Sechster Abschnitt. - Ein in Paris auf das höchste gebildeter Instinkt lehrte sie, jedesmal den Ton der Unterhaltung der Neigung derer anzupassen, welche sie gewinnen wollte, ...
Ein in Paris auf das höchste gebildeter Instinkt lehrte sie, jedesmal den Ton der Unterhaltung der Neigung derer anzupassen, welche sie gewinnen wollte, und eigentlich wollte sie das gewöhnlich ohne Unterschied bei allen. Daher war sie witzig, trübe oder auch gefühlvoll, wie es die Umstände erforderten, oft alles dieses in einer Stunde. Was sie sprach, war selten bedeutend, aber es gewann in ihrem Munde einen eignen Reiz; bei der höchsten Frivolität verstand sie entweder mit der Naivität eines Kindes den Schein der unbefangensten Unschuld beizubehalten, oder auch mit glücklicher Keckheit bis an die äußerste Grenze weiblichen Zartgefühls zu treten, ohne dennoch diese je zu verletzen und so gefiel sie allen, weil sie allen alles zu sein wußte.
Indessen mißlang es ihr dieses Mal dennoch, Gabrielen an sich zu ziehen, obgleich sie sehr wünschte, durch sie etwas Näheres von Adelberts gegenwärtiger Lage zu erfahren. Sie hatte ihn auf den ersten Blick ebensowohl wiedererkannt als er sie, aber aus mancherlei Gründen wünschte sie, die frühere Bekanntschaft mit ihm zu verschweigen und suchte daher, nur ganz von weitem, Gabrielen zu einem Gespräch über ihn zu bewegen. Doch diese blieb einsilbig, sichtbar befangen, bis endlich Herr von Aarheim und Hippolit mit der Nachricht von Adelberts besserem Befinden anlangten. Ihr Blick erheiterte sich jetzt, sie vermochte es nicht, Hippoliten den Tanz zu versagen, den dieser, von Moritzen unterstützt, als Botenlohn für die günstige Nachricht von ihr erbat. Triumphierend führte er sie in den Saal und alles strömte dem schönen Paare nach, um es walzen zu sehen.
Mit unverstellter Verwunderung sah die Marquise sich allmählich von allen verlassen, außer von einigen Fräulein, die, durch traurige Erfahrungen gewitzigt, den Tanzsaal gerne mieden. Zu diesen gesellten sich noch ein paar alte Damen, welche die gute Gelegenheit sich nicht entgehen lassen wollten, jedes einzelne Stück des Ameublements im Kabinette recht ungestört zu betrachten und nach den Preisen sich zu erkundigen. Von Männern war nur Moritz von Aarheim dageblieben. Dieser unterhielt die Gesellschaft sehr lang und breit von Adelberts glücklicher Ehe, von Gabrielens innigem Verhältnis zu dessen Gemahlin und zur Frau von Willnangen, und wie gewöhnlich hörte niemand auf ihn, sogar die Marquise nicht, obgleich sie dies Gespräch selbst veranlaßt hatte.
Tausend Sorgen beschäftigten diese; ihr so künstlich ersonnenes Krankenkostüm begann sie in die peinlichste Verlegenheit zu setzen, sie hätte in diesem Augenblick gern alles darum gegeben, es wieder los zu sein, um die Vorgänge im Ballsaal mit eignen Augen beobachten zu können, aber sie sah doch keine Möglichkeit, es abzuändern, ohne sich lächerlich zu machen. Auch das Zusammentreffen mit Adelberten, den sie nie wiederzusehen gehofft hatte, beunruhigte sie; alle, sogar die Gräfin Rosenberg, hatte sie wenigstens bei dem Glauben gelassen, daß sie eine geborene Französin aus einem großen Hause sei; die Entdeckung des Gegenteils, das konnte sie sich nicht verhehlen, mußte ihr das Ansehen einer Abenteurerin geben; vor allem aber fürchtete sie das Bekanntwerden ihrer früheren Verbindung mit Adelberten. Diesen schnell wieder zu gewinnen, das schien ihr der sicherste Weg, um allen möglichen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, und seine jetzige äußere Erscheinung konnte sie diesem Plane nur geneigter machen, besonders in diesem Augenblick, da sie Hippolits Benehmen gegen Gabrielen als für sich höchst beleidigend empfand. Zu ihrem großen Verdrusse blieb ihr volle Muße, allen diesen Betrachtungen nachzuhängen; denn auch die alten Damen hatten sich, nach richtig aufgenommenem Verzeichnisse der im Kabinette enthaltenen Kostbarkeiten, den Spielzimmern zugewendet, Moritz aber war dem Ballsaal zugeeilt, um seinen Teil an dem Triumphe seiner Gemahlin sich zu holen. Nur die verlassenen Fräulein waren dageblieben, und die Marquise fühlte sich auf eine kränkende Weise mit ihnen auf gleichen Fuß gestellt. Hippolit, der sonst außer ihrem Kreise keine gesellige Freude anerkennen wollte, ließ sich nicht wieder blicken, vermutlich huldigte er, wie alle andern, in diesem Augenblick nur jener Gabriele, die ihr immer verhaßter ward.
Endlich vermochte es die Marquise nicht länger, der peinigenden Ungewißheit zu widerstehen. Bei der Unmöglichkeit, gekleidet wie sie war, bis in den Ballsaal zu gehen, schickte sie die Fräulein auf Kundschaft dorthin aus, aber die armen Kinder kamen nach kurzer Zeit mit dem betrübten Geständnis zurück, nichts gesehen zu haben. Es war ihnen unmöglich gewesen, den dichten Kreis von Zuschauern zu durchdringen, in dessen Mitte, wie sie gehört hatten, Gabriele mit dem Grafen Hippolit eben die Gavotte tanzte. Niemand hatte auf ihre Bitten, durchgelassen zu werden, geachtet, denn alle waren zu eifrig mit dem Schauspiele beschäftigt, welches, wie überlaute, bis in das Kabinett dringende Beifallszeichen jetzt verkündeten, soeben beendet ward.
Allmählich kamen jetzt auch mehrere Herren und Damen herbei; alle schilderten den eben gehabten Genuß in den lebhaftesten Farben und bedauerten zwiefach die unselige Krankheit, welche die Marquise um den schönsten einzigsten Anblick in der Welt gebracht habe. Da riß dieser endlich der letzte schwache Geduldsfaden, besonders als noch immer weder Gabriele noch Hippolit sich blicken ließen. Die Migräne kehrte plötzlich wieder und ward bald so unleidlich, daß die Gesellschaft verabschiedet und die Türe des Kabinetts wieder verschlossen werden mußte. Innerlich hoffte die Marquise, daß ihr Ungetreuer, durch diese Maßregeln beunruhigt, in banger Besorgnis herbeieilen würde. Sie blieb sogar noch in der einmal gewählten Attitüde, so lästig ihr diese auch zu werden begann, aber umsonst, der Erwartete kam nicht.
Längst schon hatte dieser sich in seine Wohnung zurückgezogen, während die Marquise noch immer auf ihn harrte. Dort saß er in wortlosem Sinnen verloren und horchte in die Nacht hinaus auf das ferne Rollen einzelner Wagen, wie es allmählich in den erstorbenen Straßen verhallte. „Morgen, morgen! Wir werden ja sehen“, sprach er endlich leise vor sich hin und befahl dann seinem Kammerdiener, ihn früh zu wecken, denn ihm war, als stünde ihm in dem morgenden schon anbrechenden Tage etwas höchst Wichtiges bevor.
Die Nacht verging ihm zwischen Schlaf und Wachen, immer noch schwebte Gabrielens Gestalt, jede ihrer anmutigen Bewegungen, jedes ihrer noch anmutigeren Worte ihm vor. In fast nie gefühlter Wonne war er an ihrer Seite durch den Saal geschwebt, mit ungeheuchelter Bewunderung hatte er in der Gavotte jede malerische Wendung ihrer eleganten Gestalt, den Ausdruck des schönen Gesichts, das Spiel der zierlichsten Füßchen unverwendeten Blickes verfolgt, und da sie späterhin alles Tanzen verweigerte, hatte er, bis sie die Gesellschaft verließ, den Platz hinter ihrem Stuhle behauptet. Dort lauschte er auf jedes ihrer Worte, und ihr Geist entzückte ihn nicht minder als ihre Schönheit. Leicht und unbefangen, gleich entfernt von Übermut und Ziererei, sah er sie die Lobsprüche annehmen und ablehnen, mit denen man von allen Seiten sie überströmte. Er fand so gar keine Spur von dem sentimentalen steifen Tugendbilde, das seiner Phantasie vorgeschwebt, keine von der Maske, die er abzuziehen sich bereitet hatte. „Sie ist ganz Leben, ganz Natur, Geist und Wahrheit“, flüsterte er noch im Lauf des Abends der Gräfin zu, die ihrerseits auch anfing, auf ihre Nichte stolz zu werden, mit großem Selbstbehagen ihn um seine Meinung von ihr fragte und ihm erzählte, wie Gabriele von Kindheit an unter ihrer Aufsicht, in ihrem Hause erzogen worden sei.
