„Ich weiß es, teure Freundin! Sie lachen über meine Bedenklichkeiten und Besorgnisse, aber ich lasse es mir gefallen, und gebe ohne Widerstreben Ihrem gutmütigen Spotte mich preis, ...

„Ich weiß es, teure Freundin! Sie lachen über meine Bedenklichkeiten und Besorgnisse, aber ich lasse es mir gefallen, und gebe ohne Widerstreben Ihrem gutmütigen Spotte mich preis, wenn ich nur nach gewohnter Art Ihnen vertrauen darf, was Herz und Sinne mir trübt. Und dies ist jetzt Aureliens blendendschöne Erscheinung, unerachtet ihres zuvorkommenden Betragens gegen mich und des schmeichelnden Klanges ihrer Worte. Ich kann mich nun einmal des peinlichen Gefühls in ihrer Nähe nicht erwehren und seit ein Zufall, den ich durchaus boshaft und unheilbrütend nennen muß, uns hier in Florenz ihr entgegen warf, habe ich innerlich weder Ruhe noch Rast.

Schon seit sie aufhörte, ein Kind zu sein, spürte ich bei ihr etwas Unheimliches, das meinen Unmut erregte, obgleich ihre äußere Liebenswürdigkeit mir oft recht hinreißend erschien. Jetzt wird dieses Gefühl lauter in mir als je, ihr Lachen, ihr Scherzen klingen mir wie bittrer, dem Leben gesprochener Hohn, der sich nur in erzwungene Lustigkeit zu verkleiden sucht, und ihr ganzes Wesen hat in meinen Augen etwas so Verstörtes, Unheilweissagendes, daß ich weder mich selbst, noch die, welche ich liebe, in ihrer Nähe wissen mag. Vor allem ängstigt es mich, wenn ich Hippoliten, verloren in ihrem Anschauen und in dem Klange ihrer Worte, neben ihr sitzen sehe; dann drängt es mich, ihn von ihr fortzureißen, und müßte ich auch mit meinem geliebten Zöglinge von irgendeinem Felsen herabspringen, wie einst der weise Mentor mit dem Sohne des Odysseus. Daß es übrigens mit dem Einflusse dieser neuen Kalypso bei meinem Telemach keine große Gefahr hat, weiß ich, gottlob, sie wird ihn mir weder bezaubern noch verhexen, obgleich sie zu beidem wohl Lust und auch Talent hätte, denn er steht zum Glück unter höherem Schutze. Wäre mir dies auch früher nicht schon klar geworden, so hätte es mir ein Lied gesagt, welches er sich schrieb mitten in einer rauschenden Gesellschaft, wo Aurelia und andere schöne Frauen ihn aufforderten, mehr teil an der Geselligkeit zu nehmen. Es war an dem Ufer eines kleinen Flusses, wo er sich unter überhängende Pinien setzte und in seine Schreibtafel die Worte aufzeichnete, die er mir beim Nachhausegehen als Antwort auf die Aufforderung der Damen stumm überreichte, die ich ihm wortlos zurückgab und die ich ihn seitdem oft nach einer Melodie singen höre, welche er dazu fand. Ich schließe die einfachen Worte diesem Briefe bei.


Trotz alledem such ich doch absichtlich, aber unmerklich, die Gelegenheiten zu entfernen, wo Hippolit mit Aurelien zusammentreffen kann; denn der Umgang mit Wesen ihrer Art bringt nichts Gutes, macht niemanden besser; und darum soll man ihn nach meiner Überzeugung meiden, soviel man nur immer kann.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gabriele