Siebente Fortsetzung

Der Einfall eines Unternehmers gibt dem Künstler im folgenden Jahre Veranlassung, seine Vorstellung von der Person Christi in einem Einzelbilde des Heilands (S. 179) niederzulegen. Er stellt ihn in jenem Typus, den man von seinen Schöpfungen her kennt, zu einer unsichtbaren Gemeinde mit erhobenen Händen redend, dar und legt dabei zugleich das Bekenntnis ab, dass Christus für ihn der Lichtbringer, ja das Licht selbst ist, indem er ihn von Sonnenstrahlen, welche die Hörer treffen müssen, überschüttet und leuchtenden Antlitzes schildert. Christas spielt in diesem Jahre überhaupt wieder eine wichtige Rolle in der Kunst Uhdes. Der Maler vollendet ein großes Bild „Christi Predigt am See“ (S. 185—186), zu dem ihm ein am Starnberger See, wo er seit 1894 jeden Sommer verbringt, empfangener Eindruck die Idee gegeben haben mag. Gut getroffen erscheint in diesem Werk die Feierabendstimmung. Nach getaner Arbeit hat das Volk Muße und Ruhe auch zur geistigen Erhebung. Aber weiter hat es der Künstler in seiner Darstellung nicht gebracht. Der Christus im Kahn scheint eher eine spannende Geschichte zu erzählen als das Gleichnis vom Sämann. Der Künstler hat hier, wie in dem fast zu gleicher Zeit entstandenen Werke „Christus und Nikodemus“ (S. 181), etwas zu schildern unternommen, was jenseits der Grenzen der Darstellung durch die Malerei liegt. Denn auch das Gespräch des Heilands mit dem Obersten der Juden über die Wege zum ewigen Leben spottet der Wiedergabe durch Handbewegungen und Mienen. Merkwürdigerweise ist zudem gerade bei diesen beiden Bildern das Malerische schwach. Die Valeurs der rötlichen Abendbeleuchtung und des Blaus im Wasser und in der Luft haben in der Seepredigt ein schlechtes Verhältnis von Kalt und Warm zueinander, und die Malerei des zweiten Bildes ist flau und kraftlos. Aber Uhde erscheint doch nur diesen Stoffen gegenüber unlustig und zu Konventionen geneigt. Sobald es darauf ankommt, Wirklichkeit, Selbstgeschautes zu geben, ist er mit all seinen prachtvollen Mitteln und seinem Temperament bei der Sache. Das beweist er im Jahre der Seepredigt mit dem Bilde seiner drei Töchter „In der Laube“ (S. 180). Diese ausgezeichnete Schöpfung lässt ihrer ganzen Anlage nach, im Momentanen des Ausdrucks und der Lichtwirkung wie auch in der alles Wesentliche mit schärfster Betonung seines Charakters herausholenden summarischen Malweise erkennen, dass Uhde mit seinem Luminarismus nun auch den entscheidenden Schritt zum Impressionismus getan hat. Das Bild ist außerordentlich farbig — die Kleider der beiden älteren Töchter
sind rot, das der jüngsten am Baum weiß; dazu das Braungrau des Baumstammes, des Zaunes und der Bank und das Grün der Blätter — ; aber alle Farben sind mit Licht durchtränkt.

Der Künstler bleibt auf diesem Wege nicht stehen. Das nächstjährige Gruppenbild der „Töchter des Künstlers“ (S. 191), zeigt, dass er jede Konsequenz zieht und selbst die flüchtigsten Erscheinungen, das Zufällige der Darstellung für werthält, sobald es ihn malerisch reizt. Auf diesem Bilde tragen die beiden ältesten Töchter sandfarbene Kleider und graue Blusen, die jüngste ist in Rosa. Das Sonnenlicht funkelt auf den blonden Köpfen der Mädchen und im grünen Buschwerk dahinter. Ein durchsichtiger, jedoch scharfer Schatten von einem Baum bedeckt das helle Gesicht der zweiten, über das eifrige Lernen der kleinen Schwester amüsierten Tochter. Auch der treue Freund der drei Töchter, Uhdes Griffon, der später vielgemalte, erscheint zum ersten Mal auf diesem Bilde eines glücklichen Vaters und großen Malers. Der Künstler macht nun auch den Versuch, diese Art der Malerei für Bilder religiösen Inhalts zu verwenden. Er glückt bei einem Werk wie „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehest“ (S. 190), weil der geistige Ausdruck nicht sichtbar gemacht zu werden braucht; er gelingt jedoch nicht bei Werken, in denen die Idee, nicht die Wirklichkeit, der eigentliche Träger der Handlung ist. In diesem Sinne ist Uhde mit seinem „Kranke heilenden Christus“ (S. 196 u. 197) ganz und mit der „Himmelfahrt Christi“ (S. 193 u. 194) teilweise verunglückt. Das Wunder der Entrückung Christi ist durch die Malerei niemals glaubhaft zu machen , und der Zustand der Leute bei solchem Ereignis wird immer durch mehr oder minder überzeugende Gebärden, die sie bei andern Gelegenheiten anwenden, ausgedrückt werden müssen. Über das Äußerliche der Handlung ist auch ein so feiner Seelenkünder wie Uhde nicht fortgekommen. Dass er sich zu mehrfachen Änderungen der Gestalt (Christi hat bewegen lassen, zeigt
am deutlichsten, wie wenig einheitlich das Werk konzipiert und dass der Meister selbst von dessen Gestaltung nicht besonders eingenommen war.