„Daß sie jenen glückseligen Adelbert liebt?“ sprach Hippolit weiter, „nun Honny soit qui mal y pense! Wer kann es ihr verargen, der die in Eselshaut gebundene Enzyklopädie aller Künste und Wissenschaften sieht, welche der Himmel, er selbst mag es verantworten warum, ihr zum Gemahl erkor. Mir ist sie durch diese Liebe nur um so verehrlicher und herrlicher. Ein Weib ohne Liebe ist ein Weib ohne Seele. Sogar die Häßliche wird leidlich, wenn sie liebt, die Schöne wird dadurch zum Engel verklärt. Und daß diese Gabriele es unter ihrer Würde hält, ihre Liebe zu verheimlichen, gefällt mir nun gar über die Maßen, sie heuchelt doch wenigstens nicht wie alle ihres Geschlechts, die etwas zu verschweigen haben, was der Mühe verlohnt.“ Die Gräfin war ähnlicher Äußerungen ihres jungen Schützlings zu gewohnt, um sich ernstlich darüber zu erzürnen; Ermahnungen aber achtete er nicht, sondern entging ihnen gewöhnlich und auch dieses Mal durch schnelle Flucht. ›Wir werden ja sehen, ob es sich mit dem lahmen Helden nicht aufnehmen läßt!‹ dachte er dabei in seinem Herzen.
Alle alten Schmerzen regten sich indessen von neuem in Adelberts Brust; Haß, Liebe, Verachtung im furchtbarsten Kampf. Vergebens strebte er, das verführerische Bild der Marquise aus seiner Phantasie zu verbannen, vergebens rief er zu Augusten wie zu einer Heiligen; Herminia schwebte die ganze Nacht hindurch in all ihrer blendenden Schönheitspracht vor seinen aufgeregten Sinnen. So hatte er nie sie gesehen, nie geahnet, daß sie so über allen Ausdruck entzückend ihm erscheinen könne. Er bemühte sich, ihres Leichtsinns, ihrer Treulosigkeit, der unverantwortlichen Art, mit der sie ihn verstieß, zu gedenken; er glaubte, sie zu hassen, er wähnte, sie zu verachten, und doch sah er noch immer die lockende Gestalt, gelagert unter Rosen, von Liebesgöttern umschwärmt. Er gedachte der Möglichkeit, sie wiederzusehen und eine unbeschreibliche Angst bemächtigte sich seiner bei dem Gedanken. Sehnsucht zog ihn zu ihr, Erinnerung in einem blutig zerrißnen Herzen hielt ihn zurück. Dieser Zustand erreichte eine so peinliche Höhe, daß er endlich, um ihm zu entgehen, den Entschluß faßte, zu fliehen, ohne jeden andern Verlust weiter zu achten, der aus dieser Flucht im Laufe der Geschäfte, welche ihn hergeführt hatten, für ihn entstehen konnte.
Herzlich froh endlich der peinigenden Ungewißheit entgangen zu sein, beschloß er nur die schickliche Stunde abzuwarten, um Gabrielen Lebewohl zu sagen und dann zu eilen, um in Augustens Armen gegen sich selbst Schutz zu finden; doch graute ihm innerlich, mit diesem Entschluß in der Seele, allein und müßig zu bleiben. Er rief mit Tagesanbruch deshalb seinen Bedienten, gab ihm mehrere auf die nahe Abreise Bezug habende Aufträge, fing selbst an, Papiere zu ordnen und einzupacken, um nur in erzwungener Tätigkeit sein Gefühl nicht zur Sprache kommen zu lassen, als plötzlich, er begriff selbst nicht recht wie, eine der gestrigen Amorinnen, in Gestalt eines artigen kleinen Mädchens von etwa zehn Jahren, ihm ein rosenduftendes Zettelchen in die Hand schob, bei dessen Anblick ihm beinahe, wie gestern beim Anblick der Schreiberin desselben, die Sinne vergingen. Das Briefchen war nicht versiegelt, es war nur zusammengedreht, genau wie jene Zettelchen, die Herminia sonst ihm heimlich zuzustecken pflegte, als den Liebenden noch der ganze Tag, den sie im Hause ihrer Eltern miteinander verlebten, zu kurz war für alles, was sie sich zu sagen hatten. Gedankenlos öffnete er das duftende Papier, ohne bestimmt zu wissen, was er tat. Hier der Inhalt desselben.
„Ich will nicht Vergebung, ich will nicht Mitleid, ich will nicht einmal andeuten, daß ich zu beiden wohl berechtigt wäre. Ich verbanne mich auf ewig aus meinem Vaterlande, die nächste Stunde trifft mich nicht mehr hier. Der verhaßte Anblick der armen Herminia soll nicht mehr den Abscheu des Mannes erregen, der – genug ich reise. Doch einmal, einmal noch möchte ich zum Abschiede die Hand ergreifen, die einst bestimmt war, mich durch das Leben zu geleiten, einmal noch, ehe ich auf immer gehe! Ich weiß es, dieser Wunsch wird mir nicht gewährt werden, aber ich spreche ihn aus, ich fürchte nicht den Schmerz einer Verweigerung, denn ich fürchte keine Schmerzen mehr. Marion würde ungesehen, unbemerkt den Weg zu mir zu leiten wissen, ich wage es nicht, noch eine Silbe hinzuzufügen. Bitten klingt ja wie Hoffnung, Herminia hat seit gestern keine mehr.“
Unschlüssig starrte Adelbert die lange nicht erblickten, wohlbekannten Schriftzüge an, dann hob er mechanisch den Blick zur Türe, dort stand Marion mit einem schlauen echt französischen Kindergesichtchen. Sie machte einen kleinen Knix, schob die nur angelehnte Türe auf und trippelte, den Blick rückwärts ihm zugewendet, die Treppe des Seitengebäudes hinab, auf welcher sie zu Adelberts Zimmer gelangt war. Gedankenlos schritt Adelbert ihr nach, über den Hof; auf der Straße erwachte er zwar wieder und war im Begriffe umzukehren, aber er bildete sich ein, sich der Feigheit einer solchen Flucht vor der Gefahr schämen zu müssen, und dieses Gefühl trieb ihn vorwärts.
Hippolit hatte indessen die Stunde sehr ungeduldig erwartet, in welcher er Gabrielens Wohnung aufsuchen konnte, um bei Adelberten einen Krankenbesuch abzustatten und vernahm mit nicht weniger Unmut als Erstaunen, daß der, welchen er, von Ärzten umgeben, im Bette zu finden geglaubt hatte, schon am frühen Morgen ausgegangen sei. Niemand wußte, wohin? Hippolit hatte bei diesem Besuche auf irgendeinen günstigen Zufall gerechnet, der ihm bedeutender, als eine bloße zeremonielle Visite, bei Gabrielen Zutritt verschaffen sollte, und verweilte jetzt unschlüssig auf der Treppe, darüber nachsinnend, ob es geratener sei, schon jetzt sich bei ihr melden zu lassen oder später wiederzukehren, als Moritz, ihm begegnend, seinen Bedenklichkeiten ein Ende machte, indem er ihn erst auf das freundlichste begrüßte und dann sogleich an das Ziel seiner Wünsche führte. Mit unendlichem Bedauern verließ der Baron dort aus Mangel an Zeit Hippolit, nachdem er diesen für den Mittag eingeladen, denn noch am nämlichen Morgen hatte er der Auktion eines Naturalienkabinetts, einer Vorlesung über die Möglichkeit, den Luftballon zu regieren, und einer Opernprobe beizuwohnen.
Schöner noch als im festlichen Schmuck des gestrigen Abends trat Gabriele Hippoliten im zierlich einfachen Morgenkleide entgegen. Ihr helles Auge ruhte mit sichtbarem Wohlgefallen auf ihm, ihr schöner Mund lächelte ihn freundlich an, während sie mit ihrer süßen melodischen Stimme für die ihrem Gastfreunde geleistete Hülfe ihm nochmals dankte. Er, sonst so vorlaut, aller Frauen Gunst so sicher, stand dabei fast unbehülflich da und suchte vergeblich nach einer passenden Antwort, er fürchtete, Gabrielen etwas zu erwidern, weil er sie dann nicht mehr hören würde, und fühlte dabei doch mit innerer Angst das Lächerliche seines fortwährenden Schweigens. Endlich suchte er gewaltsam den Zauber zu zerreißen, der seine Zunge fesselte, er strebte wieder in den gewohnten Ton zu gelangen, mit dem er bis jetzt noch immer bei den Frauen Glück gemacht hatte, und ward zuletzt aus bloßer Verlegenheit zuerst vorlaut, und endlich beinahe unverschämt. Mit erzwungener Bedeutung brachte er ziemlich ungeschickt einige witzig sein sollende Anspielungen auf den Kranken an, der solcher Teilnahme sich erfreuen könne, sprach dann von der Verpflichtung aller Männer, einem so ausgezeichneten Günstling des Glücks zu dienen, wenngleich sie eben dieser Auszeichnung wegen ihn alle tödlich hassen mußten. Das Unziemende solcher verbrauchten Scherzreden Gabrielen gegenüber, fiel ihm selbst auf und vermehrte seine Verlegenheit; er wollte es mildern und geriet immer tiefer hinein, bis sie ihn endlich unterbrach, nachdem sie ihm lange genug, zuletzt recht mitleidig ernsthaft zugehört hatte.
