Achte Fortsetzung

Das Jahr 1900 bringt Uhde eine harte Prüfung. Eine schwere Erkrankung wirft ihn nieder. Langsam, langsam und mangelhaft kehren die Kräfte zurück. Die aufs äußerste geschwächten Nerven des Künstlers gestatten ihm die Arbeit nur noch im beschränkten Umfange. Als einem echten Künstler aber wird ihm auch die Krankheit zu einem künstlerischen Erlebnis und aus diesem ein Bild „Der barmherzige Samariter“ (S. 236). Das erste, mit der zitternden Hand des Rekonvaleszenten gemalt, befriedigt ihn nicht. Er übermalt es, ohne viel mehr zu erreichen (S. 237). Im Sommer 1901, in Starnberg, beginnen sich die Kräfte wieder zu heben, und da er in seinen ihn mit der treuesten Liebe und Pflege umgebenden Töchtern die willigsten Modelle hat, weiß er sich nichts Besseres, als sie zu malen und dabei neue Entdeckungen in der Natur zu machen. Die drei Töchter hatten ihm 1899 zu einem ebenso eigenartig-intimen wie malerisch interessanten Gruppenbildnis (S. 225) im Zimmer gesessen. Jetzt müssen sie ihm als Staffage, als Licht- und Farbenträger für impressionistisch gemalte Interieurbilder dienen. Eines der schönsten davon ist das in der Lichtwirkung ganz besonders gelungene „In der Veranda“ (S. 235). Das Bild von 1902 und das 1903 gemalte „An der Verandatür“ (S. 239 u. 243) gehören mit zu den vorzüglichsten Werken, die der die Schönheit in der Wahrheit suchende Meister geschaffen. Das Licht hat eine Beweglichkeit, die Farbe bei aller Kraft eine Immaterialität, die wahrhaft erstaunlich sind. Den Schilderungen des durch Innenräume streifenden Tageslichts folgen Bilder, in denen der Reiz des künstlichen Lichtes dargestellt wird. Wie es von den Kerzen des Weihnachtsbaums durch des Künstlers Wohnzimmer strahlt, wo die Töchter am Klavier, das die eine spielt, dem Vater „Stille Nacht, heilige Nacht“ vorsingen (S. 244 u. 245). Und der Künstler lässt, um die Sache luminaristisch recht interessant zu machen, dieses Kerzenlicht mit dem Lichte zweier großer Lampen sich streiten. Und 1904 versucht er gar sein altes Experiment von der gegen das Licht gesetzten Person mit solcher Lampenbeleuchtung (S. 256). Man denkt vor diesen ausgezeichneten Schöpfungen unwillkürlich an die intimen Interieurs der Dänen, obschon der Impressionist Uhde in seiner Malerei nichts mit diesen sich in alten Traditionen bewegenden Malern gemein hat. Aber auch Freilichtbilder aus des Künstlers Garten und die Töchter des Meisters werden weiter fleißig gemalt, stark und lebendig wie früher, jedoch vielleicht noch prickelnder und freier in der Technik. Man kann sich vorstellen, dass Uhde auch das jetzt beginnende siebente Dezennium seines Lebens damit ausfüllen könnte, immer weiter neue Schönheiten in seiner nächsten Umgebung zu finden und sie zu malen. Jedoch man wird ihm nicht die Ruhe dazu lassen Je mehr Menschen erkennen, ein wie großer Künstler dieser Neuschöpfer des religiösen Bildes ist, umso dringender wird man leider von ihm verlangen, dass er wieder Bilder mit biblischen Stoffen malt. So ist man denn auch 1904 mit dem ersten Auftrag zu einem Altarbild an ihn herangetreten. Zu welchem außerordentlichen Werke hätte dieser Auftrag Uhde in der Zeit begeistert, da er in der Fülle seiner Kraft stand, seine Mission als Erneuerer der religiösen Kunst noch im Glänze der goldenen Zukunft vor sich sah! Aber das ist die Misere der deutschen Kunstverhältnisse, dass man den wirklichen und ursprünglichen Begabungen solche Aufgaben erst stellt, wenn sie keine wahre Freude mehr darüber empfinden können; wenn sie den Ruhm, den sie schließlich genießen, mit einem Leben voller Bitterkeiten und Enttäuschungen so hoch bezahlt haben, dass er ihnen durch solche nachträglichen Anerkennungen nicht mehr kostbarer werden kann. Dennoch hat Uhde sein ganzes künstlerisches Vermögen darangesetzt, um der Stadt Zwickau, die einen Teil seiner Jugend gesehen, für ihre Lutherkirche ein Werk zu liefern (S. 251), das ihr und ihm Ehre macht. Das Bild stellt keinen bestimmten Vorgang aus dem Evangelium vor. Der Maler hat sich an die auf eine Jesaiasstelle zurückgehenden Worte im Evangelium Matthäi gehalten: „Das Volk, das im Finstern saß, hat ein großes Licht gesehen, und die da saßen am Ort und Schatten des Todes, denen ist ein Licht aufgegangen.“ Der Heiland in hellviolettem Gewände tritt aus einem Tempeltor und spricht zu einer vor dessen Stufen knienden Gemeinde. Von himmlischem Licht übergossen, leuchtenden Antlitzes steht er da und scheint den Arbeitsmüden und Verzagten zu seinen Füßen zu sagen: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen!“

Uhde hat mit diesem Werk ein erneutes Zeugnis abgelegt für den innigen Glauben, der ihn beseelt, und für den starken geistigen Ausdruck, über den er mit seiner Kunst noch immer gebietet. Im Jahre 1906 folgte er der Aufforderung, für die Hamburger Kunsthalle das Bildnis eines um diese hochverdienten Ehepaars, des Senators Dr. Hertz und dessen Gattin (S. 259), zu malen. Er hat allseitigen Beifall mit dieser unter schwierigen Verhältnissen entstandenen Leistung gefunden. Seitdem sind noch mehrere Bilder seiner Töchter im Garten entstanden sowie eine neue Fassung des „Schweren Ganges“, und im Atelier des Künstlers reifen einige neue Werke, von denen eine große „Modellpause“ und ein „Malvolio“ (Porträt Wohlmuths) genannt seien, der Vollendung entgegen. Sie sollen und werden bestätigen, dass Uhdes Ehrgeiz, weiter und höher zu streben, noch immer so lebendig ist als zu der Zeit, da er um die Lorbeeren, die sein Volk dem Sechzigjährigen jetzt freudig reicht, schwer kämpfen musste.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Fritz von UHDE 1848-1911 Sein Leben und seine Kunst