Uhde hatte indessen viel Freude daran gefunden, seinen Pinsel auf großen Leinwandflächen spazieren zu lassen. Er fühlt sich den Kollegen, deren schöner Vortrag und sicheres Stilgefühl gerühmt wird, durchaus ebenbürtig und hat nichts Geringeres im Sinn, als ihnen zu zeigen, dass er auch in seiner Richtung, die gegen Schluss des Jahrhunderts in München so ziemlich als überwundener Standpunkt gilt, etwas hervorbringen könne, das im Stil große Malerei sei, ohne dass die Naturwahrheit zu kurz komme. „Pour se faire la main“, wie Delacroix von solchen Vorbereitungen für größere Werke spricht, malt er nun erst einmal im Atelier einige Porträts nach Modellen. Zu dem farbigsten und lebendigsten davon stand ihm sein Freund Wohlmuth im Kostüm und in der Maske Richards III. (S. 198 u. 199), die wirksame Szene des Shakespeareschen Dramas verkörpernd, in welcher der flüchtende König über die Bühne eilt und nach seinem Pferd ruft. Uhde hat natürlich nicht daran gedacht, den königlichen Unhold zu malen, sondern den Mimen. Das Bild soll als Schauspielerporträt angesehen werden und ist als solches ein Werk, das seinen Meister in jedem Strich lobt. Nach einem Berufsmodell sind der Mann mit dem grünen Krug im Arm (S. 202) und das Bildnis des gleichen alten Mannes, stehend, im graubraunen Rock (S. 203) gemalt, vor welchen Schöpfungen man, wie vor Manets „Absinthtrinker“, an Velazquez denkt.

Im Sommer 1898 steht der Künstler wieder im Garten seines Landhauses und malt Bild auf Bild seiner drei Töchter, die, lesend oder mit Handarbeiten beschäftigt, träumend unter Bäumen stehend oder mit dem munteren Griffon spielend, dem Vater geduldige Modelle sind. In diesen Schöpfungen, die Uhde zunächst für sich malte — denn das Publikum sieht in solchen Sachen ja immer nur den Gegenstand und nicht die aufgewendete Kunst — , kommt überzeugend heraus, dass der Maler seine Augen jung erhalten hat, dass er immer noch fähig ist, die Natur naiv zu sehen und ihr neue Schönheiten zu entreißen. Er macht enorme Fortschritte nach der Seite der Farbigkeit und in der Darstellung des Lichts. Die Sonne gleißt und funkelt in diesen Bildern, und des Künstlers immer freier gewordene Hand ist fähig, jeden flüchtigen Eindruck, jede leise Nuance festzuhalten und wiederzugeben. Es ist zweifellos, dass diese Werke, die trotz aller treuen Beobachtung der Wirklichkeit auch gerade in der Malweise etwas durchaus Persönliches besitzen, einmal zu den hervorragendsten Leistungen der deutschen impressionistischen Malerei gezählt werden müssen. Sie brauchen den Vergleich mit ähnlichen Arbeiten Liebermanns nicht zu scheuen. Sie sind meistens weitergebracht und auch großzügiger in der Malerei. Dass der Berliner Meister gegenüber Uhde amüsanter wirkt, liegt wohl nur daran, dass er unaufhörlich neue Motive wählt,
während dieser nicht ruht, bis er alle Möglichkeiten eines Motivs erschöpft hat. Betrachtet man die in Uhdes Garten gemalten Bilder (S. 207, 210, 211, 217) genauer, so wird man bemerken, wie sehr des Künstlers Ansprüche an sich selbst von Fall zu Fall gesteigert sind und zu immer vollendeteren Leistungen führen, so dass die „Hundef?tterung“ von 1900 (S. 233) Uhdes stärkste Leistung in dieser impressionistischen Freilichtmalerei vorstellt, wobei immer wieder hervorgehoben werden muss, dass die Art der Anschauung und der Malerei durchaus individuell ist und nicht in Verbindung steht mit dem französischen Impressionismus.