„Ich könnte mich stellen, als verstünde ich Sie nicht“, sprach sie, „oder ich könnte Sie auch verstehen und dann mit gutem Fug und Recht mich erzürnen, und eigentlich sollte ich dieses auch wohl, aber Ihr ganzes Wesen, vor allem Ihre Jugend lassen mich hoffen, daß Sie mir eben eine Lektion hersagten, die Ihr Kopf in der Welt, in der Sie bis jetzt lebten, auswendig lernte, von der aber in Ihrem Herzen keine Silbe steht. Ich freue mich um so mehr der Aussicht, Sie oft und lange in unserm Kreise zu sehen, dem es vielleicht gelingen wird, Ihnen das Leben und auch die Frauen aus einem andern Gesichtspunkt zu zeigen.“ Hier schwieg sie, gleichsam eine Antwort erwartend, doch Hippolit, hochrot vor Zorn und Scham, vermochte kein Wörtchen aufzubringen und suchte nur in seinem Äußern noch das sonst gewohnte dreiste Selbstbewußtsein auszudrücken. „Stehen Sie nicht so wie ein zürnender Heros vor mir“, setzte daher nach einer kleinen Pause Gabriele lächelnd hinzu, „nehmen Sie lieber meine Äußerungen, wenn sie Ihnen auch nicht ganz gefallen sollten, so auf, wie ich die Ihrigen, das heißt, mit Duldung.“
Gleich nach diesem suchte sie dem Gespräch eine leichtere, gleichgültigere Wendung zu geben, aber es mißlang ihr. Hippolit war zu sehr aus dem Gleichgewicht gekommen, um es sogleich wiederzufinden und ergriff deshalb den ersten schicklichen Augenblick, um seinen Besuch zu beenden.
Von Gabrielen entfernt fühlte er mit tiefer Beschämung, daß er wie ein ausgescholtener Schulbube vor ihr dagestanden, vor ihr, die ohne den geringsten Versuch, ihm seine vorgefaßte Meinung von dem Verhältnis zwischen ihr und Adelbert zu benehmen, dennoch, wie völlig gerechtfertigt, stolz und klar sich erhob und zugleich eine Art Herrschaft über ihn übte, zu welcher er sich nicht bewußt war, sie berechtigt zu haben.
Ärgerlich und mit dem festen Vorsatze, kalt und unbefangen aufzutreten, stellte er zur Zeit der Mittagstafel zum zweiten Male sich in Gabrielens Zimmer ein, aber er konnte sich die Mühe sparen, denn sie begrüßte ihn nur mit einer leichten Verbeugung und setzte dann sehr lebhaft ihr Gespräch mit einem Fremden fort, der eben aus Rom kam und Ottokar dort gesehen hatte. Moritz hingegen, der seit gestern eine ganz eigene Zärtlichkeit für Hippoliten gefaßt zu haben schien, bemächtigte sich sogleich seiner, um ihm eine Sammlung von Mißgeburten zu zeigen, welche er am nämlichen Morgen in der Auktion gekauft hatte. So ward im einzelnen Gespräch beinahe eine Stunde von der nur aus acht oder neun Personen bestehenden Gesellschaft hingebracht. Gabriele blickte oft auf die Uhr, man erwartete sichtbar noch jemanden. Blaß und verstört trat endlich Adelbert herein, beantwortete sehr in der Kürze alle Fragen nach seinem Befinden, schob einige unverständliche Entschuldigungen seines späten Erscheinens dazwischen und versicherte dann wieder, nur der Blumenduft, einzig der Blumenduft im Kabinett der Marquise habe ihm gestern den Zufall zugezogen, von dem er sich jetzt völlig hergestellt fühle.
Hippolit fand an der Tafel neben dem Herrn des Hauses seinen Platz, Gabrielen und Adelberten gegenüber. Letzterer blieb sichtbar verstimmt und Gabriele betrachtete ihn mit augenscheinlicher Besorgnis. Dann aber wendete sie sogleich alle ihre Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu. Jeden und jedes wußte sie an seinen Platz zu stellen, hatte allen einzeln etwas Angenehmes zu sagen oder zu erzeigen; und das auf so natürliche Weise, als müßte es so und nicht anders sein. Sie war die Seele der Unterhaltung ohne damit prunken zu wollen, im Gegenteil, es war, als ob der Abglanz ihrer Anmut sich auf die verbreitete, welche sie umgaben. Wer ihr nahte, gewann an Liebenswürdigkeit, an Geist, Witz, Verstand, denn sie wußte jeden lichten Funken hervorzulocken, und seit sie in der großen Welt lebte, war, außer Hippoliten, vielleicht noch nie jemand anders als höchst zufrieden mit sich selbst von ihr geschieden.
Adelbert versank inzwischen in immer trüberes Nachsinnen, aus welchem er, sichtbar sich zusammennehmend, auffuhr, wenn man ihn anredete. Moritz hingegen war seelenvergnügt und eine Albernheit jagte die andere aus seinem Munde. Vergebens strebte diesmal Gabriele, das Gespräch abzuändern, Hippolit sah, wie sie alle Kraft ihres Geistes anwendete, um die Schwäche des Mannes, dem sie angehörte, zu verdecken, und die Nachtseite des Geschicks der schönen anmutigen Frau trat plötzlich in all ihrem hoffnungslosen Dunkel vor seine Seele. ›So‹, dachte er, ›so muß das holde Wesen unablässig arbeiten, sich anstrengen, sich quälen lebenslänglich, und warum? Um der Welt zu verbergen, was sie leidet! Um fremden Augen das Unwürdige der Fesseln zu entziehen, die sie zu Boden drücken und welche nur der Tod lösen kann!‹
Von unsäglichem Mitleide hingerissen, bemühte er sich von nun an, ihr zu helfen, und gewandt wie er war, gelang es ihm wirklich, den Faden der Unterhaltung behend zu ergreifen, ein Gespräch aufzubringen, welches unter seiner Leitung interessant genug ward, um selbst Moritzen zum Zuhören zu bewegen. Gabrielens dankbare Zufriedenheit, die er in ihren Augen las, lohnte ihn überreich, besonders da Moritz ihn einlud, morgen und an jedem Tage, sooft es ihm bequem sei, wiederzukehren; eine Erlaubnis, welche er sich vornahm, recht oft zu benutzen.
Mehrere Tage vergingen, während denen Adelbert und Hippolit die Rollen getauscht zu haben schienen. Ersterer war nur selten und nie in Gabrielens Nähe zu finden, wenn er vermuten konnte mit ihr allein zu sein. Er verließ mit dem frühesten das Haus und kehrte nur selten und spät wieder heim, während Hippolit dort fast jede Stunde des Tages verlebte und die Marquise nie anders, als umringt von fremden Zeugen, im geselligen Kreise sah. Er hatte sein Verhältnis zu ihr nie bindend gefühlt und auch sie konnte, nach der stillschweigenden Übereinkunft der Welt, in der sie zu leben gewohnt war, sich hierüber keine Illusion machen. Jetzt war das Band, welches ihn ihr verknüpfte, nicht gelöst, es war zergangen vor Gabrielens Erscheinung, wie Sommerwölkchen vor der Sonne in nichts sich auflösen, und er achtete übrigens die Marquise zu wenig, um ferner nach ihr, noch den Verbindungen zu fragen, die sie jetzt zu schließen für gut finden mochte.
Nicht listig absichtlich, sondern vom ehrlichen Wunsche geleitet, Gabrielens Geschick zu erleichtern, hatte Hippolit sich in kurzer Zeit ihrem schwachen Gemahl so lieb und wert zu machen gewußt, daß dieser ihn ungern von der Seite ließ und ihn mit Einladungen bestürmte, sein Haus als das seinige anzusehen. Je länger er Gabrielen sah, je deutlicher ward es ihm, daß diese Frau von allen, die er bis jetzt gekannt hatte, sich himmelweit unterschied, und so konnte es ihm nie einfallen, auf gewöhnlichem Wege sie zu gewinnen. Auch dachte er nie daran, planlos lebte er in ihrer Nähe fort, strebte auf jede Weise, sich dort zu erhalten, und sann nie darüber nach, warum er ihr nach und nach seine liebsten Gewohnheiten und Neigungen opferte, warum sie mit mächtiger Allgewalt ihn zu beherrschen beginne; es war ihm, als müsse alles dies so und nicht anders sein.
