Dritte Fortsetzung

Indem Uhde die Idee des von ihm geschaffenen neuen religiösen Bildes weiter ausbaute und einer Eingebung so das Aussehen einer höheren Absicht gab, hatte es zunächst wohl den Anschein, dass auch die künstlerische Tendenz seiner Bilder etwas Zufälliges sei. Wenigstens konnte man sich vorstellen, dass Uhdes religiöse Bilder, auch dunkel gemalt, an Wirkung nichts einbüßen würden. Das ist jedoch nur scheinbar wahr; denn die Freilichtmalerei spielt in den Schöpfungen des Künstlers ohne Zweifel eine viel wichtigere Rolle, als für gewöhnlich angenommen wird. Sie steht mit dem lyrischen Empfinden Uhdes in innigstem Zusammenhang. Das Wesen des Künstlers spricht sich in seinem ganzen Lebenswerk niemals in Kontrasten, sondern immer nur in Stimmungen aus. Alles Dramatische, das nicht denkbar ist ohne Gegensätze, ist ihm fremd. Dazu kommt eine starke Wahrheitsliebe, die auch der Phantasie kein Herumschweifen gestatten mag. Unter diesen Umständen musste Uhde die von Frankreich her importierte Freilichtmalerei besonders sympathisch sein. Erlaubte sie ihm doch zart und zugleich wahr zu sein, hatte sie doch etwas Verklärendes und Anziehendes, ohne dass er der Natur Gewalt anzutun brauchte. Außerdem brachte das Licht, indem es auf seinem Wege stets Widerstände zu überwinden hat, Handlung in seine Bilder. Und welche symbolische Kraft wohnt gerade dem Lichte inne! Man braucht nur an Rembrandt zu denken, um sich dessen bewusst zu werden. Das Licht und seine wundersame Macht über die Erscheinungen der irdischen Welt ist das Thema aller Uhdeschen Bilder. Ein echt malerisches Thema, dessen Abwandlungen immer interessant bleiben werden. Es ist nicht zu viel behauptet, wenn man von Uhde sagt, dass er der einzige deutsche Künstler ist, der die Probleme der Hell- und Freilichtmalerei nach allen Richtungen mit unerschütterlicher Konsequenz behandelt und in seinem Lebenswerk mehr Lösungen solcher Probleme aufzuweisen hat als irgendein andrer Maler. Diese Beharrlichkeit im Verfolgen eines einzigen künstlerischen Zieles lässt ihn neben Liebermann vielleicht weniger beweglich als diesen erscheinen; aber auf ihr beruht seine Stärke, seine Originalität und nicht zum wenigsten seine lange künstlerische Jugend; denn die Aufgabe, die er sich gesteht, ist nie zu erschöpfen und muss einen Maler von Initiative — und als solcher hat Uhde sich zeitlebens gezeigt — immer wieder zu neuen, noch nie dagewesenen Taten reizen. In diesem Sinne ist die Lichtmalerei des Künstlers nichts Zufälliges, sondern der Ausdruck seines Wesens, eine persönliche Überzeugung. Und er hat seine künstlerischen Bestrebungen volkstümlich gemacht, weil er sie mit dem deutschen Empfinden in Übereinstimmung zu bringen wusste. Er kam dem Publikum nicht als falscher Franzose, sondern als guter Deutscher, zu dem es bald Zutrauen gewann. Den ausgezeichneten Maler in Uhdes Bildern verstanden und schätzten zu Anfang nur sehr wenige; aber ungemein viele begriffen, dass da ein Künstler war mit der Absicht, etwas Tiefes und Poetisches zu sagen. Und wenn man auch über die Hässlichkeit seiner Modelle schalt und nicht einzusehen vermochte, warum er gerade das armseligste Volk für seine Darstellungen bevorzugte, so hatte man doch Anerkennung dafür, dass der Künstler Rapport mit den Herzen suchte, indem er Szenen malte, die im Sinne nicht alltäglich waren.

