Zweite Fortsetzung

Die Situation in der deutschen Kunstmetropole ließ sich allerdings nicht so günstig an, wie der junge Offizier erwartet hatte. Es gelang ihm weder, als Schüler bei Piloty unterzukommen , noch fand sich ein Platz für ihn bei Diez oder Lindenschmit. So blieb er wieder auf sich selbst angewiesen und auf das Studium der alten Meister in der Pinakothek. Immerhin machte er Fortschritte, wie sein „Reitergefecht“ von 1877 (S. 14) gegenüber jener „Schlacht bei Sedan“ und der symbolistischen „Revanche“ von 1875 (S. 6) beweist. Durch Vermittlung des sächsischen Generalkonsuls Wilmersdörfer wurde Graf Schack auf den Maler aufmerksam gemacht. Er suchte Uhde in dessen kleinem Atelier auf und zeigte sich, obschon er bereits fast blind war, sehr enthusiasmiert von den Arbeiten des Künstlers. Die gräfliche Visite hatte wenigstens den Vorteil zur Folge, dass Lenbach ebenfalls erschien und sich die Sachen ansah. Sein Rat war, wie nicht anders zu erwarten, immer weiter die Alten in der Pinakothek recht gründlich zu studieren. Äußerlich diente diese Belehrung durch Bilder andrer Uhde freilich zur Vervollkommnung. Seine Darstellungen wurden abgerundeter, bildmäßiger und fügten sich nicht übel dem Charakter der damaligen Malerei in München in ihrer bewussten Altmeisterlichkeit an. Einiges machte sogar Aufsehen, wie die beiden jetzt im Besitze des Prinzen Leopold von Bayern befindlichen, Makart stark nachempfundenen Reiterbilder „Jagdjunker“ und „Standartenträger“ (1877) (S. 12 u. 13). Die Pferdestudien zu diesen beiden farbenprächtigen Bildern hatte Uhde noch in Borna nach seinen beiden letzten Dienstgäulen gemalt. Er selbst fühlte sich jedoch von dieser draufgängerischen, lebensfremden Produktion, so wohlgefällig man sie in München aufnahm, ganz und gar nicht befriedigt. Es gab ja für alles das Vorbilder, und Beifall und Erfolg hingen nur davon ab, wie nahe man jenen kam. Von einem Schaffen aus Eignem, wie er es sich erträumte, war doch keine Rede. Er sehnte sich aufrichtig nach jemand, der ihn diesem ziellosen Bildermalen entriss, ihm die Idee einer selbständigen Auffassung vermitteln konnte.

In dieser Periode des Zweifels lernte er bei dem sächsischen Gesandten von Fabrice den damals vielgefeierten Munkaczy kennen, der für ein paar Tage nach München gekommen war. Er sprach diesem von seinen Nöten. Der Rat des ungarischen Meisters, der in der Hauptstadt Frankreichs sein Glück gemacht hatte, war kurzerhand: Paris. Er wolle ihm schon helfen. Uhde, der im Jahre 1878 einige Bilder gemalt hatte, die ihm selbst fast gefielen: die „Rast auf dem Marsche“ (S. 15), die „In die Schlacht ziehenden Reiter“ (S. 16), Werke, die trotz ihrer großen Formate etwas von der Feinheit Diezscher Schöpfungen haben, jedoch ungleich farbiger sind, und die „Italiener“ (S. 17), die ein wenig an Piloty denken lassen, beschloss seine Münchner Tätigkeit noch mit einem gewaltigen Schlachtbilde, dem für das Kasino der sächsischen Gardereiter bestimmten „Angriff des Regiments von Plotho auf die Türken vor Wien 1683“ (S. 18 n. 19). Bei der Darstellung dieser kühnen Reiterattacke ließ er noch einmal all die kecken Künste, jene Bravour und Farbigkeit spielen, die er Makart abgesehen hatte. Ende 1879 bot sich ihm endlich mit Unterstützung seines Vaters die Möglichkeit, die Reise nach Paris anzutreten.