Gabrielen konnte es indessen nicht entgehen, wie zart und schonend der übrigens in allem so rücksichtlos handelnde Jüngling es vermied, die Lächerlichkeiten eines Mannes zu bemerken, der alt genug war, um sein Vater sein zu können. Sie sah, wie oft er gegen die Spottlust der übrigen jungen Leute ihn in Schutz nahm und ihre holdeste Freundlichkeit lohnte ihm ein Betragen, welches sie für den untrüglichsten Beweis reiner Herzensgüte nahm. Der frühern jugendlichen Unbesonnenheit, mit welcher er in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft es gewagt hatte, sie zu beleidigen, wurde nicht mehr gedacht; oder wenn es geschah, so schämte Gabriele sich des Ernstes, mit dem sie eine kindische, nichts bedeutende Ungezogenheit gerügt hatte. So gewöhnte jeder Tag sie immer mehr an die Gegenwart Hippolits, den sie zuletzt oft im Scherz ihren Edelknaben nannte.
Adelbert hingegen verlebte diese Zeit in stetem Schwanken zwischen Himmel und Hölle, bald in der wollustatmenden Nähe der Marquise alles außer ihr vergessend, bald niedergeschmettert von Reue und Selbstverachtung, wenn ein sorgender Blick aus Gabrielens Augen wie ein Strahl aus der schuldlosen, seligen Heimat ihn traf. Herminia hatte, als er, von Marion geführt, ihr Zimmer betrat, mit unwiderstehlichem Zauber den ganzen vollen Freudenkranz ihrer beider Jugend neubelebt, in Himmelsfarben glühend ihm zu zeigen gewußt. Ohne die frühere Schuld, welche diesen Kranz zerriß, wegleugnen zu wollen, aber auch ohne Reue darüber in Worten auszudrücken, hatte sie vor dem Beleidigten sich nicht gebeugt. Aber, während sie vorgab, ihm Lebewohl auf ewig zu sagen, mußte er wähnen, in ein von Liebe, Reue, Schmerz zerrissenes Gemüt zu blicken, das in kalter Selbstverleugnung sich verloren gab, und nur bedacht schien, sich und seine Qualen ihm zu entziehen. Entschlossen, die Treubrüchige mit kalter wortarmer Vergebung verachtend niederzuschmettern, war er gekommen, nur wenige Minuten vergingen und er lag zu ihren Füßen, sie entschuldigend, gegen ihre eignen Anklagen sie in Schutz nehmend, die jetzt erst laut zu werden begannen. Diese ihre erste Zusammenkunft endete von seiner Seite mit dem feierlichen Versprechen, noch am nämlichen Abend wiederzukehren, um dann gefaßter, mit Bewußtsein den Augenblick ewiger Trennung zu feiern und so in Zukunft sein Bild liebend vergebend und mild in ihrer Erinnerung leben zu lassen.
Zur unglücklichsten Stunde hielt Adelbert sein Wort. Der vereinte Zauber früherer Unschuld und jetziger blendend strahlender Schönheit, in Reue, in Verzweiflung, in aller Glut der hingebendsten Liebe, riß ihn hin, er vergaß alles, auch die Augusten geschworene Treue. Ihr bescheidnes Bild trat weit zurück in den verborgensten Winkel seines Herzens, schmerzlich fühlte er es dort, ohne es sich selbst zu bekennen.
In bitterer Selbstverachtung gab er von nun an jede Hoffnung der möglichen Rückkehr zum Bessern auf. Er wollte nur Betäubung und fand sie; er sah und hörte nur Herminien, wie sie einzig in seiner Liebe leben und atmen zu können schwur, ihre Versicherungen, ihn nie ganz vergessen zu haben, ihr Geloben künftiger ewiger Treue, er glaubte alles und nichts. Im Wahnsinn äußern Sinnenrausches, gefoltert von innern Vorwürfen in jeder Minute helleren Selbstbewußtseins, mied er aufs geflissentlichste alles, was ihn zu diesem bringen konnte, vor allem Gabrielen.
Herminia hatte bei Adelberts Wiedersehen wirklich eine Regung jener Gefühle empfunden, die einst ihre Jugend beglückten. Sie sah ihn zum edlen stolzen Manne herangereift, sogar die Narbe über der Stirn, welche früher ihr so entsetzlich dünkte, weit davon entfernt, ihn zu entstellen, erhob jetzt sein Gesicht zu dem eines Helden. Seine Erschütterung bei ihrem Anblick verriet ihr die Gewalt, welche sie noch immer über ihn üben konnte und Gabrielens unverhohlene Teilnahme an seinem anscheinend plötzlichen Übelbefinden ließen sie sogleich in dieser eine wahrscheinlich beglückte Nebenbuhlerin ahnen. Gabrielens von allen gefeierter Name erregte schon ihre Eifersucht, ehe sie selbst sie noch sah, jetzt, da Hippolit ihr um jener willen untreu zu werden drohte, ward sie ihr ganz unerträglich. Sechs in den gefährlichsten Umgebungen verlebte Jahre hatten Herminien sehr tief herabgezogen; Wechsel und Intrige waren in dieser Zeit ihrem leidenschaftlichen Wesen zum Bedürfnis geworden, und unbekannt mit jeder bessern Regung, beurteilte sie alle und somit auch Gabrielen nach sich. Sie glaubte sogar, sich nicht besser an dieser rächen zu können, als indem sie Adelberten von ihr abzuwenden und wieder in die alten Fesseln zu ziehen suchte. Zugleich hoffte sie dadurch Hippolits Eifersucht rege zu machen und so auch ihn wiederzugewinnen, den sie, ohne ihn zu lieben, dennoch nicht freigeben wollte, besonders nicht an Gabrielen. Alles dieses vereint bestimmte sie zuerst zu jener mühevollen Vorstellung, mit der sie Adelberten umgarnte, aber es ging ihr bald mit dieser Rolle, wie jeder guten Schauspielerin mit der ihrigen, sie gewann sie lieb, so daß sie selbst nicht mehr Täuschung und Wahrheit voneinander zu unterscheiden wußte und das Spiel immer weiter trieb, zuletzt hauptsächlich nur um des Spieles willen.
Nicht mit jener quälenden Empfindung, welche Herminia in ihr erregen wollte, aber doch schmerzlich besorgt, sah Gabriele Adelberten sich täglich ihr mehr entfremden. Sie sah die Angst, die ihn in ihrer Nähe ergriff, sie bemerkte, wie geflissentlich er jedes Gespräch mit ihr vermied, ohne erraten zu können, wodurch sie sein Zutrauen verscherzt habe. Auch zeigte er sich ihr durchaus nicht feindselig, aber ihr Beisein übte über ihn eine sichtlich vernichtende Gewalt. Das Geschäft, welches ihn in die Residenz geführt hatte, vernachlässigte er durchaus und brachte dennoch fast alle seine Zeit außer dem Hause zu. Sie begriff nicht, wo? Und womit? Bei der Marquise traf sie ihn selten, denn sie besuchte diese nur, wenn sich dort Gesellschaft versammelte, und dann pflegte Adelbert gewöhnlich zu fehlen. Tausend Vermutungen drängten sich Gabrielen entgegen, doch keine brachte sie der Wahrheit nahe; ihr Gefühl widerstrebte jedem heimlichen Nachforschen, aber dieses unerklärliche Betragen des Gemahls ihrer Auguste lastete recht schwer auf ihrem Gemüte.
Zwischen der Marquise und der Gräfin Rosenberg war indessen seit Gabrielens Ankunft eine Spannung entstanden, welche, und vielleicht bald, in einen förmlichen Riß auszuarten drohte. Herminie haßte Gabrielen zu sehr, um diesen Haß nicht auch der Gräfin sichtbar werden zu lassen, besonders seit es mit jedem Tage ihr entschiedener wurde, daß Hippolit um jener willen ihr unwiederbringlich verloren sei. Die Gräfin hingegen nahm Gabrielen stets in Schutz; sie hatte sie auf ihre Art lieb gewonnen, sie wußte sich nicht wenig damit, daß eine so glänzende Erscheinung aus ihrem Hause ausgegangen, unter ihren Augen gebildet sei. Nichts konnte ihr ein beifälligeres Lächeln ablocken, als wenn man Züge von Ähnlichkeit zwischen der Tante und der Nichte entdeckt haben wollte; auch konnte sie Gabrielen nicht entbehren, ihre stete Gegenwart machte die geselligen Abende der Gräfin zu den gesuchtesten und glänzendsten der Stadt, unerachtet schwache Nerven jetzt sehr oft das Nichterscheinen der Marquise entschuldigen mußten; zum Teil, weil diese die Abendstunden lieber mit Adelberten allein zubrachte, mehr aber noch, weil sie das Rivalisieren mit Gabrielen scheute. Außer sich wäre sie gewesen, wenn sie gewußt hätte, wie wenig die Gesellschaft im Salon der Gräfin ihre Gegenwart vermißte. Ihr erstes blendendes Auftreten war zwar nicht vergessen, aber man gedachte dessen nur als eines angenehmen und zugleich fremden Schauspiels, welches sich indessen seiner Art nach doch nicht ganz mit deutschem Sinn und deutscher Sitte vereinen ließ, während Gabrielens sich stets gleichbleibende anspruchslose Liebenswürdigkeit auf Geist, Sinn und Herz immerwährend wohltuend wirkte.
