Aus Florenz. - „Nun weiß ich, wie es dem Schweizer ist, den, fern vom geliebten Vaterlande, ein Ton aus seinen heimatlichen Bergen traf ...

„Nun weiß ich, wie es dem Schweizer ist, den, fern vom geliebten Vaterlande, ein Ton aus seinen heimatlichen Bergen traf und alle Qualen des Heimwehs über ihn rief! Ich stand an Ernestos Seite im Garten des Palastes Boboli, oben auf der höchsten Terrasse. Die Sonne ging unter; als wäre der Ätna umgestürzt und schütte alle seine Gluten aus, so flammte es in Westen und zwischen diesem Abendgolde und dem Ätherblau prangte der Horizont im herrlichsten durchsichtigen Grün, wie ich noch nie es sah. Die fernen Apenninen glühten dunkelviolett zu uns herüber, zu unsern Füßen glänzte die Stadt, das Schloß, der Garten und das ganze reiche herrliche Tal, welches der Arno durchströmt, alles wie verklärt im Lichte der brennenden Himmelspracht. Nur einen solchen Abend hier an Ihrer Seite! Ich konnte den Wunsch dem Freunde nicht verhehlen, er teilte ihn mit mir, und ein liebes beruhigendes Gespräch, das nach Schloß Aarheim uns versetzte, hatte sich zwischen uns beiden entsponnen, als plötzlich der Ton Ihrer Stimme, Ihrer Stimme, Gabriele, mein Ohr traf. Was ich rief, was ich tat, weiß ich nicht, nur daß Ernesto mich beim Arm ergriff und sehr ernst mich zur Ruhe ermahnte. Dies brachte mich wieder in leidliche, äußere Fassung, obgleich ich seine Worte nur halb verstand.

Eine Gesellschaft Herren und Damen, lustwandelnd wie wir, näherte sich uns vom Pavillon her unter lautem Lachen und Gespräch, und immer tönte noch der Klang der süßen Stimme in ihrer Mitte. Ich zitterte und als ich aufmerksamer hinblickte, glaubte ich zu vergehen. Sie waren es, Sie selbst, Gabriele, Sie traten hervor, Sie eilten auf uns zu. ›Signor Ernesto!‹ riefen Sie in so bekanntem Ton! Und doch waren Sie es nicht. Nein! Wo hatte ich meine Augen gehabt? Sobald man die Gestalt genauer betrachtete, war, außer dem Ton der Sprache, kein Zug von Ähnlichkeit zwischen Ihnen und der blendendschönen Frau, die jetzt dicht vor mir stand. Diese dunkle Lockenpracht, dies weitgeöffnete hohe blaue Auge voller Blitze, wie verschieden von der lichten Strahlenglorie, die Gabrielens schönes Haupt umwallt, von dem sanften Mondlicht der frommen braunen Augen, die, gleich lieben freundlichen Sternen, süßberuhigend uns leuchten? Und dennoch hatte diese, Ihnen so ganz entfremdete Erscheinung auch etwas in ihren Bewegungen, dem ich unverwendeten Blicks zusehen mußte, weil es eben wie der Ton ihrer Stimme mir Gabrielen vor die Sinne zauberte. Es zog mich an und stieß mich zurück, entzückte und betrübte mich, hundertmal in wenigen Minuten.


Nachdem die Dame ziemlich lange mit Ernesto geplaudert und ich weiß nicht, welche Vernachlässigungen ihm mit scherzhaftem Tone vorgeworfen hatte, wandte sie den fragenden Blick mir zu und Ernesto konnte es nun nicht vermeiden, mich ihr vorzustellen. Er tat es mit einer Art von Verlegenheit, die ich bis jetzt noch nie an ihm bemerkt hatte und ich mir nicht zu erklären weiß. Nach italienischer Sitte nannte er sie mir nur Signora Aurelia und erst da wir wieder allein waren, erfuhr ich, daß sie die Tochter der Gräfin Rosenberg und Ihnen nahe verwandt sei. So war mir denn der Zauber der Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden durch dieses Familienband erklärt. Ihre Cousine ist im Begriffe, mit einer englischen Familie eine Reise nach Griechenland anzutreten, weil ihr in Italien das Klima nicht zusagt. Ihr Gemahl lebt in Rom. Haben Sie ihn jemals gesehen? Ernesto vermeidet, von ihm zu sprechen; es muß eine eigne Bewandtnis mit diesem Menschen haben.

Was Ernesto durch Gründe, Bitten, Zureden nicht erhalten konnte, hat Aurelia ohne ein Wort darüber zu verlieren bewirkt. Ich gehe wieder in die Welt, die ich ewig meiden wollte, besuche Soireen, Akademien, Konversaziones; denn nur da kann ich ungestört in irgendeinem Winkel sitzen, mich mit verschlossenen Augen der süßesten Täuschung hingeben, während Aurelia zu den andern spricht. Ihr selbst mich zu nahen vermeide ich, soviel ich es schicklicherweise kann, weil sie stets von Gabrielen mit mir sprechen will. Letzthin hat sie einen ganzen Abend hindurch mich über Sie ausgefragt. Ausgefragt, das ist das rechte Wort – für dieses neugierige, anteilnehmende Auskundschaften. Mir war dabei zumute, als spräche jene Eugenia, die einst mit ähnlichen Redensarten mich dem Abgrunde entgegentrieb, von welchem nur die Hand eines Engels mich retten konnte.

Und doch hat diese Aurelia eine gewisse, mir so liebe Art, den Kopf ein wenig vorzubeugen und dann seitwärts aufzublicken! Im Gespräch hebt sie oft die zarte wunderschöne Hand, derengleichen es nur noch einmal in der Welt gibt, und regt die rosigen Fingerchen so, daß ich nicht müde werden kann, ihr zuzusehen. Oft höre ich ihrer Stimme zu und strenge mich an, auf ihre Worte nicht zu merken, dann träume ich mir, ein böser Zauber habe Gabrielen in diese Gestalt gebannt und die Zeit desselben wäre nun um; ich blicke auf zu ihr und bei jeder Ihnen abgestohlenen Bewegung wähne ich, jetzt müsse die fremde Gestalt verschwinden und meine Sonne mir aufgehen.

Was man so in der Welt liebenswürdig nennt, ist diese Aurelia, sobald sie es sein will, in hohem Grade. Zu ihrer Ehre sei es gesagt, daß dieses oft der Fall ist, und doch gibt es Momente, in welchen sie mir sogar hassenswert vorkommt, weil sie nicht Gabriele ist und sich doch unterfängt, ihr ähnlich zu scheinen. Dann graust mir vor ihr, wie vor einem Leben heuchelnden Wachsbilde.

Aber ist es nicht wunderbar, daß Ernesto, außer der Stimme, welche er allenfalls noch zugibt, mir jede weitere Ähnlichkeit Aureliens mit Ihnen durchaus ableugnet? Er sucht sogar und oft ziemlich auffallend mich von ihr fernzuhalten, als fürchte er für mich in ihrer gefährlichen Nähe. Ahnet er denn gar nicht, daß es nur der Schatten von Gabrielens Schatten ist, was zu ihr mich zieht?“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gabriele