Dort half ihm Munkaczy insoweit, als er ihm eines seiner Ateliers, das er gerade nicht benutzte, eine Zeitlang zur Verfügung stellte. Der ungarische Meister leitete zu seinem Privatvergnügen eine kleine Schule, in der meist Amerikaner arbeiteten. Dorthin ging auch Uhde. Der berühmte Mann selbst malte in dieser Zeit an seinem Kolossalbilde „Christus vor Pilatus“. Ihm dabei zusehen zu dürfen war die beste Schule für den deutschen Künstler. Sehr bald hatte dieser seinem neuen Vorbilde alle Handwerksgriffe abgesehen. Er benutzte nun auch die Asphaltuntermalung, in die sich jede Farbe so lecker hineinsetzen und die jede Farbe so tonig wirken ließ. Zugleich lernte er den Vorteil des unbedingt Nach-dem-Modell-Arbeiten kennen. Er malte fleißig Studien und wurde Munkaczy immer ähnlicher. Sein famoser „Landstreicher“ (1880) (S. 21), der ein Dorf passiert, erinnert, nicht nur in dem schwärzlichen Kolorit, durchaus an diesen. Der „Schimmel“ (S. 22) und der „Altdeutsche Reiter“ (S. 23) von 1880 sind, genau wie Liebermanns „Dorfschmiede“, wohl nur zu dem Zwecke gemalt, den in der Munkaczyschule beliebten Effekt in Weiß gegen einen dunkelfarbigen Hintergrund in Anwendung zu bringen. Ganz aufgegeben wurden die Münchner Gewohnheiten indessen auch in Paris nicht. Das erste Bild, mit dem Uhde den „Salon“ von 1880 beschickte, „Die Chanteuse“ (S. 24) hat noch völlig den Charakter des Kostümstücks à la Diez und ist noch keineswegs frei von der äußerlichen Bravour, die in München für dergleichen Sachen beliebt war. Aber von überraschender Kraft sind die starken Blau, Rot und Gelb auf dem dunkeln Grunde. Dem Aufenthalt in Paris verdankt wohl nur die Erscheinung der Sängerin selbst in ihrer Hosengrazie das Dasein. Immerhin fand das muntere und farbenfreudige Bild in der Ausstellung Beifall und wanderte auf Munkaczys Betreiben in die Sammlung Otlet, aus der es auf allerlei Umwegen kürzlich wieder nach Deutschland gelangt ist.

Uhde benutzte den Erfolg, um sich einen Herzenswunsch zu erfüllen. Anfangs Mai 1880 fuhr er nach München, um sich mit der Schwester des späteren bayrischen Generalstabschefs General von Endres zu vermählen. Schon Ende des Monats ist das junge Paar in einem bescheidenen Heim in Paris einquartiert und der Künstler eifrig an der Arbeit, damit es seinem jungen Glücke nicht an der realen Basis fehle. Uhde schuf wacker an einem neuen Bilde, in dem er sein bei Munkaczy Erlerntes zur Anwendung und zur Geltung zu bringen gedachte. Und zum ersten Male wagte er sich an einen modernen Vorwurf, an die Darstellung einer Szene, die er selbst gesehen hatte. In einem Estaminet, in den sich hin und wieder auch Künstler mit schmalem Geldbeutel zu verirren pflegten, war eines Tages ein Hundedresseur erschienen, um den Gästen seine gelehrigen Pudel vorzuführen. Das halbe Haus lief zusammen, Straßenpassanten traten in das Gastzimmer, und sogar der Wirt eilte in seinem weißen Habit aus der Küche herbei, um diese Hunde, die marschieren, betteln und sich totstellen konnten, zu sehen. Das hat Uhde gemalt mit sehr viel Humor, mit geschickter Wahl charakteristischer Typen und mit einem zeichnerischen und malerischen Vermögen, das selbst in dem anspruchsvollen Paris entschiedene Beachtung fand. Munkaczys Einfluss war unverkennbar, sowohl in der dunkeln Tonigkeit des Bildes als auch in dem reichlich verwendeten schwärzlichen Weiß. Die Münchner Gewöhnung dagegen sprach aus manchen Einzelheiten des aufs Holländische hin gehaltenen Interieurs und aus manchen Gestalten, so etwa aus dem Pfeifenraucher am Tische. Auf alle Fälle waren diese „Chiens savants“ (S. 25), die im „Salon“ von 1881 erschienen, eine überraschend vollwertige und amüsante malerische Leistung, die bald ihren Liebhaber fand. Gegen Ende des Jahres 1880 verließ Uhde Paris, um sich nun endgültig in München niederzulassen.

Die in der Schule Munkaczys gemachten Erfahrungen sammelte der Künstler noch einmal in einem der Öffentlichkeit kaum bekannt gewordenen Bilde, das ihn und seine blonde Gattin in seinem Atelier (S. 26) darstellt. Dieses schöne Werk mit dem Gelbbraun und Graublau in den Kleidern des Ehepaars zwischen der satten Farbigkeit der Möbel, der Tischdecke und des Teppichs lässt weniger an die reichlich süßlichen Familienszenen des Ungarn als an die malerischen Wundertaten von Alfred Stevens denken und gehört sicherlich zu den feinsten Schöpfungen von Uhdes Frühzeit. Im Übrigen ergab sich der Künstler in München wieder jenem Genre, das dort noch immer beliebt war, dem von Pieter de Hooch, Jan van der Meer, Metsu und Terborch abgeleiteten holländischen Kostümstück. Seine „Holländische Wirtsstube“ (S. 27), sein „Junges Paar am Fenster“ (S. 29) unterscheiden sich nicht wesentlich von den Leistungen andrer, gleiche Stoffe bevorzugenden Münchner Künstler. Eine erfreuliche Ausnahme bildet das „Familienkonzert“ von 1881 [b](S. 28), mit dem Uhde im Kunstverein Aufsehen erregte, weil es im Guten an Munkaczys „Milton“ erinnerte und einen überraschend fertigen Künstler verriet. In der Komposition hat das jetzt im Wallraf-Richartz-Museum befindliche Bild eine gewisse Verwandtschaft mit den „Gelehrigen Hunden“. Das Stück Stoff und der Krug im Vordergrunde aber sind echt Münchner Kompositionsrequisiten jener Zeit. Eine Studie zu diesem Werk bildet jene einen Krug zärtlich umfassende Alte, die als „Münchner Hille Bobbe“ (S. 30) bekannt, aber wohl kaum mit dem Blick auf Frans Hals von Uhde gemalt worden ist. Man findet das gleiche Modell noch einmal in dem „Radiweib“ von 1884 [b](S. 47) wieder.