Nachdem Uhde durch sein Vorgehen der von ihm und vielen andern Malern vertretenen Kunstrichtung höchst erfolgreich Bahn gebrochen, haben einige seiner Kollegen von damals behaupten wollen, die Art, wie er sich die Gunst des Publikums gewonnen, sei unkünstlerisch, sei eine kluge Spekulation auf das immer leicht zu überrumpelnde „deutsche Gemüt“ gewesen. Das ist weniger ein Angriff auf Uhdes Kunst als auf seine Persönlichkeit und als solcher ungemein töricht. Denn um in der Weise, wie Uhde es getan, auf das Gemüt des Volkes zu wirken, muss man eben doch Gemüt haben. Und seit wann ist es den Künstlern verboten, gemütvoll zu sein? Was man an Dürer und Rembrandt respektiert, ist doch bei einem modernen Maler nicht einfach eine Nichtswürdigkeit. Immerhin kommt es doch darauf an, in welcher Richtung ein Maler gemütvoll ist. Zwischen einem Uhde, der dem religiösen Bilde einen neuen, zeitgemäßen Inhalt und Ausdruck gab, und dem Maler, der mit einer „Zerbrochenen Puppe“ auf das „Gemüt“ des großen Publikums spekuliert, ist ein ebenso großer Unterschied wie zwischen den Leuten, die dieses Bild, und denen, die Uhdes Schaffen bewundern, oder wie zwischen den Musikfreunden, die Beethoven und Bach zu schätzen wissen, und denen, deren Empfindung am lebhaftesten auf einen Gassenhauer reagiert. Welcher alte Meister hätte sich geschämt, den Vorteil zu benutzen, mit seinem Bilde auf die Andacht, das Mitgefühl oder gar auf die Vaterlandsliebe derer zu wirken, die es ansehen konnten? Schließlich gehört auch zum Landschaftsmalen Gemüt; und ebenso muss der, welcher sich an einem Landschaftsbilde erfreut, solches besitzen. Sonst hat er eben nicht das geringste Interesse an der Schöpfung des Künstlers. Gemüt zu haben ist für einen bedeutenden Künstler keinesfalls ein Nachteil; denn damit erhöht sich seine Wirkung in die Weite. Und welcher Künstler hätte nicht die Sehnsucht, von möglichst vielen und möglichst lange verstanden und geschätzt zu werden! Wenn der Besitz von Gemüt dazu helfen kann, sollte man nicht verächtlich davon sprechen. Uhdes Kollegen hätten vor allem Ursache, ihm dankbar zu sein, weil er mit seinem Schaffen bewiesen, dass die von ihnen vertretenen künstlerischen Anschauungen den Maler nicht hindern, große Gedanken und tiefe Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, und dass man in einem Bilde wahr und innig zugleich sein könne. Und um sich zu überzeugen, ein wie großer Künstler Uhde, trotz seiner angeblichen Spekulation auf die schlechten Instinkte des Publikums, war und ist, braucht man nur einen Blick auf die Erzeugnisse seiner Nachahmer in Deutschland und Frankreich zu werfen, von denen keiner auch nur annähernd den Bildinhalt künstlerisch so tief zu durchdringen vermocht hat wie er. Ihnen fehlte aber nicht nur die reife Meisterschaft ihres Vorbildes, sondern auch dessen starke Persönlichkeit. Bei ihnen erscheint unwahr, künstlich und gemacht, was bei Uhde natürlich und selbstverständlich wirkt. Von hier aus lässt sich am besten feststellen, dass dessen gemütvolle und poetische Art ein integrierender Bestandteil seiner Individualität ist. Wie unüberlegt, ihm diese zum Vorwurf machen zu wollen! Man sollte froh sein, dass da ein Maler ist, der mit seinem Lebenswerk bezeugt, wie wenig Berechtigung die Behauptung gewisser Gegner fortschrittlicher Bestrebungen von der Herzensarmut der modernen Künstler hat.


Einen weiteren Beweis dafür, dass Uhde sich seine Stellung in der deutschen und zeitgenössischen Kunst mit den respektabelsten Mitteln errungen, bildet die Aufnahme, die man seinen Bildern in Frankreich bereitet hat. Dieselben Kritiker, die Leibl, Liebermann und Kuehl anerkannt haben, bevor irgendein deutscher Kritiker überhaupt gewagt hätte, für sie einzutreten, zögerten nicht einen Augenblick, Uhdes religiöse Bilder bei ihrem Erscheinen im „Salon“ mit der größten Begeisterung aufzunehmen. Es ist doch nicht gut möglich, sie in Ansehung des deutschen Gemüts in diesen Bildern für befangen zu halten. Sie fanden die darin offenbarte Kunst bemerkenswert und fühlten die größte Achtung vor der Persönlichkeit, die sie mit jener kennen lernten. Was man auch gegen die Franzosen sagen mag — das eine lässt sich nicht bestreiten, dass sie in Sachen der Kunst sehr viel feinfühliger sind als die Deutschen im Allgemeinen. Einen falschen Ton in Uhdes Kunst würde man diesem nicht haben durchgehen lassen. Sie fanden, wie es in der Tat auch ist, Absicht und Ausführung, Idee und Kunst, Gefühl und Malerei gleich gut und in Übereinstimmung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz von UHDE 1848-1911 Sein Leben und seine Kunst
Uhde VS 016 Studie zu dem Bilde „In Gedanken“ (vgl. S. 171) (1)

Uhde VS 016 Studie zu dem Bilde „In Gedanken“ (vgl. S. 171) (1)

Uhde VS 017 Studie zu dem Bilde „In Gedanken“ (vgl. S. 171) (2)

Uhde VS 017 Studie zu dem Bilde „In Gedanken“ (vgl. S. 171) (2)

Uhde VS 018 Studie. Kohlezeichnung

Uhde VS 018 Studie. Kohlezeichnung

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