Erste Fortsetzung

Nichts bezeugt stärker die hohe Künstlerschaft Uhdes, als dass er sich mit allen Kräften dagegen gewehrt, für einen Spezialisten genommen zu werden. Wenn sein Name auch für immer mit dem von ihm geschaffenen Genre des modernen religiösen Bildes verbunden bleiben wird — er hat sich in diesem Genre nicht erschöpft, sondern unermüdlich nach neuen künstlerischen Problemen und deren Lösungen gesucht. Sein Lebenswerk weist, wie das fast jedes modernen Künstlers, zahlreiche Wiederholungen auf; aber durchaus keine Selbstkopien. Stets hat er sich einem wiederholten Motiv von einer anderen Seite genähert, um eine selbständige und freie künstlerische Leistung hervorzubringen. Und es gibt kein Gebiet der Malerei, auf dem er sich nicht mit Erfolg betätigt hätte. Freilich ist ihm nicht auf jedem davon Förderung zu teil geworden. Besonders bedauerlich bleibt das für den ausgezeichneten Porträtisten, der in Uhde steckt und dessen Kräfte niemals ausgenutzt worden sind. Immerhin darf man trotz alledem behaupten, dass der Künstler die ihm von seiner Anlage zugewiesene Mission so vollkommen erfüllt hat wie nur irgendeiner der großen Meister, die vor ihm und mit ihm da waren. Und Uhde besitzt außerdem ganz besondere Verdienste. Er gehört nicht nur zu den Befreiern der deutschen Kunst von dem Zwange missverstandener akademischer Traditionen — er hat auch als erster der Stimmung einer neuen Zeit künstlerischen Ausdruck gegeben oder doch wenigstens ihr Geltung verschafft. Denn wenn Liebermann auch die gleichen Ziele verfolgte, so war ihm doch zunächst die Wirkung in die Weite versagt, weil er verschmähte, das Publikum an der Stelle zu packen, wo es allein noch empfindlich geblieben, am Gefühl. Uhde scheute sich nicht, dieses in Bewegung zu setzen, um Propaganda für die Anschauungen zu machen, denen er huldigte. Selbstverständlich folgte er dabei weniger der Überlegung als seiner persönlichen Neigung und Überzeugung. So hoch er die künstlerische Idee an sich einschätzte — er sah nicht ein, warum sie nicht in den Dienst einer geistigen gestellt werden dürfe; warum in einem Kunstwerk nicht Dinge zur Sprache gebracht werden sollten, die außerhalb der bloßen Wahrnehmung liegen. Hatte die Kunst darunter gelitten, dass sie Jahrtausende lang in der Frone des Kultus gestanden, dass sie Heldentaten der Großen verherrlicht oder der Prachtliebe und dem Reichtum zum Ausdruck verholfen hatte? Wer durfte dekretieren: Es ist den Künstlern verboten, zu erfinden und zu gestalten? Es kam doch immer nur auf die Leistung an. Der Ruf nach Wahrheit, den die Künstler in Frankreich ausgestoßen und den ihre deutschen Kollegen aufgenommen hatten, bezweckte doch nicht die Ausschaltung jeder Phantasieerregung — er sollte lediglich zu einer Abwendung von dem akademischen Schema, zu einer Rückkehr zur Natur und deren voraussetzungsloser Beobachtung auffordern. Nur krasser Unverstand kann von dem nach Wahrheit strebenden Künstler verlangen, dass er seine Individualität, seine Anlagen, seine Neigungen völlig aufgebe, um die Natur so darzustellen, wie sie in Wirklichkeit ist. Wer vermag das überhaupt? Selbst der literarische Vorkämpfer dieser Wahrheitsbewegung in Frankreich, Emile Zola, bekennt, dass er in einem Gemälde nicht das Gemälde suche, sondern den Menschen. Er sagt: „Es gibt in einem Werk nach meiner Meinung zwei Elemente: das wirkliche