Indessen mißlang es ihr dieses Mal dennoch, Gabrielen an sich zu ziehen, obgleich sie sehr wünschte, durch sie etwas Näheres von Adelberts gegenwärtiger Lage zu erfahren. Sie hatte ihn auf den ersten Blick ebensowohl wiedererkannt als er sie, aber aus mancherlei Gründen wünschte sie, die frühere Bekanntschaft mit ihm zu verschweigen und suchte daher, nur ganz von weitem, Gabrielen zu einem Gespräch über ihn zu bewegen. Doch diese blieb einsilbig, sichtbar befangen, bis endlich Herr von Aarheim und Hippolit mit der Nachricht von Adelberts besserem Befinden anlangten. Ihr Blick erheiterte sich jetzt, sie vermochte es nicht, Hippoliten den Tanz zu versagen, den dieser, von Moritzen unterstützt, als Botenlohn für die günstige Nachricht von ihr erbat. Triumphierend führte er sie in den Saal und alles strömte dem schönen Paare nach, um es walzen zu sehen.
Mit unverstellter Verwunderung sah die Marquise sich allmählich von allen verlassen, außer von einigen Fräulein, die, durch traurige Erfahrungen gewitzigt, den Tanzsaal gerne mieden. Zu diesen gesellten sich noch ein paar alte Damen, welche die gute Gelegenheit sich nicht entgehen lassen wollten, jedes einzelne Stück des Ameublements im Kabinette recht ungestört zu betrachten und nach den Preisen sich zu erkundigen. Von Männern war nur Moritz von Aarheim dageblieben. Dieser unterhielt die Gesellschaft sehr lang und breit von Adelberts glücklicher Ehe, von Gabrielens innigem Verhältnis zu dessen Gemahlin und zur Frau von Willnangen, und wie gewöhnlich hörte niemand auf ihn, sogar die Marquise nicht, obgleich sie dies Gespräch selbst veranlaßt hatte.
Tausend Sorgen beschäftigten diese; ihr so künstlich ersonnenes Krankenkostüm begann sie in die peinlichste Verlegenheit zu setzen, sie hätte in diesem Augenblick gern alles darum gegeben, es wieder los zu sein, um die Vorgänge im Ballsaal mit eignen Augen beobachten zu können, aber sie sah doch keine Möglichkeit, es abzuändern, ohne sich lächerlich zu machen. Auch das Zusammentreffen mit Adelberten, den sie nie wiederzusehen gehofft hatte, beunruhigte sie; alle, sogar die Gräfin Rosenberg, hatte sie wenigstens bei dem Glauben gelassen, daß sie eine geborene Französin aus einem großen Hause sei; die Entdeckung des Gegenteils, das konnte sie sich nicht verhehlen, mußte ihr das Ansehen einer Abenteurerin geben; vor allem aber fürchtete sie das Bekanntwerden ihrer früheren Verbindung mit Adelberten. Diesen schnell wieder zu gewinnen, das schien ihr der sicherste Weg, um allen möglichen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, und seine jetzige äußere Erscheinung konnte sie diesem Plane nur geneigter machen, besonders in diesem Augenblick, da sie Hippolits Benehmen gegen Gabrielen als für sich höchst beleidigend empfand. Zu ihrem großen Verdrusse blieb ihr volle Muße, allen diesen Betrachtungen nachzuhängen; denn auch die alten Damen hatten sich, nach richtig aufgenommenem Verzeichnisse der im Kabinette enthaltenen Kostbarkeiten, den Spielzimmern zugewendet, Moritz aber war dem Ballsaal zugeeilt, um seinen Teil an dem Triumphe seiner Gemahlin sich zu holen. Nur die verlassenen Fräulein waren dageblieben, und die Marquise fühlte sich auf eine kränkende Weise mit ihnen auf gleichen Fuß gestellt. Hippolit, der sonst außer ihrem Kreise keine gesellige Freude anerkennen wollte, ließ sich nicht wieder blicken, vermutlich huldigte er, wie alle andern, in diesem Augenblick nur jener Gabriele, die ihr immer verhaßter ward.
Endlich vermochte es die Marquise nicht länger, der peinigenden Ungewißheit zu widerstehen. Bei der Unmöglichkeit, gekleidet wie sie war, bis in den Ballsaal zu gehen, schickte sie die Fräulein auf Kundschaft dorthin aus, aber die armen Kinder kamen nach kurzer Zeit mit dem betrübten Geständnis zurück, nichts gesehen zu haben. Es war ihnen unmöglich gewesen, den dichten Kreis von Zuschauern zu durchdringen, in dessen Mitte, wie sie gehört hatten, Gabriele mit dem Grafen Hippolit eben die Gavotte tanzte. Niemand hatte auf ihre Bitten, durchgelassen zu werden, geachtet, denn alle waren zu eifrig mit dem Schauspiele beschäftigt, welches, wie überlaute, bis in das Kabinett dringende Beifallszeichen jetzt verkündeten, soeben beendet ward.
Allmählich kamen jetzt auch mehrere Herren und Damen herbei; alle schilderten den eben gehabten Genuß in den lebhaftesten Farben und bedauerten zwiefach die unselige Krankheit, welche die Marquise um den schönsten einzigsten Anblick in der Welt gebracht habe. Da riß dieser endlich der letzte schwache Geduldsfaden, besonders als noch immer weder Gabriele noch Hippolit sich blicken ließen. Die Migräne kehrte plötzlich wieder und ward bald so unleidlich, daß die Gesellschaft verabschiedet und die Türe des Kabinetts wieder verschlossen werden mußte. Innerlich hoffte die Marquise, daß ihr Ungetreuer, durch diese Maßregeln beunruhigt, in banger Besorgnis herbeieilen würde. Sie blieb sogar noch in der einmal gewählten Attitüde, so lästig ihr diese auch zu werden begann, aber umsonst, der Erwartete kam nicht.
Längst schon hatte dieser sich in seine Wohnung zurückgezogen, während die Marquise noch immer auf ihn harrte. Dort saß er in wortlosem Sinnen verloren und horchte in die Nacht hinaus auf das ferne Rollen einzelner Wagen, wie es allmählich in den erstorbenen Straßen verhallte. „Morgen, morgen! Wir werden ja sehen“, sprach er endlich leise vor sich hin und befahl dann seinem Kammerdiener, ihn früh zu wecken, denn ihm war, als stünde ihm in dem morgenden schon anbrechenden Tage etwas höchst Wichtiges bevor.
Die Nacht verging ihm zwischen Schlaf und Wachen, immer noch schwebte Gabrielens Gestalt, jede ihrer anmutigen Bewegungen, jedes ihrer noch anmutigeren Worte ihm vor. In fast nie gefühlter Wonne war er an ihrer Seite durch den Saal geschwebt, mit ungeheuchelter Bewunderung hatte er in der Gavotte jede malerische Wendung ihrer eleganten Gestalt, den Ausdruck des schönen Gesichts, das Spiel der zierlichsten Füßchen unverwendeten Blickes verfolgt, und da sie späterhin alles Tanzen verweigerte, hatte er, bis sie die Gesellschaft verließ, den Platz hinter ihrem Stuhle behauptet. Dort lauschte er auf jedes ihrer Worte, und ihr Geist entzückte ihn nicht minder als ihre Schönheit. Leicht und unbefangen, gleich entfernt von Übermut und Ziererei, sah er sie die Lobsprüche annehmen und ablehnen, mit denen man von allen Seiten sie überströmte. Er fand so gar keine Spur von dem sentimentalen steifen Tugendbilde, das seiner Phantasie vorgeschwebt, keine von der Maske, die er abzuziehen sich bereitet hatte. „Sie ist ganz Leben, ganz Natur, Geist und Wahrheit“, flüsterte er noch im Lauf des Abends der Gräfin zu, die ihrerseits auch anfing, auf ihre Nichte stolz zu werden, mit großem Selbstbehagen ihn um seine Meinung von ihr fragte und ihm erzählte, wie Gabriele von Kindheit an unter ihrer Aufsicht, in ihrem Hause erzogen worden sei.
