? Wo ist er?“ fragte Gabriele mitleidsvoll, denn Auguste saß da und vermochte keinen Laut aufzubringen.
„Das weiß ich nicht“, erwiderte der General, „wie ich höre, hat er weder Freunde noch Bekannte, bei denen man ihn vermuten könnte, und nachdem ich die Gräfin verlassen, bin ich nach allen Gasthöfen herumgefahren, ihn zu suchen, ich habe schlaftrunkene Portiers und Hausknechte die Menge ins Verhör genommen, aber niemand wollte von ihm etwas wissen. Und wenn ich ihn auch gefunden hätte, was hätte es geholfen? Liebe Frauen, ich will es zugeben, es mag um die Gesetze unsrer Ehre ein barbarisches Ding sein, aber sie sind fürs erste nicht zu ändern. Übrigens hat er es, wie ich höre, mit einem braven edlen Gegner zu tun, laßt das euern Trost sein, wie es der meinige ist. An das Leben geht es nicht gleich, und ein kleines Andenken an diese Geschichte kann ihm für die Zukunft ganz gesund sein, wenn es nicht zu arg kommt.“
Die weichen liebenden Herzen der Frauen konnten dieser Ansicht nicht beipflichten, sie schlugen ängstlich und ahnungsvoll in immerwachsender Besorgnis, als auch Moritz bei jetzt ganz hellem Tag heimkehrte.
Der Arme bebte im Fieberfrost und mußte sogleich zu Bette gebracht werden. Seine Nachforschungen waren nicht glücklicher gewesen als die des Generals. Vergebens hatte er Hippoliten in dessen Wohnung aufgesucht, vergebens war er von Haus zu Haus gefahren, wo er nur eine Spur von ihm zu finden hoffen konnte. Endlich war er bis an die Sternwarte gekommen, wo eben der Professor der Astronomie, den er kannte, hinaufstieg, um eine beim Aufgang der Sonne sich ereignende Finsternis zu beobachten. Sowie die Vorliebe für die Astronomie von Moritz gewichen war, hatte er auch solchen Beobachtungen entsagt, aber es kam ihm der große Gedanke: sowie der Tag anbräche, mit Hülfe eines Teleskops alle Tore der Stadt zu bewachen, um zu entdecken, nach welcher Seite Hippolit und Adelbert sich wenden würden, ihr feindseliges Vorhaben auszuführen; denn er vermutete mit großer Wahrscheinlichkeit, daß sie weder in der Stadt noch bei Nacht ihren Zwist ausfechten könnten. Mit heldenmütiger Standhaftigkeit begann er auf dem Balkon des Observatoriums seine Beobachtungen der Wege, sowie der Tag graute, aber der kalte Morgentau und die oben herrschende Zugluft ergriffen ihn nach der durchwachten Nacht und der vorhergegangenen Ermüdung so an, daß er bald seinen Plan aufgeben und mit einem bedeutenden Erkältungsfieber sich nach Hause bringen lassen mußte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gabriele