Lebens- und Entwicklungsgang

Des Künstlers Lebens- und Entwicklungsgang ist in seinen Anfängen sehr merkwürdig. Fritz von Uhde ist am 22. Mai 1848 in Wolkenburg im Königreich Sachsen geboren. Sein Vater war der Jurist Bernhard von Uhde, der im Jahre 1883 als Präsident des Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums in Dresden starb; seine Mutter eine geborene Nollain. Von der frühen Jugend des Künstlers ist nicht viel zu berichten. Die verschiedenen Versetzungen des Vaters machten mehrfachen Schulwechsel erforderlich. Den Hauptteil seiner Ausbildung empfing der junge Uhde im Zwickauer Gymnasium und in der Vitzthumschen Gymnasialanstalt zu Dresden. Als er 1866 sein Abiturientenexamen bestanden hatte, wünschte der Vater, dass er, wie er selbst, sich dem Jus zuwenden möchte. Allein der junge Mann hatte gerade in dieser Zeit eine so leidenschaftliche Neigung für die Kunst gefasst, dass über seine Zukunft anders beschlossen werden musste, zumal kein Zweifel bestand, dass diese Neigung im väterlichen Hause gewissermaßen großgezogen war. Die ganze Familie dilettierte. Vater, Mutter und Schwestern malten. Ein als Zeichenlehrer nach Zwickau verschlagener und ursprünglich wohl recht begabt gewesener Künstler namens Karl Mittenzwei — er hatte in Belgien seine Studien getrieben — erteilte den Uhdeschen Kindern Unterricht und hatte sich des Jungen besonders angenommen. Dazu kam, dass der Vater, stolz auf das bei dem Sohn sich bemerkbar machende Talent, bereits im Jahre 1864 mit seinem Fritz und dessen Zeichnungen zu dem damals im Zenit der allgemeinen Bewunderung stehenden Wilhelm von Kaulbach nach München gefahren war und von diesem die Versicherung erhalten hatte, dass eine starke Begabung vorhanden sei. Die Meinung des berühmten Mannes musste umso höher veranschlagt werden, als er sich über die Verehrung des jungen Uhde für Menzel, diesem „Endpunkt der Scheußlichkeit“, wie er sich ausdrückte, entsetzt und höchst missbilligend geäußert hatte. Nach der Erklärung des Abiturienten, dass er niemals Jurist, dass er aber Maler werden wolle, wurden noch einer andern Autorität des jungen Mannes Arbeiten vorgelegt, nämlich Schnorr von Carolsfeld, und als auch dessen Urteil günstig ausfiel, erhielt er die väterliche Genehmigung, die Akademie in Dresden zu besuchen.

Für den lebhaften Jüngling, der sich etwas andres erwartet hatte als langweilige Gipse und den entmutigenden Unterricht pedantischer Lehrer, bedeutete die Akademie eine große und heftige Enttäuschung. Er, der in Menzelschen Zeichnungen das Leben, das kecke Zufassen des Künstlers und die Freiheit der Ausdrucksmittel bewundert hatte, fand sich in dieser trockenen Methodik durchaus nicht zurecht und begann schließlich selbst daran zu zweifeln, dass er es je zu etwas bringen könnte. Ein kurzes Schwanken, und mit einem schnellen Entschluss wurde der noch vor kurzem so heißersehnte Künstlerberuf aufgegeben. Mit Zustimmung der Litern entschloss sich Uhde,
nunmehr die militärische Laufbahn zu beschreiten.


Im Jahre 1867 bereits — die Akademie hatte ihn kaum ein Vierteljahr gefesselt — trat der junge Mensch als Avantageur in das sächsische Gardereiterregiment ein, wurde bald Fähnrich und 1868 Leutnant. Nachdem die erste Freude an den Glanzseiten des Soldatenlebens verglüht war, begann die ältere Liebe Uhdes zur Kunst wieder Besitz von seiner Seele zu ergreifen. In den Stunden, die nicht dem Dienst gehörten, wurde rüstig gezeichnet und gemalt. Jedoch nicht so ganz auf eigne Hand. In Dresden lebte damals, vergessen und im Dunkel, der Schlachtenmaler Ludwig Albrecht Schuster. Als Schüler von Horace Vernet wusste er mehr von der Kunst des Malens als sämtliche Professoren der Dresdner Akademie zusammengenommen — ein genügender Grund, um von diesen gehasst zu werden und in Elbflorenz auf keinen grünen Zweig zu kommen. Dieser verschüchterte und verbitterte Künstler, von dem übrigens die Dresdner Galerie zwei Bilder — „Schlacht von Borodino“ und „Schlacht bei Jena“ — besitzt, nahm sich des jungen talentvollen Offiziers mit großer Liebe an. Unter seiner Anleitung machte Uhde die ersten Versuche in der Ölmalerei. Die fördernden Unterweisungen des alten Schuster brachten ihn bald so weit, dass er es unternehmen konnte, Bilder zu malen. Die gelungensten Produkte aus dieser Zeit sind die 1869 entstandenen beiden Gemälde „Abschied“ und „Heimkehr“ (S. 1), die der Künstler aufbewahrt hat. Trotz der wesentlich novellistischen Tendenz und dem Rokokokostüm doch recht eigentlich schon Stimmungsstücke. Die Geschichte von dem Kavalier, der im Sommer in den Krieg zieht, nachdem er am Parktor von seiner Liebsten Abschied genommen, und bei der Rückkehr im Winter die Stätte seiner Sehnsucht vom Feinde zerstört findet, ist freilich so konventionell wie möglich und von künstlerischer Anschauung in den Bildern noch keine Rede. Der Krieg von 1870 machte diesen Bestrebungen sehr bald ein Ende. Die Beschäftigung mit der Kunst musste den Pflichten des selbstgewählten Berufes weichen. Uhde, der während des glorreichen Feldzugs als Ordonnanzoffizier bei der 23. Kavalleriebrigade funktionierte, hat an einigen Schlachten und vielen Gefechten teilgenommen. Die Ungeheuern Eindrücke, die er damals empfing, trafen in ihm allerdings mehr den Menschen als den Maler. Nur instinktiv hatte er die Empfindung, dass eine Schlacht mit ihrer Atmosphäre voll Pulverqualm, durchzuckt von dem Feuer der Geschütze, mit dem Hintergrund brennender Gehöfte und Dörfer, Bilder von so unerhörter Gewalt, Phantastik und Schönheit gäbe, wie kein Maler sie zu ersinnen vermöchte. Der Abend von St. Privat besonders schien ihm alles zu übertreffen, was an Furchtbarkeit des leidenschaftlichen Ausdrucks und unglaublicher Farbenpracht möglich sei. Im verlassenen Atelier des Tiermalers Charles Jacque in Anet bei Paris, wohin ihn das Schicksal für einen Tag verschlug, fand Uhde Malgerät vor und versuchte jenes Bild festzuhalten. Als Alarm geblasen wurde, musste er die begonnene Malerei freilich stehen lassen. Seinen Dank an den vor den Franktireurs, nicht vor den Prussiens geflohenen Meister für die Gelegenheit zu diesem Malerintermezzo stattete Uhde in der Weise ab, dass er durch einige Worte an der Tür des Jacqueschen Hauses den Besitz des berühmten französischen Malers der Schonung der deutschen Truppen empfahl.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz von UHDE 1848-1911 Sein Leben und seine Kunst