„Daß sie jenen glückseligen Adelbert liebt?“ sprach Hippolit weiter, „nun Honny soit qui mal y pense! Wer kann es ihr verargen, der die in Eselshaut gebundene Enzyklopädie aller Künste und Wissenschaften sieht, welche der Himmel, er selbst mag es verantworten warum, ihr zum Gemahl erkor. Mir ist sie durch diese Liebe nur um so verehrlicher und herrlicher. Ein Weib ohne Liebe ist ein Weib ohne Seele. Sogar die Häßliche wird leidlich, wenn sie liebt, die Schöne wird dadurch zum Engel verklärt. Und daß diese Gabriele es unter ihrer Würde hält, ihre Liebe zu verheimlichen, gefällt mir nun gar über die Maßen, sie heuchelt doch wenigstens nicht wie alle ihres Geschlechts, die etwas zu verschweigen haben, was der Mühe verlohnt.“ Die Gräfin war ähnlicher Äußerungen ihres jungen Schützlings zu gewohnt, um sich ernstlich darüber zu erzürnen; Ermahnungen aber achtete er nicht, sondern entging ihnen gewöhnlich und auch dieses Mal durch schnelle Flucht. ›Wir werden ja sehen, ob es sich mit dem lahmen Helden nicht aufnehmen läßt!‹ dachte er dabei in seinem Herzen.
Alle alten Schmerzen regten sich indessen von neuem in Adelberts Brust; Haß, Liebe, Verachtung im furchtbarsten Kampf. Vergebens strebte er, das verführerische Bild der Marquise aus seiner Phantasie zu verbannen, vergebens rief er zu Augusten wie zu einer Heiligen; Herminia schwebte die ganze Nacht hindurch in all ihrer blendenden Schönheitspracht vor seinen aufgeregten Sinnen. So hatte er nie sie gesehen, nie geahnet, daß sie so über allen Ausdruck entzückend ihm erscheinen könne. Er bemühte sich, ihres Leichtsinns, ihrer Treulosigkeit, der unverantwortlichen Art, mit der sie ihn verstieß, zu gedenken; er glaubte, sie zu hassen, er wähnte, sie zu verachten, und doch sah er noch immer die lockende Gestalt, gelagert unter Rosen, von Liebesgöttern umschwärmt. Er gedachte der Möglichkeit, sie wiederzusehen und eine unbeschreibliche Angst bemächtigte sich seiner bei dem Gedanken. Sehnsucht zog ihn zu ihr, Erinnerung in einem blutig zerrißnen Herzen hielt ihn zurück. Dieser Zustand erreichte eine so peinliche Höhe, daß er endlich, um ihm zu entgehen, den Entschluß faßte, zu fliehen, ohne jeden andern Verlust weiter zu achten, der aus dieser Flucht im Laufe der Geschäfte, welche ihn hergeführt hatten, für ihn entstehen konnte.
Herzlich froh endlich der peinigenden Ungewißheit entgangen zu sein, beschloß er nur die schickliche Stunde abzuwarten, um Gabrielen Lebewohl zu sagen und dann zu eilen, um in Augustens Armen gegen sich selbst Schutz zu finden; doch graute ihm innerlich, mit diesem Entschluß in der Seele, allein und müßig zu bleiben. Er rief mit Tagesanbruch deshalb seinen Bedienten, gab ihm mehrere auf die nahe Abreise Bezug habende Aufträge, fing selbst an, Papiere zu ordnen und einzupacken, um nur in erzwungener Tätigkeit sein Gefühl nicht zur Sprache kommen zu lassen, als plötzlich, er begriff selbst nicht recht wie, eine der gestrigen Amorinnen, in Gestalt eines artigen kleinen Mädchens von etwa zehn Jahren, ihm ein rosenduftendes Zettelchen in die Hand schob, bei dessen Anblick ihm beinahe, wie gestern beim Anblick der Schreiberin desselben, die Sinne vergingen. Das Briefchen war nicht versiegelt, es war nur zusammengedreht, genau wie jene Zettelchen, die Herminia sonst ihm heimlich zuzustecken pflegte, als den Liebenden noch der ganze Tag, den sie im Hause ihrer Eltern miteinander verlebten, zu kurz war für alles, was sie sich zu sagen hatten. Gedankenlos öffnete er das duftende Papier, ohne bestimmt zu wissen, was er tat. Hier der Inhalt desselben.
„Ich will nicht Vergebung, ich will nicht Mitleid, ich will nicht einmal andeuten, daß ich zu beiden wohl berechtigt wäre. Ich verbanne mich auf ewig aus meinem Vaterlande, die nächste Stunde trifft mich nicht mehr hier. Der verhaßte Anblick der armen Herminia soll nicht mehr den Abscheu des Mannes erregen, der – genug ich reise. Doch einmal, einmal noch möchte ich zum Abschiede die Hand ergreifen, die einst bestimmt war, mich durch das Leben zu geleiten, einmal noch, ehe ich auf immer gehe! Ich weiß es, dieser Wunsch wird mir nicht gewährt werden, aber ich spreche ihn aus, ich fürchte nicht den Schmerz einer Verweigerung, denn ich fürchte keine Schmerzen mehr. Marion würde ungesehen, unbemerkt den Weg zu mir zu leiten wissen, ich wage es nicht, noch eine Silbe hinzuzufügen. Bitten klingt ja wie Hoffnung, Herminia hat seit gestern keine mehr.“
Unschlüssig starrte Adelbert die lange nicht erblickten, wohlbekannten Schriftzüge an, dann hob er mechanisch den Blick zur Türe, dort stand Marion mit einem schlauen echt französischen Kindergesichtchen. Sie machte einen kleinen Knix, schob die nur angelehnte Türe auf und trippelte, den Blick rückwärts ihm zugewendet, die Treppe des Seitengebäudes hinab, auf welcher sie zu Adelberts Zimmer gelangt war. Gedankenlos schritt Adelbert ihr nach, über den Hof; auf der Straße erwachte er zwar wieder und war im Begriffe umzukehren, aber er bildete sich ein, sich der Feigheit einer solchen Flucht vor der Gefahr schämen zu müssen, und dieses Gefühl trieb ihn vorwärts.
Hippolit hatte indessen die Stunde sehr ungeduldig erwartet, in welcher er Gabrielens Wohnung aufsuchen konnte, um bei Adelberten einen Krankenbesuch abzustatten und vernahm mit nicht weniger Unmut als Erstaunen, daß der, welchen er, von Ärzten umgeben, im Bette zu finden geglaubt hatte, schon am frühen Morgen ausgegangen sei. Niemand wußte, wohin? Hippolit hatte bei diesem Besuche auf irgendeinen günstigen Zufall gerechnet, der ihm bedeutender, als eine bloße zeremonielle Visite, bei Gabrielen Zutritt verschaffen sollte, und verweilte jetzt unschlüssig auf der Treppe, darüber nachsinnend, ob es geratener sei, schon jetzt sich bei ihr melden zu lassen oder später wiederzukehren, als Moritz, ihm begegnend, seinen Bedenklichkeiten ein Ende machte, indem er ihn erst auf das freundlichste begrüßte und dann sogleich an das Ziel seiner Wünsche führte. Mit unendlichem Bedauern verließ der Baron dort aus Mangel an Zeit Hippolit, nachdem er diesen für den Mittag eingeladen, denn noch am nämlichen Morgen hatte er der Auktion eines Naturalienkabinetts, einer Vorlesung über die Möglichkeit, den Luftballon zu regieren, und einer Opernprobe beizuwohnen.
Schöner noch als im festlichen Schmuck des gestrigen Abends trat Gabriele Hippoliten im zierlich einfachen Morgenkleide entgegen. Ihr helles Auge ruhte mit sichtbarem Wohlgefallen auf ihm, ihr schöner Mund lächelte ihn freundlich an, während sie mit ihrer süßen melodischen Stimme für die ihrem Gastfreunde geleistete Hülfe ihm nochmals dankte. Er, sonst so vorlaut, aller Frauen Gunst so sicher, stand dabei fast unbehülflich da und suchte vergeblich nach einer passenden Antwort, er fürchtete, Gabrielen etwas zu erwidern, weil er sie dann nicht mehr hören würde, und fühlte dabei doch mit innerer Angst das Lächerliche seines fortwährenden Schweigens. Endlich suchte er gewaltsam den Zauber zu zerreißen, der seine Zunge fesselte, er strebte wieder in den gewohnten Ton zu gelangen, mit dem er bis jetzt noch immer bei den Frauen Glück gemacht hatte, und ward zuletzt aus bloßer Verlegenheit zuerst vorlaut, und endlich beinahe unverschämt. Mit erzwungener Bedeutung brachte er ziemlich ungeschickt einige witzig sein sollende Anspielungen auf den Kranken an, der solcher Teilnahme sich erfreuen könne, sprach dann von der Verpflichtung aller Männer, einem so ausgezeichneten Günstling des Glücks zu dienen, wenngleich sie eben dieser Auszeichnung wegen ihn alle tödlich hassen mußten. Das Unziemende solcher verbrauchten Scherzreden Gabrielen gegenüber, fiel ihm selbst auf und vermehrte seine Verlegenheit; er wollte es mildern und geriet immer tiefer hinein, bis sie ihn endlich unterbrach, nachdem sie ihm lange genug, zuletzt recht mitleidig ernsthaft zugehört hatte.