Dass der Künstler mit dieser Art von Ateliermalerei brach, verdankt er dem Verkehr mit Max Liebermann, der damals mit seinen aufrührerischen Bildern in München die Rolle des Wolfs im Schafstall spielte und sich der aufrichtigen Verachtung des Publikums erfreute. Liebermann wies den Kollegen auf das Arbeiten in und vor der Natur als das allein fruchtbare hin und veranlal3te ihn, nach Holland zu gehen, um sich dort klarzumachen, was Luft und Licht überhaupt sei. Es gereicht Uhde nicht zur Schande, dass er sich eine Zeitlang vollkommen in den Bannkreis dieses allem Positiven geneigten,
zielbewussten und hartnäckigen Talents begab und nicht zögerte, ihm dieses oder jenes Motiv nachzumalen. Er setzte sich für einen Sommer (1882) in Zandvoort fest und malte, was er malen konnte. Nun beginnt nicht nur helles, sondern auch bewegtes Licht durch seine Darstellungen zu rieseln, und er lernt mit einem Mal begreifen, was Bastien-Lepage, mit dessen „Jeanne d'Arc“ er vor zwei Jahren nichts anzufangen gewusst hatte, ja der ihn recht eigentlich abgestoßen hatte, gewollt. Er fühlt sich in der Erinnerung von diesem Maler, der eine Wirklichkeitsschilderung mit einem seelischen Vorgang zu verbinden gesucht hatte, förmlich angezogen. Zuerst aber bemüht er sich, die Natur so ehrlich und wahr zu sehen wie sein Freund Liebermann; denn das scheint ihm ein sicherer Weg, sich in die neue Anschauungsweise menschlich und künstlerisch hineinzuleben. Und es ist Segen auf Uhdes Arbeit. Die Zeit in Zandvoort öffnet ihm die Augen für die Bedeutung, die das Licht in einem Werke der Malerei hat, dass seine Probleme lösen malerische Probleme lösen heißt und dass die Beobachtung seiner Phänomene schon eine unmittelbare Veranlassung ist, in einem Bilde wahr zu sein. Die „Holländische Nähschule“ von 1882 (S. 35) zeigt, dass Uhde zu Anfang die neuen Erlebnisse mit der Münchner Überlieferung, im Bilde amüsant zu sein und Verbindung mit dem Betrachter zu suchen, noch zu vereinigen bestrebt ist. An Helligkeit lässt diese „Nähschule“ mit ihren doppelten Lichtquellen freilich nichts zu wünschen übrig. Eine wichtige Etappe in der Entwicklung des sich nun in die Reihen der Fortschreitenden stellenden Malers bedeutet ohne Zweifel das Bild „Der Leierkastenmann kommt“ (1883) (S. 37), zu dem die prächtigen der Wiener Modernen Galerie gehörigen „Fischerkinder in Zandvoort“ (S. 36) eine das Bild selbst im malerischen Ausdruck stark übertreffende Studie sind. Neben dem in der Amsinckschen Sammlung in Hamburg befindlichen „Altleutehaus in Zandvoort“ (S. 31) lässt jenes Bild vielleicht am meisten an Liebermann denken, schon wegen der das Räumliche so wirkungs- und stimmungsvoll betonenden Komposition. In der Farbe aber wirkt es durch die vielen bunten Kleider der Kinder weniger kräftig und einheitlich als Werke aus Liebermanns damaliger Zeit. Ganz erstaunlich ist, wie schnell sich Uhde die mit Recht hoch eingeschätzte Fähigkeit des Berliner Meisters zu eigen gemacht hat, momentane Bewegungen, also Leben zu schildern; den Eindruck hervorzurufen, als habe er den Vorgang, ungesehen von allen Beteiligten, beobachtet; und alles Modellhafte zu vermeiden. Wie gelungen sind ihm besonders das durch den Klang in seinem Ohr in seiner Arbeit gestörte und sich zögernd erhebende Mädchen und die fleißige kleine Strickerin! Liebermann ist in einem wesentlichen Teil seines Kunstprinzips von niemand besser verstanden worden. Ein Jahr später malt Uhde eine Variante des Bildes „Der Leierkastenmann von Zandvoort“ (farbige Wiedergabe S. 41), wie er, umgeben von den Kindern, sein Instrument ertönen lässt. Auch hier Vorzüge, besonders in der Darstellung der Kinder, das ganze jedoch weniger interessant gefasst und trotz der tanzenden beiden Kleinen weniger lebhaft in der Bewegungsschilderung als jenes erste Bild.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz von UHDE 1848-1911 Sein Leben und seine Kunst