Zwischen solchen frischen, weil unmittelbar vor dem Leben entstandenen Werken erscheinen freilich noch immer weiter Bilder religiösen Inhalts, die der Künstler weniger aus eigenem Bedürfnis, sich auszusprechen, malt, als weil man sie von ihm verlangt. Was ihnen im Vergleich mit Uhdes besten Arbeiten an innerlichem Gehalt abgeht, erscheint häufig ersetzt durch die reifere Kunst des Malers. Da taucht noch einmal die „Verstoßung der Hagar“ (farbige Wiedergabe S. 213) in einer neuen glücklicheren Lösung auf; da wird ferner das Abenteuer des jungen Tobias mit dem rabiaten Fisch (S. 212) dargestellt, und zwar in ganz impressionistischer Malweise. Auch die „Anbetung der heiligen drei Könige“ (S. 216) erscheint 1899 noch einmal unter seinen Bildern. Einen besonderen Grund, sich aufs Neue mit biblischen Stoffen zu beschäftigen, erhält Uhde durch die Aufforderung, im Verein mit andern Künstlern Illustrationen für eine Bibel zu liefern, die ein holländischer Verlag herausgibt. Er ist einer der fleißigsten Mitarbeiter des Unternehmens gewesen, und seine Bilder (S. 218 — 223) gehören zu den volkstümlichsten dieser „Bibel in der modernen Kunst“.

Für sich persönlich fühlt Uhde indessen das Bedürfnis, mit Schöpfungen dieser Art einen Schluss zu machen und vor aller Öffentlichkeit zu bekennen, dass ihn als Maler jetzt eigentlich nur noch die Wirklichkeit reize. Als Mann von Geist gibt er diesen Entschluss in einer sehr feinen künstlerischen Weise kund, indem er 1900 sein Atelier mit den Modellen malt, die gekommen sind, ihm zu einer Heiligen Familie zu sitzen. Der Maler hat eine Pause gemacht und für einen Augenblick das Atelier verlassen. Die Madonna, das Kind im Arm, sieht sich das unfertige Bild des Malers an. Die als Engel staffierten Kinder liegen und sitzen müde herum. Nur Joseph, den der Künstler gerade in Arbeit hat, bleibt in der angewiesenen Pose stehen, weil der Meister sogleich weiterarbeiten wird. Aus dieser Szene, die er nicht zu erfinden brauchte, weil er sie so ähnlich sicherlich mehr als einmal gesehen, hat der Künstler eines seiner allerschönsten Bilder (S. 229 — 230) gemacht. Es entzückt daran ebensosehr die ganz wundervolle, bei aller Breite doch überaus intime Malerei, die schöne lichte, auf Grau, Braun, Blau und ein wenig Rosa gestellte Farbe, als der edle Ausdruck von Wahrheit, der über dieser Gruppe liegt und der für jeden unbefangenen Betrachter selbst den leisesten Verdacht von Profanation ausschließt. Dennoch hat man Uhde eine solche zum Vorwurf gemacht. Dem Maler hatte freilich nichts fernergelegen. Ein Mensch von seiner Empfindungsart ist sich von vornherein darüber klar, dass eine respektlose Behandlung des Gegenstandes die Ehrlichkeit seiner Gesinnung in Frage stellen würde. Der Künstler hat vielmehr aufs ängstlichste jede Unehrerbietigkeit vermieden, was schon aus der Wahl seines besonders schönen und fast vornehm anmutigen Madonnenmodells hervorgeht. Der leise Humor, der sich in der Wiedergabe der ermüdeten und gelangweilten Kinder ausspricht, ist der natürlichste von der Welt und als Gegensatz sogar nötig. Uhde, der Maler der kindlichsten Kinder, hat, wie seine „Engelstudien“ (S. 227 u. 228) bezeugen, offenbar seine Freude an diesen armen kleinen Dingern gehabt, die ahnungslos die Etikettevorschriften des himmlischen Hofstaats verletzen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz von UHDE 1848-1911 Sein Leben und seine Kunst