„Ich könnte mich stellen, als verstünde ich Sie nicht“, sprach sie, „oder ich könnte Sie auch verstehen und dann mit gutem Fug und Recht mich erzürnen, und eigentlich sollte ich dieses auch wohl, aber Ihr ganzes Wesen, vor allem Ihre Jugend lassen mich hoffen, daß Sie mir eben eine Lektion hersagten, die Ihr Kopf in der Welt, in der Sie bis jetzt lebten, auswendig lernte, von der aber in Ihrem Herzen keine Silbe steht. Ich freue mich um so mehr der Aussicht, Sie oft und lange in unserm Kreise zu sehen, dem es vielleicht gelingen wird, Ihnen das Leben und auch die Frauen aus einem andern Gesichtspunkt zu zeigen.“ Hier schwieg sie, gleichsam eine Antwort erwartend, doch Hippolit, hochrot vor Zorn und Scham, vermochte kein Wörtchen aufzubringen und suchte nur in seinem Äußern noch das sonst gewohnte dreiste Selbstbewußtsein auszudrücken. „Stehen Sie nicht so wie ein zürnender Heros vor mir“, setzte daher nach einer kleinen Pause Gabriele lächelnd hinzu, „nehmen Sie lieber meine Äußerungen, wenn sie Ihnen auch nicht ganz gefallen sollten, so auf, wie ich die Ihrigen, das heißt, mit Duldung.“
Gleich nach diesem suchte sie dem Gespräch eine leichtere, gleichgültigere Wendung zu geben, aber es mißlang ihr. Hippolit war zu sehr aus dem Gleichgewicht gekommen, um es sogleich wiederzufinden und ergriff deshalb den ersten schicklichen Augenblick, um seinen Besuch zu beenden.
Von Gabrielen entfernt fühlte er mit tiefer Beschämung, daß er wie ein ausgescholtener Schulbube vor ihr dagestanden, vor ihr, die ohne den geringsten Versuch, ihm seine vorgefaßte Meinung von dem Verhältnis zwischen ihr und Adelbert zu benehmen, dennoch, wie völlig gerechtfertigt, stolz und klar sich erhob und zugleich eine Art Herrschaft über ihn übte, zu welcher er sich nicht bewußt war, sie berechtigt zu haben.
Ärgerlich und mit dem festen Vorsatze, kalt und unbefangen aufzutreten, stellte er zur Zeit der Mittagstafel zum zweiten Male sich in Gabrielens Zimmer ein, aber er konnte sich die Mühe sparen, denn sie begrüßte ihn nur mit einer leichten Verbeugung und setzte dann sehr lebhaft ihr Gespräch mit einem Fremden fort, der eben aus Rom kam und Ottokar dort gesehen hatte. Moritz hingegen, der seit gestern eine ganz eigene Zärtlichkeit für Hippoliten gefaßt zu haben schien, bemächtigte sich sogleich seiner, um ihm eine Sammlung von Mißgeburten zu zeigen, welche er am nämlichen Morgen in der Auktion gekauft hatte. So ward im einzelnen Gespräch beinahe eine Stunde von der nur aus acht oder neun Personen bestehenden Gesellschaft hingebracht. Gabriele blickte oft auf die Uhr, man erwartete sichtbar noch jemanden. Blaß und verstört trat endlich Adelbert herein, beantwortete sehr in der Kürze alle Fragen nach seinem Befinden, schob einige unverständliche Entschuldigungen seines späten Erscheinens dazwischen und versicherte dann wieder, nur der Blumenduft, einzig der Blumenduft im Kabinett der Marquise habe ihm gestern den Zufall zugezogen, von dem er sich jetzt völlig hergestellt fühle.
Hippolit fand an der Tafel neben dem Herrn des Hauses seinen Platz, Gabrielen und Adelberten gegenüber. Letzterer blieb sichtbar verstimmt und Gabriele betrachtete ihn mit augenscheinlicher Besorgnis. Dann aber wendete sie sogleich alle ihre Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu. Jeden und jedes wußte sie an seinen Platz zu stellen, hatte allen einzeln etwas Angenehmes zu sagen oder zu erzeigen; und das auf so natürliche Weise, als müßte es so und nicht anders sein. Sie war die Seele der Unterhaltung ohne damit prunken zu wollen, im Gegenteil, es war, als ob der Abglanz ihrer Anmut sich auf die verbreitete, welche sie umgaben. Wer ihr nahte, gewann an Liebenswürdigkeit, an Geist, Witz, Verstand, denn sie wußte jeden lichten Funken hervorzulocken, und seit sie in der großen Welt lebte, war, außer Hippoliten, vielleicht noch nie jemand anders als höchst zufrieden mit sich selbst von ihr geschieden.
Adelbert versank inzwischen in immer trüberes Nachsinnen, aus welchem er, sichtbar sich zusammennehmend, auffuhr, wenn man ihn anredete. Moritz hingegen war seelenvergnügt und eine Albernheit jagte die andere aus seinem Munde. Vergebens strebte diesmal Gabriele, das Gespräch abzuändern, Hippolit sah, wie sie alle Kraft ihres Geistes anwendete, um die Schwäche des Mannes, dem sie angehörte, zu verdecken, und die Nachtseite des Geschicks der schönen anmutigen Frau trat plötzlich in all ihrem hoffnungslosen Dunkel vor seine Seele. ›So‹, dachte er, ›so muß das holde Wesen unablässig arbeiten, sich anstrengen, sich quälen lebenslänglich, und warum? Um der Welt zu verbergen, was sie leidet! Um fremden Augen das Unwürdige der Fesseln zu entziehen, die sie zu Boden drücken und welche nur der Tod lösen kann!‹
Von unsäglichem Mitleide hingerissen, bemühte er sich von nun an, ihr zu helfen, und gewandt wie er war, gelang es ihm wirklich, den Faden der Unterhaltung behend zu ergreifen, ein Gespräch aufzubringen, welches unter seiner Leitung interessant genug ward, um selbst Moritzen zum Zuhören zu bewegen. Gabrielens dankbare Zufriedenheit, die er in ihren Augen las, lohnte ihn überreich, besonders da Moritz ihn einlud, morgen und an jedem Tage, sooft es ihm bequem sei, wiederzukehren; eine Erlaubnis, welche er sich vornahm, recht oft zu benutzen.
Mehrere Tage vergingen, während denen Adelbert und Hippolit die Rollen getauscht zu haben schienen. Ersterer war nur selten und nie in Gabrielens Nähe zu finden, wenn er vermuten konnte mit ihr allein zu sein. Er verließ mit dem frühesten das Haus und kehrte nur selten und spät wieder heim, während Hippolit dort fast jede Stunde des Tages verlebte und die Marquise nie anders, als umringt von fremden Zeugen, im geselligen Kreise sah. Er hatte sein Verhältnis zu ihr nie bindend gefühlt und auch sie konnte, nach der stillschweigenden Übereinkunft der Welt, in der sie zu leben gewohnt war, sich hierüber keine Illusion machen. Jetzt war das Band, welches ihn ihr verknüpfte, nicht gelöst, es war zergangen vor Gabrielens Erscheinung, wie Sommerwölkchen vor der Sonne in nichts sich auflösen, und er achtete übrigens die Marquise zu wenig, um ferner nach ihr, noch den Verbindungen zu fragen, die sie jetzt zu schließen für gut finden mochte.
Nicht listig absichtlich, sondern vom ehrlichen Wunsche geleitet, Gabrielens Geschick zu erleichtern, hatte Hippolit sich in kurzer Zeit ihrem schwachen Gemahl so lieb und wert zu machen gewußt, daß dieser ihn ungern von der Seite ließ und ihn mit Einladungen bestürmte, sein Haus als das seinige anzusehen. Je länger er Gabrielen sah, je deutlicher ward es ihm, daß diese Frau von allen, die er bis jetzt gekannt hatte, sich himmelweit unterschied, und so konnte es ihm nie einfallen, auf gewöhnlichem Wege sie zu gewinnen. Auch dachte er nie daran, planlos lebte er in ihrer Nähe fort, strebte auf jede Weise, sich dort zu erhalten, und sann nie darüber nach, warum er ihr nach und nach seine liebsten Gewohnheiten und Neigungen opferte, warum sie mit mächtiger Allgewalt ihn zu beherrschen beginne; es war ihm, als müsse alles dies so und nicht anders sein.