Element, das die Natur ist, und das individuelle Element, den Menschen. Das wirkliche Element, die Natur, ist beständig, immer dasselbe, gleichbleibend für alle Welt; ich würde sagen, es könnte als gemeinsamer Maßstab für alle geschaffenen Werke verwendet werden, wenn ich zugäbe, dass es einen gemeinsamen Maßstab geben könnte. Das individuelle Element, der Mensch, ist im Gegenteil wechselnd bis ins Unendliche. So viele Werke es gibt, so viele verschiedene Geister haben sie geschaffen. Wenn das Temperament nicht da wäre, würden alle Gemälde mit Notwendigkeit Photographien sein. — Das Wort ,Realist' bedeutet in meinen Augen nichts; denn es will das Wirkliche höher stellen als das Temperament. Arbeite wahr, dann spende ich Beifall. Arbeite aber individuell und lebhaft, und ich spende stärkeren Beifall.“ Leidet denn Rembrandts Künstler- und Malerreputation darunter, dass in seinen Bildern erzählt wird und dass der Inhalt dieser Erzählungen von stärkster Wirkung auf das Gefühl des Betrachtenden ist? Scheint dieser wundersamste aller individuell Schaffenden nicht noch größer und bedeutender dadurch, dass seine Malerei das gibt, was hinter den Erscheinungen liegt, die geistigen Mächte und die ewig bewegliche Seele? Wenn Liebermann, dessen Vorbild einst von großem Einfluss auf Uhde war, mit Wort und Tat die Ansicht vertritt, dass der Maler nur für das Auge schaffen dürfe, nur das wiedergeben solle, was er gesehen und beobachtet, dass es nicht seine Aufgabe sei, zu erzählen, so hat er für sich zweifellos recht, weil seine Anlage diesen Forderungen vollkommen entspricht. Aber sicherlich hat ein andrer, der in seinen Malwerken seine Phantasie und seine Empfindung zum Ausdruck bringt, weil er zufällig Phantasie- und gemütvoll ist, nicht weniger recht. Es handelt sich nur darum, ob seine künstlerischen Mittel dazu ausreichen und ob er mit seiner besonderen Anlage nicht eine unkünstlerische Richtung verfolgt. Indem Uhde sich die Freiheit nahm, seinen realistischen Darstellungen einen geistigen Inhalt zu geben, produzierte er nicht nur individuelle Werke, Schöpfungen, in denen er sein ureigenes Empfinden bezeugte, sondern erwies sich auch als ein Wohltäter für die Kunst. Denn weil er mit seinen Bildern etwas darstellte, was das Publikum zum Nachdenken brachte, erreichte er, dass es sich um seine künstlerischen Mittel und damit um die Absichten einer der Menge bis dahin unverständlich, ja verabscheuungswürdig gebliebenen neuen Kunst zu kümmern begann. Und damit war sehr viel gewonnen. Man kann wohl sagen, dass durch Uhdes Vorgehen das Schicksal der neuen Kunstbewegung in Deutschland entschieden worden ist, dass er der Anerkennung aller jener Maler, die im Augenblick vielleicht höher geschätzt werden als er — ob mit Recht oder Unrecht, bleibe dahingestellt — in wirksamster Weise vorgearbeitet hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz von UHDE 1848-1911 Sein Leben und seine Kunst
Uhde VS 010 Studie zu „Die Jünger von Emmaus“ (vgl. S. 53)

Uhde VS 010 Studie zu „Die Jünger von Emmaus“ (vgl. S. 53)

Uhde VS 011 Klosterneuburg, Heinrich L. Neumann. Bildnisstudie 1889

Uhde VS 011 Klosterneuburg, Heinrich L. Neumann. Bildnisstudie 1889

Uhde VS 012 Kreidestudie zum „Heiligen Abend“ (vgl. S. 104)

Uhde VS 012 Kreidestudie zum „Heiligen Abend“ (vgl. S. 104)

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