Gabrielen konnte es indessen nicht entgehen, wie zart und schonend der übrigens in allem so rücksichtlos handelnde Jüngling es vermied, die Lächerlichkeiten eines Mannes zu bemerken, der alt genug war, um sein Vater sein zu können. Sie sah, wie oft er gegen die Spottlust der übrigen jungen Leute ihn in Schutz nahm und ihre holdeste Freundlichkeit lohnte ihm ein Betragen, welches sie für den untrüglichsten Beweis reiner Herzensgüte nahm. Der frühern jugendlichen Unbesonnenheit, mit welcher er in der ersten Stunde ihrer Bekanntschaft es gewagt hatte, sie zu beleidigen, wurde nicht mehr gedacht; oder wenn es geschah, so schämte Gabriele sich des Ernstes, mit dem sie eine kindische, nichts bedeutende Ungezogenheit gerügt hatte. So gewöhnte jeder Tag sie immer mehr an die Gegenwart Hippolits, den sie zuletzt oft im Scherz ihren Edelknaben nannte.
Adelbert hingegen verlebte diese Zeit in stetem Schwanken zwischen Himmel und Hölle, bald in der wollustatmenden Nähe der Marquise alles außer ihr vergessend, bald niedergeschmettert von Reue und Selbstverachtung, wenn ein sorgender Blick aus Gabrielens Augen wie ein Strahl aus der schuldlosen, seligen Heimat ihn traf. Herminia hatte, als er, von Marion geführt, ihr Zimmer betrat, mit unwiderstehlichem Zauber den ganzen vollen Freudenkranz ihrer beider Jugend neubelebt, in Himmelsfarben glühend ihm zu zeigen gewußt. Ohne die frühere Schuld, welche diesen Kranz zerriß, wegleugnen zu wollen, aber auch ohne Reue darüber in Worten auszudrücken, hatte sie vor dem Beleidigten sich nicht gebeugt. Aber, während sie vorgab, ihm Lebewohl auf ewig zu sagen, mußte er wähnen, in ein von Liebe, Reue, Schmerz zerrissenes Gemüt zu blicken, das in kalter Selbstverleugnung sich verloren gab, und nur bedacht schien, sich und seine Qualen ihm zu entziehen. Entschlossen, die Treubrüchige mit kalter wortarmer Vergebung verachtend niederzuschmettern, war er gekommen, nur wenige Minuten vergingen und er lag zu ihren Füßen, sie entschuldigend, gegen ihre eignen Anklagen sie in Schutz nehmend, die jetzt erst laut zu werden begannen. Diese ihre erste Zusammenkunft endete von seiner Seite mit dem feierlichen Versprechen, noch am nämlichen Abend wiederzukehren, um dann gefaßter, mit Bewußtsein den Augenblick ewiger Trennung zu feiern und so in Zukunft sein Bild liebend vergebend und mild in ihrer Erinnerung leben zu lassen.
Zur unglücklichsten Stunde hielt Adelbert sein Wort. Der vereinte Zauber früherer Unschuld und jetziger blendend strahlender Schönheit, in Reue, in Verzweiflung, in aller Glut der hingebendsten Liebe, riß ihn hin, er vergaß alles, auch die Augusten geschworene Treue. Ihr bescheidnes Bild trat weit zurück in den verborgensten Winkel seines Herzens, schmerzlich fühlte er es dort, ohne es sich selbst zu bekennen.
In bitterer Selbstverachtung gab er von nun an jede Hoffnung der möglichen Rückkehr zum Bessern auf. Er wollte nur Betäubung und fand sie; er sah und hörte nur Herminien, wie sie einzig in seiner Liebe leben und atmen zu können schwur, ihre Versicherungen, ihn nie ganz vergessen zu haben, ihr Geloben künftiger ewiger Treue, er glaubte alles und nichts. Im Wahnsinn äußern Sinnenrausches, gefoltert von innern Vorwürfen in jeder Minute helleren Selbstbewußtseins, mied er aufs geflissentlichste alles, was ihn zu diesem bringen konnte, vor allem Gabrielen.
Herminia hatte bei Adelberts Wiedersehen wirklich eine Regung jener Gefühle empfunden, die einst ihre Jugend beglückten. Sie sah ihn zum edlen stolzen Manne herangereift, sogar die Narbe über der Stirn, welche früher ihr so entsetzlich dünkte, weit davon entfernt, ihn zu entstellen, erhob jetzt sein Gesicht zu dem eines Helden. Seine Erschütterung bei ihrem Anblick verriet ihr die Gewalt, welche sie noch immer über ihn üben konnte und Gabrielens unverhohlene Teilnahme an seinem anscheinend plötzlichen Übelbefinden ließen sie sogleich in dieser eine wahrscheinlich beglückte Nebenbuhlerin ahnen. Gabrielens von allen gefeierter Name erregte schon ihre Eifersucht, ehe sie selbst sie noch sah, jetzt, da Hippolit ihr um jener willen untreu zu werden drohte, ward sie ihr ganz unerträglich. Sechs in den gefährlichsten Umgebungen verlebte Jahre hatten Herminien sehr tief herabgezogen; Wechsel und Intrige waren in dieser Zeit ihrem leidenschaftlichen Wesen zum Bedürfnis geworden, und unbekannt mit jeder bessern Regung, beurteilte sie alle und somit auch Gabrielen nach sich. Sie glaubte sogar, sich nicht besser an dieser rächen zu können, als indem sie Adelberten von ihr abzuwenden und wieder in die alten Fesseln zu ziehen suchte. Zugleich hoffte sie dadurch Hippolits Eifersucht rege zu machen und so auch ihn wiederzugewinnen, den sie, ohne ihn zu lieben, dennoch nicht freigeben wollte, besonders nicht an Gabrielen. Alles dieses vereint bestimmte sie zuerst zu jener mühevollen Vorstellung, mit der sie Adelberten umgarnte, aber es ging ihr bald mit dieser Rolle, wie jeder guten Schauspielerin mit der ihrigen, sie gewann sie lieb, so daß sie selbst nicht mehr Täuschung und Wahrheit voneinander zu unterscheiden wußte und das Spiel immer weiter trieb, zuletzt hauptsächlich nur um des Spieles willen.
Nicht mit jener quälenden Empfindung, welche Herminia in ihr erregen wollte, aber doch schmerzlich besorgt, sah Gabriele Adelberten sich täglich ihr mehr entfremden. Sie sah die Angst, die ihn in ihrer Nähe ergriff, sie bemerkte, wie geflissentlich er jedes Gespräch mit ihr vermied, ohne erraten zu können, wodurch sie sein Zutrauen verscherzt habe. Auch zeigte er sich ihr durchaus nicht feindselig, aber ihr Beisein übte über ihn eine sichtlich vernichtende Gewalt. Das Geschäft, welches ihn in die Residenz geführt hatte, vernachlässigte er durchaus und brachte dennoch fast alle seine Zeit außer dem Hause zu. Sie begriff nicht, wo? Und womit? Bei der Marquise traf sie ihn selten, denn sie besuchte diese nur, wenn sich dort Gesellschaft versammelte, und dann pflegte Adelbert gewöhnlich zu fehlen. Tausend Vermutungen drängten sich Gabrielen entgegen, doch keine brachte sie der Wahrheit nahe; ihr Gefühl widerstrebte jedem heimlichen Nachforschen, aber dieses unerklärliche Betragen des Gemahls ihrer Auguste lastete recht schwer auf ihrem Gemüte.
Zwischen der Marquise und der Gräfin Rosenberg war indessen seit Gabrielens Ankunft eine Spannung entstanden, welche, und vielleicht bald, in einen förmlichen Riß auszuarten drohte. Herminie haßte Gabrielen zu sehr, um diesen Haß nicht auch der Gräfin sichtbar werden zu lassen, besonders seit es mit jedem Tage ihr entschiedener wurde, daß Hippolit um jener willen ihr unwiederbringlich verloren sei. Die Gräfin hingegen nahm Gabrielen stets in Schutz; sie hatte sie auf ihre Art lieb gewonnen, sie wußte sich nicht wenig damit, daß eine so glänzende Erscheinung aus ihrem Hause ausgegangen, unter ihren Augen gebildet sei. Nichts konnte ihr ein beifälligeres Lächeln ablocken, als wenn man Züge von Ähnlichkeit zwischen der Tante und der Nichte entdeckt haben wollte; auch konnte sie Gabrielen nicht entbehren, ihre stete Gegenwart machte die geselligen Abende der Gräfin zu den gesuchtesten und glänzendsten der Stadt, unerachtet schwache Nerven jetzt sehr oft das Nichterscheinen der Marquise entschuldigen mußten; zum Teil, weil diese die Abendstunden lieber mit Adelberten allein zubrachte, mehr aber noch, weil sie das Rivalisieren mit Gabrielen scheute. Außer sich wäre sie gewesen, wenn sie gewußt hätte, wie wenig die Gesellschaft im Salon der Gräfin ihre Gegenwart vermißte. Ihr erstes blendendes Auftreten war zwar nicht vergessen, aber man gedachte dessen nur als eines angenehmen und zugleich fremden Schauspiels, welches sich indessen seiner Art nach doch nicht ganz mit deutschem Sinn und deutscher Sitte vereinen ließ, während Gabrielens sich stets gleichbleibende anspruchslose Liebenswürdigkeit auf Geist, Sinn und Herz immerwährend wohltuend wirkte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gabriele